Skip to main content

Full text of "Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums"

See other formats


RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE 

VORTRAGE 

vortrAge vor mitgliedern 
der anthroposophischen gesellschaft 



RUDOLF STEINER 



Kosmogonie 



Popularer Okkultismus 



anhand des Johannes-Evangeliums 



Eine Zusammenfassung von achtzehn Vortragen, 
gehalten in Paris 
zwischen dem 25. Mai und 14. Juni 1906, 
und Notizen aus fiinfundzwanzig Vortragen, 
gehalten in Berlin, Leipzig und Munchen 
zwischen dem 19. Februar und 6. November 1906 




2001 



RUDOLF STEINER VERLAG 
DORNACH / SCHWEIZ 



Nach einer Inhaltszusammenfassung und nach Notizen von Horern 
herausgegeben von der Rudolf Steiner-Nachlafiverwaltung 

Die Herausgabe besorgte Wolfram Groddeck 



1. Auflage, Gesamtausgabe Dornach 1979 

2., neu durchgesehene und erganzte Auflage, 
Gesamtausgabe Dornach 2001 

Friihere Veroffentlichungen 
und Veroffentlichungen in Zeitschriften 
siehe zu Beginn der Hinweise 



Bibliographie-Nr. 94 

Alle Rechte bei der Rudolf Steiner-Nachlafiverwaltung, Dornach/Schweiz 
© 1979 by Rudolf Steiner-Nachlafiverwaltung, Dornach/Schweiz 
Printed in Germany by Konkordia Druck, Buhl 

ISBN 3-7274-0940-1 



Zu den Veroffentlicbungen 
aus dem Vortragswerk von Rudolf Steiner 



Die Gesamtausgabe der Werke Rudolf Steiners (1861-1925) gliedert 
sich in die drei grofien Abteilungen: Schriften - Vortrage - Kiinst- 
lerisches Werk (siehe die Ubersicht am Schlufi des Bandes). 

Urspriinglich wollte Rudolf Steiner nicht, daft seine frei gehal- 
tenen Vortrage - sowohl die offentlichen als auch die fur die Mitglie- 
der der Theosophischen, spater Anthroposophischen Gesellschaft - 
schriftlich festgehalten wiirden, da sie von ihm als «mundliche, nicht 
zum Druck bestimmte Mitteilungen» gedacht waren. Nachdem aber 
zunehmend unvollstandige und fehlerhafte Hdrernachschriften ange- 
fertigt und verbreitet wurden, sah er sich veranlafit, das Nachschrei- 
ben zu regeln. Mit dieser Aufgabe betraute er Marie Steiner-von 
Sivers. Ihr oblag die Bestimmung der Stenografierenden, die Verwal- 
tung der Nachschriften und die fur die Herausgabe notwendige 
Durchsicht der Texte. Da Rudolf Steiner nur in ganz wenigen Fallen 
die Nachschriften selbst korrigiert hat, mufi gegeniiber alien Vor- 
tragsveroffentlichungen sein Vorbehalt berucksichtigt werden: «Es 
wird eben nur hingenommen werden miissen, daft in den von mir 
nicht nachgesehenen Vorlagen sich Fehlerhaftes findet.» 

Uber das Verhaltnis der Mitgliedervortrage, welche zunachst nur 
als interne Manuskriptdrucke zuganglich waren, zu seinen offent- 
lichen Schriften auftert sich Rudolf Steiner in seiner Selbstbiographie 
«Mein Lebensgang» (35. Kapitel). Der entsprechende Wortlaut ist am 
Schlufi dieses Bandes wiedergegeben. Das dort Gesagte gilt gleicher- 
mafien auch fur die Kurse zu einzelnen Fachgebieten, welche sich an 
einen begrenzten, mit den Grundlagen der Geisteswissenschaft ver- 
trauten Teilnehmerkreis richteten. 

Nach dem Tode von Marie Steiner (1867-1948) wurde gemafi 
ihren Richtlinien mit der Herausgabe einer Rudolf Steiner Gesamt- 
ausgabe begonnen. Der vorliegende Band bildet einen Bestandteil 
dieser Gesamtausgabe. Soweit erforderlich, finden sich nahere An- 
gaben zu den Textunterlagen am Beginn der Hinweise. 



INHALT 



KOSMOGONIE 

Achtzehn Vortrage, gehalten in Paris vom 25. Mai bis 14. Juni 1906, 
nach einer Zusammenfassung von Edouard Schure, erganzt durch Horernotizen 



Erster Vortrag, Paris, 25. Mai 1906 17 

Die Geburt des Intellekts und die Aufgabe des Christentums. Die 
Leibeshiillen und das Ich. Die Ablosung der Nahehe durch die 
Fernehe. Die vergeistigte Liebe als Grundprinzip des Rosen- 
kreuzertums. 

Zweiter Vortrag, Paris, 26. Mai 1906 22 

Vorchristliche und christliche Bruderschaften. Die Mission der 
Manichaer. Der Darwinismus, eine Teilwahrheit. Atlantis. Zwei 
Strome der Entwicklung. Wahre Moral entspringt der Erkenntnis. 

Dritter Vortrag, Paris, 27. Mai 1906 27 

Der Stein der Weisen. Ein- und Ausatmung bei Mensch, Tier und 
Pflanze. Die Mistel, ein Uberrest der Mondenepoche. Die Ge- 
schlechtertrennung. 

Vierter Vortrag, Paris, 28. Mai 1906 31 

Die Zirbeldriise, Relikt eines einstigen Wahrnehmungsorgans. Der 
Traum, ein Rudiment des alten Hellsehens. Vom Ursprung der 
Mythen. Das Bewufitsein der Menschheitszukunft. Entwicklung 
der Erde vom Kosmos der Weisheit zum Kosmos der Liebe. 

Funfter Vortrag, Paris, 29. Mai 1906 36 



Die Seele sammelt die Friichte des Erdenlebens fur den Geist. Der 
Leib als Instrument der Seele. Bekanntwerden friiherer Mjsterien- 
geheimnisse. Der Atherleib des Mannes ist weiblich, der Atherleib 
der Frau mannlich, der Astralleib beider zweigeschlechtlich. 
Methodische Unterschiede der ostlichen und der abendlandischen 
Initiation. 



Sechster Vortrag, Paris, 30. Mai 1906 42 

Die sieben Stufen der alten Einweihung. Vorbeugung gegen Gefah- 
ren der okkulten Entwicklung. Die hoheren Grade der Initiation. 



Siebenter Vortrag, Paris, 31. Mai 1906 48 

Mittelalterliche Bruderschaften sehen im Johannes-Evangelium 
noch eine Einweihungsurkunde. Die spirituelle Wirkung der ersten 
vierzehn Verse. Der Ubergang von den Mysterien des Altertums 
zur christlichen Einweihung in der Auferweckung des Lazarus. Die 
Hochzeit von Kana und die Mission des Alkohols. Die Verklarung 
auf dem Berge Tabor. 

Achter Vortrag, Paris, 1. Juni 1906 53 

Der christliche Grundcharakter der Goetheschen Naturanschau- 
ung. Die sieben Grade der christlich-gnostischen Einweihung. 

Neunter Vortrag, Paris, 2. Juni 1906 59 

Organe fur das bewufke Erleben der Astralwelt. Goethe iiber die 
Wahrnehmung von Farben und Licht. Im Astralen erscheint die 
Wirkung vor der Ursache. Menschliche Leidenschaften als Tier- 
gestalten. Das Riickerleben nach dem Tode. Folgen von Selbstmord 
und gewaltsamem Tod. Die Luge, ein astraler Mord. Schwarze 
Magie und Vivisektion. 

Zehnter Vortrag, Paris, 6. Juni 1906 66 

Der achtgliedrige Pfad des Buddha und die Seligpreisungen des 
Matthaus-Evangeliums in ihrem Zusammenhang mit der sechzehn- 
blattrigen Lotusblume. Die sechs Tugenden. Goethes Fragment 
«Die Geheimnisse». Die drei Menschheitstypen der griechischen 
Kunst. 

Elfter Vortrag, Paris, 7. Juni 1906 72 

Auswirkungen der Einweihung auf gegenwartige und nachtodliche 
Bewufkseinszustande. Der Zusammenhang der Inkarnationsfolge 
mit dem kosmisch bedingten Rhythmus der Kulturepochen. 

Zwolfter Vortrag, Paris, 8. Juni 1906 78 

Das Reich der geistigen Hierarchien. Die sieben Regionen des 
Devachan. Gralslegende und Lohengrinsage. 

Dreizehnter Vortrag, Paris, 9. Juni 1906 85 

Atlantis und Lemurien. Der Wandel der menschlichen Leibes- 
gestalt. Die drei Logoi. 

Vierzehnter Vortrag, Paris, 10. Juni 1906 93 

Die menschliche Bewufkseinsevolution. Der Gang der Entwick- 
lung durch jeweils sieben Zustande des Bewufttseins, des Lebens 
und der Form. 



Funfzehnter Vortrag, Paris, 11. Juni 1906 97 

Die planetarische Evolution. Umgestaltung der Erde durch den 
Menschen. Friihere planetarische Zustande. 

Sechzehnter Vortrag, Paris, 12. Juni 1906 105 

Erdbeben, Vulkane und menschlicher Wille. Wirkungen vergange- 
ner planetarischer Epochen. Die Wochentage. Das Erdinnere und 
sein Zusammenhang mit der christHchen Einweihung. 

Siebzehnter Vortrag, Paris, 13. Juni 1906 Ill 

Die sieben Geheimnisse. Das Geheimnis des Todes. Jehova, Luzi- 
fer, Christus. Erlosung und Befreiung. 

Achtzehnter Vortrag, Paris, 14. Juni 1906 118 

Die Apokalypse. Das Kiinftige ist keimhaft in den Urbildern 
enthalten. Die sieben nachatlantischen Kulturen dienen der Vor- 
bereitung der sechsten und siebenten Erdepoche. 



POPULARER OKKULTISMUS 

Notizen aus vierzehn Vortragen, 
gehalten in Leipzig vom 28. Juni bis 11. Juli 1906 

Erster Vortrag, Leipzig, 28. Juni 1906 129 

Wahrnehmung des Atherleibes als leuchtendes Kraftgebilde. Die 
seelische Konfiguration in den Farben der Aura. Die Entwicklung 
der Wesensglieder in den ersten drei Lebensjahrsiebenten. Im Ich 
beriihrt sich das Ewige mit dem Zeitlichen. 

Zweiter Vortrag, Leipzig, 29. Juni 1906 133 

Keine raumliche Trennung zwischen der physischen Welt und 
den hoheren Welten. Die Wesen des Astralplans. Die Tatigkeit 
des Astralleibes im Wachbewufksein und wahrend des Schlafes. 
Wandlungen im Traumleben durch Geistesschulung. Dem inneren 
Horen erschlieEt sich die geistige Welt. 

Dritter Vortrag, Leipzig, 30. Juni 1906 141 

Das Lebenstableau. Erlebnisse des Toten in der astralischen Welt. 
Folgen eines unnatiirlichen Todes. Das Sinnesdasein, eine Schule, 
durch die der Mensch zum Geiste gelangen soil. 



Vierter Vortrag, Leipzig, 1. Juli 1906 145 

Die Gegenbilder des Physisch-Mineralischen bilden den Kontinent 
des Devachan. Das flutende Leben als zweite devachanische 
Region, Empfindung und Gefiihl als dritte Region. Die Akasha- 
Chronik in der vierten Region, des Menschen wahres Wesen in der 
fiinften Region. 

Funfter Vortrag, Leipzig, 2. Juli 1906 145 

Wiederverkorperung von Formen und Arten in der Natur. Die 
Personlichkeit, irdischer Ausdruck der ewigen Individualist. 
Karma, das grofie Gesetz der Weltengerechtigkeit. Das Opfer des 
Christus geschah fiir die ganze Menschheit. 

Sechster Vortrag, Leipzig, 3. Juli 1906 147 

Die Bilder des Lebenstableaus werden zu Kraften, die sich dem 
Astralleib einpragen. Der Kausalleib. Nachtodliche Folgen der 
Vivisektion. Langsame Auflosung der Astralleichname. Erfahrun- 
gen wandeln sich im Devachan zu Fahigkeiten um. Der Riickweg 
zur Erde. Bildung des neuen Astralleibes und Atherleibes. 
Mahadevas und Lipikas. 

Siebenter Vortrag, Leipzig, 4. Juli 1906 154 

Die im Atherleib veranlagten Neigungen und Gewohnheiten wer- 
den im folgenden Erdenleben zu organbildenden Kraften. Astrale 
Verwesungsstoffe der Hunnen und Mongolen schufen in Europa 
den seelischen Nahrboden fiir den Aussatz. 

Achter Vortrag, Leipzig, 5. Juli 1906 156 

Das Vorstellungsleben der einen wirkt auf die moralische Ver- 
fassung der anderen Inkarnation. Pessimismus und Optimismus. 
Fruhes oder spates Altera als Folge der Einstellung zu den Mit- 
menschen in einer vergangenen Verkorperung. Weiterbildung der 
Leibeshiillen zu hoheren Wesensgliedern. Karma der Genera- 
tionen. Die Arbeit der Toten am Tier- und Pflanzenreich. Die 
Lebensvorschau. 

Neunter Vortrag, Leipzig, 6. Juli 1906 160 

Wechsel von Regen und Sonnenschein erst nach dem Untergang 
der Atlantis. Die physisch-atherische Konstitution des Atlantiers. 
Die Stadt mit den goldenen Toren. Das Tao. 

Zehnter Vortrag, Leipzig, 7. Juli 1906 164 

Mit der Bildung der Lunge zog die Seele in den Leib des Lemuriers 
ein. Ausscheidung des Tierreichs aus der Menschheit. Mondenaus- 



tritt und Geschlechtertrennung. In der vorangehenden Sonnenzeit 
standen die Naturreiche und der Mensch auf der Stufe des Pflan- 
zendaseins. Die Bedeutung des Kreuzes in den alten Mysterien. 

Elfter Vortrag, Leipzig, 8. Juli 1906 168 

Der Wandel der Seelenverfassung im Durchgang durch die Kultur- 
epochen. Die Aufgabe der gegenwartigen fiinften und der sechsten 
Kultur. Unterschiedlicher Geltungsbereich des ptolemaischen und 
des kopernikanischen Weltsystems. Uberwindung der Zwei- 
geschlechtigkeit. Die Phantasie. Magie des Wortes. Zwei Haupt- 
erfordernisse der okkulten Entwicklung: die grofie Einsamkeit und 
die Devotion. 

Zwolfter Vortrag, Leipzig, 9. Juli 1906 171 

Sechs Nebeniibungen. Wahrnehmung der Auren in der Imagina- 
tion. Die Lotusblumen. Der Gegensatz zwischen medialem und 
geschultem Hellsehen. 

Dreizehnter Vortrag, Leipzig, 10. Juli 1906 174 

Der Stein der Weisen. Die Stufen der ostlichen Schulung. Die 
christliche Einweihung und der rosenkreuzerische Schulungsweg. 
Die «Philosophie der Freiheit» und «Wahrheit und Wissenschaft» 
dienen der Ausbildung eines sinnlichkeitsfreien Denkens. 

Vierzehnter Vortrag, Leipzig, 11. Juli 1906 177 

Die sieben Grade der christlichen Einweihung. Mit ihr hangt die 
Erforschung des Erdinneren zusammen. Okkulte Tatsachen in den 
groften Dichtungen der Menschheit. Der Mensch und das Schicksal 
der Erde. 



DAS JOHANNES-EVANGELIUM 

Notizen aus drei Vortrdgen, 
gehalten in Berlin zwischen dem 19. Fehruar und 5. Mdrz 1906 

Erster Vortrag, Berlin, 19. Februar 1906 187 

In den ersten vierzehn Kapiteln schildert der Verfasser des 
Johannes-Evangeliums seine Erlebnisse in der Astralwelt. Die Ver- 
wandtschaft des Christus mit dem Gottmenschen. Der Aufstieg in 
die devachanische Welt. 

Zweiter Vortrag, Berlin, 26. Februar 1906 201 

Die Tatigkeit des Astralleibes am physischen Leib wahrend des 
Schlafes. Bose und gute Elementarwesen. Der christliche Ein- 
weihungsweg. 



Dritter Vortrag, Berlin, 5. Marz 1906 207 

Die Erweckung des hoheren Selbstes. Erwahnung der Reinkarna- 
tion in den Evangelien. Die okkulte Bedeutung der Worte am 
Kreuz. 



DIE THEOSOPHIE ANHAND DES JOHANNES-EVANGELIUMS 

Notizen aus acht Vortrdgen, 
gehalten in Miinchen vom 27. Oktober bis 6. November 1906 

Erster Vortrag, Miinchen, 27. Oktober 1906 227 

Als erstes wurde die Kirche von der materialistischen Gesinnung er- 
fafk. Der wahre Sinn der biblischen Schopfungsgeschichte. Die ho- 
heren Wesensglieder des Menschen und ihr kosmischer Ursprung. 

Z welter Vortrag, Miinchen, 28. Oktober 1906 .... 236 

Das Bilderbewulksein des Atlantiers. Erste Verinnerlichung des 
Empfindungslebens in der lemurischen Zeit. Vergeistigung des 
Astralleibes zum Geistselbst und des Atherleibes zum Lebensgeist. 
Hochstes Zukunftsziel, der Geistesmensch. 

Dritter Vortrag, Miinchen, 31. Oktober 1906 .... 246 

Aufnahme von Manas und Vorbereitung von Budhi in der nach- 
atlantischen Epoche. Den geistigen Vorgangen entsprechen phy- 
sische Veranderungen am Menschen. 

Vierter Vortrag, Miinchen, 2. November 1906 .... 255 

Die Bewufitseinswelten der Naturreiche und des Menschen. Die 
Arbeit des Ich an den drei unteren Wesensgliedern. Erfahrungen 
auf hoheren Bewuikseinsstufen. Nathanaels Begegmmg mit dem 
Christus. Gruppen- und Individualseelen in der Mithras-Ein- 
weihung. 

Funfter Vortrag, Miinchen, 3. November 1906 .... 263 

In Agypten verfallt Manas der Wunsch- und Begierdenwelt. Die 
Aufgabe des althebraischen Volkes. Knochenbildung und Bewufk- 
seinsevolution. Das Passahlamm. Moses ist der Sendbote des 
Manas, Christus der Bringer der Budhi. Das Gleichnis vom Wein- 
stock. 

Sechster Vortrag, Miinchen, 4. November 1906 .... 273 

Die Hochzeit zu Kana, eine prophetische Vorschau der Mensch- 
heitszukunft. Drei Wege zur Wahrheit: die ostliche, die christlich- 



gnostische und die rosenkreuzerische Einweihung. Der ostliche 
Weg fur den Europaer ungeeignet. Die sieben Stufen der 
Yogaschulung und der christlich-gnostischen Einweihung. 



Siebenter Vortrag, Miinchen, 5. November 1906 . . . 283 

Das Verhaltnis des Rosenkreuzerschulers zum Lehrer. Der Wert 
der «Philosophie der Freiheit» fiir die Ausbildung des reinen 
Denkens. Die sinnliche Welt wird zum Gleichnis. Die okkulte 
Schrift. Alles hohere Leben beruht auf Rhythmus. Die Jungfrau 
Sophia und der Heilige Geist. 

Achter Vortrag, Miinchen, 6. November 1906 .... 293 

Das Einzelbewulksein, Spiegelbild des Erdenbewufkseins. Chri- 
stus, der Herr des Karma. Funf Bewulkseinsspharen in der ostli- 
chen Weisheit. Die Reinigung des Tempels als Sinnbild einer kiinf- 
tigen Evolution. Das Nikodemusgesprach. 

Erganzungen zum Text 301 

Hinweise 

Zu dieser Ausgabe 307 

Hinweise zum Text 310 

Personenregister 319 

Ubersicht iiber die Rudolf Steiner Gesamtausgabe .... 320 



Kosmogonie 



Achtzehn Vortrage, gehalten in Paris 
vom 25. Mai bis 14. Juni 1906, 
einer Zusammenfassung von Edouard Schure, 
erganzt durch Horernotizen 



KOSMOGONIE 



Erster Vortrag, Paris, 25. Mai 1906 

Es ist noch nicht lange her, dafi offentliche Vortrage iiber okkulte 
Wahrheiten gehalten werden. Einstmals wurden diese Wahrheiten 
nur in Geheimgesellschaften denen entschleiert, die bestimmte Gra- 
de der Einweihung durchschritten und versprochen hatten, fur die 
Dauer ihres ganzen Lebens die Gesetze des Bruderbundes zu beob- 
achten. 

Heute tritt die Menschheit in eine einschneidende Krise. Man hat 
damit begonnen, diese Wahrheiten der Offentlichkeit zu enthiillen. 
Innerhalb von zwanzig Jahren wird eine gewisse Anzahl von ihnen 
bereits Gemeingut sein. Wo her kommt das? Der Grund ist der, dafi 
die Menschheit in eine neue Phase eingetreten ist. Diese Phase naher 
zu erklaren, wird Gegenstand dieses Vortrags sein. 

Im Mittelalter wurden die geheimen Wahrheiten hauptsachlich 
durch die Rosenkreuzer gepflegt. Aber jedesmal, wenn diese Wahr- 
heiten nach auften drangen, wurden sie mifiverstanden oder ent- 
stellt. Im 18. Jahrhundert nahmen sie eine dilettantische und markt- 
schreierische Form an. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden sie 
vollstandig verdrangt durch die auf Sinnesbeobachtung begriindeten 
Wissenschaften. Erst jetzt tauchen sie wieder auf, und sie werden in 
den nachsten Jahrhunderten eine wichtige Rolle im Hinblick auf die 
kiinftige Entwickelung der Menschheit spielen. Um diese Rolle 
richtig zu verstehen, mufi man zu den Jahrhunderten zuriickgehen, 
die dem Christentum vorausgingen, und den zuriickgelegten Weg 
ins Auge fassen. 

Es geniigt schon, eine sei es auch nur annahernde Kenntnis vom 
Mittelalter zu haben, um sich Rechenschaft von dem Unterschied zu 
geben, der zwischen dem Menschen jener Epoche und dem heutigen 
Menschen besteht. Weit weniger als heute entwickelt auf dem Gebie- 
te der Wissenschaft, war der Mensch damals im Bereich des Gefiihls 
und der Eingebung iiberlegen. Er lebte weniger in der sichtbaren Welt 
als in der jenseitigen, die er noch wahrzunehmen vermochte. Es gab 
unter den damaligen Menschen noch einzelne, die wirklich in direkte 



Verbindung mit der astralen und geistigen Welt treten konnten. 
Mochte sich die Menschheit des Mittelalters audi noch so mangelhaft 
auf der Erde eingerichtet haben, ihr Haupt hatte sie noch im Himmel. 

Waren die Stadte damals auch unbequem, so spiegelten sie doch 
dem Menschen viel besser seine innere Welt wider. Nicht nur 
die Kathedralen, sondern auch die Hauser und die Tore erinnerten 
den Menschen durch ihre Symbole an seine Glaubensinhalte, seine 
Gefiihle, seine Sehnsiichte, an die Welt seiner Seele. 

Heute wissen wir viele Dinge, und die Beziehungen unter den 
Menschen haben sich ins Unendliche vervielfacht; aber wir leben in 
unseren Stadten wie in larmenden Fabriken, in einem schrecklichen 
Babel, wo uns nichts mehr an unsere innere Welt erinnert. Die inne- 
re Welt spricht zu uns nicht mehr durch die Kontemplation, sondern 
durch die Bucher. Von Menschen der unbefangenen Eingebung sind 
wir zu Intellektuellen geworden. 

Man mufi hinter das Mittelalter zuriickgehen, um den Ursprung 
dieser intellektuellen Stromung zu finden. Das Zeitalter, wo dieser 
menschliche Intellekt noch auf seiner Kindheksstufe stent, das Zeit- 
alter, wo die Umlagerung sich vollzieht, geht ungefahr auf das Jahr- 
tausend vor unserer Zeitrechnung zuriick. Es ist das Zeitalter des 
Thales, des Pythagoras, des Plato, des Buddha. Damals erscheinen 
zum erstenmal die Philosophic und die Wissenschaft, das heifit, die 
Wahrheit wird der Vernunft in logischer Form dargeboten. Was 
vorher existierte, war die Wahrheit, dargeboten in Gestalt von Reli- 
gion und Offenbarung, wahrgenommen von ihren Verkundern und 
empfangen von der Masse. Jetzt geht die Wahrheit in die individuelle 
Intelligenz iiber, sie will anschaulich erlautert und begriffen sein. 

Was war damals im Inneren des Menschen vorgegangen, um diese 
Bewegung zu rechtfertigen, die sein Bewulksein sozusagen von 
einer Seinsebene seines Wesens auf eine andere Seinsebene, vom 
intuitiven auf den logischen Plan verlagerte? 

Wir stofien da auf eines der fundamentalen Gesetze der Ge- 
schichte, auf ein Gesetz, das dem Gegenwartsbewulksein noch nicht 
bekannt ist. Man kann es so formulieren: Die Evolution der 
Menschheit vollzieht sich so, dafi sie die Seelenglieder des mensch- 



lichen Wesens nacheinander aus diesem hervorgehen und sich ent- 
wickeln lafk. Welches sind diese Wesensglieder? 

Der Mensch hat zunachst einen physischen Leib. Ihn hat er ge- 
meinsam mit dem Mineralreich. Das ganze Mineralreich findet sich 
in der Chemie des Korpers. Er hat sodann einen Atherleib, der so- 
zusagen seine Lebenskraft ist und den er gemeinsam hat mit den 
Pflanzen. Aus ihm erzeugen sich fortlaufend die Ernahrungsvorgan- 
ge, die Wachstums- und die Fortpflanzungskraft. Er besitzt aufier- 
dem einen Astralleib. In ihm entziinden sich die Gefuhle, die Lei- 
denschaften, die Moglichkeit, zu geniefien und zu leiden. Diesen 
Leib hat der Mensch gemeinsam mit den Tieren. Er wurde von den 
Rosenkreuzern und manchen ihrer Nachfolger, wie Paracelsus, 
Astralleib genannt, weil er tatsachlich in einer Beziehung zu den 
Sternen steht, die auf einer gewissen Anziehungskraft beruht. 

Endlich gibt es im Menschen etwas, was man nicht mehr einen 
Leib nennen kann, sondern was sein innerstes Sein darstellt und ihn 
von alien anderen Wesen unterscheidet, vom Stein wie von der 
Pflanze und vom Tier, und das ist dasjenige, was er sein Ich nennt. 
Es ist der gottliche Funke in ihm. Die Inder nennen es Manas. Die 
Rosenkreuzer nennen es das Unaussprechliche. Tatsachlich ist alles 
Leibliche nur ein Fragment, Stuck einer anderen Leiblichkeit. Da- 
gegen gehort das Ich des Menschen nur sich selbst an. Ich bin Ich - 
das kann es allein von sich sagen. Es ist dasjenige, was die anderen 
«Du» nennen, es ist dasjenige, was man mit nichts anderem auf der 
Welt verwechseln kann. Durch dieses Ich, das durch nichts anderes 
ausgedriickt, mit nichts anderem vertauscht werden kann, erhebt 
sich der Mensch liber alle anderen irdischen Wesen, iiber die Tier- 
welt und iiber die ganze Schopfung. Und es ist auch das einzige, was 
ihn mit dem unendlichen Ich, mit Gott, verbindet. 

Das ist der Grund, warum im verborgenen Heiligtum der Hebra- 
er der Ministrant an bestimmten Tagen zum Hohepriester sprach: 
Schem-Ham-Phorasch, das heifk: Wie ist sein Name, der Name 
Gottes? - Und der Hohepriester antwortet: Jod-He-Vau-He, oder 
in einem Wort: Jehova, was bedeutet: Gott, Natur und Mensch, 
oder: Das unaussprechliche menschlich-gottliche Ich. 



Die Wesensglieder des Menschen, die wir eben charakterisiert 
haben, sind samtlich dem Menschen in fernen Epochen seiner un- 
geheuren Entwickelung gegeben worden, aber sie entwickelten sich 
nur langsam und eins nach dem anderen. 

Die besondere Aufgabe der Periode, die ungefahr tausend Jahre 
vor der christlichen Zeitrechnung begonnen hat und die sich im 
Lauf der zweitausend Jahre, die der Geburt des Christus folgten, 
fortsetzt, bestand also darin, die Entwickelung des menschlichen Ich 
im Sinne der Intellektualitat zu beschleunigen. 

Aber iiber dem intellektuellen Plan befindet sich der geistige. Das 
ist derjenige, den die Menschheit in den folgenden Jahrhunderten 
erreichen wird. Es ist auch derjenige, nach welchem die gegenwarti- 
ge Weltenstunde hintendiert. Und es ist tatsachlich der Christus und 
das Christentum, wodurch die Samen zu dieser kiinftigen Entwicke- 
lung ausgestreut worden sind. 

Aber bevor wir von diesem geistigen Plan sprechen, haben wir 
noch an eines der Mittel, an eine der Krafte zu erinnern, durch wel- 
che die Menschheit in ihrer grofien Mehrheit von der Sphare des 
astralen Schauens zur Sphare der Intellektualitat fortgeschritten ist. 
Dies geschah durch eine neue Art der Eheschlieftung. Einst vollzo- 
gen sich die Heiraten innerhalb desselben Stammes oder derselben 
Sippschaft, was also lediglich eine Ausweitung der Familie darstell- 
te. Manchmal vollzogen sie sich sogar zwischen Bruder und Schwe- 
ster. Gegen die neuere Zeit hin empfanden die Menschen das Verlan- 
gen, ihre Frauen aufierhalb der Sippschaft, des Stammes oder der 
biirgerlichen Gemeinschaft zu suchen. Die Fremde, die Unbekannte 
wurde die Geliebte. Die Liebe, einst eine natiirliche und soziale 
Funktion, wurde personlicher Wunsch und die Heirat freie Wahl. 
Das zeigt sich schon in gewissen griechischen Mythen wie im Raub 
der Helena und mehr noch in den skandinavischen und germani- 
schen Mythen wie der Siegfriedsage und dem Gudrunlied. Die Liebe 
wurde ein Abenteuer und die Frau eine Eroberung in der Feme. 

Dieser Ubergang von der patriarchalischen zur freien Eheschlie- 
fiung entspricht nun der neuen Entwickelung der intellektuellen 
Fahigkeiten, des menschlichen Ich. Er vollzog sich zur gleichen Zeit 



wie die momentane Verdunkelung der astralen Fahigkeiten des 
Schauens und des direkten Lesens in der astralen und geistigen Welt. 

Hier geschieht nun der Einschlag des Christentums. Die mensch- 
liche Briiderlichkeit und die Verehrung des Einen Gottes sind ohne 
Zweifel wesentliche Ziige des Christentums, aber sie bilden doch 
nur seine aufterliche und soziale, aber nicht seine innerliche und 
spirituelle Gestalt. Die neue Errungenschaft des Christentums auf 
dem Gebiet der Mystik, der Innerlichkeit und des Ubersinnlichen 
besteht darin, dafi es die vergeistigte Liebe geschaffen hat, das Fer- 
ment, das den Menschen von innen her verwandelt, den Sauerteig, 
der die Welt emporhebt. Der Christus ist gekommen, um zu sagen: 
Wenn du nicht verlassest deine Mutter, dein Weib und alle leibliche 
Bindung, kannst du nicht mein Jiinger sein. - Das bedeutet nicht die 
Aufhebung aller natiirlichen Bande, aber die Ausdehnung der Liebe 
aufSerhalb der Familie auf alle Menschen, die Verwandlung der Liebe 
in eine lebendige und schopferische Kraft, in eine Kraft der Ura- 
wandlung. 

Diese Liebe, welche von den Rosenkreuzern zum Prinzip ihrer 
okkulten Bruderschaft gemacht, von ihrer Zeit aber nicht verstan- 
den wurde, ist dazu bestimmt, den Grundgehalt der Religion, des 
Kultus, ja sogar der Wissenschaft zu verandern. 

Der Weg der Menschheit geht vom unbewufken Spiritualismus - 
vor dem Christentum - iiber den Intellektualismus - die Gegenwart - 
zum bewulken Spiritualismus, in dem sich vereinigen, konzentrieren 
und verstarken die astralen und intellektuellen Fahigkeiten durch die 
Starke der Liebe zum Geist und der vergeistigten Liebe. Und ebenso 
ist die Theologie dazu bestimmt, zur Theosophie zu werden. 

Was ist in Wirklichkeit die Theologie? Eine Kunde von Gott, von 
auften auferlegt in Form von Dogmen wie eine Art ubernaturlicher 
Logik, aber dem Menschen von aufien her gegeben. 

Und was ist die Theosophie? Die Kunde von Gott, sich entfal- 
tend wie eine Blume auf dem Grunde der menschlichen Seele. Gott 
zum Unterschied von der Welt, wiedergeboren auf dem Grunde der 
Herzen. Ein solches Christentum, verstanden im Sinne der Rosen- 
kreuzer, ist gleicherweise die machtigste Entfaltung der individuel- 



len Freiheit und der universellen Religion durch die Bruderschaft 
der freien Seelen. Die Tyrannei der Dogmen ist alsdann ersetzt 
durch den Strahlenglanz der gottlichen Weisheit, die Intelligenz, 
Liebe und Tat in einem ist. 

Die Wissenschaft, die daraus entspringen wird, wird ihre Maflsta- 
be weder an der abstrakten Vernunft noch an aufierer Unterwerfung 
finden, sondern an ihrer Fahigkeit, die Seelen erwecken und erblu- 
hen zu lassen. 

Da haben wir den Unterschied zwischen der Logik und der 
Sophia, zwischen der Wissenschaft und der gottlichen Weisheit, 
zwischen der Theologie und der Theosophie. 

So ist der Christus immer der Mittelpunkt der esoterischen Evo- 
lution des Abendlandes. Gewisse moderne Theologen, besonders in 
Deutschland, haben versucht, den Christus als einen einfachen, na- 
iven Menschen darzustellen. Das ist ein ganz grower Irrtum. Das 
hochste Bewulksein, die tiefste Weisheit wohnt in ihm, und gleich- 
zeitig die hochste gottliche Liebe. Wie sollte er ohne ein solches 
Bewufksein eine zentrale Offenbarung innerhalb unserer ganzen 
planetarischen Evolution sein? Wie sollte er dazu eine solche Macht 
besessen und sein ganzes Zeitalter uberflugelt haben? Und dieses 
ganze, seiner Zeit iiberlegene Bewufttsein, woher sollte es ihm 
gekommen sein? 



KOSMOGONIE 

Zweiter Vortrag, Paris, 26. Mai 1906 

Vor und nach der Begriindung des Christentums hat es okkulte 
Bruderschaften gegeben. Auch jetzt gibt es noch Bruderschaften, in 
welchen okkultes Leben gepflegt wird. Der Unterschied zwischen 
den vorchristlichen und nachchristlichen okkulten Bruderschaften 
besteht darin, daft die vorchristlichen im wesentlichen die Aufgabe 
hatten, die geheiligten Uberlieferungen zu bewahren, wahrend den 
christlichen in erster Linie zum Ziel gesetzt wurde, die Zukunft 
vorzubereiten. Die okkulte Wissenschaft ist namlich keine abstrak- 



te, tote Wissenschaft, sondern eine tatige und lebendige. Die okkul- 
ten Bruderschaften sind fahig, ins Leben einzugreifen, und die Teil- 
nahme am Entwickelungsgang der Menschheit ist ihre Aufgabe. 

Der christliche Okkultismus geht zu einem bedeutenden Teil auf 
die Manichaer zuriick, deren Uberlieferung lebendig geblieben ist. 
Ihr Begriinder Manes hat drei Jahrhunderte nach Christus gelebt. 
Auch Augustinus, der Kirchenvater, hatte urspriingHch der Gemein- 
schaft der Manichaer angehort. Ein Kernpunkt der manichaischen 
Lehre ist der Satz vom Guten und vom Bosen. Fur die landlaufige 
Anschauung bilden das Gute und das Bose zwei absolute, miteinan- 
der unvereinbare Gegensatze, von denen das eine das andere aus- 
schlieftt. Dagegen ist das Bose nach der Ansicht der Manichaer ein 
integrierender Bestandteil des Kosmos, es arbeitet an dessen Evolu- 
tion mit und mu6 zuletzt durch das Gute absorbiert, verwandelt wer- 
den. Den Sinn von Gut und Bose, von Lust und Schmerz in der Welt 
zu studieren, ist die gro£e, einzigartige Mission der Manichaer. 

Um die Entwickelung der Menschheit zu begreifen, ist es notwen- 
dig, sie von weitem und aus der Hohe zu betrachten und in ein umfas- 
sendes Ganzes einzuordnen. Nurunter dieserBedingungkonnen wir 
uns eine hohe, ideale Vorstellung davon bilden. Und es ware ein gro- 
wer Irrtum, zu glauben, man konne des Ideals bei dieser Unterneh- 
mung entraten. Ein Mensch ohne Ideal ist ein Mensch ohne Energie. 
Das Ideal spielt im Leben dieselbe Rolle wie der Dampf in der Ma- 
schine. Der Dampf schliefk gewissermaften auf kleinem Raum eine 
unendliche Fulle von kondensiertem Raum ein, daher seine intensive 
Ausdehnungskraft. Von gleicher Art ist aber auch die magische Kraft 
des Gedankens im Leben. Erheben wir uns also zum gedanklichen 
Ideal der Menschheit in ihrer Gesamtheit, erfixhlen wir den Faden, 
der ihre Evolution durch die Epochen hindurch leitet. 

In gleicher Weise suchen Weltanschauungssysteme wie dasjenige 
von Darwin diesen durchlaufenden Faden. Man braucht die Grofie 
des Darwinismus nicht zu leugnen. Aber er erklart nicht die innere 
Entwickelung des Menschen; er sieht nur dasjenige, was sich auf das 
AulSerliche bezieht. Es verhalt sich damit ebenso wie mit jeder rein 
physischen Erklarung, welche die spirituelle Wesenheit des Men- 



schen mifiachtet. So schreibt die evolutionistische Hypothese, die 
sich rein auf physische Tatsachen stiitzt, dem Menschen einen tieri- 
schen Ursprung zu, weil sie beim fossilen Menschen eine niedrige, 
zuriickgebliebene Stirn konstatiert hat. Dagegen sieht der Okkultis- 
mus, fur den der physische Mensch nur der Ausdruck des atheri- 
schen Menschen ist, die Sache ganz anders an. Tatsachlich hat der 
Atherleib des Menschen etwa die gleiche Form wie sein physischer 
Korper, iiber den er nur leicht hinausragt. Aber je weiter man in der 
Geschichte zuriickgeht, desto mehr herrscht ein Mifiverhaltnis zwi- 
schen dem Atherkopf und dem physischen Kopf, desto groEer ist 
der Atherkopf. So erscheint er tatsachlich in einer Periode der Erd- 
entwickelung, die der unsrigen vorangegangen ist. Die damals le- 
benden Menschen hieften Atlantier. In der Tat beginnen die Geolo- 
gen die Spuren der alten Atlantier zu entdecken: Mineralien, Pflan- 
zen von diesem alten Erdteil, der im Ozean versunken ist, der seinen 
Namen tragt. Noch hat man nicht Spuren vom Menschen gefunden, 
aber das wird nicht auf sich warten lassen. Sogar in der Zeitschrift 
«Kosmos», die fiir die Ideen Haeckels eintritt, ist ein Aufsatz von 
Theodor Arldt erschienen, in dem aus den Spuren von Fauna und 
Flora hypothetisch auf die Existenz eines versunkenen Erdteils 
Atlantis geschlossen wird. Okkulte Forschung ist prophetisch, und 
die Naturforschung folgt ihr nach. 

Bei den europaischen Rassen, die auf die Atlantier gefolgt sind, 
hat die Stirnpartie des Kopfes begonnen, sich weiter zu entwickeln. 
Aber bei den Atlantiern lag der Punkt, wo sich das Bewulksein kon- 
zentrierte, aufierhalb der Stirn, im Atherkopf. Heute finden wir ihn 
im Inneren des physischen Kopfes, ein wenig oberhalb der Nase. 

Was die germanische Mythologie mit dem Namen Niflheim oder 
Nebelheim - Wolkenheim - bezeichnet, das ist das Land der Atlan- 
tier. Die Erde war zu dieser Zeit in der Tat warmer und noch um- 
hiillt von einer konstanten Dampfhulle. Der atlantische Kontinent 
ging unter durch eine Reihe von sintflutartigen Wolkenbruchen, in 
deren Verlauf die Erdatmosphare sich lichtete. Erst dann entstanden 
blauer Himmel, Gewitter, Regen und Regenbogen. Aus diesem 
Grunde sagt die Bibel, dafi, nachdem die Arche des Noah gelandet 



war, der Regenbogen zum neuen Zeichen des Bundes zwischen 
Gott und dem Menschen wurde. 

Das Ich der arischen Rasse konnte erst zum Selbstbewufksein 
kommen durch die Zentralisierung des Atherleibes im physischen 
Gehirn. Erst da fing der Mensch an, zu sich selbst «Ich» zu sagen. 
Die Atlantier sprachen von sich selbst in der dritten Person. Der 
Darwinismus hat grofie Irrtiimer begangen beziiglich der Differen- 
zierung, die er zwischen den tatsachlich auf der Erde sich findenden 
Rassen festsetzte. Die hoheren Rassen stammen nicht von den nie- 
deren ab, sondern im Gegenteil: die niederen Rassen sind Entar- 
tungserscheinungen der hoheren Rassen, die ihnen vorangegangen 
sind. Nehmen wir einmal an, wir sahen zwei Briider, von denen der 
eine intelligent und schon, der andere hafilich und beschrankt ist. 
Was wiirde man von einem Menschen sagen, der glauben wurde, daf$ 
der intelligente Bruder von dem idiotischen abstamme? Auf dieser 
Linie liegt der Irrtum des Darwinismus in bezug auf die Rassen. Der 
Mensch und das Tier haben einen gemeinsamen Ursprung. Die Tiere 
sind eine Dekadenzerscheinung von einem gemeinsamen Vorfahren, 
von dem der Mensch den hoheren Entwickelungsgrad darstellt. 

Das braucht uns nicht hoff artig zu machen, denn nur den niederen 
Reichen ist es zu danken, dafi die hoheren sich entwickeln konnten. 

Der Christus, der den Aposteln die Fiifte wascht (Joh.-Ev. 13) ist 
das Sinnbild der Demut des Initiierten vor den unter ihm Stehenden. 
Der Eingeweihte dankt seine Existenz nur den Nichteingeweihten. 
Daher die tiefe Demut der wahrhaft Wissenden vor denen, die nicht 
wissen. Es ist die tiefe Tragik der kosmischen Entwickelung, dafi eine 
Menschenklasse sich erniedrigen mufi, damit eine andere emporstei- 
gen kann. In diesem Sinne kann man das schone Wort des Paracelsus 
wiirdigen: Ich habe alle Wesen betrachtet: Steine, Pflanzen, Tiere, und 
sie sind mir wie zerstreute Buchstaben erschienen, im Verhaltnis zu 
denen der Mensch das lebendige und vollstandige Wort bildet. 

Im Laufe der menschlichen und tierischen Evolution stammt das 
Uritere vom Oberen ab; das, was fallt und stirbt, fallt ab vom Leben- 
digen. Man behauptet, Lebendiges entstehe aus Totem. In Wirklich- 
keit entsteht aber das Tote aus dem Lebendigen. Steinkohle, Kalk- 



schalen und anderes sind Absonderungen des Lebendigen. Wir 
sehen ja auch beim Menschen, daft zuerst Knorpel da sind und dann 
Knochen. Unsere Knochen sind Verhartungen aus einem weicheren 
Knorpelgeriist. So sind auch die Steine Verhartungen aus einem le- 
bendigen Erdorganismus. Heute hat der Mensch noch etwas in sich, 
was er zuriicklassen wird. Und damit kommen wir wieder zum 
Manichaismus. 

Wie friiher die Tierheit im Menschen war, so sind es jetzt die 
beiden Gegensatze Gut und Bose, Wahrheit und Unwahrheit in 
ihm. Diese Widerspruche, die Art, wie sich diese Elemente in ihm 
mischen, bilden sein Karma, sein Schicksal. Einst wird er das Bose 
als objektive Gebilde hinter sich lassen. Das finden wir in alien apo- 
kalyptischen Darstellungen. Und heute schon erzieht der Manicha- 
ismus seine hoherentwickelten Jiinger so, daft sie Erloser der Hin- 
untergestoftenen werden. Wer konnte leugnen, daft es schon heute 
eine Entwickelung gibt, die zum Egoismus treibt, und eine andere, 
die zur Selbstlosigkeit fiihrt? Ebenso wie sich der Mensch von der 
Tierheit befreit hat, wird er sich vom Bosen befreien. Aber noch nie 
ist er durch eine heftigere Krise hindurchgegangen als zur gegen- 
wartigen Stunde. 

Wer aller Herr ist, mufi aller Diener werden. Das mufi als grofte 
Notwendigkeit kommen. Die wahre Moral entspringt aus der Er- 
kenntnis der groften Weltgesetze. Die groften Ideen sollen die 
Spannkraft erzeugen, die im kleinen unsere Ideale vorwartstreibt. In 
stillen Augenblicken unseres Lebens miissen wir uns zu den grofien 
Evolutionsideen erheben. 



KOSMOGONIE 



Dritter Vortrag, Paris, 27. Mai 1906 

Einer der tiefsten Grundsatze des Okkultismus fufit auf dem grofien 
Gesetz der Analogien, wonach die Natur uns offenbart, was in uns 
selber vorgeht. 

Um fur dieses Gesetz ein durchschlagendes und zugleich typi- 
sches Beispiel zu geben, das aber der offiziellen Wissenschaft vollig 
unbekannt ist, fuhren wir dasjenige vom Stein der Weisen an. Es war 
den Rosenkreuzern bekannt. In einem deutschen Journal vom Ende 
des 18. Jahrhunderts ist von diesem Stein der Weisen die Rede. Man 
spricht da von ihm wie von einem wirklich existierenden Gegen- 
stand, und es heiftt da: Jedermann beriihrt ihn oft, ohne ihn zu 
kennen. - Das ist buchstablich wahr. 

Um dies zu verstehen, ist es nur notwendig, in die Werkstatt der 
Natur defer einzudringen, als es die heutige Wissenschaft tut. 

Jedermann weifi, dafi der Mensch Sauerstoff einatmet und beim 
Ausatmen Kohlensaure von sich gibt. Dies hat in der Yogaschulung 
eine sowohl physische wie eine geistige Bedeutung. Der Mensch 
kann zu seiner Erhaltung nicht Kohlensaure einatmen. Er wiirde 
daran sterben, wahrend die Pflanzen die Kohlensaure zum Leben 
brauchen. Die Pflanzen liefern dem Menschen den Sauerstoff, von 
dem er lebt. Die Pflanzen erneuern die Luft und machen sie geeig- 
net, vom Menschen eingeatmet zu werden. Und die Menschen und 
Tiere liefern wiederum den Pflanzen die Kohlensaure, die diese zu 
ihrer Erhaltung ihrerseits brauchen. Was macht die Pflanze mit der 
Kohlensaure, die sie einatmet? Sie baut damit ihren eigenen Korper 
auf. Nun wissen wir, daft die Steinkohle der Leichnam der Pflanze 
ist. Die Steinkohle ist also kristallisierte Kohlensaure. 

Das rote Blut, das die Kohlensaure aufgenommen hat, verwandelt 
sich in «blaues» Blut, aber das blaue Blut mufi immer wieder erneu- 
ert werden durch den Sauerstoff. Denn das Blut konnte sich nicht 
der Kohlensaure bedienen, um den Korper aufzubauen. 

Die Yogaiibungen sind eine besondere Schulung, die den Men- 
schen befahigt, aus dem roten Blut ein aufbauendes Element fur 



seinen Korper zu machen. Auf diese Weise baut der Yogi mittels des 
Blutes seinen Korper auf, wie die Pflanze den ihrigen durch die 
Kohlensaure. 

Wir sehen also, dafi die Fahigkeit der Verwandlung, die in der 
Natur vorhanden ist, reprasentiert wird durch die Steinkohle, die 
eine kristallisierte Pflanze ist. Und der Stein der Weisen, im weite- 
sten Sinne des Wortes, bezeichnet diese Verwandlungsfahigkeit. 

Das Gesetz der Riickverwandlung gilt fiir alle Wesen, ebenso wie 
das Gesetz des Aufstiegs. Die Mineralien sind degenerierte Pflan- 
zen, die Pflanzen sind Vorfahren der Tiere. Die Tiere und der 
Mensch haben einen gemeinsamen Vorfahren. Der Mensch ist auf ge- 
stiegen, das Tier ist heruntergestiegen. Was den geistigen Teil des 
Menschen betrifft, so stammt er von den Gottern. In dieser Hinsicht 
ist der Mensch ein gefallener Gott, und der Ausspruch von Lamar- 
tine ist buchstablich wahr: «Der Mensch ist ein gefallener Gott, der 
sich an die Himmelswelten erinnert.» 

Es gab eine Epoche, wo alles Leben auf der Erde halb pflanzen- 
haft, halb tierisch war. Die Erde selbst war lebendig und stellte eine 
Art Riesentier dar. Der Boden war wie eine ungeheure Torfmasse, 
auf der Riesenwalder wuchsen, die spater zur Steinkohle geworden 
sind. Diese Epoche entspricht derjenigen Zeit, da Erde und Mond 
noch ein Gebilde waren. Der Mond stellt das weibliche Element der 
Erde dar. 

Es gibt Wesen, die auf einer niedrigeren Stufe der Entwickelung 
zuriickgeblieben sind. Die Mistel zum Beispiel ist ein Zeuge dieser 
Weltenzeit, ein Uberrest der parasitaren Pflanzen, die auf der Erde 
wie auf einer Pflanze lebten. Da her stammen ihre speziellen okkul- 
ten Eigenschaften. Sie waren den Druiden bekannt, die sie als eine 
heilige Pflanze betrachteten. Die parasitare Mistel ist ein Uberbleib- 
sel aus der Mondenzeit des Erdenplaneten. Sie ist ein Schmarotzer, 
weil sie nicht gelernt hat, wie die anderen Pflanzen direkt auf mine- 
ralischem Boden zu leben. 

Ahnlich verhalt es sich mit der Krankheit. Sie ist ein Riickfall, 
verursacht durch parasitare Elemente im Organismus. Die Druiden 
und die Skalden kannten die Beziehungen zwischen der Mistel und 



dem Menschen. Einen Nachklang davon findet man in der Baldur- 
legende. Der Gott Baldur wird getotet durch die Mistel, weil die 
Mistel ein feindliches Element aus der vorhergehenden Epoche 
darstellt, das dem menschlichen Leib nicht mehr angemessen ist. Die 
anderen Pflanzen, die dem Zeitalter angepaftt waren, hatten dem 
Menschen dagegen Freundschaft geschworen. 

Indem die pflanzliche Erde mineralisch wurde, erwarb sie durch 
die Metalle eine neue Eigenschaft: das Licht widerzuspiegeln. Ein 
Gestirn wird am Himmel erst sichtbar, wenn es mineralisch gewor- 
den ist. Es gibt also im Universum viele andere Welten, die unser 
physisches Auge nicht wahrnehmen kann und die allein von Hell- 
sehern wahrgenommen werden konnen. 

Die Erde ist ebenso mineralisch geworden wie der physische 
Korper des Menschen. Fiir den Menschen aber ist es charakteri- 
stisch, daft in ihm eine Bewegung in doppelter Richtung herrscht. 
Wenn namlich der physische Mensch herabgestiegen ist, so ist der 
geistige Mensch aufgestiegen. Paulus hat dieser Wahrheit Ausdruck 
gegeben. Er erklart, daft es ein Gesetz fur den Leib gibt und ein 
anderes fiir den Geist. Demzufolge erscheint der Mensch als ein 
Ende und zugleich als ein Anfang. 

Der Knotenpunkt, zugleich der Wendepunkt in der menschlichen 
Entwickelung, das ist die Zeit der Trennung der Geschlechter. Es 
gab eine Zeit, in der die beiden Geschlechter im menschlichen 
Wesen vereinigt waren. Die Moglichkeit eines solchen Zustandes hat 
sogar Darwin anerkannt. Durch die Trennung der Geschlechter ist 
dieses neue, gewaltige Element in die Welt getreten: die Liebe. Die 
Anziehungskraft der Liebe ist eine so machtvolle und geheimnis- 
volle Tatsache, daft beispielsweise tropische Schmetterlinge von 
verschiedenem Geschlecht, die man aus den Tropen nach Europa 
gebracht hat und die zweihundert Meilen voneinander entfernt wa- 
ren, sofort, nachdem sie freigelassen waren, einander entgegenflogen 
und sich auf halbem Wege trafen. 

Etwas Ahnliches geschieht zwischen der Menschenwelt und der 
gottlichen Welt wie zwischen dem Menschenreich und dem Pflan- 
zenreich. Der Mensch atmet Sauerstoff ein und Kohlensaure aus. 



Wie das Pflanzenreich Sauerstoff ausatmet, so atmet die Menschen- 
welt Liebe aus - seit der Trennung der Geschlechter -, und von 
diesen Ausstromungen der Liebe leben die Gotter. 

Warum atmen das Tier und der Mensch Liebe aus? Der Okkultist 
sieht im heutigen Menschen ein in voller Evolution befindliches 
Wesen. Der Mensch ist ein gefallener Gott und ein werdender Gott 
in einem. 

Die Reiche der Himmel nahren sich von der Ausstromung der 
menschlichen Liebe. Das Griechentum driickte diese Tatsache im 
Mythos von Nektar und Ambrosia aus. Indessen stehen die Gotter 
dermafien hoch iiber dem Menschen, daft sie ihn, ihrer eigenen Na- 
tur nach, eigentlich erdriicken wiirden. Aber es gibt etwas zwischen 
dem Menschen und den Gottern, eine Art Zwischenstufe, so wie die 
Mistel eine Zwischenstufe ist zwischen Pflanze und Tier: Das ist 
Luzifer und das luziferische Wesen uberhaupt. 

Die Gotter haben nur ein Interesse an der Liebefahigkeit der 
Menschen. Wahrend Luzifer in Schlangengestalt den Menschen ver- 
fiihren will, nach Wissen und Erkenntnis zu suchen, widersetzt sich 
ihm Jehova. Aber Luzifer ist ein gefallener Gott, der nur durch den 
Menschen aufsteigen kann, indem er ihm die Begierde nach person- 
licher Erkenntnis eingibt. Er widersetzt sich daher dem Willen des 
Gottes, der den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hatte. 

Das Rosenkreuzertum erklart die Rolle Luzifers in der Welt. Wir 
werden spater darauf zuriickkommen. Hier sei nur der folgende 
Sinnspruch aus der Rosenkreuzerweisheit erwahnt: «0 Mensch, 
bedenke, dafi durch dich hindurch eine aufwartssteigende und eine 
abwartsfallende Strdmung geht.» 



KOSMOGONIE 

Vierter Vortrag, Paris, 28. Mai 1906 

Jeden denkenden Menschen mufi eine Erscheinung interessieren, 
welche die auftere Wissenschaft nicht zu erklaren weift: das Traum- 
leben. Was ist, vom Okkulten aus gesehen, der Traum? Er ist das 
Uberbleibsel eines Zustandes, der auf eine vorgeschichtliche Periode 
zuriickgeht. Um uns einen Begriff davon zu verschaffen, wollen wir 
einige andere Erscheinungen betrachten: Organe, die eigentlich 
nicht mehr zum physischen Leben notwendig sind, die rudimen- 
taren Charakter haben, und von denen die Naturwissenschaft nicht 
weifi, wozu sie da sind. 

Es handelt sich einmal um einen Muskel der Ohrmuschel, der 
beim Menschen stark verkiimmert ist, zum anderen um die soge- 
nannte Nickhaut, eine Art drittes Augenlid. Ferner gibt es den soge- 
nannten Wurmfortsatz am Blinddarm, der nicht nur keine Aufgabe 
zu erfullen hat, sondern auch zu Krankheiten fiihren kann. Den 
Okkultisten interessiert nun besonders die Zirbeldriise, die sich im 
Gehirn befindet und die Form eines kleinen Tannenzapfens hat. Die 
Naturwissenschaft meint, daft diese Organe einmal eine Aufgabe ge- 
habt haben und dann degeneriert sind. Das ist in einem gewissen Sin- 
ne der Fall, nur diirfen wir uns das nicht einfach im darwinistischen 
Sinne vorstellen. Die Zirbeldriise ist das Relikt eines Organes, das 
beim Vormenschen von grofiter Wichtigkeit war, eines Wahrneh- 
mungsorganes. Es war eine Art Aufienhirn, das zugleich als Antenne 
fur Auge und Ohr diente. Dieses Organ hat es beim Vormenschen in 
einer friiheren Periode gegeben, zu einer Zeit, da die Erde noch halb 
fliissig, halb dampfformig und mit dem Monde verbunden war. In 
diesem teils fliissigen, teils gasformigen Element schwamm der 
Mensch wie ein Fisch und lenkte sich mit Hilfe jenes Organs. Seine 
Wahrnehmungen hatten einen hellseherischen, bildhaften Charakter. 
Die warmen Stromungen riefen in ihm einen Eindruck von hellem 
Rot und starkem Wohlklang hervor. Die kalten Stromungen erweck- 
ten grime und blaue Farben, silberglanzende und flussige Klange. 

Die Zirbeldriise spielte also beim Urmenschen eine ganz ent- 



scheidende Rolle. Aber mit der Mineralisierung der Erde erschienen 
andere Wahrnehmungsorgane, und bei uns hat die Zirbeldriise 
keinen ersichtlichen Zweck mehr. 

Vergleichen wir mit diesem Organ das Phanomen des Traumes. 
Der Traum ist eine rudimentare Funktion unseres Lebens, anschei- 
nend ohne Nutzen und Zweck; aber in Wirklichkeit ist er eine 
absterbende Funktion, eine Funktion, die einmal eine ganz andere 
Art bewirkt hat, die Welt wahrzunehmen. 

Bevor die Erde mineralisch wurde, war sie nur fur das astrale 
Hellsehen wahrnehmbar. Alle Wahrnehmung ist relativ und ist nur 
ein Symbol. Die zentrale Wahrheit ist dem gottlichen Menschen 
wahrnehmbar, aber sie ist unaussprechlich. Es ist dasjenige, was 
Goethe so wunderbar ausgedriickt hat in den Worten: «Alles Ver- 
gangliche ist nur ein Gleichnis.» 

Die astrale Vision - und das ist auch noch der Traum von heute - 
ist eine Allegorie und zugleich ein Symbol. 

Betrachten wir Beispiele von Traumen, die durch physische und 
korperliche Ursachen hervorgerufen werden: 

Ein Student traumt, dafi ein Kamerad ihm beim Eintritt ins 
Kolleg einen Stofi gegeben hat, dafi ein Duell die Folge ist und daft 
er von einem Schuft getroffen wird. Er erwacht und sieht, daft die 
Ursache des Traumes ein umgestiirzter Stuhl ist. 

Man hort im Traum den Schritt eines trabenden Pferdes - eine 
Gehorwahrnehmung, hervorgerufen durch das Ticken einer Uhr. 

Eine Frau traumt von einem Pastor, der predigt und der Fliigel 
hat - es ist ein Hahn, der kraht und Kikeriki macht. 

Gibt es so Traumwahrnehmungen, die vom Korper kommen, so 
gibt es auch andere, die von der astralen und von der geistigen Welt 
kommen. In solchen Wahrnehmungen liegt der Ursprung der Mythen. 

Die Gelehrten fuhren heutzutage den Ursprung der Mythen auf 
die dichterische Umdeutung von Naturerscheinungen zuriick. Wer 
aber die Entstehung der Mythen im Volk studiert, der sieht, daft sie 
nicht auf solche Weise entstanden sind. Die Mythen und Legenden 
sind alle urspriinglich astrale Bilder, welche die Tradition entstellt, 
umformt und weiterbildet. 



Hier ein Beispiel: die Legende von der Mittagsfrau. Wenn die 
Landleute, die in der Ernte arbeiten, in der driickenden Sommerhitze 
iiber Mittag nicht nach Hause gehen und auf der Erde schlafen, urn 
sich auszuruhen, erscheint ihnen eine Frau, die ihnen eine Reihe von 
Ratseln vorlegt. Wenn der Schlafer oder die Schlaferin sie auflosen 
kann, erwachen sie befreit; wenn nicht, so totet sie die Frau, zerteilt 
sie mit einer Sichel. Die Legende fugt hinzu, daft das Phantom durch 
ein riickwarts aufgesagtes Vaterunser beschworen werden kann. 

Die Geheimwissenschaft belehrt uns, daft diese Mittagsfrau eine 
Astralform ist, eine Art Inkubus, der im Schlaf erscheint und den 
Menschen bedruckt. Das riickwarts aufgesagte Paternoster ist eine 
Spiegelung davon, daft in der Astralwelt alles in umgekehrter Rei- 
henfolge, wie in einem Spiegel, sich reflektiert. Ludwig Laistner 
bemerkt in seinem Buch «Das Ratsel der Sphinx», daft die Legende 
von der Sphinx sich ursprunglich bei alien Volkern findet. Er 
beweist aufterdem, daft alle diese Legenden einer Art Hellschlaf ent- 
stammen, der Realitaten wahrnimmt, und daft die Sphinx ein eigent- 
licher Damon ist. 

Der Traumzustand oder die Wahrnehmung der realen Welt in ei- 
nem astralen Bild - das ist der Ursprung aller Mythen. Die Mythen 
sind die Astralwelt, geschaut in symbolischen Visionen. 

Historisch gesehen verschwindet die Mythenschopfung, wenn 
das logische und intellektuelle Leben sich entfaltet. Der Mensch der 
Gegenwart lebt nur durch seine Sinne und durch seinen Verstand, 
welcher die Sinneswahrnehmungen verarbeitet. Der Mensch der 
Zukunft wird leben durch den zum vollen Wachbewufttsein erwach- 
ten Intellekt, und zu gleicher Zeit in der astralen und geistigen Welt. 
Daher wird im Rosenkreuzertum gelehrt: Erst muftt du ein klar 
denkender Mensch sein, dessen helles Tagesbewufttsein vollig intakt 
bleibt; dann kannst du dir das astrale Bewufttsein hinzuerwerben. 
Damit stehen wir an der Eingangspforte zu einer groften, bedeut- 
samen Menschheitszukunft. 

Die Trance der hypnotisierten Person und des Mediums ist nur 
ein atavistisches Phanomen, gebunden an die Herabdampfung des 
Bewufttseins. Der Hellseher, der Initiierte, ist nicht ein Gleich- 



gewichtsgestorter, ein Visionar; er besitzt schon den Bewulkseins- 
grad der Menschen der Zukunft, er ist ebenso solide verankert mit 
der Erde wie der niichterne Erdenmensch, und seine Vernunft ist 
ebenso klar, ebenso sicher. Aber sein Blick schaut in zwei Welten. 

Es ist ein Gesetz der Evolution, daft bestimmte Organe absterben 
miissen, damit sich neue Organe entwickeln. So war es auch mit der 
Zirbeldriise. Sie steht im Zusammenhang mit dem Lymphsystem. 
Sie war einst ein aufteres Wahrnehmungsorgan, das man beim 
Embryo im Mutterleibe als Offnung noch finden kann, und beim 
neugeborenen Kinde erinnert die weiche Stelle oben am Schadel 
noch an die einstige menschliche Konstitution. 

Der Traum spielt fur unser heutiges Bewulksein eine analoge Rolle 
wie die Zirbeldriise fur die Physiologie des menschlichen Korpers. Er 
ist der letzte Rest eines rudimentar gewordenen Hellsehens. 

Ein anderes Problem, das dem Neophyten in den okkulten Bru- 
derschaften zum Bewufksein gebracht wurde, erwachst aus der Fra- 
ge, warum es in der Welt iiberhaupt eine aufsteigende und eine ab- 
steigende Entwickelung gibt. Warum existiert das Bose? Das ist eine 
schwierige Frage, die weder die Wissenschaft noch die Religion in 
Wahrheit gelost hat. Von ihrer Losung hangt aber auch das ganze 
Erziehungsproblem ab. Das Bose ist nichts Absolutes, es ist ein 
Mittel zur Entwickelung der individuellen Wesenhaftigkeit und der 
Freiheit. 

Der Materialist gibt nicht zu, daft die Gedanken, die wir an der 
Natur heranbilden, zuvor in dieser enthalten sind. Er glaubt, daft 
wir sie in sie hineinlegen. 

Die Rosenkreuzer des Mittelalters stellten ein Glas Wasser vor 
den Neophyten und sagten zu ihm: Damit dieses Wasser im Glas 
sein kann, muE es jemand hineingetan haben. Ebenso verhalt es sich 
aber mit den Ideen, die wir in der Natur finden. Sie miissen hinein- 
gelegt worden sein durch die gottlichen Geister, die Gehilfen des 
Logos. 

Die Gedanken, die wir aus der Welt ziehen, finden sich in Wahr- 
heit in ihr. Alles, was wir schaffen, ist notwendigerweise darin ein- 
geschlossen. 

34 



Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 9 4 



Seite:34 



Es ist eine falsche Idee mancher Mystiker, den Wert des physischen 
Leibes herabzusetzen. Er hat denselben Wert wie der Astralleib, er 
soli der Tempel der Seele werden. 

Betrachten wir die wunderbare Struktur des Schenkelknochens, 
des Knochens, der den ganzen Korper stiitzt und dessen Flachen 
derart miteinander verkmipft sind, daft sie mit der kleinstmoglichen 
Stoffmasse die grofitmogliche Festigkeit erreichen. Kein Ingenieur 
konnte ein solches Wunder bewirken. Im Vergleich zum physischen 
Leib ist der Astralleib, der Entstehungsherd unserer Leidenschaften, 
roh und ungeformt. 

Die physische Welt ist der Ausdruck einer inkarnierten Weisheit, 
der gottlichen Weisheit. 

Die Rosenkreuzer lehren, daft die Erde einst ein Planet der Weis- 
heit war, wahrend die heutige Erde der Planet der Liebe genannt 
werden konnte. Die Aufgabe des Menschen ist es, fur dasjenige, was 
noch unvollkommen in ihm ist, das gleiche zu tun, was die gottliche 
Weisheit ihrerseits fur seinen physischen Leib getan hat. Er mufi 
seinen Astralleib und die Umwelt veredeln. 

Die Involution ist dasjenige, was in uns eingezogen ist ohne unser 
Bewufitsein und ohne unseren Willen, unter dem EinfluE der gott- 
lichen Weisheit. Die Evolution ist alles, was wir daraus hervorgehen 
lassen sollen fur die aufiere Welt durch unser Bewufitsein und 
unseren Willen. 

Warum arbeitet der Mensch an der Umgestaltung der Natur? Die 
Gotter haben die Felsen geschaffen, die Menschen die Pyramiden. 
Die Pyramide wird im Laufe der Jahrhunderte zugrunde gehen, aber 
die Idee, welche die Pyramide geschaffen hat, wird sich weiterent- 
wickeln. Was heute die Kathedrale ist, wird ebenfalls eine andere 
Form annehmen. Der Grund, auf dem Raffael gemalt hat, wird zu 
Staub zerfallen; aber die Seele Raffaels und die Ideen, die seine Ge- 
malde reprasentieren, werden immer lebendig sich weiter entwik- 
kelnde Krafte sein. Die Kunst von heute wird die Natur von morgen 
sein und in ihr wieder aufbluhen. So wird aus der Involution die 
Evolution. 

Hier liegt der Kreuzungspunkt des Gottlichen und Menschlichen 



und die doppelte Macht, die Gott zum Menschen fiihrt und den 
Menschen zu Gott aufsteigen lafit. 

In dieser Sicht wird der Okkultismus zur lebendigen Kraft, die 
alle kiinftigen Bliitezeiten in sich enthalt. 



KOSMOGONIE 

Funfter Vortrag, Paris, 29. Mai 1906 

Man sollte sich von vornherein dariiber im klaren sein, da£ vor einer 
grofieren Verbreitung der Geheimwissenschaft, das heifit seit etwa 
zehn Jahren, eine gewisse theosophische Literatur irrtumliche Ideen 
verbreitet hat iiber das Ziel, das die Geheimwissenschaft verfolgt. 
Man hat behauptet, daft das angestrebte Ziel die Unterdriickung des 
Korpers durch Askese sei. Man hat die Idee verbreitet, dafi die aufte- 
re Wirklichkeit eine Illusion sei, die iiberwunden werden miisse. 
Man hat sich auf den indischen Begriff der Maja berufen. Da liegt 
mehr als eine Ubertreibung vor. Es handelt sich vielmehr urn einen 
wirklichen theoretischen Irrtum, dem durch die Wissenschaft wie 
durch die Praxis der Geheimwissenschaft widersprochen wird. 

Wie viel richtiger ist da das griechische Bild, das die Seele mit 
einer Biene vergleicht. Gleich wie die Biene aus dem Bienenstock 
ausschwarmt und den Bliitensaft erbeutet, um ihn zu destillieren 
und daraus den Honig zu bereiten, ebenso dringt die aus dem Geist 
entsprungene Seele in die aufiere Wirklichkeit ein und sammelt darin 
die Friichte, um sie dem Geist zu iiberbringen. 

Es handelt sich in der Geheimwissenschaft nicht darum, die 
Wirklichkeit zu verachten, sondern sie zu begreifen und zu niitzen. 
Der Leib ist nicht das Kleid, sondern das Instrument der Seele. Die 
okkulte Wissenschaft ist nicht die Wissenschaft, die den Leib unter- 
driickt, sondern sie lehrt gerade, sich seiner fur hohere Zwecke zu 
bedienen. Hatte man die Natur eines Magneten begriffen, wenn man 
ihn einfach als ein Stuck Hufeisen beschreiben wiirde? Nein. Aber 



man begreift ihn, wenn man sagt: Das ist ein Stuck Eisen, das in sich 
die Kraft birgt, andere Eisenteile anzuziehen. - Die sichtbare Wirk- 
lichkeit ist ganz durchsetzt von einer tieferen Wirklichkeit, die die 
Seele zu durchdringen sucht, um sie zu beherrschen. 

Die hohere Weisheit wurde wahrend Tausenden von Jahren als 
tiefes Geheimnis im Schoft der okkulten Bruderschaften bewahrt. 
Man muftte ihnen angehoren, um auch nur die Anfangsgriinde der 
okkulten Wissenschaft kennenzulernen. Und um in sie einzutreten, 
muftte man durch Priifungen schreiten und einen Schwur leisten, die 
geoffenbarten Wahrheiten nicht zu miftbrauchen. Aber die Bedin- 
gungen der menschlichen Natur, insbesondere des menschlichen 
Verstandesbewufttseins, haben sich ganzlich verandert, schon seit 
dem 16. Jahrhundert und besonders seit hundert Jahren, unter der 
Wirkung der wissenschaftlichen Entdeckungen. Durch die Wissen- 
schaft ist eine bestimmte Zahl von Wahrheiten aus dem Reich der 
Natur und des sinnlich Wahrnehmbaren, die einstmals nur den Ein- 
geweihten bekannt waren, Gemeingut geworden. Was heute die 
Wissenschaft kennt, war einstmals ein Mysterium. Die Eingeweih- 
ten haben schon immer gekannt, was mit der Zeit alle Menschen 
wissen sollten. Deswegen hat man sie auch Propheten genannt. 

Man muE hinzufugen, daft das Christentum eine grofte Verande- 
rung in der Einweihung gebracht hat. Die Einweihung ist nach Jesus 
Christus nicht mehr dieselbe wie vorher. Wir konnen sie nur verste- 
hen, wenn wir uns Rechenschaft geben von der menschlichen Natur 
und uns an dieser Stelle ins Gedachtnis zuriickrufen, welches die 
sieben Wesensglieder des Menschen sind. 

Die sieben Wesensbestandteile des Menschen sind: 

Erstens der physische Leib. Das ist der dem leiblichen Auge 
sichtbare Mensch, der natiirliche Mensch, der einzige, den die Wis- 
senschaft heute gut kennt. Der rein physische Mensch entspricht der 
mineralischen Welt. Er ist eine Zusammenfassung von alien phy- 
sischen Kraften des Universums. 

Zweitens der Atherleib. Wie kann man ihn verstehen? Wir wis- 
sen, daft die Hypnose ein anderes Bewufttsein weckt, nicht nur in 
dem hypnotisierten Subjekt, sondern auch in dem Hypnotiseur, der 



seiner Versuchsperson alles, was er will, suggerieren kann. Er kann 
bewirken, dafi sie einen Stuhl fur ein Pferd halt, aber er kann ihr 
auch suggerieren, da£ der Stuhl nicht da ist oder dafi in einem Zim- 
mer voller Leute niemand ist. Der Eingeweihte kann nach Belieben 
diese Fahigkeit auf sich selbst anwenden und sich dazu bringen, den 
physischen Korper der Person, die er vor sich hat, sich abzusugge- 
rieren. Alsdann bemerkt er anstelle des physischen Leibes nicht eine 
Leere, sondern den Atherleib. Dieser Leib ist ahnlich dem physi- 
schen Leibe, jedoch etwas von ihm verschieden. Er entlehnt von ihm 
die Form, geht aber etwas iiber ihn hinaus. Er ist mehr oder weniger 
leuchtend und flieftend. Seine Organe erscheinen als Stromungen 
von verschiedenen Farben, und anstelle des Herzens finden wir ein 
wahres Knauel von Kraften, einen Wirbel von Stromungen. Der 
Atherleib ist also ein wirklicher, atherischer Doppelganger des 
physischen Leibes. 

Diesen Leib hat der Mensch gemeinsam mit den Pflanzen. Er ist 
nicht das Produkt des physischen Leibes, wie die Empiriker glauben 
konnten, sondern er ist im Gegenteil der Erbauer des ganzen physi- 
schen Organismus. Fur die Pflanze wie fur den Menschen ist er die 
Wachstumskraft, die Kraft des Rhythmus und der Reproduktion. 

Drittens der Astralleib. Er hat nicht die Form des atherischen und 
des physischen Leibes. Er nimmt eine eiformige Form an und iiber- 
ragt den physischen Leib wie eine Wolke, eine Aura. Der Astralleib 
kann in alien Farben des Regenbogens erscheinen, je nach den 
Leidenschaften, die ihn beseelen. Jede Leidenschaft hat ihre astrale 
Farbe. Aufierdem ist der Astralleib gewissermafien die Synthese des 
physischen und atherischen Leibes, und zwar auf folgende Weise: 
Der Atherleib hat immer einen dem Geschlecht des physischen 
Leibes entgegengesetzten Charakter. Der Atherleib eines Mannes ist 
weiblichen, der einer Frau mannlichen Geschlechts. Der Astralleib 
ist beim Mann wie bei der Frau doppelgeschlechtlich. Er ist also in 
dieser Beziehung eine Synthese der beiden anderen Leiber. 

Viertens das Ich, Manas im Sanskrit, Jehova im Hebraischen, ist 
die vernunftbegabte und bewufite Seele; es ist die unzerstorbare 
menschliche Individualitat, die das Wissen vom Aufbau der anderen 



Wesensglieder in sich birgt. Es ist das unaussprechbare, gleicherwei- 
se menschliche und gottliche Ich. Es ist die Einheit der vier Elemen- 
te, die Pythagoras unter dem Zeichen des Tetragramms verehrt hat. 

Die menschliche Evolution besteht in der Verwandlung der unte- 
ren Leibesglieder mit Hilfe des Ich in vergeistigte Leiber. Der phy- 
sische Leib ist das alteste und infolgedessen vollendetste Glied im 
heutigen Menschen. Die gegenwartige Phase der menschlichen Evo- 
lution hat zur Aufgabe die Verwandlung des Astralleibes. 

Bei dem zivilisierten Typus des Menschengeschlechts teilt sich 
der Astralleib in zwei Partien, eine niedere und eine hohere. Die 
niedere bleibt noch chaotisch und dunkel, die hohere ist leuchtend 
und schon durchdrungen von den Kraften des Manas, das heifk 
geordnet und regelmafiig. 

Sofern der Initiierte seinen Astralleib von alien tierischen Leiden- 
schaften gereinigt und ihn vollkommen leuchtend gemacht hat - das 
ist die erste Phase seiner Einweihung -, ist er bei der Katharsis, der 
Reinigung, angekommen. Erst dann kann er an seinem Atherleib 
arbeiten und mittels dessen dem physischen Leib sein Siegel auf- 
driicken. Der Astralleib hat an sich keinen Einfluft auf den phy- 
sischen Leib. Er ist darauf angewiesen, durch den Atherleib hin- 
durch zu wirken. 

Die Aufgabe des Schiilers besteht also darin, zur Umwandlung 
des Astralleibs und Atherleibs zu gelangen und in der Folge zur 
vollstandigen Herrschaft iiber den physischen Leib. Auf diese Weise 
wird er ein Meister und verwandelt die drei niederen Wesensglieder 
seiner Natur in die drei hoheren: 

Funftens: Manas. 

Sechstens: Budhi. 

Siebentens: Atma. 

Wir stoften hier auf ein wunderbares Gesetz der menschlichen 
Natur, welches zeigt, dafi das Ich und das Manas im Mittelpunkt der 
menschlichen Entwickelung stehen. Die Herrschaft, welche das 
Manas nach unten iiber den Astralleib und den Atherleib ausubt, 
iibertragt sich nach oben - das heiftt auf die Glieder des oberen, 
gottlichen Menschen - durch den Erwerb neuer Fahigkeiten. 



So verwandelt sich zum Beispiel der Einfluft vom Manas auf 
seinen Atherleib in Licht und Kraft fur sein geistiges Wesen: Budhi. 
Der Einfluft, den er auf seinen physischen Leib ausiibt, verwandelt 
sich in Licht und Kraft fur seinen gottlichen Geist: Atma. 

So gipfelt also die ganze menschliche Entwickelung in der Ver- 
wandlung der unteren Wesensglieder durch das hohere Ich. Und 
unsere gegenwartige Entwickelungsstufe hat zur Aufgabe die Um- 
wandlung des Astralleibes, die Hand in Hand geht mit der Beherr- 
schung des Empfindungslebens und seiner Reinigung. 

Der Astralleib des heutigen Menschen ist dunkel in seiner unte- 
ren Partie, hell und farbig in seiner oberen Partie. Die untere Partie 
ist noch nicht umgewandelt durch das Ich, die obere ist von ihm 
durchdrungen und umgewandelt worden. Wenn der Mensch seinen 
Astralleib ganz durchgearbeitet hat, so sagt man, dafi er ihn in 
Manas verwandelt hat. 

Erst dann beginnt die Arbeit am Atherleib. Dazu mufi man wis- 
sen: Was sich im Astralleib ereignet, ist vorubergehender Art. Was 
sich im Atherleib vollzieht, hinterlafk dort eine dauerhafte Spur und 
driickt sich aufierdem wie ein Siegel auf dem physischen Leib ab. 

Die hohere Einweihung besteht in der Kontrolle aller Vorgange 
des physischen Leibes, in ihrer vollkommenen Beherrschung, so da£ 
man sie nach Belieben in der Hand hat. 

In dem Mafie, wie der Eingeweihte an diesem Punkte ankommt, 
besitzt er Atma, wird er ein Magier und erwirbt er Macht iiber die 
Natur. 

Der Unterschied zwischen der ostlichen und der westlichen Ein- 
weihung besteht in der Methode, mit welcher der Lehrer den Schil- 
ler zur Arbeit an dessen Atherleib anleitet. Um uns dariiber klar zu 
werden, ist es notwendig, die verschiedenen Zustande des Menschen 
wahrend des Schlafens und wahrend des Wachens zu betrachten. 

Wahrend des Schlafens ist der Astralleib teilweise vom Korper 
getrennt und untatig, wahrend der Atherleib in seiner vegetativen 
Arbeit fortfahrt. 

Beim Tode trennt sich der Atherleib mit dem Astralleib vollkom- 
men vom physischen Leibe. Im Atherleib, als dem Trager des 



Gedachtnisses, sitzt die Erinnerung an das Leben, so daft in dem 
Augenblick, wo er sich loslost, die Sterbenden ihr Leben wie in 
einem einzigen Tableau lesen. Der Atherleib wird, wenn er vom 
physischen Leib getrennt ist, sehr viel regsamer, weil er nicht mehr 
von seiner Beziehung zum Physischen gestort wird. 

Die orientalische Initiation bestand nun darin, den Atherleib und 
den Astralleib des Schiilers wahrend eines lethargischen Zustands, 
der gewohnlich drei Tage dauerte, von dem Schiiler zu trennen. 
Wahrend dieses Zeitraums lenkte der Hierophant den Atherleib des 
Schiilers, ubertrug auf ihn gewisse Impulse, floftte ihm seine Weis- 
heit ein, ubertrug sie auf ihn als einen machtigen und unauslosch- 
lichen Eindruck. 

Beim Erwachen fand der Eingeweihte in sich diese Weisheit, weil 
der Atherleib das Gedachtnis des Menschen in sich schlieftt; und er 
bewahrte diese Weisheit - es war diejenige der okkulten Lehre, aber 
gepragt von dem unausloschlichen, personlichen Abdruck des 
Hierophanten. Nach dieser Einweihung sagte man von dem, der die 
Einweihung durchgemacht hatte, daft er zweimal geboren sei. 

Man ging so zu Werk, weil es schwierig gewesen ware, auf eine 
andere Weise die hoheren Wahrheiten mitzuteilen. 

Anders verhalt es sich mit der abendlandischen Einweihung. Sie 
unterscheidet sich von der ostlichen darin, daft die eine sich im 
Schlafzustand vollzieht und die andere im Zustand des Wachens, das 
heiftt, daft sie die Trennung zwischen Atherleib und physischem 
Leib vermeidet. In der abendlandischen Einweihung bleibt der Ein- 
zuweihende unabhangig, und der Lehrer ist nur ein Erwecker. Der 
abendlandische Lehrer will weder herrschen noch bekehren, son- 
dern allein erzahlen, was er geschaut hat. 

Welches ist nun die Art und Weise, wie man auf ihn zu horen hat? 
- Es gibt in Wirklichkeit drei Arten zu horen: horen, indem man 
sich dem Wort als einer unfehlbaren Autoritat unterwirft; horen, 
indem man sich auflehnt gegen das, was man hort; schlieftlich das 
einfache Hinhoren ohne knechtischen und blinden Glauben, gewis- 
sermaften ohne systematische Opposition, indem man einfach die 
Ideen auf sich wirken laftt und ihre Wirkungen beobachtet. So muft 



in der abendlandischen Einweihung die Haltung des Schiilers 
seinem Lehrer gegeniiber sein. 

Was nun den Lehrer betrifft, so weift er, daft er, urn der Meister zu 
sein, der Diener sein mufi. Es handelt sich fur ihn nicht darum, die 
Seele seines Schiilers nach seinem Bilde zu modeln, sondern ihr Rat- 
selvolles zu ahnen und aufzulosen. Was er lehrt, ist nicht eine Glau- 
benslehre, oder vielmehr, es ist eine Lehre, die aber nur Wert hat, 
indem sie der inneren Entwickelung dient. Jede Wahrheit, die nicht 
gleichzeitig eine Lebenskraft ist, ist eine unfruchtbare Wahrheit. 
Deshalb ist es notwendig, daft jeder Gedanke Zugang zur Seele fin- 
de. Er tut dies nicht, wenn er nicht vom Gefuhl durchstromt ist; 
sonst ist er ein totgeborener Gedanke. 



KOSMOGONIE 
Sechster Vortrag, Paris, 30. Mai 1906 

Zuerst einmal mufi festgehalten werden, daft der Yoga oder die Ein- 
weihung kein stiirmisches Ereignis ist, sondern eine langsame Schu- 
lung, eine ganz intime Veranderung. Man stellt sich oft vor, daft sie 
in einer Reihe von aufteren Verrichtungen und asketischen Ubungen 
besteht. Nichts davon trifft zu. Alles muft sich in den Tiefen der 
Seele abspielen. 

Sprechen wir zuerst von den praktischen Regeln dieser Schulung. 
Man hat oft gesagt, daft der Anfang der Einweihung gefahrlich sei 
und dafi derjenige, der sie unternimmt, sich ernsten Gefahren aus- 
setze. Daran ist etwas Wahres, und wir wollen versuchen, es wissen- 
schaftlich auseinanderzusetzen. 

Die Einweihung ist eine Art Geburt der hoheren menschlichen 
Seele, die in jedem Menschenwesen verborgen ist. Sie birgt fiir die 
niedere Seele oder, genauer gesagt, fiir den Astralleib ahnliche Ge- 
fahren wie die der physischen Geburt; wobei die Ahnlichkeit darin 
besteht, daft die gottliche Seele sich von der Leidenschaftsseele unter 



Schmerzen trennt wie das Kind vom Schoft seiner Mutter, aber mit 
dem Unterschied, daft die geistige Geburt sehr viel langer dauert. 

Nehmen wir noch einen anderen Vergleich. Die hohere Seele ist 
eng gebunden an die tierische Seele. Ihre Verbindung untereinander 
ist es, die die Leidenschaften maftigt, sie vergeistigt und beherrscht 
nach dem Grade der Vernunft und des Willens. Diese Verbindung 
hat einen Vorteil fiir den Menschen. Aber er bezahlt diesen Vorteil 
mit dem Verlust seiner Hellsichtigkeit. Stellen wir uns eine Fliissig- 
keit von griiner Farbe vor, die chemisch aus Blau und Gelb zu- 
sammengesetzt ist. Wenn es Ihnen gelingt, sie chemisch zu trennen, 
werden Sie zum Beispiel sehen, daft die gelbe Fliissigkeit sich auf 
dem Grund absetzt, wahrend die blaue an die Oberflache aufsteigt. 
Ebenso verhalt es sich beim Menschen, wenn der Einweihungsweg 
die tierische Seele von der geistigen Seele trennt. Fur die hohere See- 
le erfolgt daraus die Hellsichtigkeit, aber die allein gelassene tieri- 
sche Seele iiberliefert sich nun, sofern sie noch nicht durch das Ich 
gereinigt ist, ohne Kontrolle dem Exzeft der Leidenschaften. Man 
kann diese Tatsache haufig bei Medien konstatieren. Das Wachsein 
gegeniiber dieser Gefahr wird manchmal in der Einweihung be- 
zeichnet durch das Wort: der Hiiter der Schwelle. 

Das ist der Grund, weshalb die erste Forderung, die man an den 
Schtiler stellt, die ist, daft er ein fester Charakter und ein Herrscher 
liber seine Leidenschaften sei. Den Einweihungsubungen gehen des- 
wegen eine strenge Zucht und gewisse Bedingungen voraus, deren 
erste Ruhe und Zuriickgezogenheit sind. Die gewohnliche Moral 
genugt nicht, denn die bezieht sich nur auf das Betragen des Men- 
schen in der aufteren Welt. Die Einweihung bezieht sich aber auf den 
inneren Menschen. 

Wollte man nun einwenden: die Frommigkeit genugt -, so wiir- 
den wir antworten: Die Frommigkeit ist eine schone und notwendi- 
ge Sache, aber sie hat nichts mit okkulter Ubung zu tun. Frommig- 
keit ohne Weisheit ist unschopferisch. 

Es handelt sich fiir den Okkultisten, den wirklichen Eingeweih- 
ten, darum, die Richtung seines Lebenslaufes zu andern. Der 
Mensch der Gegenwart wird in seinen Handlungen durch die Sin- 



neseindriicke, das heifk durch die auftere Welt, bestimmt und getrie- 
ben. Aber alles, was an Raum und Zeit gebunden ist, ist ohne Bedeu- 
tung. Man kann es iibergehen. 

Welches sind nun die Mittel zu diesem Zweck? 

Erstens: Seine Gedankenkraft auf ein einziges Objekt richten und 
sie darauf ruhen lassen. Das nennt man: die Gedankenkontrolle 
erwerben. 

Zweitens: Ebenso handeln in Hinsicht auf alle Tatigkeiten, seien 
sie grofi oder klein, sie beherrschen, sie regeln, sie unter die Kontrol- 
le des Willens bringen. Alle miissen hinfort von einer inneren Initia- 
tive ausgehen. Das ist die Kontrolle der Handlungen. 

Drittens: Das seelische Gleichgewicht. Man muE im Schmerz und 
in der Freude Mafiigung waken lassen. Goethe hat gesagt, daft die 
Seele, die liebt, bald «himmelhoch jauchzend», bald «zum Tode be- 
trubt» sei. Der Okkultist muft mit demselben seelischen Gleichmut 
die groftte Freude und den groEten Schmerz ertragen. 

Viertens: Die Positivitat. Der seelische Zustand, der darin 
besteht, dafi man das Gute in allem sucht. Eine persische Legende 
erzahlt: Als Christus einst mit seinen Jungern an einem ubelriechen- 
den Hundekadaver vorbeiging, wandten sich seine Jiinger mit 
Abscheu weg. Er aber sagte, nachdem er das widerliche Schauspiel 
betrachtet hatte, einfach: Welche schonen Zahne hat das Tier! 

Fiinftens: Die Unbefangenheit. Die geistige Offenheit fur jede 
neue Erscheinung; die Fahigkeit, sich niemals durch das Vergangene 
in seinem Urteil bestimmen zu lassen. 

Sechstens: Das innere Gleichgewicht, das aus alien diesen vor- 
bereitenden Ubungen entspringt. Man findet sich nunmehr reif zur 
inneren Schulung der Seele. Man ist bereit, sich auf den Weg zu 
machen. 

Siebentens: Die Meditation. Man mufi sich blind und taub ma- 
chen in bezug auf die auftere Welt und die Erinnerungen an sie, bis 
zu dem Grad, dafi ein Kanonenschuft uns nicht aus der Fassung 
bringen wiirde. Das ist die Vorbereitung zur Meditation. Hat man 
sich innerlich leer gemacht, so ist man fahig, das in sich zu empfan- 
gen, was von aufien kommt. Es gilt alsdann, die tieferen Seelen- 



schichten zu erwecken durch bestimmte Ideen, die geeignet sind, die 
Seele zur Quelle aufsteigen zu lassen. 

In «Licht auf den Weg» finden sich vier Lehren, die geeignet sind, 
als Gegenstande der Meditation, der inneren Konzentration ver- 
wendet zu werden. Es sind sehr alte Grundsatze, die von den Ein- 
geweihten seit Jahrhunderten angewendet werden und deren Sinn 
tief und mannigfach ist. 

Erste Lehre: Bevor das Auge sehen kann, 

Mufi es der Tranen sich entwohnen. 

Zweite Lehre: Bevor das Ohr vermag zu horen, 

Mufi die Empfindlichkeit ihm schwinden. 

Dritte Lehre: Eh' vor den Meistern kann die Stimme sprechen, 

Mufi das Verwunden sie verlernen. 

Vierte Lehre: Und eh' vor ihnen stehen kann die Seele, 

Mufi ihres Herzens Blut die Fufie netzen. 

Diese vier Lehren haben eine magische Gewalt. Aber um sie lebhaft 
zu empfinden, ist es notig, sie in sich leben zu lassen und sie uner- 
mudlich zu lieben, so wie eine Mutter ihr Kind liebt. 

Die erste Ubung hat die Kraft, den Atherleib zu entwickeln, ins- 
besondere seinen oberen Teil, der dem Kopf entspricht. 

Nachdem so der obere Teil des Atherleibs behandelt worden ist, 
ist es notwendig, einen tieferen Wesensteil zu entwickeln: das Blut- 
und Atmungssystem, das Herz und die Lungenfliigel. Einstmals, in 
verflossenen Epochen der Erdentwickelung, lebte der Mensch im 
Wasser und atmete durch Kiemen wie heutzutage die Fische. Die 
heiligen Schriften der Volker haben den Moment, wo der Mensch 
begonnen hat, die Himmelsluft einzuatmen, vermerkt. Die Genesis 
sagt: «Gott blies dem Menschen seinen Odem ein.» Der Schiiler 
mufi sein Atmungssystem verandern und reinigen. Alle Entwicke- 
lung geht vom Chaos zur Harmonie, vom Arrhythmischen zum 
Rhythmischen. Der Mensch mufi seine Instinkte harmonisieren. 

In den alten Zeiten wurden die verschiedenen Grade der Ein- 
weihung durch besondere Namen bezeichnet: 



Erster Grad: der Rabe. Er bezeichnet den, der sich an der Schwel- 
le befindet. Der Rabe erscheint in alien Mythologien. In der Edda 
flustert er in das Ohr Wotans, was er in der Feme sieht. 

Zweiter Grad: der Geheimschiiler oder Okkultist. 

Dritter Grad: der Krieger (Kampf, Streit). 

Vierter Grad: der Lowe (Starke). 

Fiinfter Grad: der Initiierte tragt den Namen des Volkes, dem er 
angehort: Perser oder Grieche, weil seine Seele auf sein ganzes Volk 
sich ausgedehnt hat. 

Sechster Grad: Sonnenheld oder Sonnenlaufer, weil sein Lauf 
ebenso harmonisch, ebenso rhythmisch geworden ist wie der Lauf 
der Sonne. Die Sonne reprasentierte die rhythmische, lebendige Be- 
wegung des Planetensystems. Die Ikarus-Legende bezieht sich auf 
die Einweihung. Ikarus hat zu fruh, ohne geniigende Vorbereitung, 
versucht, die Sonne zu erreichen und ist abgestiirzt. 

Siebenter Grad: der Vater, weil er nun fahig geworden ist, Schiiler 
heranzuziehen und der Beschiitzer aller Menschen zu sein; und weil 
er der Vater des neuen Menschen ist, zum zweiten Mai geboren in 
der erweckten Seele. 

Im Laufe der Meditation reinigt der Gedanke die Luft. Es liefie 
sich sogar chemisch nachweisen und demonstrieren, dafi Kohlen- 
saure in geringerer Menge ausgeatmet wird. 

Der neue Atmungsrhythmus verursacht eine Veranderung im 
Blut. Der Mensch ist bis zu dem Grade gereinigt, dafi er selbst das 
Blut aufbauen kann ohne Hilfe der Pflanzen. Auf langere Sicht veran- 
dert die Meditation die Natur des Blutes. Der Mensch atmet alsdann 
weniger Kohlensaure aus, weil er Kohlensaure in sich zuriickhalt und 
sie zum Aufbau des Korpers verwendet. Er atmet nur reine Luft aus. 
So wird der Mensch fahig, von seinem eigenen Atem zu leben. Er 
vollzieht auf diese Weise eine alchimistische Verwandlung. 

Welches sind nun die hoheren Stufen der Einweihung? 

Erste Stufe: Der Eingeweihte findet in der Seele vollige Stille. 
Alsdann steigt in ihm auf die astrale Vision, wo alles auf symbolische 
Weise Bild der Realitat ist. Diese astrale Vision, wahrgenommen 
wahrend des Schlafes, ist noch unvollkommen. 



Zweite Stufe: Die Traume horen auf, chaotisch zu sein und wer- 
den regelmafiig. Man fiihlt die wahre Beziehung zwischen der Sym- 
bolik der Traume und der Realitat, man wird Meister auf dem 
Astralplan. Nun entziindet sich das Astrallicht, das aus dem Inneren 
kommt, in der Seele, die lernt, die anderen Seelen gleichsam als Rea- 
litaten zu sehen. 

Dritte Stufe: Die Kontinuitat des Bewufttseins stellt sich zwi- 
schen dem Wachzustand und dem Schlafzustand ein. Wahrend 
einstmals das Astralleben sich in den Traumen des leichten Schlafes 
spiegelte, erscheint es nun im Tiefschlaf in anderen Wahrnehmun- 
gen, die reine Horvorgange sind und sich in feierlicher Form mani- 
festieren. Die Seele hort alsdann das innere Wort aller Wesen in 
Form einer wunderbaren Harmonie, und diese Harmonie manife- 
stiert das wirkliche Leben. 

Platon und Pythagoras haben diese Harmonie die Spharenhar- 
monie genannt. Das ist keine poetische Metapher, sondern eine tiefe 
Schwingung der innersten Seele unter den Klangwellen, die von der 
Weltseele ausgehen. 

Goethe, der schon in seiner Jugend in der Periode zwischen Leip- 
zig und Strafiburg eingeweiht wurde, kannte diese Spharenharmo- 
nie. Er hat sie besungen am Anfang des «Faust», wo der Erzengel 
Raphael diese Worte spricht 

Die Sonne tont nach alter Weise 
in Bruderspharen Wettgesang, 
Und ihre vorgeschriebne Reise 
Vollendet sie mit Donnergang. 

Im tiefen Schlaf vernimmt der Eingeweihte diese Tone als Trom- 
petengeschmetter und Donnerrollen. 



KOSMOGONIE 
Sieb enter Vortrag, Paris, 31. Mai 1906 

Das Christentum spielt in der Geschichte der Menschheit eine ein- 
zigartige, einschneidende und wesentlichste Rolle. Es ist sozusagen 
das zentrale Moment, der springende Punkt zwischen der Involu- 
tion und der Evolution. Und deshalb strahlt auch ein so glanzvolles 
Licht aus ihm hervor. 

Nirgends aber glanzt dieses Licht so lebendig wie im Johannes- 
Evangelium. Tatsachlich erscheint es hier allein in seiner ganzen 
Kraft. Zweifellos sieht die zeitgenossische Theologie dieses Evange- 
lium nicht so an. Vom historischen Gesichtspunkt aus betrachtet sie 
es als nicht gleichwertig, sozusagen als apokryph gegenuber den drei 
Synoptikern. Allein schon die Tatsache, daft man seine Entstehung 
dem zweiten Jahrhundert zugeschrieben hat, hat dazu gefuhrt, daft 
die Theologen der kritischen Schule es als ein Werk der mystischen 
Poesie und der alexandrinischen Philosophic betrachten. 

Ganz anders spricht die Geheimwissenschaft vom Johannes- 
Evangelium. Durch das ganze Mittelalter hindurch gab es eine Reihe 
von Bruderschaften, die in ihm ihr Ideal und die Hauptquelle der 
christlichen Wahrheit sahen. Diese Bruderschaften nannten sich Bol- 
der des heiligen Johannes, die Albigenser, die Katharer, die Templer 
und die Rosenkreuzer. Sie alle betatigten sich in praktischem Okkul- 
tismus und beriefen sich auf dieses Evangelium als auf ihre Bibel, ihr 
Brevier. Man kann sogar annehmen, daft die Legende vom Gral, von 
Parzival und von Lohengrin von diesen Bruderschaften ausgegangen 
ist und daft sie der populare Ausdruck ihrer Geheimlehren war. 

Alle Briider dieser verschiedenen, unter sich verwandten Orden 
haben sich selbst als die Vorlaufer eines individuellen Christentums 
betrachtet, dessen Geheimnis sie besaften und dessen voile Entfal- 
tung kiinftigen Zeiten vorbehalten war. Dieses Geheimnis fanden sie 
einzig und allein im Johannes-Evangelium. Sie fanden darin eine 
ewige Wahrheit, die sich alien Zeiten angleicht, eine Wahrheit, wel- 
che vom Grund aus die Seele neugestaltet, die es in ihr tiefstes Inne- 
res aufnimmt. Man las das Johannes-Evangelium nicht wie ein lite- 



rarisches Erzeugnis, sondern sah darin ein Mittel zur Einweihung. 
Um uns davon Rechenschaft zu geben, lassen wir die Frage seines 
historischen Wertes zunachst auf sich beruhen. 

Die ersten vierzehn Verse dieses Evangeliums waren fiir die Ro- 
senkreuzer Gegenstand einer taglichen Meditation und einer geisti- 
gen Ubung. Man schrieb ihnen eine magische Wirkung zu, und diese 
haben sie in der Tat fiir den Okkultisten. Solcher Art war ihre Wir- 
kung. Indem man sie taglich zur selben Stunde unermudlich wieder- 
holte, gelangte man dazu, im Traumbewufksein die Vision von all 
den Ereignissen zu haben, die im Evangelium erzahlt werden, und 
sie innerlich zu erleben. 

Auf diese Weise bedeutet fiir die Rosenkreuzer das Leben des 
Christus die Auferstehung des Christus auf dem Grund jeder Seele 
durch die Geistesschau. Sie glaubten im iibrigen gleicherweise an die 
innerlich-reale wie an die historische Existenz des Christus. Denn 
den inneren Christus erkennen, heifit zu gleicher Zeit auch den 
Christus erkennen, der aufierlich dagewesen ist. 

Ein moderner materialistischer Geist konnte einwenden: Beweist 
die Tatsache, daft die Rosenkreuzer solche Traume hatten, auch die 
reale Existenz des Christus? - Darauf antwortet der Okkultist: 
Gabe es nicht das Auge, um die Sonne zu sehen, so wiirde die Sonne 
nicht existieren; aber wenn es die Sonne am Himmel nicht gabe, 
gabe es ebensowenig ein Auge, um sie zu sehen. Denn die Sonne ist 
es, die das Auge im Laufe der Zeiten gebildet hat und die es geformt 
hat, um das Licht wahrzunehmen. So konnte der Rosenkreuzer sich 
sagen: Das Johannes-Evangelium hat deinen inneren Sinn erweckt, 
aber ohne einen lebendigen Christus konntest du es nicht in dir 
leben lassen. 

Das Wirken des Christus Jesus kann nur in seiner vollen Tiefe 
erkannt werden, wenn man den Unterschied zwischen den antiken 
Mysterien und dem christlichen Mysterium erkennt. 

Die antiken Mysterien vollzogen sich in den Tempelschulen. Die 
Eingeweihten waren Erweckte. Sie lernten, auf ihren Atherleib zu 
wirken; sie waren alsdann «Zweimalgeborene», weil sie die Wahrheit 
auf zweierlei Art sehen konnten: unmittelbar durch den Traum und 



durch die astrale Vision, mittelbar durch Gefiihl und Logik. Die Ein- 
weihung, die man durchmachte, bedeutete dreierlei: Leben, Tod und 
Auferstehung. Der Schiiler brachte drei Tage im Grabe, in einem Sar- 
kophag im Tempel, zu. Sein Geist war vom Korper befreit. Aber am 
dritten Tag kehrte sein Geist auf den Ruf des Hierophanten aus der 
Welt des Kosmos, wo er das Leben des Universums kennengelernt 
hatte, in seinen Korper zuriick. Er war verwandelt und neugeboren. 
Die grofken griechischen Schriftsteller haben mit Enthusiasmus und 
heiliger Ehrfurcht von diesen Mysterien gesprochen. Plato sagte so- 
gar, daft nur ein Eingeweihter die Bezeichnung «Mensch» verdiene. 
Aber diese Einweihung findet in Wahrheit in dem Christus ihre Kro- 
nung. In Christus konzentriert sich die Einweihung des Gefuhlsle- 
bens, wie das Eis verdichtetes Wasser ist. Was man in den antiken 
Mysterien gesehen hatte, verwirklicht sich geschichtlich durch den 
Christus auf dem physischen Plan. Der Tod der Eingeweihten war 
nur ein partieller Tod in der Atherwelt gewesen. Der Tod des Chri- 
stus war ein vollstandiger Tod auf dem physischen Plan. 

Man kann die Auferweckung des Lazarus als ein Schwellenmotiv, 
als eine Art Ubergang von der antiken zur christlichen Einweihung 
betrachten. Im Johannes-Evangelium erscheint Johannes selbst erst 
nach dem Bericht vom Tod des Lazarus. Der Jiinger, den Jesus lieb 
hatte, ist auch der hochste Eingeweihte. Es ist derjenige, der durch 
Tod und Auferstehung gegangen und durch die Stimme des Christus 
selbst auferweckt worden ist. Johannes - das ist der nach seiner Ein- 
weihung aus dem Grabe erstandene Lazarus. Johannes hat den Tod 
des Christus erlebt. So ist der mystische Weg, den die Tiefen des 
Christentums enthullen. 

Die Hochzeit zu Kana, deren Bericht man gleichfalls in diesem 
Evangelium liest, umschlieftt eines der tiefen Geheimnisse der Gei- 
stesgeschichte der Menschheit. Es bezieht sich auf die Worte des 
Hermes: Alles ist oben wie unten. Auf der Hochzeit zu Kana wird 
das Wasser in Wein verwandelt. An diese Tatsache kniipft sich ein 
symbolischer universeller Sinn: Im religiosen Kultus soli das Was- 
seropfer zeitweise durch das Weinopfer ersetzt werden. 

Es gab in der Geschichte der Menschheit eine Zeit, in welcher der 



Wein noch unbekannt war. Zur Zeit der Veden kannte man ihn 
kaum. Nun, solange die Menschen keine alkoholischen Getranke 
tranken, war die Vorstellung von vorhergehenden Daseinsstufen 
und von der Vielzahl von Erdenleben iiberall verbreitet, und 
niemand zweifelte daran. Seitdem die Menschheit Wein zu trinken 
begann, verdunkelte sich die Idee der Reinkarnation ganz schnell 
und verschwand schlieElich aus dem allgemeinen Bewulksein. Sie 
wurde nur bewahrt durch die Eingeweihten, die sich des Weinge- 
nusses enthielten. Denn der Alkohol hat auf den menschlichen Or- 
ganismus eine besondere Wirkung, insbesondere auf den Atherleib, 
in dem das Gedachtnis seinen Sitz hat. Der Alkohol verschleiert das 
Gedachtnis, verdunkelt es in seinen inneren Tiefen. Der Wein schafft 
Vergessenheit, sagt man. Dabei handelt es sich nicht um ein ober- 
flachliches, momentanes Vergessen, sondern um ein tiefes und dau- 
erndes Vergessen, um eine Verfinsterung der Gedachtniskraft im 
Atherleib. Daher verloren die Menschen, als sie sich anschickten 
Wein zu trinken, nach und nach ihr ursprungliches Gefiihl fur die 
Wiederverkorperung. 

Nun hatte aber der Glaube an die Wiederverkorperung und an 
das Karmagesetz einen machtigen Einflufi nicht nur auf die Person- 
lichkeit, sondern auch auf ihr soziales Empfinden. Er liefi sie die 
Ungleichheit der menschlichen Lebensumstande hinnehmen. Wenn 
der ungliickliche agyptische Arbeiter an den Pyramiden arbeitete, 
wenn der Hindu der untersten Kaste an den gigantischen Tempeln 
im Herzen der Berge baute, sagte er sich, dafi ein anderes Dasein ihn 
fur die tapfer ertragene schwere Arbeit entschadigen wiirde, wenn er 
gut war; er sagte sich, dafi sein Meister schon durch ahnliche Prii- 
fungen hindurchgegangen war, oder dafi er spater durch noch harte- 
re Priifungen hindurchgehen miisse, wenn er an der Gerechtigkeit 
zweifelte und iibel gesinnt ware. 

Als aber das Christentum herannahte, sollte die Menschheit 
durch eine Epoche hindurchgehen, in der sie sich ganz auf ihre Er- 
denaufgabe einstellte. Sie sollte an der Verbesserung dieses Lebens 
wirken, an der Entwickelung des Intellekts, an der verstandesmafti- 
gen wissenschaftlichen Erkenntnis der Natur. Das Bewuiksein von 



der Wiederverkorperung sollte demgemafi fiir zweitausend Jahre 
verlorengehen. Und das Mittel, das zu diesem Zweck angewendet 
wurde, war der Wein. 

Das ist der tiefe Grund der Verehrung des Bacchus, des Gottes 
des Weiries, der Trunkenheit, einer volkstumlichen Form des Dio- 
nysos der alten Mysterien, der an sich einen ganz anderen Sinn hatte. 
Das ist auch der symbolische Sinn der Hochzeit zu Kana. Das Was- 
ser spielt seine Rolle beim alten Opferdienst, der Wein beim neuen. 
Die Worte des Christus: «Selig, die nicht sehen und doch glauben», 
beziehen sich auf die neue Ara des Menschen, wo der Mensch, ganz 
seinen Erdenaufgaben hmgegeben, weder die Erinnerung an friihere 
Inkarnationen noch die direkte Schau in die geistige Welt haben soil. 

Der Christus hinterlafit uns in der Szene vom Berg Tabor, in der 
Verklarung vor Petrus, Jakobus und Johannes, ein Vermachtnis. Die 
Junger sahen Ihn zwischen Elias und Moses. Elias reprasentiert den 
Weg zur Wahrheit, Moses die Wahrheit selbst und der Christus das 
Leben, das beides vereinigt. Deshalb kann er von sich sagen: «Ich 
bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. » 

So gipfelt und vereint sich alles in Christus, erhalt alles von Ihm 
sein Licht und seine Starke, verwandelt sich alles in dem Christus. 
Er geht die Vergangenheit der menschlichen Seele zuriick bis zur 
Quelle und sieht ihre Zukunft voraus bis zur Vereinigung mit Gott. 
Denn das Christentum ist nicht allein eine Kraft der Vergangenheit, 
sondern auch eine Kraft fiir die Zukunft. Mit den Rosenkreuzern 
lehrt die neue Geisteswissenschaft den inneren Christus in jedem 
Menschen und den zukiinftigen Christus in der ganzen Menschheit. 



KOSMOGONIE 



Achter Vortrag, Paris, 1. Juni 1906 

Seit den Urspriingen des Christentums und der Zeit der Apostel hat 
es die christliche Einweihung immer gegeben, und sie ist stets die- 
selbe geblieben wahrend des Mittelalters und bis auf unsere Tage, bei 
den zahlreichen religiosen Orden ebenso wie bei den Rosenkreuzern. 
Diese Einweihung besteht aus geistigen Ubungen, die gleiche und 
unveranderliche Symptome hervorrufen. Die Gesellschaften, die sie 
in tiefem Geheimnis verwirklichen, sind der wahre Herd alien spiri- 
tuellen Lebens wie auch alien religiosen Fortschritts der Menschheit. 

Die christliche Einweihung ist in gewisser Hinsicht schwieriger 
als die Einweihung der Antike. Das hangt zusammen mit dem We- 
sen und der Mission des Christentums, das in die Welt kam zu der 
Zeit, in welcher der Mensch den tiefsten Abstieg in die Materie voll- 
zog. Dieser Abstieg mufi ihm ein neues Bewufitsein verleihen, aber 
aus dieser Tiefe, aus dieser materiellen Dichte aufzusteigen, fordert 
von ihm eine groftere Anstrengung und macht die Einweihung 
schwieriger. Deshalb fordert der christliche Meister von seinem 
Schiiler einen hoheren Grad von Demut und von Devotion. 

Die christliche Einweihung hat immer in sieben Stufen bestan- 
den. Vier davon entsprechen vier Stationen des Kalvarienberges. Es 
sind folgende: 

Erstens: Die Fufiwaschung 

Zweitens: Die Geifielung 

Drittens: Die Dornenkronung 

Viertens: Die Kreuztragung 

Fiinftens: Der mystische Tod 

Sechstens: Die Grablegung 

Siebentens: Die Auferstehung 
Die Fufiwaschung ist eine vorbereitende Ubung rein moralischer 
Natur. Sie bezieht sich auf die Szene, wo Christus vor dem Osterfest 
den Jiingern die FiilSe wascht (Joh.-Ev. 13). «Wahrlich, wahrlich, ich 
sage euch: Der Knecht ist nicht grofier denn sein Herr, noch der 
Apostel grofier denn der, der ihn gesandt hat.» Die Theologie gibt 



diesem Akt eine rein moralische Interpretation und sieht darin 
lediglich ein Beispiel tiefer Demut und absoluter Unterwerfung des 
Meisters unter seine Schiiler und unter sein Wirken. Das sehen auch 
die Rosenkreuzer darin, aber in einem viel tieferen Sinn, der die 
Evolution aller Wesen in der Natur einbezieht. Es ist eine Anspie- 
lung auf das Gesetz, daft das Obere das Produkt des Unteren ist. Die 
Pflanze konnte zum Stein sagen: Ich stehe iiber dir, denn ich habe 
das Leben, das du nicht hast, aber ohne dich konnte ich nicht existie- 
ren, denn aus dir ziehe ich die Safte, die mich ernahren. - Und das 
Tier konnte zur Pflanze sagen: Ich stehe iiber dir, denn ich habe 
Empfindung, Leidenschaften, Willensregungen, die du nicht hast, 
aber ohne die Nahrung, die du mir gibst, ohne deine Blatter, Graser 
und Friichte, konnte ich nicht leben. - Und der Mensch miiftte zu 
den Pflanzen sagen: Ich stehe iiber euch, aber ich verdanke euch den 
Sauerstoff, den ich atme. Er miiftte zu den Tieren sagen: Ich habe 
eine Seele, die ihr nicht habt, aber wir sind Briider und Gefahrten, 
und wir Ziehen uns empor in der allgemeinen Evolution. - Der eso- 
terische Sinn der Fuftwaschung ist also, daft der Christus Jesus, der 
Messias, der Sohn Gottes, nicht sein konnte ohne die Apostel. 

Der Schiiler, der iiber dieses Thema wahrend Monaten und 
manchmal jahrelang meditiert hat, erlebt die Vision der Fuft- 
waschung auf dem astralen Plan wahrend des Schlafes. Alsdann 
kann er aufsteigen zum zweiten Grad der christlichen Einweihung: 

Die Geiftelung: Auf dieser Stufe lernt der Mensch der Geiftel des 
Lebens zu widerstehen. Das Leben bringt uns Leiden aller Art: phy- 
sische und moralische, intellektuelle und geistige. In dieser Phase 
empfindet der Schiiler das Leben wie eine schreckliche und unauf- 
horliche Tortur. Er muft sie ertragen mit einem vollkommenen 
Gleichmut der Seele und stoischem Mut. Er darf keine Furcht mehr 
kennen, sei sie physischer oder moralischer Art. Ist er furchtlos ge- 
worden, dann sieht er im Traum die Szene der Geiftelung. Im Ver- 
lauf einer anderen Vision sieht er sich selbst anstelle von Christus 
gegeiftelt. Dieses Ereignis ist von bestimmten korperlichen Sympto- 
men begleitet und iibertragt sich durch eine Steigerung des ganzen 
Empfindungsvermogens auf das gesamte Lebens- und Liebegefiihl. 



Ein Beispiel dieser in das Verstandesleben iibertragenen iiber- 
scharfen Empfindungsfahigkeit findet sich im Leben Goethes. Nach 
langen osteologischen Studien iiber das Skelett des Menschen und das 
Skelett der Tiere wie auch nach vergleichenden Beobachtungen kam 
Goethe zum Schluft, daft der Zwischenkieferknochen beim Men- 
schen existieren miisse. Vor ihm leugnete man, daft sich im Oberkie- 
fer des Menschen der Zwischenkieferknochen finden lasse. Er erzahlt 
selbst, daft er einen Freudensprung machte und in eine Art Ekstase 
geriet, als er entdeckte, daft dieser Knochen tatsachlich im mensch- 
lichen Kief er existiert, sichtbar noch durch eine Naht. Er nennt es sel- 
ber eines der wundersamsten Ereignisse seines Lebens. Dasselbe Ge- 
fiihl hatte Goethe wahrend seiner Italienreise, als ihm angesichts der 
Uberreste eines Schopsenschadels jene andere Idee kam, die noch 
wunderbarer fur die menschliche Evolution war - eine Idee, die man 
gleicherweise esoterisch und darwinistisch nennen konnte: daft nam- 
lich das menschliche Gehirn, Zentrum der Vernunft - vorgelagert ist 
ihm das Kleinhirn, Zentrum der Willensbewegungen -, eine Bltite 
und eine Entfaltung des Ruckenmarks ist, wie die Bliite eine Entfal- 
tung und Synthese der Wurzel und des Stengels ist. Wodurch machte 
Goethe diese wunderbaren Entdeckungen, die ihm allein schon die 
Unsterblichkeit sichern wiirden? Gewift durch seinen hohen Ver- 
stand, aber auch durch seine lebendige und tiefe Sympathie mit alien 
Wesen und mit der ganzen Natur. Diese Empfindsamkeit ist eine Ver- 
feinerung und Erweiterung der Lebens- und Liebeskrafte. Sie ent- 
spricht dem zweiten Grad der christlichen Einweihung und ist das 
Resultat der Priifung der Geiftelung. Der Mensch erwirbt ein Gefiihl 
der Liebe fiir alle Wesen, das ihn im Inneren der Natur leben laftt. 

Die Dornenkronung: Hier muft der Mensch lernen, der Welt zu 
trotzen, moralisch und intellektuell, Verachtung zu ertragen, wenn 
man das, was ihm am teuersten ist, angreift. Er muft aufrecht bleiben 
konnen, wenn alles ihn zu Boden driickt; ja sagen konnen, wenn alle 
Welt nein sagt. Das gilt es zu lernen, bevor man weitergeht. Ein 
neues Symptom bietet sich jetzt dar, die Unterscheidungsgabe oder 
vielmehr die Fahigkeit, augenblicklich drei Krafte auseinanderzu- 
halten, die beim Menschen immer miteinander verbunden sind: 



Wollen, Fiihlen, Denken. Man raufi lernen, sie nach Belieben zu 
trennen oder zu vereinigen. Solange zum Beispiel ein aufieres Ereig- 
nis uns vor Begeisterung aufier uns bringt, sind wir nicht reif, denn 
dieser Enthusiasmus, ausgelost durch das Ereignis, kommt nicht 
von uns und kann sogar einen erschiitternden EinfluE auf uns aus- 
iiben, dessen wir nicht Herr sind. Die Begeisterung des Schiilers soli 
ihren Ursprung einzig in den Tiefen des mystischen Lebens finden. 
Es gilt also leidenschaftslos zu bleiben gegeniiber jedem Ereignis, 
welcher Art es auch sei. Einzig auf diese Weise erlangt man die 
Freiheit. Diese Trennung zwischen Gefuhl, Verstand und Willen 
ruft im Gehirn eine Veranderung hervor, die charakterisiert ist durch 
die Dornenkronung. Damit sie sich gefahrlos vollziehen kann, ist es 
notig, da£ die Personlichkeitskrafte geniigend geschult und voll- 
kommen ausgeglichen sind. Verhalt es sich nicht so, oder hat der 
Schiiler einen schlechten Fiihrer, kann diese Veranderung den 
Wahnsinn entziinden. Der Wahnsinn beruht namlich auf nichts an- 
derem als dieser Spaltung, die sich auEerhalb des Willens vollzieht, 
ohne dafi die Einheit durch innere Willenskraft wieder hergestellt 
werden kann. Im Gegensatz dazu iibt der Schiiler, diese Spaltung 
verschwinden zu lassen, wenn er es will. Ein Blitz von seinem Willen 
stellt das Band zwischen den Organen und Funktionen seiner Seele 
wieder her, wahrend der Rifi bei dem Verriickten unheilbar werden 
und eine Schadigung im Zentralnervensystem herbeifiihren kann. 

Im Verlauf der Etappe, die man in der christlichen Einweihung 
die Dornenkronung nennt, tritt ein furchteinflofiendes Phanomen 
auf, das die Bezeichnung «Hiiter der Schwelle» tragt und das man 
auch die Erscheinung des Doppelgangers nennen konnte. Das geisti- 
ge Wesen des Menschen, gebildet aus seinen Willensstromungen, 
seinen Wunschen und seinen Verstandesfahigkeiten, erscheint als- 
dann dem Eingeweihten als Bild im Traumbewufksein. Und dieses 
Bild ist manchmal abstofiend und Schrecken einflofiend, denn es ist 
ein Ergebnis seiner guten und schlechten Eigenschaften und seines 
Karma; von diesem allem ist es die bildhafte Personifikation auf dem 
Astralplan. Das ist der schlimme Fahrmann im Totenbuch der 
Agypter. Der Mensch mufi ihn besiegen, um sein hoheres Ich zu 



finden. Der Hiiter der Schwelle, ein Phanomen des hellsichtigen 
Schauens bis in die altesten Zeiten hinein, ist der eigentliche Ur- 
sprung all der Mythen iiber den Kampf des Helden mit dem Un- 
geheuer, des Perseus und des Herakles mit der Hydra, des heiligen 
Georg und des Siegfried mit dem Drachen. 

Der vorzeitige Eintritt der Hellsichtigkeit und die plotzliche Er- 
scheinung des Doppelgangers oder des Hiiters der Schwelle kann 
denjenigen, der nicht alle Vorbereitungen befolgt und alle dem 
Schiiler auferlegten Vorsichtsmafinahmen wahrgenommen hat, zum 
Wahnsinn fiihren. 

Die Kreuztragung bezieht sich wiederum symbolisch auf eine 
seelische Tugend. Diese Tugend, die darin besteht, die Welt gewis- 
sermafien im Bewufitsein zu tragen, wie Atlas die Welt auf seiner 
Schulter trug, konnte man nennen: das Geftihl der Einswerdung mit 
der Erde und mit allem, was sie in sich birgt. Man nennt es in der 
ostlichen Einweihung: das Ende des Gefiihls der Trennung. 

Die Menschen, insbesondere der moderne Mensch, identifizieren 
sich im allgemeinen mit ihrem Korper. Spinoza nennt in seiner 
«Ethik».die erste fundamentale Idee des Menschen: die Idee des Kor- 
pers in Tatigkeit. Der Schiiler raufi den Gedanken in sich pflegen, daft 
sein Korper in der Gesamtheit der Dinge nicht wichtiger ist als irgend- 
ein anderer Korper, sei es nun der eines Tieres, einTisch oder ein Snick 
Marmor. Das Ich endet nicht an der Haut: es ist eins mit dem ganzen 
Weltenleben wie unsere Hand mit dem Ganzen unserer Leiblichkeit. 
Was ware die Hand fur sich allein? Ein Fetzen! Was ware der mensch- 
liche Korper ohne die Erde, auf der er steht, ohne die Luft, die er at- 
met? Er wiirde sterben, denn er ist nur ein kl eines Teilchen dieser Erde 
und ihrer Atmosphare. Aus diesem Grunde mufi der Schiiler sich in 
jedes Wesen versenken und mit dem Geist der Erde einswerden. 

Wiederum ist es Goethe, der eine grandiose Beschreibung dieser 
Stufe im ersten Teil seines «Faust» gegeben hat, wo der Erdgeist, den 
Faust beschwort, ihm erscheint und spricht: 
In Lebensfluten, im Tatensturm 
Wall' ich auf und ab, 
Webe hin und her! 



Geburt und Grab, 
Ein ewiges Meer, 
Ein wechselnd Weben, 
Ein gliihend Leben; 

So schaff 1 ich am sausenden Webstuhl der Zeit 
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid. 

Sich mit alien Wesen eins fiihlen, bedeutet nicht, seinen Korper ver- 
achten, sondern ihn wie einen aufteren Gegenstand tragen, so wie 
der Christus sein Kreuz trug. Der Geist soil den Leib tragen, wie die 
Hand den Hammer halt. Alsdann kommen dem Schiller die okkul- 
ten Krafte zum Bewufksein, die in seinem Korper schlummern. So 
kann er im Verlauf seiner Meditation die Stigmata auf seiner Haut 
hervorrufen. Das ist dann das Zeichen, dafi er reif ist fur die fiinfte 
Stufe, wo sich ihm in einer plotzlichen Erleuchtung enthullt: 

Der mystische Tod: Wahrend er den grofken Leiden ausgesetzt 
ist, sagt sich der Schuler: Ich erkenne, dafi die ganze Sinneswelt nur 
eine Illusion ist. Er hat wahrhaftig das Gefuhl, zu sterben und in die 
Finsternis hinunterzusinken. Dann aber sieht er, wie die Finsternisse 
zerreifien und ein neues Licht erscheint: das Astrallicht erglanzt. 
Das ist das Zerreiften des Vorhangs im Tempel. Dieses Licht hat 
nichts gemein mit dem Licht der Sonne. Es spriiht hervor jenseits 
der Dinge und des Menschen. Die Empfindung, die es verursacht, 
ahnelt in nichts derjenigen des aufieren Lichtes. Gebrauchen wir, um 
uns eine Vorstellung davon zu verschaffen, den folgenden Vergleich: 
Man stelle sich vor, man entf erne sich von einer larmenden Stadt und 
dringe in einen dichten Wald ein. Nach und nach verstummen die 
Gerausche, und die Stille wird vollkommen. SchlieElich fangt man 
an zu bemerken, was jenseits der Stille ist, den Nullpunkt zu iiber- 
schreiten, wo jeder aufiere Laut erstorben ist. Der Laut kehrt von 
der anderen Seite des Lebens fur das innere Ohr zuriick. So nimmt 
sich die Erfahrung aus, welche die Seele erlebt, wenn sie in die 
Astralwelt eindringt. Sie steht in Beriihrung mit der inneren Eigen- 
schaft der Dinge, die sie kennt - so wie man jenseits der Null in eine 
wachsende Reihe negativer Zahlen eintritt. 



Man mull alles verloren haben, um alles wieder zu gewinnen, 
auch seine eigene Existenz. Aber in dem Moment, wo man alles ver- 
liert, scheint es, daft man sich selbst abstirbt und aufterhalb seiner 
selbst zu leben beginnt. Das ist der mystische Tod. Hat man ihn 
hinter sich gebracht, so ist der Zeitpunkt gekommen fur: 

Die Grablegung: Da fiihlt der Mensch sich durchdrungen von 
dem Gefiihl, daft ihm sein eigener Korper fremd geworden ist und 
daft er vollig eins ist mit dem Planeten. Er ist mit der Erde ver- 
schmolzen und findet sich wieder im Leben des Planeten. 

Die Auferstehung: Es ist ein unaussprechliches Gefiihl, das man 
unmoglich beschreiben kann, es sei denn als «im Innersten des Hei- 
ligtums». Denn fur diese letzte Stufe fehlen alle Worte, fehlt jeder 
Vergleich. Auf dieser Stufe angekommen, empfangt man die Gabe 
der Heilung. Man muft aber hinzufiigen, daft derjenige, der sie 
erhalt, gleichzeitig auch die gegenteilige Fahigkeit erhalt: krank zu 
machen, denn das Negative begleitet stets das Positive. Daher die 
grofte Verantwortung, die mit dieser Fahigkeit verbunden ist und 
die man so charakterisieren kann: das schopferische Wort entstromt 
der Seele im Feuer. 



KOSMOGONIE 

Neunter Vortrag, Paris, 2. Juni 1906 

Was hat man unter dem Astralplan, der anderen Welt, zu verstehen? 
Man unterscheidet im Okkultismus drei Welten: Erstens die phy- 
sische Welt - die Welt in der wir leben. Zweitens die Astralwelt. Sie 
enthalt einen Bereich, der dem Fegefeuer entspricht. Drittens die 
geistige oder, nach der Bezeichnung im Sanskrit, die devachanische 
Welt. Sie entspricht dem christlichen Himmel. 

Es gibt auch noch andere Welten diesseits und jenseits von diesen, 
mit denen wir uns aber in diesen Vortragen nicht beschaftigen wol- 
len. Sie befinden sich aufterdem jenseits aller menschlichen Wahr- 
nehmung. Nur die allergroftten Eingeweihten konnen eine entfernte 



Ahnung von ihnen haben. Hier wollen wir uns nur mit der planeta- 
rischen Evolution innerhalb unseres Sonnensystems beschaftigen. 

Der physische Plan schliefk uns in die kurze Daseinsspanne ein, 
die zwischen Leben und Tod verlauft. Zwischen zwei Verkorperun- 
gen bewegen wir uns auf dem Astralplan und im Devachan. Aber der 
Wesenskern des Menschen bleibt unveranderlich. Er wird wiederge- 
boren, doch nicht in alle Ewigkeit, denn der Rhythmus von Verkor- 
perung und Wiederverkorperung hat einmal begonnen und wird 
auch wieder enden. Der Mensch hat einen Ursprung und ein Ziel. 

Die Astralwelt ist kein Ort, sondern ein Zustand. Sie umgibt uns, 
wir lassen uns standig von ihr auf dieser Erde umspiilen. Wir leben 
in ihr wie die Blindgeborenen, die sich tastend vorwartsbewegen. 
Gebt ihnen das Augenlicht durch eine Operation: sie werden weiter 
in den gleichen Raumen sein, aber sie werden darin zum ersten Mai 
Farben und Formen wahrnehmen. 

Ebenso offnet sich die Astralwelt durch die Hellsichtigkeit. Es ist 
dies ein anderer Bewufitseinszustand. In den wissenschaftlichen Ar- 
beiten Goethes findet sich eine bemerkenswerte Stelle iiber das We- 
sen des Lichts, betrachtet als Sprache der Natur. «Eigentlich», so au- 
fiert er sich, «unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges aus- 
zudriicken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollstandige 
Geschichte dieser Wirkungen umfafite wohl allenfalls das Wesen je- 
nes Dinges. Vergebens bemiihen wir uns, den Charakter eines Men- 
schen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten 
zusammen, und ein Bild seines Charakters wird uns entgegentreten. 

Die Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden. In diesem 
Sinne konnen wir von denselben Aufschliisse iiber das Licht erwar- 
ten. Farben und Licht stehen zwar untereinander in dem genauesten 
Verhaltnis, aber wir rmissen uns beide als der ganzen Natur ange- 
horig denken; denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des 
Auges besonders offenbaren will. 

Eben so entdeckt sich die ganze Natur einem andern Sinne. Man 
schliefie das Auge, man scharfe das Ohr, und vom leisesten Hauch 
bis zum wildesten Gerausch, vom einfachsten Klang bis zur hoch- 
sten Zusammenstimmung, von dem heftigsten leidenschaftlichen 



Schrei bis zum sanftesten Worte der Vernunft ist es nur die Natur, 
die spricht, ihr Dasein, ihre Kraft, ihr Leben und ihre Verhaltnisse 
offenbart, so daft ein Blinder, dem das unendlich Sichtbare versagt 
ist, im Horbaren ein unendlich Lebendiges fassen kann. 

So spricht die Natur hinabwarts zu andern Sinnen, zu bekannten, 
verkannten, unbekannten Sinnen; so spricht sie mit sich selbst und zu 
uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksamen ist sie 
nirgends tot noch stumm; ja, dem starren Erdkorper hat sie einen 
Vertrauten zugegeben, ein Metall, an dessen kleinsten Teilen wir das- 
jenige, was in der ganzen Masse vorgeht, gewahr werden sollten.» 

Versuchen wir nun also die Astralwelt zu beschreiben. Da muft 
man sich an eine ganze andere Art des Sehens gewohnen. 

Das erste, woriiber man sich Rechenschaft geben mufi, das ist, 
daft sie uns alles, was existiert, wie in einem Spiegel zeigt, daft also 
alles umgekehrt ist. Liest man also die Zahl 365 im Astrallicht, so 
muft man sie von hinten her lesen: 563. Spielt sich ein Ereignis vor 
uns ab, so geschieht es in der umgekehrten Reihenfolge, die es auf 
der Erde hat. In der Astralwelt kommt die Ursache nach der Wir- 
kung, wahrend in unserer Welt die Wirkung nach der Ursache 
kommt. In der Astralwelt erscheint die Wirkung als die Ursache. 
Das beweist, daft die Wirkung und die Ursache identische Dinge 
sind, wirksam im umgekehrten Sinn, je nach der Lebenssphare, in 
der wir uns befinden. Das Hellsehen lost also auf experimentellem 
Wege das teleologische Problem, das keine Metaphysik durch den 
abstrakten Gedanken losen konnte. 

Eine andere Anwendung dieser gegensatzlichen Entsprechung 
der Dinge auf dem Astralplan besteht darin, daft sie den Menschen 
lehrt, sich selbst zu erkennen. Die Gefuhle und die Leidenschaften 
driicken sich auf diesem Plan durch pflanzliche und tierische For- 
men aus. Wenn der Mensch beginnt, seine Leidenschaften auf dem 
Astralplan wahrzunehmen, sieht er sie in tierischen Gestalten, aber 
diese Gestalten, die von ihm ausgehen, sieht er im umgekehrten Sin- 
ne: als ob sie ihn anspringen wiirden. Das kommt daher, daft er im 
Zustand des Bild-Erlebens schon aufterhalb seiner selbst ist; anders 
konnte er nicht sich selbst sehen. Hier allein, auf dem Astralplan, 



lernt der Mensch sich wahrhaft erkennen, indem er die Bilder seiner 
Leidenschaften betrachtet im Bilde von Tieren, die sich auf ihn stiir- 
zen. So erscheint ein Haftgefiihl, das man gegen ein Wesen der Au- 
ftenwelt gehegt hat, als ein Damon, der sich auf uns stiirzt. 

Diese astrale Kenntnis, die man von sich selbst erhalt, stellt sich in 
anormaler Weise bei denen ein, die an seelischen Krankheiten leiden, 
durch die sie sich ohne Unterlaft von tierhaften Wesen, von verzerr- 
ten Gestalten verfolgt sehen. Sie ahnen nicht, daft, was sie sehen, nur 
der Reflex ihrer Emotionen und Leidenschaften ist. 

Die echte Initiation verursacht keine psychische Stoning, aber der 
vorzeitige, plotzliche Einbruch der Astralwelt in den menschlichen 
Organismus kann den Wahnsinn hervorrufen. Denn im Zustand des 
Hellsehens lost sich der Mensch von seinem physischen Korper. Von 
daher konnen Gefahren fiir Verstand und Gehirn desjenigen erwach- 
sen, dem das seelische Gleichgewicht und die notige Schulung fehlen. 

Der ganze rosenkreuzerische Einweihungsweg beruhte auf einer 
Schulung, die gerade darauf abzielte, den Menschen sich selbst ge- 
geniiber objektiv zu machen, ihm ein objektives Ich heranzubilden. 
Sie beginnt damit: sich selbst objektiv zu sehen. Diese Vorstellung 
seiner selbst erlaubt es, daft der Astralleib sich aus dem physischen 
Leib herauslost. 

Was ereignet sich im Augenblick des Todes? Wenn nach dem Tod 
der Atherleib, der Astralleib und das Ich des Menschen sich vom 
physischen Leib abgelost haben, bleibt in der physischen Welt einzig 
der Leichnam zuriick. Kurz darauf bilden der Atherleib und der 
Astralleib noch ein Ganzes. Der Atherleib driickt in den Astralleib 
die ganze Erinnerung an das zuriickgelegte Leben ab, dann lost er 
sich langsam in sein Element auf, und der Astralleib geht allein in die 
Astralwelt ein. 

Der Astralleib birgt nun in sich alle im Leben erzeugten Wiin- 
sche, ohne die Mittel, sie zu befriedigen, da ein physischer Leib nicht 
mehr vorhanden ist. Das erzeugt in ihm das Gefiihl eines verzehren- 
den Durstes. Daher riihrt in der griechischen Mythologie das Bild 
von den Qualen des Tantalus. Man hat auch die Empfindung von 
einer Feuersglut, in die man getaucht ist. Dem entspricht die Gehen- 



na, das Fegefeuer. Die Idee vom Feuer, vom Purgatorium, iiber das 
die Materialisten spotten, driickt wahrheitsgemafi den subjektiven 
Zustand des Menschen nach dem Tode aus. Im Gegensatz dazu gibt 
der Durst nach nicht vollbrachter Tat der Seele ein Kaltegefuhl. 
Der tatsachliche Zustand driickt sich aus in der Kalte, die der Seele 
entstromt. Es ist die Kalte, die geboren ist aus den auf Erden nicht 
verwirklichten Taten. Dies verspiiren auch die Spiritisten in ihren 
medialen Sitzungen. Die an diesen Astralleib gebundene Seele muE 
sich von ihren physischen Relikten losen und sich neue Organe er- 
werben, um in der Astralwelt leben zu lernen. 

Deshalb beginnt sie nun, ihr Leben von riickwarts her aufzurol- 
len: vom Ende her bis zur Kindheit. Erst dann, wenn sie im Riick- 
blick auf ihr Leben bis zur Geburt durch das reinigende Feuer 
durchgegangen ist, ist sie reif fur die geistige Welt, fiir Devachan. 
Das ist der Sinn des Christus-Wortes zu den Aposteln: «Wahrlich, 
ich sage euch: es sei denn, daft ihr euch umkehret und werdet wie die 
Kinder, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel kommen.» 

Wenn der Mensch herabsteigt, um sich auf der Erde zu inkarnie- 
ren, wird er durch sein eigenes Verlangen getrieben, und dies Verlan- 
gen hat seinen guten Grund. Es ist die Absicht, zu lernen. Wir lernen 
durch alle unsere Erfahrungen, und wir bereichern unseren Erfah- 
rungsschatz. Aber damit der Mensch auf der Erde lernen kann, wird 
er notwendigerweise durch den Sinnengenufi angezogen. 

Wenn nun die Seele, nach dem Tode auf dem Astralplan ange- 
kommen, ihr Leben nach riickwarts durchlebt, handelt es sich im 
Gegenteil darum, den Sinnengenufi hinter sich zu lassen und einzig 
die Erfahrung zu verarbeiten. Ihr Durchgang durch den Astralplan 
ist also eine Reinigung, durch welche sie das Hangen an den phy- 
sischen Geniissen verliert. 

Das ist die Reinigung im Kamaloka der Inder, im verzehrenden 
Feuer. Der Mensch mufi sich abgewohnen, einen Korper zu haben. 

Der Tod erzeugt in ihm zuerst die Wirkung einer ungeheuren Leere. 
Bei gewaltsamem Tod und bei Selbstmord sind diese Gefiihle der Leere, 
des Durstes und des Brennens noch viel schrecklicher. Der Astralleib, 
nicht dazu vorbereitet, aufterhalb des physischen Leibes zu leben, reiftt 



sich unter Schmerzen von ihm los, wahrend beim natiirlichen Tode der 
reif gewordene Astralleib sich leicht lost. Beim gewaltsamen Tod, der 
nicht vom Willen des Menschen verursacht ist, ist die Loslosung immer- 
hin weniger schmerzhaft als im Fall des Selbstmords. 

Es kann auch wahrend des Lebens eine Art geistigen Todes vor- 
kommen, der durch die verfriihte Trennung von Geist und Korper 
verursacht wird, wenn Astralplan und physischer Plan durcheinan- 
der geraten. Nietzsche ist ein Beispiel dafur. In seiner Schrift «Jen- 
seits von Gut und B6se» hat Nietzsche, ohne es zu wissen, den 
Astralplan auf den physischen Plan heruntergeholt. Daraus entstand 
eine Verwirrung und Umkehrung aller Begriffe und in der Folge 
Irrtum, Wahnsinn und Tod. 

Der dammerhafte Zustand einer groEen Zahl von Medien ist ein 
analoges Phanomen. Unfehlbar verliert das Medium die Orien- 
tierung zwischen den verschiedenen Welten und kann nicht mehr 
zwischen Wahr und Falsch unterscheiden. 

Die Luge auf dem physischen Plan wird zur Zerstorung auf dem 
Astralplan. Die Luge ist ein Mord auf dem Astralplan. Dieses Pha- 
nomen ist der Ursprung der schwarzen Magie. Das Gebot auf dem 
physischen Plan: Tote nicht! - lalk sich daher fur den Astralplan 
iibersetzen: Luge nicht! - Auf dem physischen Plan ist die Luge nur 
ein Wort, eine Vorstellung, eine Illusion. Sie kann viel Unheil 
anrichten, aber sie zerstort nichts. Auf dem Astralplan sind alle Ge- 
fuhle, alle Gedanken sichtbare Gebilde, lebendige Krafte. Auf dem 
Astralplan fiihrt die Luge einen ZusammenstoE zwischen der 
falschen und der wahren Form herbei; sie toten sich gegenseitig. 

Der weifie Magier will den anderen Seelen das geistige Leben 
geben, das er in sich selbst tragt. Der Schwarzmagier diirstet danach, 
zu toten, Leere um sich her zu schaffen in der Astralwelt, weil diese 
Leere um ihn her das Feld fur ihn schafft, auf dem er seine egoisti- 
schen Leidenschaften entfalten kann. Dazu bedarf er der Kraft, 
derer er sich bemachtigt, indem er die Lebenskraft alles Lebendigen 
an sich reifk, das heilk, indem er totet. 

Deshalb lautet das erste Gesetz der schwarzen Magie: Man mud 
das Leben besiegen. Daher lehrt man in gewissen schwarzmagischen 



Schulen die Schiiler die abscheuliche, grausame Praktik, lebenden 
Tieren Messerstiche zu versetzen, mit genauer Angabe der Korper- 
stelle des Tieres, die in dem, der das Opfer vollzieht, diese oder jene 
Kraft erwachsen laftt. Aufierlich gesehen, kann man Gemeinsamkei- 
ten zwischen der schwarzen Magie und der Vivisektion konstatie- 
ren. Die heutige Wissenschaft ist infolge ihres Materialismus auf die 
Vivisektion angewiesen. Die Gegenstromung gegen die Vivisektion 
entspringt tief moralischen Griinden. Aber man wird in der Wissen- 
schaft so lange nicht zur Abschaffung der Vivisektion gelangen, als 
die Medizin nicht das hohere Schauen wiedergewonnen hat. Nur 
weil sie die Hellsichtigkeit verloren hat, hat die Medizin zur Vivi- 
sektion ihre Zuflucht nehmen miissen. Wenn wir aufs neue die 
Astralwelt erobert haben werden, die sich von uns zuriickgezogen 
hat, wird die Hellsichtigkeit dem Arzt gestatten, sich auf geistige 
Weise in den inneren Zustand der kranken Organe zu versenken, 
und die Vivisektion wird als iiberfliissig unterlassen werden. 

Die Erkenntnis des Lebens in der Astralwelt wird uns zu der 
grundlegenden Erkenntnis fuhren, daft die physische Welt das 
Produkt der astralen Welt ist. 

Man kann ein Beispiel unter tausenden anfiihren. Es ist genom- 
men aus der Wechselbeziehung der menschlichen Sunden und der 
Ereignisse in der Astralwelt, ebenso wie der Riickwirkung der in der 
Astralwelt verursachten Sunden auf die Erdenwelt: die Epidemien, 
die hauptsachlich im Mittelalter wuteten. Der Aussatz ist das Resul- 
tat des Schreckens, der durch die Einfalle der Hunnen und der asia- 
tischen Horden in der europaischen Bevolkerung ausgelost wurde. 
In der Tat waren die mongolischen Volkerschaften, Nachkommen 
der Atlantier, Trager von Niedergangskeimen. Die Beriihrung mit 
ihnen rief zuerst als moralischen Defekt die Furcht im menschlichen 
Astralleib hervor; die Substanz des Astralleibes zersetzte sich, und 
dieses Feld der seelischen Zersetzung wurde eine Art Nahrboden, 
auf dem sich die Bakterien entwickelten, die auf der Erde Krank- 
heiten wie den Aussatz hervorriefen. 

Was wir heute von uns auf den Astralplan abwalzen, erscheint 
morgen auf dem physischen Plan. Was wir so auf dem Astralplan 



saen, ernten wir auf Erden in kiinftigen Zeiten. Wir ernten demnach 
heute die Friichte der engstirnigen materialistischen Mentalitat, die 
unsere Vorfahren auf dem Astralplan gesat haben. 

Man kann daraus die fundamentale Bedeutung geistiger Wahrhei- 
ten ersehen. Wiirde die Wissenschaft die Gaben der Geisteswissen- 
schaft, und sei es nur als Hypothesen, annehmen, die Welt wiirde 
sich verandern. Der Materialismus hat den Menschen in derartige 
Finsternisse versinken lassen, daft es eines unerhorten Kraftaufwan- 
des bedarf, um die Menschheit daraus herauszuziehen. Der Mensch 
gerat unter den Einflufi von Erkrankungen des Nervensystems, die 
sich zu wahren psychischen Epidemien auswachsen. Was wir auf der 
Erde Gefiihl nennen und was sich auf dem Astralplan findet, das 
kommt auf die Erde zuriick als Realitat, als tatsachliches Ereignis. 
Vom Astralplan kommen die nervosen Storungen, welche die 
Menschen erschopfen. 

Aus diesem Grunde hat die okkulte Bruderschaft sich entschlos- 
sen, offen aufzutreten und die verborgenen menschlichen Wahrhei- 
ten zu enthiillen. Denn die Menschheit geht durch eine Krise, und 
sie bedarf der Hilfe, um die Gesundheit, das Gleichgewicht zurikk- 
zuerobern. Und diese Gesundheit, dieses Gleichgewicht, sie konnen 
nur durch die Geisteswissenschaft zunickgewonnen werden. 



KOSMOGONIE 
Zehnter Vortrag, Paris, 6. Juni 1906 

Dem Okkultisten geht es niemals darum, Dogmen aufzustellen. Er 
erzahlt, was er gesehen hat, was er erforscht hat auf dem astralen 
Plan und auf dem geistigen Plan, oder was Meister, die als solche von 
ihm erkannt sind, ihm enthiillt haben. Er hat nicht den Ehrgeiz, zu 
bekehren, sondern er will den in ihm selbst erweckten Sinn auch bei 
anderen erwecken und sie fahig machen, ebenfalls zu schauen. 

Es soil hier die Rede sein von dem astralischen Menschen, wie er 
dem hellsichtigen Schauen erscheint. Der Astralmensch umschliefit 



die ganze seelische Welt der Empfindungen, der Leidenschaften, 
Emotionen und Triebe. Sie zeigen sich fur den inneren Sinn in 
Formen und Farben. Der Astralleib selbst ist ein wolkenahnliches 
eiformiges Gebilde, das den Menschen umfliefk und einhiillt. Wir 
konnen es innerlich wahrnehmen. 

Beim physischen Menschen handelt es sich darum, den Stoff und 
die Form ins Auge zu fassen. Der Stoff erneuert sich innerhalb von 
sieben Jahren, die Form bleibt erhalten. Denn hinter dem Stoff lichen 
steht ein iibersinnlicher Baumeister. Dieser Baumeister ist der 
Atherleib. Ihn sehen wir nicht, wir sehen nur sein Werk, den Leib. 
Das physische Auge sieht im Organismus nur, was abgeschlossen 
und nicht das, was im Zustand des Werdens ist. 

Das Gegenteil ist der Fall, wenn man die Imagination vom 
Astralleib hat, das heifit von seinem eigenen Astralleib. Wir emp- 
finden ihn von innen durch unsere Leidenschaften und die verschie- 
denen Seelenregungen. 

Die Fahigkeit des Hellsehers besteht nun darin: von aufien sehen 
zu lernen, was wir im gewohnlichen Leben von innen fiihlen. Dann 
iibertragen sich Empfindungen, Leidenschaften und Gedanken in 
lebendige und sichtbare Formen. Es ist das, was die Aura rings um 
die physische Hiille bildet, eine Lichtform. 

Auf die gleiche Weise, wie der Atherleib den physischen Leib 
aufbaut, gestalten die Gefiihle den Astralleib. Alles, was in der Aura 
lebt, driickt sich darin aus. Jede menschliche Aura hat ihre speziellen 
Nuancen, ihre vorherrschenden Farben. Uber dieser Grundfarbe 
spielen alle anderen Farben; so hat zum Beispiel das melancholische 
Temperament eine blaue Farbung. Aber in die Aura ergiefien sich 
von auEen her so viele verschiedene Eindriicke, dafi der Beobachter 
sich leicht tauschen kann, besonders bei Beobachtung seiner eigenen 
Aura. 

Der Hellseher sieht seine eigene Aura umgekehrt, also das Aufte- 
re als das Innere und das Innere als das Aufiere, weil er von aufien 
sieht. Was sieht er nun? 

Alle Religionsgriinder waren vollendete Hellseher und geistige 
Menschheitsfiihrer, und ihre moralischen Grundsatze wurden zu 



Lebensregeln, die durch astrale und geistige Wahrheiten bestimmt 
waren. Daraus erklaren sich die Ahnlichkeiten aller Religionen. Eine 
solche Ahnlichkeit existiert beispielsweise zwischen dem achtglied- 
rigen Pfad des Buddha und den acht Seligpreisungen des Christus. 
Beiden liegt namlich die Wahrheit zugrunde, daft der Mensch jedes- 
mal, wenn er eine Tugend entwickelt, auch eine neue Wahrneh- 
mungsfahigkeit ausbildet. Warum aber sind es gerade acht Stufen? 
Deshalb, weil es, wie der Hellseher weifi, acht Moglichkeiten zur 
Ausbildung von Hellseherorganen gibt. 

Die Wahrnehmungsorgane des Astralleibes heifien im Okkultis- 
mus Lotusblumen, heilige Rader, Chakrams. Das sechzehnspeichige 
Rad oder die sechzehnblattrige Lotusblume befindet sich in der Ge- 
gend des Kehlkopfes. In sehr alten Zeiten drehte sich diese Lotusblu- 
me in einer bestimmten Richtung, namlich entgegengesetzt der Be- 
wegung der Uhrzeiger, das heifit von rechts nach links. Beim heutigen 
Menschen steht dieses Rad still; es dreht sich nicht mehr. Aber beim 
Hellseher f angt es tatsachlich wieder an sich zu bewegen, und zwar in 
umgekehrter Richtung, von links nach rechts. Nun waren acht von 
sechzehn Blattern einst sichtbar. Die acht dazwischenliegenden wa- 
ren verborgen. In der Zukunft sollen sie alle sichtbar werden. Denn 
die ersten acht sind der unbewufiten hoheren Wahrnehmung zu ver- 
danken, die acht neuen der bewufiten, die aus der personlichen An- 
strengung entspringt. Und es sind genau diese acht neuen Blatter, 
welche die Seligpreisungen des Christus zur Entwickelung bringen. 

Der Mensch besitzt noch eine andere Lotusblume, die mit den 
zwolf Blattern. Sie hat ihren Sitz in der Herzgegend. Einst waren nur 
sechs Blatter sichtbar. Die Erwerbung von sechs Tugenden wird die 
sechs anderen Blatter in der Zukunft zur Entfaltung bringen. Diese 
sechs Tugenden sind: Gedankenkontrolle, Initiativkraft, seelisches 
Gleichgewicht, Positivitat, die erlaubt, jedem Ding die beste Seite ab- 
zugewinnen, eine von Vorurteilen freie Gesinnung und schliefilich die 
Harmonie des Seelenlebens. Alsdann werden sich die zwolf Bluten- 
blatter in Bewegung setzen. In ihnen driickt sich der heilige Charakter 
der Zwolfzahl aus, den wir wiederfinden in den zwolf Aposteln, in 
den zwolf Gefahrten des Artus - und jedesmal handelt es sich um 



Schopfertum, um Tatigkeit. Und so verhalt es sich, weil alles auf der 
Welt sich in zwolf verschiedenen Nuancen entwickelt. In Goethes 
Gedicht «Die Geheimnisse», in dem das Ideal der Rosenkreuzer sich 
ausspricht, finden wir dafiir ein neues Beispiel. Nach einer Erklarung 
des Dichters, die Goethe selbst jungen Leuten gegeben hat, reprasen- 
tiert jeder der zwolf Ritter des Rosenkreuzes eine religiose Stromung. 

Man findet gleicherweise diese Wahrheiten in den Zeichen und 
Symbolen, denn diese Symbole sind nicht willkiirliche Erfindungen, 
sondern entsprechen Realitaten. Zum Beispiel das Symbol des Kreu- 
zes, wie dasjenige der Swastika, ist die Darstellung des vierblattrigen 
Chakram des Menschen. Und die zwolfblattrige Lotusblume findet 
ihren Ausdruck im Symbol des Rosenkreuzes und der zwolf Ge- 
fahrten. Der Dreizehnte unter ihnen, der unsichtbare Gefahrte, der 
sie alle eint, das ist die Wahrheit, das einende Band aller Religionen. 
Jeder Neubeginn, jede neue religiose Offenbarung, ist ein «Drei- 
zehnter», der eine neue Synthese der zwolf Nuancen der geistigen 
Wahrheit gibt. 

Aus dieser Wahrheit spriefien die Riten und kultischen Zeremoni- 
en der Religionen hervor. Auf dem Grunde aller Riten und aller durch 
die Hellseher eingerichteten Kulte ist es die gottliche Weisheit, die 
spricht. Durch sie driickt sich die Astralwelt in der physischen Welt 
aus. Der Ritus reprasentiert wie in einem Abglanz das, was sich in den 
hoheren Welten ereignet. Diese Tatsache findet sich im Ritus der Frei- 
maurer ebenso wie in den Religionen Asiens. Bei der Geburt einer 
neuen Religion gibt ein Eingeweihter die Grundlagen, auf denen das 
Ritual des aufieren Kultus sich aufbaut. Mit der Menschheitsevolu- 
tion entwickelt sich der Ritus, lebendiges Bild der geistigen Welt, bis 
hin zu den Spharen der kiinstlerischen Produktion. Denn die Kunst 
geht gleicherweise aus der Astralwelt hervor - und der Ritus wird 
Schonheit. Das geschah bekanntlich zur Zeit der griechischen Kultur. 

Die Kunst ist ein astraler Vorgang, dessen Ursprung vergessen 
worden ist. Ein klares Beispiel dafur finden wir in den Mysterien und 
bei den Gottern der Griechen. In den Mysterien schildert der 
Hierophant die menschliche Entwickelung in ihren drei Phasen: Tier- 
mensch, eigentlicher Mensch und Gottmensch - der wahrhaf te Uber- 



mensch und nicht der falsche Ubermensch Nietzsches. In diesen drei 
Typen vermittelte er den Einzuweihenden ein lebendiges Bild, wie er 
es aus dem Astrallicht empfing. Zugleich fanden diese drei iibersinn- 
Hchen Typen ihren Ausdruck in der Dichtung und in der bildenden 
Kunst durch folgende drei Symbole: erstens den tierischen Typus, 
den Satyr; zweitens den menschlichen Typus, Hermes oder Merkur; 
drittens den gottlichen Typus, Zeus, Jupiter. Jeder von ihnen, mit al- 
lem was inn umgibt, reprasentiert einen ganzen Menschheitszyklus. 
Auf diese Weise iibertrugen die Schiiler der Mysterien in die Kunst, 
was sie im Astrallicht gesehen hatten. 

Der Hohepunkt des Menschenlebens liegt gegenwartig um das 
funfunddreiEigste Jahr herum. Warum ist das so? Warum beginnt 
Dante seine Reise mit funfunddreifiig Jahren, in der Mitte des Men- 
schenlebens? Weil zu diesem Zeitpunkt der Mensch, dessen Aktivi- 
tat bis dahin auf die Ausarbeitung der leiblichen Hiillen konzen- 
triert war, zu den geistigen Regionen aufsteigt und seine Aktivitat 
darauf verwenden kann, schauend zu werden. So wird auch Dante 
mit fiinfunddreifiig Jahren hellsehend. Zu diesem Zeitpunkt horen 
die physischen Krafte auf, den geistigen Einflufi fur sich in An- 
spruch zu nehmen. Diese vom Leiblichen frei gewordenen Krafte 
konnen sich jetzt in Hellsichtigkeit verwandeln. 

Wir beriihren hier ein tiefes Mysterium: das Gesetz der Um- 
bildung der Organe. Die ganze Entwickelung des Menschen geht 
durch eine Umbildung der Organe hindurch. Was bei ihm den hohe- 
ren Stand erreicht hat, ist das Resultat des verwandelten niedrigsten. 
So mussen auch die Fortpflanzungsorgane verwandelt werden. 

Mit der Trennung der Geschlechter hat sich auch der Astralleib 
geteilf. in eine untere Partie, die den physischen Fortpflanzungs- 
organismus hervorbringt, und eine obere Partie, die den Gedanken, 
die Imagination, das Wort entziindet. 

Das Fortpflanzungsorgan, die Zeugungskraft, und das stimm- 
liche Organ, das schopferische Wort, bildeten einst ein Ganzes. Man 
begreift das einigende Band dieser zwei Pole da, wo sie noch ein 
einziges Organ bildeten. Der negative tierische Pol und der positive 
gottliche Pol waren einst vereinigt und haben sich getrennt. 



Der dritte Logos ist die schopf erische Macht des Wortes, wie sie zu 
Beginn des Johannes-Evangeliums zum Ausdruck kommt. Sein Wi- 
derhall ist das menschliche Wort. In den alten Mythen und Legenden 
hat diese Tatsache einen tiefen Ausdruck gefunden in der Beschrei- 
bung des hinkenden Vulkan. Seine Aufgabe war, das heilige Feuer zu 
hiiten. Er hinkt, weil der Mensch bei der Einweihung etwas von sei- 
nem physischen Korper einbiifien mufi - der untere Teil des Korpers 
kommt aus einer Vergangenheit, die verschwinden mufi. Die niedere 
menschliche Natur muft fallen, um sich in der Folgezeit zu einem um 
so hoheren Grad zu erheben. So hat sich der Mensch im Laufe seiner 
Entwickelung in ein Unteres und ein Oberes gespalten. 

Auf gewissen Bildern des Mittelalters sieht man den Menschen 
durch eine Linie in zwei Teile gespalten. Die linke obere Partie und 
der Kopf sind iiber dem Strich, die rechte obere Partie und die 
untere Korperpartie sind unter dem Strich. Diese Linie zeigt die 
Vergangenheit und die Zukunft des menschlichen Korpers an. Die 
Lotusblume mit zwei Bliitenblattern befindet sich unter der Stirn an 
der Nasenwurzel. Das ist ein noch nicht entwickeltes Astralorgan, 
das sich eines Tages zu zwei Fiihlern oder Fliigeln entwickeln wird. 
Ein Symbol dafiir sieht man schon in den zwei Hornern, die sich auf 
der Stirn des Moses finden. 

Von oben nach unten gesehen, vom Kopf zum Fortpflanzungsor- 
gan, ist der Mensch zusammengesetzt und je zur Halfte wesens- 
gleich, das ist das Produkt der Vergangenheit. Von links nach rechts 
ist er symmetrisch: das ist Gegenwart und Zukunft. Aber diese 
beiden symmetrischen Partien haben nicht den gleichen Wert. 

Warum sind wir fur gewohnlich Rechtshander? Die rechte Hand, 
die von den beiden diejenige ist, die heute am aktivsten arbeitet, ist 
dazu bestimmt, sich spater zuriickzubilden. Die linke Hand ist das 
Organ, das iiberleben wird, wenn die zwei Flugel an der Stirn sich 
entwickelt haben werden. Das Gehirn der Brust wird das Herz sein, 
das ein Bewufttseinsorgan sein wird. Und es wird drei Organe fur 
die Fortbewegung geben. 

Bevor der Mensch sich aufrichtete, gab es eine Zeit, wo er auf 
alien vieren ging. Das ist der Ursprung des Ratsels, das die Sphinx 



aufgab. Sie fragte: Welches Wesen geht in seiner Kindheit auf alien 
vieren, in der Mitte seines Lebens auf zwei, im Alter auf drei Beinen? 
Odipus antwortet ihm: Das ist der Mensch, der in der Tat als Kind 
auf alien vieren geht und als Greis sich auf einen Stock stiitzt. In 
Wirklichkeit bezieht sich das Ratsel und seine Losung auf die Ent- 
wickelung der ganzen Menschheit: Vergangenheit, Gegenwart und 
Zukunft, wie man sie in den alten Mysterien kannte. Vierfufiig in 
einer verflossenen Epoche seiner Evolution, halt sich der Mensch 
heute aufrecht auf zwei Beinen. In der Zukunft wird er fliegen und 
wird sich tatsachlich dreier Hilfsmittel bedienen: Die zwei FKigel, 
die sich aus der zweiblattrigen Lotusblume entwickeln, werden das 
Organ seines Bewegungswillens sein, und aufierdem das umgewan- 
delte Werkzeug der linken Brustseite und der linken Hand. Solcher- 
art werden die Werkzeuge der zukiinftigen Fortbewegung sein. 

Ebenso wie die rechte Seite und die rechte Hand werden die ge- 
genwartigen Zeugungsorgane sich zuriickbilden, und der Mensch 
wird, wie wir es weiter oben gesehen haben, seinesgleichen durch 
das Wort hervorbringen. Sein Wort wird im Atherkorper seines- 
gleichen formen. 



KOSMOGONIE 

Elfter Vortrag, Paris, 7. Juni 1906 

Was gewohnlich nach dem Sanskrit als Devachan bezeichnet wird, 
ist der lange Zeitraum, der zwischen dem Tode eines Menschen und 
einer neuen Geburt verfliefk. Nach dem Tode lernt die Seele zuerst 
auf dem Astralplan, die an ihren Korper gebundenen Instinkte sich 
abzugewohnen. Sie geht dann liber in das Devachan, wo sie ein lan- 
ges Leben zwischen zwei Inkarnationen verbringt. Wie die Astral- 
welt ist die Welt des Devachan kein Ort, sondern ein Zustand. Sie 
umgibt uns auch noch in diesem gegenwartigen Leben, aber wir 
nehmen nichts davon wahr. Um den devachanischen Zustand ver- 



gleichsweise zu begreifen, ebenso die Einwirkungen des Devachan 
im Erdenleben und im Leben des Kosmos, wird es das beste sein, 
noch einmal vom Schlafzustand auszugehen. 

Der Schlaf ist fiir die weitaus grofke Mehrheit der Menschen ein 
ratselhafter Zustand. Im Schlaf bleibt der Atherleib des Menschen 
mit dem eingeschlafenen Korper verbunden und setzt seine vegeta- 
tive und erneuernde Arbeit fort. Aber der Astralleib und das Ich des 
Individuums losen sich von dem eingeschlafenen Korper, um ein 
selbstandiges Leben zu fiihren. 

Wahrend des Tages verzehrt unser ganzes bewufites Leben den 
physischen Leib. Vom Morgen bis zum Abend verbraucht der 
Mensch seine Kraft, der Astralleib ubermittelt dem physischen Leib 
Empfindungen und Eindriicke, die diesen verbrauchen und er- 
schopfen. In der Nacht betatigt sich der Astralleib dagegen auf eine 
ganz andere Weise. Er ubermittelt keine Eindriicke mehr von auEen, 
sondern er verarbeitet diese Eindriicke und schafft Ordnung und 
Harmonie, wo das Leben des Tages Unordnung und Disharmonie 
durch das Chaos der Wahrnehmungen geschaffen hatte. Am Tage 
verhalt sich der Astralleib also passiv; da ist er Empfanger und 
Ubermittler. In der Nacht ist seine Rolle aktiv, namlich ordnend und 
aufbauend, um die verbrauchten Krafte zu ersetzen. 

Die Beschaffenheit des Menschen in seinem gegenwartigen Zu- 
stand bringt es mit sich, dafi sein Astralleib nicht zu gleicher Zeit 
diese nachtliche Aufbauarbeit leisten und wahrnehmen kann, was 
um ihn in der Astralwelt vorgeht. Wie kann man den Astralleib von 
seiner Arbeit entlasten, um ihn fiir das Leben in der Astralwelt frei 
zu machen? 

Das Verfahren des Adepten zur Befreiung seines Astralleibes be- 
steht darin, daft er die Gefiihle und Gedanken pflegt, die schon 
durch sich selbst einen bestimmten, dem physischen Korper mitteil- 
baren Rhythmus besitzen, und auf der anderen Seite alle diejenigen 
Gefiihle und Gedanken zu vermeiden, die Unordnung und Zerriit- 
tung in ihn hineintragen. Er verschmaht es, sich extremen Freude- 
und Schmerzgefiihlen zu iiberlassen und gibt ein Vorbild fiir 
volliges seelisches Gleichgewicht. 



Ein oberstes Gesetz beherrscht die Natur, das ist der Rhythmus. 
Wenn der Mensch die zwolfblattrige Lotusblume entwickelt hat, die 
sein astrales und geistiges Wahrnehmungsorgan darstellt, kann er 
iiber seinen Korper verfiigen und ihm einen neuen Rhythmus geben, 
der die Ermiidungserscheinungen in ihm aufhebt. Dank diesem 
Rhythmus und dieser Wiederherstellung der Harmonie hat der 
Astralleib nicht mehr notig, wahrend der physische Leib schlaft, 
seine Wiederaufbauarbeit zu vollziehen, ohne welche der physische 
Leib zerfallen wiirde. 

Das ganze Tagesleben besteht durchweg in einer Zerriittung unse- 
res physischen Leibes. Alle Krankheiten haben ihren Ursprung in 
Ausschweifungen des Astralleibes. Wer zum Beispiel im Ubermaft 
ilk, erweckt in seinem Astralleib Begierden nach Geniissen, die auf 
seinen physischen Leib zerstorend zuruckwirken. Er ruiniert seinen 
Leib, um sicli chaotisierende Geniisse zu verschaffen. Das ist der 
Grund, warum gewisse Religionen das Fasten vorschreiben. Durch 
das Fasten wird der Astralleib weniger belastet, er wird ruhiger und 
lost sich teilweise vom physischen Leibe. Seine Schwingungen wer- 
den besanftigt und verschaffen dem Atherleib einen regelmaftigen 
Rhythmus. Das Fasten ermoglicht also dem Atherleib, seinen Rhyth- 
mus zu bewahren. Es bringt das Leben, namlich den Atherleib und die 
Form, das heifit den physischen Leib in Harmonie und stellt damit 
zugleich die Harmonie zwischen der Welt und dem Menschen her. 

Jetzt wollen wir sehen, welche Rolle der Astralleib wahrend des 
Schlafes spielt. Wo befindet sich wahrend dieser Zeit das Ich des 
Menschen? Genau gesprochen im Devachan. Aber im Schlaf haben 
wir keinerlei Bewufttsein. Es gilt, den traumerfullten Schlaf vom 
Tiefschlaf zu unterscheiden. Der traumerfiillte Schlaf entspricht 
dem Astralbewufksein. Der traumlose Tiefschlaf, der sich nach den 
ersten Traumen einstellt, entspricht dem Devachanzustand. Daran 
erinnern wir uns nicht, weil dieser Zustand dem gewohnlichen 
physischen Gehirn nicht bewuEt wird. Der Eingeweihte besitzt die 
Kontinuitat des Bewufkseins wahrend des Wachzustandes, des 
Schlafes mit Traumen und des traumlosen Schlafes. Er verbindet 
diese drei Zustande im Ganzen seines Daseins. 



Untersuchen wir jetzt die Situation des Menschen nach seinem 
Tode im Devachan. Nach einer bestimmten Zeit lost sich der Ather- 
leib in den Kraftstromungen des Lebensathers auf. Was ist nun die 
Aufgabe des Astralleibes und des Bewufitseins? Es handelt sich fur 
Ich und Astralleib darum, sich einen neuen Atherleib fiir die nach- 
folgende irdische Existenz aufzubauen. Der Aufenthalt im De- 
vachan ist zum Teil dem Erwerb dieser Fahigkeiten gewidmet. In 
der Tat ist die Substanz des Atherleibes wie diejenige des physischen 
Leibes nicht von Dauer. Diejenige des physischen Leibes wechselt 
dauernd, in der Weise, daft sie im Verlauf von sieben Jahren vollstan- 
dig erneuert wird. Ebenso erneuert sich die Athersubstanz, obwohl 
ihre Form und ihre Struktur einheitlich unter der Obhut des hohe- 
ren Ich bleibt. Beim Tode kehrt diese Substanz vollstandig in die 
Atherwelt zuriick, und ebensowenig wie beim physischen Leib 
bleibt etwas davon von einer Inkarnation zur anderen erhalten. Die 
aufeinanderfolgenden Inkarnationen vollziehen sich also mit jedes- 
mal vollig neuen Atherleibern, und das ist der Grund, warum die 
Physiognomie und die Leibesform von einer Inkarnation zur ande- 
ren derart wechseln. Sie hangen nicht vom Willen des Individiuums 
ab, sondern von seinem Karma, von seinem Gefiihlsleben und 
seinen unbewufken Willenstrieben. 

Ganz anders verhalt es sich bei einem Geistesschiiler, der eine 
Einweihung durchmacht. Er entwickelt seinen Atherleib schon hier 
unten in der Weise, dafi er ihm Dauer verleiht und ihn befahigt, nach 
dem Tode in das Devachan einzutreten. Er ist genugend fort- 
geschritten, um schon hier auf der Erde im Schofi seiner Atherkrafte 
den Lebensgeist zu erwecken, der eines seiner drei unverganglichen 
Wesensglieder bildet. Dieser zum Lebensgeist umgewandelte Ather- 
leib wird im Sanskrit Budhi genannt. Hat der Schiiler diesen Le- 
bensgeist erlangt, hat er es nicht mehr notig, zwischen zwei Inkarna- 
tionen seinen Atherleib vollstandig umzubilden. Er verbringt dann 
eine wesentlich kiirzere Zeit im Devachan. Daher zeigt er von einer 
Inkarnation zur anderen dieselbe Grundveranlagung, das gleiche 
Temperament, den gleichen Grundcharakter. Wenn der okkulte 
Meister es dazu gebracht hat, nicht nur seinen Atherleib, sondern 



auch noch seinen physischen Leib bewulk zu lenken, entsteht eben- 
falls ein geistiges Wesensglied, das man im Sanskrit Atma nennt, das 
heilk Geistesmensch. Auf diesem Grade angekommen, behalt der 
Eingeweihte bei jeder Inkarnation auf der Erde die Ziige seiner phy- 
sischen Erscheimmg bei. Er bewahrt sein Gesamtbewulksein beim 
Ubergang vom Erdenleben zum himmlischen Leben und von einer 
Inkarnation zur anderen. Daher stammt die Legende von den Ein- 
geweihten, die tausend oder zweitausend Jahre leben. Das heifit, dafi 
es fur sie weder ein Kamaloka noch ein Devachan gibt, sondern ein 
durchgehendes Bewufksein jenseits von Toden und Geburten. 

Man macht manchmal beziiglich der Wiederverkorperung fol- 
genden Einwand: Wenn der Mensch seine Aufgabe auf der Erde er- 
fiillt hat, so kennt er sie; warum mufi er dann wiederkommen? - Der 
Einwand ware richtig, wenn der Mensch auf dieselbe Erde wieder- 
kame. Aber da er in der Regel erst im Laufe von zweitausend Jahren 
wiederkommt, findet er eine neue Natur, eine neue Erde und 
Menschheit, denn sie haben sich entwickelt, und so kann er jedesmal 
Neues lernen und eine neue Mission erfullen. 

Diese Perioden der Erneuerung der Erde, welche fiir die Zeit der 
Wiederverkorperungen bestimmend sind, werden selbst wiederum 
bestimmt durch den Durchgang der Sonne durch die Tierkreiszei- 
chen. Acht Jahrhunderte vor Christus hatte die Sonne ihren Friih- 
lingspunkt im Zeichen des Widders. Einen Widerschein davon sehen 
wir in der Legende vom Goldenen Vlies und in der Bezeichnung 
«Lamm Gottes» fiir den Christus. 2160 Jahre friiher befand sich der 
Friihlingspunkt der Sonne im Zeichen des Stieres. Das hat seinen 
Einflufi auf die Kulte, so auf den des Apisstieres in Agypten oder 
den Mithraskult in Persien. Wiederum 2160 Jahre friiher befand sich 
der Friihlingspunkt in den Zwillingen, was sich in der Kosmogonie 
des alten Persien und in den gegensatzlichen Gestalten von Ormuzd 
und Ahriman widerspiegelt. Als die atlantische Zivilisation zu Ende 
geht und die Zeit der Veden sich ankiindigt, hat die Sonne ihren 
Friihlingspunkt im Krebs, dessen Zeichen man folgendermafien 
schreibt:C3^.Damit ist das Ende einer Periode und der Beginn einer 
neuen bezeichnet. 



Die Volker haben immer ein Bewulksein von der Wichtigkeit der 
Beziehungen gehabt, die sie mit den Konstellationen verbinden. In 
der Tat unterliegen die grofien Menschheitsperioden dem Einflufi 
der himmlischen Umschwiinge, dem Gang der Erde in Beziehung 
zu Sonne und Sternen. 

Diese Tatsache erklart den Unterschied der Epochen und gibt den 
Verkorperungen, die sich in jeder dieser Epochen vollziehen, einen 
neuen Sinn. Denn 2160 Jahre bilden den Zeitraum, der notig ist fur 
je eine mannliche und eine weibliche Inkarnation, das heilk fur die 
zwei Aspekte, unter denen sich der Mensch den ganzen Erfahrungs- 
schatz einer Epoche erwirbt. 

Was ist es, das auf der Erde eine neue Flora und eine neue Fauna 
hervorbringt? Das sind die Devas und die Gestalten des Devachan. 

Darwin sucht die Erdenevolution durch den Kampf urns Dasein 
zu erklaren, womit in Wirklichkeit nichts erklart ist. Fur den Ok- 
kultisten sind es die formenden Wirkungen aus dem Devachan, 
welche die Flora und die Fauna andern. Je weiter der Mensch 
fortgeschritten ist, desto mehr kann er an dieser Arbeit teilnehmen. 
Die Tatigkeit des Menschen ist von um so grofierem Einfluft auf 
die Formen der Natur, als er sein Bewufksein entwickelt hat. Der 
Initiierte kann in der Welt arbeiten, wo die neuen Pflanzen ihren 
Ursprung nehmen. Denn das Devachan ist das Gebiet, wo die 
Vegetation Form gewinnt. Im Kamaloka, der Astralwelt, arbeitet 
der Mensch am Aufbau des Tierreiches. Das Kamaloka ist in der 
Mondensphare, wahrend das Devachan mit der Sonne zusammen- 
hangt. 

So ist der Mensch mit alien Naturreichen verkniipft. Plato spricht 
vom Symbol des Kreuzes, indem er sagt, daft die Weltseele in Kreu- 
zesform auf den Weltenleib geheftet sei. Was bedeutet dieses Kreuz? 
Es ist die Seele, die durch alle Naturreiche hindurchgeht. In der Tat 
hat die Pflanze, im Gegensatz zum Menschen, ihre Wurzel oder, 
wenn man so will, ihr Haupt, Tragerin der Ernahrungskrafte, unten, 
und wendet im Gegensatz dazu ihre Fortpflanzungsorgane keusch 
nach oben, der Sonne zu. Das Tier nimmt in einer meist horizonta- 
len Lage eine Mittelstellung ein. Der Mensch und die Pflanze sind 



vertikal gerichtet und bilden zusammen mit dem horizontal gerich- 
teten Tier ein Kreuz, das Weltenkreuz. 

In kiinftigen Zeiten wird die Teilnahme des nach dem Tode in den 
hoheren Welten weilenden Menschen am Aufbau der niederen Rei- 
che eine bewufite sein. Das Bewufksein wird die Beziehungen in der 
Weise dirigieren, dafi einer neuen Flora immer eine neue mensch- 
liche Kultur entspricht. Die gottliche Mission des Geistes ist es, die 
Zukunft zu Schmieden. Es wird dann weder Wunder noch Zufall 
geben. Flora und Fauna werden in Freiheit Ausdruck der verwan- 
delten menschlichen Seele sein. 

Die Arbeit auf der Erde vollzieht sich von zwei Seiten her: durch 
die Devas, die Gotter, und durch den Menschen. 

Wenn wir eine Kathedrale bauen, arbeiten wir im Mineral. Die 
Gebirge zu beiden Seiten des Nil sind das Werk der Gotter, die 
Tempel an seinen Ufern sind das Werk der Menschen. Und beide 
haben das gleiche Ziel: die Verwandlung der Erde. 

Spater wird der Mensch lernen, alle Reiche der Natur mit demsel- 
ben Bewufitsein zu formen, mit dem er jetzt das Mineralreich formt. 
Er wird die Lebewesen formen und wird die Arbeit der Gotter auf 
sich nehmen. So wird er die Erde ins Devachan verwandeln. 



KOSMOGONIE 
Zwdlfter Vortrag, Paris, 8. Juni 1906 

Das Devachan - oder der Sitz der Gotter - entspricht dem christ- 
lichen Himmel und der Geisteswelt der Okkultisten. Es versteht 
sich von selbst, dafi man diese Regionen - die nur scheinbar aufter- 
irdisch sind, da sie in lebendiger Beziehung zu unserer Welt stehen, 
die aber aufierhalb der Reichweite unserer physischen Sinne sind - 
nur in Symbolen und Gleichnissen beschreiben kann, denn unsere 
Sprache taugt nur fur die Welt der Sinne. 

Das Devachan umfalk sieben Grade oder sieben verschiedene Re- 
gionen, die sich in aufsteigender Ordnung staffeln. Es handelt sich 



nicht urn Stockwerke oder genaue Orte, sondern um Zustande der 
Seele und des Geistes. Das Devachan ist iiberall. Es umgibt uns wie 
die Astralwelt, nur sehen wir es nicht. Der Eingeweihte erwirbt 
durch Ubungen aufeinander folgend die notigen Fahigkeiten, um es 
zu sehen. Betrachten wir, wie es sich nach und nach demjenigen 
offnet, der sich neue Wahrnehmungsfahigkeiten erwirbt. 

Auf der ersten Stufe der Hellsichtigkeit werden die Traume regel- 
mafiiger, sie lassen bestimmte Gestalten erscheinen, sinnvolle Worte 
horen; sie erhalten mehr und mehr einen Sinn, den man entziffern 
kann und der sich auf das wirkliche Leben bezieht. Man traumt 
beispielsweise, dafi das Haus eines Freundes brennt, und man er- 
fahrt nachher, daft er eben krank geworden ist. Diese ersten Einblik- 
ke in das Devachan lassen es einem Himmel ahnlich erscheinen, der 
von Wolken durchzogen ist, die sich gruppieren und nach und nach 
lebende Formen annehmen. 

Mit der zweiten Stufe der Hellsichtigkeit nehmen die Traume sehr 
bestimmte Konturen an. Das sind die geometrischen und symboli- 
schen Formen der grofien Religionen, die heiligen Zeichen aller Zei- 
ten, die sozusagen die Sprache des schopferischen Wortes sind, die 
heiligen Hieroglyphen der kosmischen Sprache: das Kreuz, Zeichen 
des Lebens; das Pentagramm oder der Fiinfstern, Zeichen des Wortes; 
das Hexagramm oder der Sechsstern, zwei ineinandergekehrte Drei- 
ecke, Zeichen des Makrokosmos, gespiegelt im Mikrokosmos und so 
weiter. Aber diese Zeichen, die wir in abstrakten Linien darstellen, 
erscheinen hier farbig, lebendig und blitzartig auf einem Grund von 
Licht. Sie sind gleichwohl nicht das Kleid lebendiger Wesen, sondern 
bezeichnen sozusagen die Normen und Gesetze der Schopfung. Von 
ihnen sind die Tiergestalten geformt, die die ersten Eingeweihten 
gewahlt haben, um die Sonnenumschwunge in den Konstellationen 
des Tierkreises darzustellen. Die Eingeweihten haben ihre Schauun- 
gen in diesen Zeichen iiberliefert, zum Beispiel in dem des Krebses, 
das einen Wirbel aus zwei entgegengesetzten Linienziigen darstellt. 
Die altesten Schriftzeichen im Sanskrit, in Agyptisch, Griechisch, 
Runenzeichen, von denen jedes stets eine eigene Bedeutung hat, ge- 
hen alle urspriinglich auf geistige Formen zuriick. 



Auf dieser Stufe seiner Hellsichtigkeit ist der Schiiler jedoch im- 
mer noch auf der Schwelle zum Devachan. Es handelt sich darum, 
iiber sie hinauszudringen und den Durchgang zu finden, der von der 
Astralwelt zur ersten Stufe der devachanischen Welt fiihrt. Alle Ge- 
heimschulen haben diesen Weg gekannt, und sogar das Christentum 
der ersten Jahrhunderte hat, obwohl es nicht auf die alten Arten der 
Einweihung zuriickging, gleichwohl eine esoterische Zeichensprache 
besessen, deren Spuren wir wiederfinden. 

So erwahnt die Apostelgeschichte den Dionysius, der ein einge- 
weihter Schiiler des Paulus war und ein esoterisches Christentum 
lehrte. Spater hat Johannes Scotus Eriugena am Hofe Karls des Kah- 
len noch im 9. Jahrhundert ein esoterisches Christentum begriindet. 
Dieses ist dann nach und nach durch das Dogma verdeckt worden. 
Dringt man aber in das Devachan ein, so sieht man die Beschrei- 
bung, die Dionysius davon gegeben hat, bestatigt. 

Die rhythmische Atmung nach dem Yogasystem ist eines der Mit- 
tel, das angewendet wird, um in die Welt des Devachan einzutreten. 
Das sichere Zeichen, daft dieser Eintritt stattgefunden hat, ist, dafi das 
Bewufitsein durch eine Erfahrung geht, die in der Vedantaphiloso- 
phie bezeichnet wird durch die Worte: tat tvam asi = das bist du. 

Der Mensch sieht im Traum seine eigene Korpergestalt von 
auften. Er sieht seinen Korper ausgestreckt auf seinem Bett, aber wie 
eine leere Hiille. Rings um diese hohle Form leuchtet der Astralleib 
wie ein eiformiger Lichtschein; er erscheint wie eine Aura, von der 
man den Korper zuriickgezogen haben wiirde, wahrend der Korper 
wie eine leere Hohlform erscheint. Es ist eine Schauung, bei der die 
Verhaltnisse umgekehrt sind wie bei einem photographischen Nega- 
tiv. Man gewohnt sich an diesen Anblick hinsichtlich aller Dinge. 
Man sieht gewissermafien die Seele der Kristalle, der Pflanzen, der 
Tiere in Form eines Strahlenkranzes, wahrend ihre physische Sub- 
stanz wie eine Hohlform, ein Leerraum erscheint. Aber nur die 
Naturgegenstande konnen so erscheinen, nichts von dem, was durch 
Menschenhand geschaffen ist. 

Auf dieser ersten Stufe des Devachan sieht man also das Astral- 
bild der physischen Welt; es ist das, was man das Festland des 



Devachan nennt, die Negativform der Taler, der Gebirge, der phy- 
sischen Kontinente. 

Indem man sich im Meditieren mit angehaltenem Atem iibt, ge- 
langt man zur zweiten Stufe des Devachan. Die Hohlraume, welche 
die physische Substanz bildet, fiillen sich mit einem System von gei- 
stigen Stromungen. Es sind die Stromungen des universellen Le- 
bens, welche alles durchziehen, es ist der Ozean des Devachan. Hier 
taucht der Initiierte in die sprudelnde Quelle alien Lebens ein. Er 
sieht dieses Leben wie ein ungeheures Fluftnetz, dessen Kanale alles 
durchziehen. Zugleich durchdringt ihn eine fremdartige und ganz 
neue Empfindung. Er fiihlt, wie er anfangt in den Metallen zu leben. 
Reichenbach, der Autor des Buches iiber das Od, hatte dieses 
Phanomen bei den sensitiven Personen entdeckt, von denen er in 
Papierstiicke eingewickelte Metalle erraten lieft. 

Die Wesenheiten, denen man in dieser Region begegnet, sind die- 
jenigen, die Dionysius Areopagita die Erzengel oder Beleber der Me- 
talle nennt 5 '; sie entsprechen dem zweiten Grad der Hellsichtigkeit. 

Man gelangt zur dritten Stufe des Devachan, wenn man sein Ge- 
dankenleben von jeder Verbindung mit der physischen Welt lost, 
wenn man sich im Gedankenleben erfuhlen kann ohne Gedankenin- 
halt. Der Meister sagt zu seinem Schiller: Lebe so, daft du dein Ver- 
standesdenken ohne Gegenstand in Tatigkeit setzest! - Dann offnet 
sich eine neue Welt. Nachdem man die Kontinente und die Fliisse des 
Devachan gesehen hat, das heifk die Astralseele der Dinge und die Le- 
bensstromungen, nimmt man die Luft, die devachanische Atmospha- 
re wahr. Diese Atmosphare ist ganz verschieden von der unsrigen. 
Ihre Substanz ist lebendig, tonend, voller Empfindung, als ob sie fiihl- 
te. Sie antwortet auf jede unserer Gesten, unserer Handlungen, unse- 
rer Gedanken durch Schwingungen, Lichterscheinungen, Tone. Alles 
was auf der Erde geschieht, wirkt sich hier aus in Form von Farbe, 
Licht und Ton. Sei es, daft man hier wahrend des Schlafes lebt, sei es 
nach dem Tode - immer kann man dort das Echo von dem, was auf der 
Erde geschieht, verfolgen. Man kann zum Beispiel eine Schlacht beob- 
achten: man sieht nicht die Schlacht selbst, noch ihr Hinundher- 
schwanken, man hort weder die Schreie der Kampfer, noch die Kano- 



Siehe Hinweis. 



81 



nenschiisse. Vielmehr auftern sich Kampfe und Leidenschaften als 
Blitz und Donner. So trennt uns das Devachan nicht von der Erde, 
aber er zeigt sie uns wie von aufien. Man empfindet nicht mehr den 
Schmerz und die Freude als etwas, was sich in uns abspielt. Man be- 
trachtet sie objektiv wie ein Schauspiel. Es ist eine neue Lehrzeit fur 
Mitgefuhl und Erbarmen. Das Devachan ist eine Schule, wo man 
lernt, die Leiden und Freuden dieser Welt von einem hoheren Ge- 
sichtspunkt aus zu betrachten, wo man alle Krafte aufbietet, um die 
Leiden in Freude, die Sturze in neue Aufschwunge, den Tod in Aufer- 
stehung zu verwandeln. 

Das hat nichts zu tun mit passiver Kontemplation und einem mehr 
oder weniger egoistischen Himmelsgliick, wie es gewisse religiose 
Autoren ausgemalt haben, die meinen, daE die Leiden der Verdamm- 
ten zum Gliick der Auserwahlten gehoren. Es handelt sich um einen 
lebendigen Himmel, wo der unbegrenzte Wunsch nach Sympathie 
und Tatigkeit, der in der menschlichen Seele veranlagt ist, nach un- 
begrenzten Wirkungsfeldern und unendlichen Ausblicken drangt. 

Auf der vierten Stufe des Eindringens in das Devachan erscheinen 
die Dinge in der Gestalt ihrer Urformen. Das ist nicht mehr der nega- 
tive Aspekt, sondern der urspriingliche Typus, der sich da enthiillt. 
Das ist die Werkstatt der Welt, die alle Formen in sich einschliefit, aus 
denen die Schopfung entsprungen ist. Das ist die Ideenwelt Platos, 
das Reich der Mutter, von dem Goethe spricht und aus dem er das 
Phantom der Helena aufsteigen lafit. Was auf dieser Stufe des De- 
vachan erscheint, ist dasjenige, was der Inder die Akasha-Chronik 
nennt. In unserer neuzeitlichen Sprache wiirden wir es das Astralbild 
aller Weltereignisse nennen. Alles, was durch den Astralleib der Men- 
schen hindurchgegangen ist, ist hier in einer unendlich subtilen Sub- 
stanz, die eigentlich eine negative Materie ist, festgehalten. 

Um die Berechtigung dieser Bilder, die im Astrallicht der Erde 
schwimmen, zu begreifen, mufi man sich vergleichender Analogien 
bedienen. Die menschliche Stimme spricht Worte aus und formt 
dadurch Tonwellen, die durch andere Ohren in andere Gehirne 
dringen, um dort Bilder und Gedanken hervorzurufen. Jedes dieser 
Worte ist eine Tonwelle von ganz eigenartiger Form, die, wenn wir 



sie sehen konnten, sich von jeder anderen unterscheiden wiirde. 
Denken wir uns nun, diese Worte konnten erstarren und gefrieren 
wie eine Wasserwoge durch eine plotzliche ungeheure Kalte. In die- 
sem Falle wiirden diese Wortgebilde in Form gefrorener Luft zur 
Erde fallen, und man konnte jedes von ihnen an seiner Form er- 
kennen. Das waren dann kristallisierte Worte. 

Und nun denken wir uns anstelle eines Verdichtungsprozesses 
das Umgekehrte. Wir wissen, daft jeder Korper aus einem mehr fe- 
sten in einen mehr immateriellen Zustand iibergehen kann: vom fe- 
sten zum fliissigen und zum gasformigen Zustand, Die Verfeinerung 
des materiellen Zustandes kann einen Grad erreichen, der, wenn 
man ihn iiberschreitet, bei einer negativen Materie endet; man nennt 
ihn Akasha. In ihr driicken sich alle Ereignisse in einer endgiiltigen 
Weise ab v und man kann sie alle wiederfinden, selbst diejenigen aus 
der tiefsten Vergangenheit. 

Die Bilder der Akasha-Chronik sind nicht unbeweglich. Sie ent- 
falten sich bestandig wie lebende Bilder, wo die Dinge und Personen 
sich bewegen und manchmal sogar sprechen. Wiirde man die Astral- 
gestalt Dantes aufrufen, so sprache sie in seinem Stil, wie aus seiner 
einstigen Lebenssphare heraus. Das sind die Bilder, die fast immer in 
spiritistischen Sitzungen erscheinen und fur den Geist des Verstor- 
benen gehalten werden. Das ist irrefiihrend. 

Man raufi lernen, die Blatter dieses Buches mit lebenden Bildern 
zu entziffern und die unzahligen Rollen dieser Chronik des Weltalls 
zu entfalten. Man gelangt dazu nur, indem man die aufiere Erschei- 
nungsform von der Wirklichkeit, den Abdruck des Menschen von 
der lebendigen Seele unterscheidet. Das erfordert tagliche Ubung 
und eine lange Schulung, um Irrtumer in der Auslegung zu vermei- 
den. Denn es konnte beispielsweise geschehen, daft man angesichts 
des Erscheinungsbildes Dantes exakte Antworten erhalt, aber sie 
stammen nicht von der Individuality Dantes, die sich fortschreitend 
weiter entwickelt, sondern vom alten Dante, wie er der Athersphare 
seines Zeitalters verhaftet ist. 

Die fiinfte Stufe ist die der himmlischen Spharenharmonie. Die 
oberen Regionen des Devachan zeichnen sich dadurch aus, daft alle 



Tone dort klarer, leuchtender, volltonender sind. Man vernimmt 
dort in einer grandiosen Harmonie die Stimme aller Wesen, und das 
ist dasjenige, was Pythagoras die Spharenmusik nennt. Es ist das 
innere Sprechen, das lebendige Wort des Weltalls. Jedes Wesen 
nimmt nun fur den hellhorig gewordenen Hellseher eine besondere 
Klangfarbe an, gewissermaften eine tonende Aura. Da nennt jedes 
Wesen dem Okkultisten seinen Namen. In der Genesis nimmt Jeho- 
va den Adam bei der Hand, und Adam benennt alle Wesen mit 
Namen. Auf der Erde ist das Individuum verloren unter der Menge 
der anderen Wesen. Dort hat jedes seine eigene Klangfarbe, und 
trotzdem taucht der Mensch zugleich in alle Wesen unter, wird eins 
mit seiner Umgebung. 

Auf dieser Stufe wird der Schiiler der Schwan genannt. Er hort 
die Tone, durch welche der Meister zu ihm spricht, und iibermittelt 
sie der Welt. Der singende Schwan des Apollo lalk die Klange vom 
Jenseits horen. Man sagt, daft er vom Land der Hyperboraer kommt, 
das heifk von jener Welt, in der sich die Sonne bei ihrem Untergang 
vom Himmel birgt. 

Wir sind an dem Punkt angekommen, wo man von der anderen 
Seite her von der Sternenwelt Abschied nimmt. Man liest die 
Akasha-Chronik nicht mehr von der Erdenseite, sondern von der 
Himmelsseite her; sie wird zur okkulten Sternenschrift. Man sieht 
in das Innere der Sternensphare hinein, und man empfindet die 
Ursprungsquelle des Universums, des Logos. 

Wir finden in den Mythen Erinnerungen an diesen Grad des 
Schwans, ganz besonders im Mittelalter durch die Sagen vom Gral, 
die der Widerhall von Erfahrungen in der devachanischen Welt sind. 
Alle Heldentaten, die dort berichtet werden, werden verrichtet 
durch die Gralsritter, welche die grofien Impulse verkorpern, die auf 
Anordnung der Meister die Menschheit durchziehen. 

Der Zeitpunkt, zu welchem die Gralslegende unter dem Einflufi 
der groften Eingeweihten entstand, ist derjenige, wo die Herrschaft 
des Biirgertums beginnt und wo von Schottland aus in England und 
von dort aus in Frankreich und Deutschland die Griindung der gro- 
fien freien Stadte sich ausbreitet. Der frei gewordene Mensch sehnt 



sich unbewufk nach der Wahrheit und nach dem gottlichen Leben. In 
der Sage von Lohengrin reprasentiert Elsa die menschliche Seele, die 
Seele des Mittelalters, die nach Entfaltung strebt und die im Okkul- 
tismus immer durch eine weibliche Gestalt dargestellt wird. Der Rit- 
ter Lohengrin, der zu ihrer Befreiung aus einer unbekannten Welt, 
von der Burg des Heiligen Gral, kommt, stellt den Meister dar, der die 
Wahrheit bringt. Er ist der Bote des Eingeweihten, symbolisch heran- 
getragen durch den Schwan. Der Bote der grofien Eingeweihten heilk 
«Schwan». Man darf weder nach seinem Ursprung noch nach seinem 
wahren Namen fragen. Man darf nicht an den Zeichen seiner Hoheit 
zweifeln. Man mufi ihm aufs Wort glauben und an seinem Antlitz den 
Strahl der Wahrheit erkennen. Wer diesen Glauben nicht hat, ist nicht 
fahig, ihn zu begreifen, und nicht wiirdig, ihn zu horen. Daher das 
Verbot Lohengrins an Elsa, seinen Ursprung und seinen Namen zu 
erfragen. Der Schwan ist der Chela, der den Meister herbeifuhrt. 

Der Bote des Meisters auf dem physischen Plan ist der eingeweih- 
te Schiiler, der zum fiinften Grad aufgestiegen ist und den der Mei- 
ster in die Welt sendet. So druckt diese Legende aus, was sich in den 
hoheren Welten ereignet. In die Mythen und Legenden lafk der 
Logos, das Sonnen- und Planetenwort, sein Licht hineinscheinen. 



KOSMO GONIE 
Dreizehnter Vortrag, Paris, 9. Juni 1906 

Versuchen wir heute, uns in der Betrachtung der menschlichen Ent- 
wickelung bis zum Logos zuriickzuversetzen, der unsere Welt ge- 
schaffen hat, und gehen wir zu diesem Zweck die Schritte dieser 
Evolution bis zu einem bestimmten Punkt zuriick. 

Die gegenwartige esoterische Wissenschaft reicht geschichtlich 
zuriick bis zum Steinzeitalter, wahrend dessen der Mensch in Hoh- 
len lebte und keine andere Waffe kannte als behauene Steine. Sein 
Leben war einfach, sein Horizont beschrankt, seine Gedankenwelt 



auf die Verteidigung seines Lebens und auf die Nahrungssuche 
begrenzt. 

Die Geheimwissenschaft gelangt jenseits dieses Steinzeitalters zu 
einer anderen Menschheitsepoche: zu derjenigen der Menschen, die 
den Erdteil Atlantis bewohnten. Diese unterschieden sich von der 
nachfolgenden Menschheit schon durch ihr physisches Aussehen. 
Der prahistorische Mensch - die Tatsache ist bekannt - zeigt noch 
eine unentwickelte vordere Stirnpartie. Denn die Entwickelung der 
vorderen Stirnpartie geht parallel derjenigen des Gehirns und des 
Gedankens. Das physische Gehirn war einstmals wesentlich kleiner 
als die Atherpartie, die es von alien Seiten iiberragte. Im Laufe der 
Entwickelung haben sich die Grofienverhaltnisse des physischen 
und des atherischen Kopfes einander angenahert. Ein bestimmter 
Punkt des Athergehirns, der sich heute innerhalb des Schadels befin- 
det, war damals noch aufierhalb. Es gab einen Zeitpunkt in der Ent- 
wickelung der Atlantier - sie dauerte mehrere Millionen Jahre -, wo 
dieser Punkt sich ins Innere des Schadels zuriickzog. Dieser Mo- 
ment ist von grundlegender Wichtigkeit, denn von dem Zeitpunkt 
an, wo der Mensch anfing zu denken, Kenntnis von sich selbst zu 
nehmen, «Ich» zu sich zu sagen, begann er auch zu kombinieren, zu 
rechnen, wozu er vorher nicht fahig gewesen war. Dafur besaften die 
ersten Atlantier ein getreueres, weniger dem Irrtum unterworfenes 
Gedachtnis. Ihr ganzes Wissen beruhte nicht auf der Kenntnis der 
Beziehungen der Tatsachen untereinander, sondern auf der Erinne- 
rung an die Tatsachen. Sie wufken durch das Gedachtnis, dafi ein 
bestimmtes Ereignis immer eine Reihe anderer nach sich zog, aber 
sie kannten nicht die Ursache dieser Ereignisse und konnten nicht 
dariiber nachdenken. Der Begriff der Kausalitat existierte bei ihnen 
erst in einem embryonalen Stadium. 

Mit dieser machtigen Kraft des Gedachtnisses verbanden sie eine 
andere, nicht weniger kostbare: die Kraft des Willens. Der heutige 
Mensch kann nicht mehr unmittelbar durch seinen Willen auf die 
Lebenskrafte wirken. Er kann beispielsweise nicht mehr durch sei- 
nen Willen das Wachstum der Pflanzen beschleunigen. Der Atlantier 
konnte es, ja er zog aus den Pflanzen eine Atherkraft, die er zu ge- 



brauchen wufite. Er tat das aus Instinkt, ohne die Hilfe der Kennt- 
nisse und der exakten Methoden, die wir heutzutage als den Geist 
der Wissenschaft ansprechen. In dem Ma£e, als sich beim Atlantier 
die Verstandeskraft im Verein mit der Uberlegung, Berechnung und 
dem Denken einstellte, nahmen seine instinktiven und hellseheri- 
schen Fahigkeiten ab. 

Wenn wir noch weiter in der Geschichte der Atlantier zuriickge- 
hen, kommen wir zu einer sehr weit zuruckliegenden Epoche, wo 
sie fahig wurden, sich durch die Sprache, das heifk durch artikulierte 
Laute auszudriicken. Dieser Zeitpunkt entspricht demjenigen, wo 
der Mensch lernte, aufrecht zu gehen. Denn die Sprache kann nur 
bei Wesen mit aufrechter Haltung erscheinen. Man mufi sich auf- 
rechthalten konnen, um artikulierte Laute auszusprechen. 

Vor dem atlantischen Kontinent und der grofien Rasse der Atlan- 
tier, aus der alle Rassen Europas und Asiens hervorgegangen sind, 
gab es einen anderen Kontinent und eine andere, noch mehr in die 
Tierheit versunkene menschliche Rasse: diejenige der Lemurier. Die 
Wissenschaft lafk sie nur als eine Hypothese gelten. Gewisse Inseln 
siidlich von Asien und nordlich von Australien sind gleichwohl 
Zeugnisse fur sie, denn sie sind die metamorphosierten Uberbleibsel 
des alten lemurischen Kontinents. 

Die Temperatur war in dieser Zeitepoche wesentlich hoher als in 
unseren Tagen. Die Atmosphare war von Dampf erfiillt, ein Ge- 
misch aus Luft und Wasser, durchzogen von unzahligen Stromun- 
gen. Wir begegnen da rudimentaren menschlichen Wesen, die nicht 
durch den Mund, sondern durch Kiemen atmen. 

In der menschlichen Evolution bilden sich die Organe standig um 
und verandern ihre Natur und Tatigkeit. So ging der primitive 
Mensch auf alien vieren und hatte weder artikulierte Laute zum Spre- 
chen noch Ohren zum Horen. Er hatte jedoch, um sich in dem halb 
fliissigen, halb luftformigen Element, das ihn umgab, bewegen zu 
konnen, ein Organ, das ihm als Apparat diente, um sich auf dem Was- 
ser treiben zu lassen und schwimmen zu konnen. Als die Elemente 
sich trennten und der Mensch sich auf der festen Erde aufrecht hielt, 
bildete dieses Organ sich um in Lungenfliigel, seine Kiemen in 



Ohren, die VordergliedmalSen in Arme und Hande, in freie Arbeits- 
werkzeuge. Aufterdem erwarb er sich das artikulierte Sprechen. 

Diese Umbildung war fiir die Menschheit von entscheidender 
Bedeutung. Wir lesen in der Genesis: «Gott der Herr blies dem 
Menschen den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der 
Mensch eine lebendige Seele.» Diese Stelle beschreibt den Entwicke- 
lungsmoment, wo die Kiemen des Menschen sich in Lungenfliigel 
verwandelten und wo er anfing, die aufiere Luft zu atmen. Mit der 
Fahigkeit des Atmens empfing er eine innere Seele und durch sie 
die Moglichkeit, sich in sich selbst zu erfuhlen, die Moglichkeit, all- 
mahlich zu erfuhlen, wie das Ich in der Seele lebte. 

Der durch seine Lunge atmende Mensch sah, wie sein Blut an 
Starke gewann. Jetzt konnten Seelen, die durch das Ich-Prinzip indi- 
vidualisiert waren und holier standen als die Gruppenseele der Tiere, 
sich in ihm inkarnieren und so die ganze Entwickelung in ihre voll- 
menschlichen, spater gottlichen Phasen hiniiberleiten. Diese Seelen 
hatten sich nicht inkarnieren konnen, bevor die Korper Luft atme- 
ten. Denn die Luft ist ein seelisches Element. Der Mensch hat also 
zu dieser Zeit buchstablich die gottliche Seele, die ihm vom Himmel 
zukam, eingeatmet. Die Worte der Genesis, im Sinne der Evolution 
des Menschengeschlechts verstanden, sind also wortlich zu nehmen. 
Atmen heifit, sich vergeistigen. Daher sind die Ubungen des alten 
Yoga gekommen. Sie griinden sich auf dem Atmungsrhythmus und 
haben zum Zweck, den Korper durchlassig zu machen fiir den ihm 
innewohnenden Geist. In der Tat verbinden wir uns durch die 
Atmung mit der Weltseele. Die Luft, die wir atmen, ist das korper- 
liche Kleid dieser hoheren Seele, so wie das Fleisch unseres Korpers 
das Kleid fiir unser niederes Wesen ist. 

Diese Anderungen im Atmungssystem bezeichnen den Ubergang 
vom alten Bewulksein, das nur Bilder widerspiegelte, zum gegen- 
wartigen Bewulksein, das vom Korper her seine Sinneswahrneh- 
mungen empfangt und daher seinen objektiven Charakter erhalt. 
Das imaginative Bilderbewufitsein konnte von sich aus nicht ein 
Objekt abbilden, sondern es gab sich einen inneren Gehalt durch 
eine in ihm liegende plastische Kraft. Je weiter wir in die Vergangen- 



heit der Menschheit zuruckgehen, desto mehr sehen wir die Seele 
des Menschen nicht in ihm, sondern um ihn. Wir kommen zu einem 
Punkt, wo die Empfindungswerkzeuge nur erst keimhaft existieren 
und wo der Mensch die aufieren Gegenstande nur durch Anziehung 
oder Abstofiung, durch Sympathie oder Antipathie wahrnimmt. 
Dieses Wesen, das noch nicht ein Mensch ist in dem Sinne, wie wir 
ihn verstehen, sondern erst ein Menschenkeim, dirigiert seine Bewe- 
gungen nach diesen Anziehungen oder Abstoftungen. Es hat noch 
keine Vernunft, und die Zirbeldriise, die einstmals ein wichtiges 
Organ war, bildet fur sich allein sein Gehirn. 

In der Tatsache dieses Bilderbewufksems findet sich die Antwort 
auf alle die philosophischen Diskussionen iiber die Objektivitat und 
Realitat der Welt und die Widerlegung der rein subjektivistischen 
Philosophien wie derjenigen von Berkeley. Das Universum und der 
Mensch sind zugleich subjektiv und objektiv. Diese beiden Pole von 
Sein und Leben sind notwendig fur die Evolution. Das universale 
Subjekt wird zum objektiven Universum, und der Mensch schreitet 
zuerst vor vom Subjektiven zum Objektiven durch die gradweise 
fortschreitende Beschaffenheit seines physischen Korpers. Alsdann 
kehrt er vom Objektiven zum Subjektiven zuruck durch die Hoher- 
entwickelung seiner Seele (Manas), seines Lebensgeistes (Budhi), 
seines Geistesmenschen (Atma). 

Das Bewufitsein, das wir im Traumzustand haben, ist ein atavisti- 
sches Uberbleibsel des einstmaligen Bilderbewulkseins. 

Eine Besonderheit dieses BilderbewuEtseins ist, dafi es schopfe- 
risch ist. Es erschafft in seiner eigenen Wesenheit Formen und 
Farben, die in physischer Wirklichkeit nicht existieren. 

Das Gegenstandsbewufitsein ist analytisch. Das subjektive 
Bewufksein ist plastisch, es hat eine magische Gewalt. 

Wir haben also gesehen, wie das objektive und analytische Be- 
wulksein des Menschen dem subjektiven und plastischen BewuEt- 
sein nachfolgte. Der Vorgang, durch welchen die Seele, die zuerst 
den Menschen wie eine Wolke umgab und in der Folgezeit den phy- 
sischen Leib durchdrang, laik sich vergleichen mit dem Entwicke- 
lungsgang der Schnecke, die zuerst aus ihrer eigenen Korpersub- 



stanz ihr eigenes Schneckenhaus absondert und dann sich in dassel- 
be zuriickzieht. In gleicher Weise durchdrang die Seele den Korper, 
den sie zuvor modelliert hatte und fur den sie von aufien her die 
Sinneswerkzeuge prapariert hatte. Die Sehkraft, mit der unser Auge 
heute begabt ist, ist dieselbe Kraft, die einstmals von aufien auf das 
Auge einwirkte, um es aufzubauen. Die Umkehrung der Wirkens- 
kraft der Seele, die, einstmals von au£en wirkend, zu einer innerlich 
wirkenden wird, ist immer durch eine Hieroglyphe bezeichnet wor- 
den, namlich durch zwei Wirbel von entgegengesetzter Richtung. 
Die erste Bewegung, nach innen, driickt sich in der einen, die zweite, 
von innen nach aufien, driickt sich in der anderen Richtung aus. 

f '2S^ Dieses Zeichen - es ist dasjenige des Krebses im Tierkreis - 
bezeichnet immer das Ende einer Zielrichtung und den Beginn einer 
neuen im entgegengesetzten Sinn. 

In der Mitte der dritten Erdperiode, der lemurischen, finden wir 
den Punkt, wo die Seele einzieht in das Haus, das sie sich selbst er- 
baut hat und wo sie beginnt, den Leib von innen her zu beseelen. 
Gehen wir hinter diesen Punkt zuriick, haben wir es lediglich mit 
einer astralen Menschheit zu tun, die ebenfalls auf einer astralen 
Erde lebt. In einer noch weiter zuriickliegenden Phase sehen wir den 
Menschen und die Erde nur noch im rein devachanischen Zustand. 
Der Mensch hat da kein Bilderbewufitsein mehr, sondern es sind 
kosmische Gedanken, die ihn durchziehen. 

Je weiter wir in der parallellaufenden Entwickelung von Erde 
und Menschheit zunickgehen, desto mehr finden wir beide im 
fliissigen und embryonalen Zustand, desto naher sind sie auch dem 
geistigen Zustand. Heute, wo wir den tiefsten Punkt der abwartsge- 
henden Entwickelung erreicht haben, haben Erde und Mensch den 
aufiersten Grad von Verfestigung erreicht und sind im Begriff, durch 
Betatigung des individuellen Willens, zum geistigen Zustand wieder 
aufzusteigen. 

Was ist nun der Sinn dieser ganzen Entwickelung? Wo befanden 
sich die Wesen, als sie im Anfangszustand nichts als Keime waren? 
Von wo ist das Menschengeschlecht ausgegangen? Wer hat es er- 
schaffen ? 



Hier gilt es nun, die Schwelle zu iiberschreiten, die uns einen 
Lebensgrad und eine Macht der Offenbarung enthiillt, die dem 
menschlichen und planetarischen Leben iibergeordnet ist. Diese 
Macht ist der Logos. 

Worin unterscheidet sich das gesamte menschliche und planetari- 
sche Leben vom Leben des Logos? 

Diese Frage scheint von uns zunachst einen Sprung ins Unbekann- 
te, in ein Universum anderer Ordnung zu erfordern. Und dennoch 
gibt es in unserer Welt analoge Phanomene, die uns die Schopfer- 
macht des Logos begreifen oder wenigstens erfuhlen lassen konnen. 

Nehmen wir an, eine menschliche Intelligenz konnte die Summe 
alles dessen umfassen, was ihr zuganglich ist; sie habe ein geordnetes 
Wissen von alien irdischen und planetarischen Phanomenen. Sie 
konnte wieder aufleben lassen alle Entwickelungsformen. Aber sie 
konnte nicht mit dieser Fahigkeit allein zuriickgehen zu der Stufe 
vor der Erscheinung des Menschen und des Planetensystems im 
Universum. Sie wiirde im Bereich dessen bleiben, was wissenschaft- 
lich festgestellt worden ist durch den Menschen; unsere Verstandes- 
kraft iiberschreitet diese Grenze nicht. 

Aber wir konnen uns zu einer anderen BewuEtseinsstufe erheben 
als diejenige ist, die nur die Verstandeserfahrungen reproduziert. Es 
gibt gewisse Zustande einer schopferischen Aktivitat, wo der 
menschliche Geist zum Schopfer wird und Neues, noch niemals 
Gesehenes schaffen kann. Solcherart ist zum Beispiel der Seelenzu- 
stand des Bildhauers im Moment der Konzeption, wo er blitzartig 
vor seinem Geist die Form einer Statue sieht, deren Vorbild er nie- 
mals gesehen hat, sondern die er erschafft. Solcherart ist auch der 
Seelenzustand des Dichters, der in einem Entwurf, in einer schopfe- 
rischen Vision seines Geistes ein Werk konzipiert. 

Diese Schaffenskraft empfangt ihre Inspiration nicht von einer 
verstandesmafiigen Vorstellung, Idee, sondern von einem spirituell 
inspirierten Gefiihl. Betrachten wir die Henne, die ihr Ei bebriitet. 
Sie ist ganz von ihrem Brutgeschaft absorbiert und empfindet dabei 
ein Wohlgefuhl, wo sie, wie im Traum, das Ausschliipfen des kleinen 
geflugelten Kiichleins erlebt. Dieses Wohlgefuhl des Schaffens findet 



sich auf alien Stufen der kosmischen Entwickelung, und iiberall ent- 
bindet es eine entsprechende Warme. Wenn man sich die kosmische 
Intelligenz vorstellt als die Welt der Gedanken, die dem hoheren Ich 
(Manas) zuganglich sind, bemerkt man sofort diese Kraft der War- 
me, die das Universum durchdringt, gleichsam hervorgehend aus 
der schopferischen Quelle alien Lebens (Lebensgeist: Budhi). Und 
durch sie kann man vorfuhlen diese Welt der Schopferkraft, die vor 
der unsrigen war und sie einhiillt. Man erhebt sich alsdann von 
Manas zu Budhi und von Budhi zu Atma. 

Das Wort, welches das Ich im Menschen, dem Mikrokosmos, 
entziindet, ist der dritte Logos. 

Man stelle sich in der Folge die Kraft des hoheren Ich im Men- 
schen, des Manas vor, ausgedehnt auf das ganze Universum wie eine 
Warmequelle, die das Leben entziindet, und man gelangt zum zwei- 
ten Logos, der das makrokosmische Leben entziindet und von dem 
die menschliche Seele einen Widerschein empfangt in ihren schopfe- 
rischen Aktivitaten (Budhi). 

Ihre gemeinsame Quelle ist der erste Logos, die unergriindliche 
Gottheit, das Zentrum jeder Manifestation. 

Zu alien Zeiten hat der Okkultismus diese drei Logoi durch 
folgende Zeichen abgebildet: 



f. 4 



Erster Logos Zweiter Logos Dritter Logos 

Gott Makrokosmos Mikrokosmos 



Man hat sie zusammengefaftt in der Zahl: 7-7-7, der esoterischen 
Ziffer der drei Logoi. Die exoterische Zahl ist die Multiplikation die- 
ser drei im Entwickelungsplan liegenden Siebenheiten, namlich 343. 



KOSMOGONIE 
Vierzehnter Vortrag, Paris, 10. Juni 1906 

Wir haben gestern riicklaufig die Vergangenheit des Menschen vom 
Gesichtspunkt seiner Leibesgestalt betrachtet. Kommen wir heute 
auf seine vergangenen Bewufkseinszustande zuriick. 

Man legt sich oft die Frage vor: Sind die Menschen die einzigen 
Wesen auf der Erde, die ein Selbstbewufksein besitzen? Oder auch: 
Welche Beziehung besteht zwischen unserem menschlichen Be- 
wufksein und dem der Tiere, der Pflanzen, der Metalle? Haben diese 
Wesen insgesamt ein Bewufksein? 

Denken Sie sich ein kleines Insekt, das iiber den Korper des Men- 
schen spazieren und nichts von ihm sehen wiirde als einen Finger. Es 
hatte weder vom korperlichen Organismus noch von der Seele des 
Menschen eine Vorstellung. Genau in derselben Lage sind wir gegen- 
iiber der ganzen Erde und den anderen Wesen, die darauf leben. Ein 
Materialist hat keine Vorstellung von der Erdenseele; fehlt ihm doch 
dafiir die Wahrnehmung seiner eigenen Seele. Wenn entsprechend das 
kleine Insekt nichts von der Seele des Menschen verspiirt, so ist der 
Grund dafiir, daft es selbst keine Seele hat, um sie zu erfiihlen. 

Die Erdenseele steht weit iiber der Seele des Menschen, und der 
Mensch weifi nichts von ihr. In Wirklichkeit haben alle Wesen ein 
Bewufksein, aber der Mensch unterscheidet sich von ihnen darin, 
daft sein Selbstbewufksein heute vollkommen auf den physischen 
Plan bezogen ist. 

Aufkrhalb des Wachzustandes, der diesem physischen Plan ent- 
spricht, kennt er andere Bewufkseinszustande, die ihn den Bewufk- 
seinszustanden anderer Reiche annahern. Wahrend des traumlosen 
Schlafes lebt das menschliche Bewufksein auf dem Devachanplan, 
wie es beim Bewufksein der Gewachse fortwahrend der Fall ist. 
Wenn eine Pflanze leidet, so bringt dieses Leiden eine Veranderung 
im devachanischen Bewufksein hervor. Das Bewufksein des Tieres, 
das dem Traumbewufksein ahnelt, ist auf dem Astralplan behei- 
matet, das heifk, dafi das Tier ein Astralbewufksein von der Welt 
hat, wie der Mensch im Traum. 



Diese drei Bewufitseinszustande sind sehr verschieden. Auf dem 
physischen Plan macht man sich keine Vorstellungen und Begriffe 
als mittels der Sinnesorgane und der aufieren Realitaten, mit denen 
sie uns in Beziehung setzen. Auf dem Astralplan bemerkt man die 
Umgebung nur in Form von Bildern, wobei man sich zugleich mit 
ihr ganz verbunden fuhlt. 

Warum fuhlt sich der Mensch im Wachbewufksein auf dem phy- 
sischen Plan getrennt von allem, was nicht er selbst ist? Der Grund 
ist der, dafi er alle seine Eindriicke von einer Umgebung empfangt, 
die er mit deutlicher Unterscheidung aufierhalb seines Korpers 
sieht. Im Gegensatz dazu nimmt man auf dem Astralplan nicht mit 
den Sinnen wahr, sondern durch die Sympathie, die einen ins Herz 
von allem, dem man begegnet, dringen lafk. Das Astralbewufksein 
ist nicht eingeschlossen in einen verhaltnismaEig geschlossenen 
Bezirk. Es ist gewissermafien flussig, fliefiend. Auf dem Felde des 
Devachan ist das Bewufksein so fliichtig, wie es nur ein Gas sein 
kann. Es gibt da keine Ordnung, die sich mit derjenigen des phy- 
sischen Bewufitseins vergleichen liefie, in das nichts dringt, es sei 
denn auf dem Umweg liber die Sinne. 

Was war nun der Zweck dieser Einengung des Bewufitseins an- 
stelle des imaginativen Bewufttseins? - Ohne sie hatte der Mensch 
niemals «Ich» zu sich sagen konnen. Der gottliche Keim, der im 
Menschen ist, konnte im Laufe der Entwickelung nur in ihn eindrin- 
gen durch die Verdichtung seines physischen Leibes. Und dieser 
gottliche Geist - wo war er vor der Verfestigung der Erde und des 
Bewulkseins? Die Genesis sagt es uns: «Der Geist Gottes schwebte 
iiber den Wassern.» Dieser gottliche Geist, dieser Ich-Funke, war 
noch auf dem Astralplan, wo alle Arten von Bewufttsein ihren 
Urstand haben wie die Wogen im Ozean. 

Im oberen Devachan, iiber der vierten Stuf e - man nennt sie Arupa 
[= formlos] -, da wo diese Antimaterie beginnt, die man die Akasha 
nennt, da hat das Bewufitsein der Mineralien seinen Sitz. Man raufi 
sich eine wahrheitsgemafie Anschauung erwerben, was das Mineral 
eigentlich ist, und mu(S herausfinden, welches moralische Band uns 
mit ihm eint. Die Rosenkreuzer des Mittelalters lieEen ihre Schiiler 



die Keuschheit des Minerals bewundern. Stellt euch vor, sagten sie, 
daft der Mensch nach Gedanke und Gefiihl ganz Mensch bleibend, so 
rein geworden ware, so wunschlos wie das Mineral - er ware im Be- 
sitz einer unf ehlbaren spirituellen Kraft. - Wenn man sagen kann, dafi 
die geistigen Wesenheiten der verschiedenen Mineralien sich im De- 
vachan befinden, kann man umgekehrt auch sagen, dafi die geistige 
Wesenheit des Minerals vergleichbar ist einem Menschen, der nur mit 
einem devachanischen Bewufksein leben wiirde. 

Man braucht deshalb den anderen Wesenheiten das Bewufksein 
nicht abzusprechen. Alle diese Bewufkseinsgrade hat der Mensch 
auf der absteigenden Linie seiner Entwickelung durchschritten. Ur- 
spriinglich war er ahnlich den Mineralien, in dem Sinne, daft sein Ich 
in einer hoheren Welt zuhause war und ihn von oben her fiihrte. 
Aber die Entwickelung hat zum Ziel, ihn von der Abhangigkeit von 
Wesen, die auf hoherer Bewufkseinsstufe als der seinen stehen, zu 
befreien und ihn dahin zu bringen, daft er auf hoheren Daseinsstufen 
voll bewufk bleibt. 

Alle diese Bewufkseinsebenen kreuzen sich heute im Menschen: 

Erstens: Das mineralische Bewufksein. Es ist das des Tiefschlafs 
(der heutige Mensch verliert es). 

Zweitens: Das pflanzliche Bewufksein. Es ist dasjenige des 
gewohnlichen Schlafzustandes. 

Drittens: Das Bewufksein der Tiere, das dem Traumbewufksein 
entspricht. 

Viertens: Das physische Gegenstandsbewufksein. Dies ist der 
normale Wachzustand, wahrend die zwei vorhergehenden atavisti- 
sche Relikte sind. 

Fiinftens: Ein Bewufksein, das den dritten Grad wiederholt, da- 
bei aber die erworbene Gegenstandlichkeit beibehalt. Die Bilder 
haben bestimmte Farben und unterscheiden sich von dem, der sie 
wahrnimmt; die subjektive Anziehung oder Abstofiung verschwin- 
det. Auf dieser neuen imaginativen Bewufkseinsstufe behalt die in 
der physischen Welt erworbene Vernunft ihre Rechte. 

Sechstens: Jetzt ist es nicht mehr der Traum, sondern der Schlaf, 
der zu einem neuen Bewufkseinszustand aufsteigt. Wir nehmen nicht 



mehr allein Bilder wahr, sondern wir dringen in das Sein der Wesen 
und der Dinge ein und nehmen ihre innere Klangfiille wahr. Auf dem 
physischen Plan geben wir jedem Ding einen Namen, aber dieser 
Name bleibt aufierhalb des Dinges. Nur wir selbst konnen uns von 
innen her bestimmen, indem wir sagen: Ich - dieser unaussprechliche 
Name der bewufiten Individuality. Das ist die Grundtatsache jeder 
Psychologic Durch dieses Wort unterscheiden wir unsere Person- 
lichkeit vom ganzen iibrigen Universum. Wenn wir aber mit unserem 
BewuEtsein die Welt der Tone erreichen, sagt uns jedes Ding seinen 
unaussprechlichen Namen. Durch die Hellhorigkeit nehmen wir den 
Ton wahr, der das innerste Wesen j edes Dinges ausdriickt und aus ihm 
eine Note im Universum macht, verschieden von alien anderen. 

Siebentens: Noch eine Stufe weiter, und der Tiefschlaf wird 
bewuftt. Dieser Zustand lalk sich nicht beschreiben, weil er jeden 
Vergleich ubersteigt. Man kann lediglich sagen, daE er existiert. 

Das sind die sieben Bewufitseinszustande, durch die der Mensch 
hindurchgeht. Er wird noch andere durchschreiten. Dabei gibt es 
immer einen Hauptzustand in der Mitte, drei nach der -Vergangen- 
heit und drei nach der Zukunft, wobei letztere auf eine gehobenere 
Art die drei unteren wieder hervorbringen. Der Reisende, der vor- 
wartsschreitet, ist immer in der Mitte seines Blickfeldes. 

Jeder Bewufitseins zustand entwickelt sich im Laufe von sieben 
Lebenszustanden, und jeder Lebenszustand im Laufe von sieben 
Formzustanden. Sieben Formzustande bilden dann immer einen Le- 
benszustand; sieben Lebenszustande machen zusammen eine plane- 
tarische Entwickelung aus, wie zum Beispiel diejenige unserer Erde. 

Die sieben Lebenszustande fiihren zur Bildung von sieben Rei- 
chen, von denen gegenwartig vier sichtbar sind: das Mineralreich, 
das Pflanzenreich, das Tierreich und das Menschenreich. 

Den Durchgang durch einen Lebenszustand nennt man eine 
Runde. 

Der Mensch geht also in jedem Bewufitseinszustand durch 7 mal 
7 Formzustande; das bedeutet 7 mal 7 mal 7 Metamorphosen oder 
343 Metamorphosen, die ebensoviele Stufen der menschlichen 
Natur bedeuten. 



Konnte sich jemand die 343 Formzustande auf einer einzigen Taf el 
vorstellen, so hatte er ein Bild vom dritten Logos. 

Konnte er sich die 49 Lebenszustande vorstellen, so hatte er ein 
Bild vom zweiten Logos. 

Konnte er sich die sieben Bewulkseinszustande vorstellen, so 
hatte er einen Begriff vom ersten Logos. 

Die Entwickelung besteht in einer wechselseitigen Betatigung al- 
ler dieser Formen. Um von einer Form zur anderen iiberzugehen, 
dazu bedarf es eines neuen Geistes - das ist die Wirkung des Heiligen 
Geistes. Um von einem Lebenszustand zum anderen iiberzugehen, 
bedarf es einer neuen Kraft - das ist die Wirkung des Sohnes. Um von 
einem Bewufitseins zustand zum anderen iiberzugehen, dazu bedarf 
es eines neuen Bewufkseins - das ist die Wirkung des Vaters. 

Der Christus Jesus hat in die Menschheit einen neuen Lebens- 
zustand eingefiihrt und wurde in Wahrheit der fleischgewordene 
Logos. Mit der Erscheinung des Christus ist eine neue Kraft in die 
Welt eingetreten, zur Vorbereitung einer neuen Erde, die in einer 
neuen Beziehung zu den Himmelswelten steht. 



KOSMOGONIE 
Fiinfzehnter Vortrag, Paris, 11. Juni 1906 

Versucht man eine Vorstellung von der planetarischen Entwicke- 
lung zu geben, so mufi man nicht zu Abstraktionen, sondern zu 
Bildern seine Zuflucht nehmen. Denn dem Bild eignet eine beleben- 
de, schopferische Kraft, die dem blofien Begriff nicht innewohnt. 
Was in der einen Welt symbolisch erscheint, entspricht einer Wirk- 
lichkeit in einer hoheren Welt. 

Wir wissen, dafi unsere Erde, bevor sie zu ihrem gegenwartigen 
Zustand gelangte, eine Phase durchschritten hat, die man mondartig 
oder einfach Mond nennt. Aber dieser alte Mond, der unserer Erde 
vorhergehende Zustand, bezieht sich auf etwas ganz anderes als auf 



unseren gegenwartigen Satelliten oder auf irgendeinen anderen Pla- 
neten, den die Astronomie jemals entdecken konnte. Die Himmels- 
korper, die der Mensch heute sieht, sind diejenigen, die sich minera- 
lisiert haben. Unser Auge kann nur die Gegenstande sehen, die 
mineralische Substanz enthalten und das Licht reflektieren, das 
heilk, die einen physischen Korper besitzen. Wenn der Okkultist 
vom Mineralreich spricht, so spricht er nicht von Steinen, sondern 
von der Sphare, in der sich heute das menschliche Bewulksein ent- 
wickelt. Viele Gelehrte betrachten ein Lebewesen als eine einfache 
Maschine und verwerfen den Gedanken an eine Lebenskraft. Diese 
Denkart kommt daher, daft unser Organismus das Leben nicht 
direkt wahrnehmen kann. Dagegen sagt der Okkultist, dafi der 
Mensch heute in der mineralischen Welt lebt. 

Betrachten wir das Auge. Das ist ein komplizierter physischer 
Apparat, eine Art Dunkelkammer, die als Fenster die Pupille hat und 
als Lupe die Linse. Der ganze Korper ist aus einer Summe physischer 
Apparate geformt, die ebenso delikat wie kompliziert sind. Das Ohr 
ist wie ein Spinett mit einer Klaviatur, und die Fibern stehen anstelle 
der Saiten. Und entsprechend verhalt es sich bei jedem Sinnesorgan. 

Das Bewufitsein des modernen Menschen ist nur wach in bezug 
auf seinen physischen oder mineralischen Leib. Aber ist es erst ein- 
mal auf dieser Daseinsebene erwacht, so mull es nichtsdestoweniger 
nach und nach auch in den anderen Bezirken des Menschenwesens 
erscheinen: in demjenigen, der durch die Lebenskrafte bestimmt 
wird - die pflanzliche Natur des Menschen -, in demjenigen, der 
hauptsachlich bestimmt wird durch die Krafte der Empfindungs- 
fahigkeit - die animalische Natur des Menschen - und schliefilich 
in der eigentlichen menschlichen Natur. 

Gegenwartig kennt der Mensch nur das, was mineralischer Natur 
im Universum ist. Den Instinkt und das Empfindungsleben beim 
Tier, die Wachstumskraft bei der Pflanze kennt er nicht nach den 
ihnen innewohnenden eigenen Gesetzen, sondern nur nach ihrer 
physischen Erscheinung. Man stelle sich vor, eine Pflanze existiere 
nur in ihrer iibersinnlichen Substanz, verlore also ihre mineralische 
Substanz, so ware sie fur uns unsichtbar. 



Aber wenn der Mensch auch nur das Mineral kennt, so hat er 
dieses wenigstens in seiner Gewalt. Er bearbeitet, modelliert, 
schmilzt, berechnet es. Er gestaltet aufs neue das Antlitz der Erde. 
Noch ist er nur fahig, dieses Antlitz mit Hilfe mechanischer Mittel 
zu bearbeiten. Gehen wir in vorgeschichtliche Zeiten zuriick, wo 
noch keine menschliche Hand die Erde angetastet hatte, da find en 
wir sie, wie sie aus der Hand der Gotter hervorging. Aber seitdem 
der Mensch vom Mineralreich Besitz ergriffen hat, verandert sich 
die Erde, und man kann den Zeitpunkt voraussehen, wo ihr Antlitz 
ganz und gar von der menschlichen Hand gepragt sein wird und 
nicht mehr von der Hand der Gotter. 

Eine bestimmte Form war von Anfang an jedem Ding durch die 
Gotter vorgeschrieben. Fur das Mineral ist dieses Vermogen der 
Formgestaltung von den Gottern auf die Menschen iibergegangen. 
In den alten Uberlieferungen hat man gelehrt, dafi der Mensch diese 
Arbeit an der Umgestaltung der Erde vollbringen solle mit dem 
dreifachen Ziel, Weisheit, Schonheit und Tugend zu verwirklichen. 
Auf dieser dreifachen Basis soil der Mensch aus der Erde einen Tem- 
pel errichten. Dann werden die Wesen, die im Laufe der Entwicke- 
lung spater erschienen sind als der Mensch, das Menschenwerk 
betrachten, wie wir das aus der Hand der Gotter hervorgegangene 
Mineralreich betrachten. Die Kathedralen, die Maschinen - sie sind 
nicht umsonst geschaffen. Der Kristall, den wir heute aus der Erde 
hervorholen - ihn haben die Gotter geformt, wie wir unsere Monu- 
mente errichten und unsere Maschinen konstruieren. Ebenso wie sie 
in der Vergangenheit aus einer chaotischen Masse die mineralische 
Welt geschaffen haben, ebenso sind unsere Kathedralen, unsere 
Erfindungen, ja unsere Einrichtungen iiberhaupt Samenkorner, aus 
denen eine kiinftige Welt hervorgehen wird. 

Nach der Verwandlung der mineralischen Welt lernt der Mensch 
diejenige der Pflanzen zu verwandeln. Das ist ein hoherer Grad des 
Konnens. Ebenso wie der Mensch heute Gebaude erbaut, wird der 
Mensch Pflanzen erschaffen und formen konnen, indem er an der 
Pflanzensubstanz arbeitet. Ja, in der Folgezeit wird der Mensch 
noch hoher steigen, indem er nicht nur lebende, sondern sogar be- 



wulke Wesen bilden wird, und er wird sein Vermogen auf das Tier- 
reich ausdehnen. Wenn der Mensch imstande sein wird, sich selbst 
durch seinen bewulken Willen neu zu erschaffen, wird er auf einer 
hoheren Stufe das verwirklichen, was er heute in der mineralischen 
Sinneswelt vollbringt. 

Der Keim zu dieser Reproduktion seiner selbst, befreit von aller 
Sinnlichkeit, ist das Wort. Das erste Bewufitsein ist dem Menschen mit 
dem ersten Atemzug zuteil geworden. Das Bewufksein wird seine 
Vollendung erreichen, wenn er imstande sein wird, in sein Wort die- 
selbe schopferische Kraft einfliefien zu lassen, mit der heute sein Ge- 
dankenleben begabt ist. Gegenwartig vertraut er nur seine Worte der 
Luft an. Wenn er sich zu einem hoheren schopferischen Bewufitsein 
erhoben hat, wird er der Luft Bilder mitteilen konnen. Das Wort wird 
dann in vollem Sinne eine lebendige Imagination sein. Indem er diesen 
Bildern Korperhaf tigkeit verleiht, wird er das Wort zum korperhaf ten 
Trager des Bildes machen. Wenn wir nicht mehr einfach unsere Ge- 
danken in den Gegenstanden verkorpern, wie zum Beispiel in der Fa- 
brikation einer Uhr, werden wir den Bildern korperhafte Substanz 
verleihen. Die Uhr zum Beispiel wird lebendig sein wie eine Pflanze. 

Und wenn der Mensch verstehen wird, das Leben auf das Hochste, 
was in ihm ist, zu iibertragen, werden diese Bilder ein eigenes, wirk- 
liches Leben erlangen, vergleichbar der tierischen Existenz. Dann 
wird der Mensch letzten Endes sich selbst reproduzieren konnen. Am 
Ende der Umwandlung der Erde wird die ganze Atmosphare wider- 
hallen von der Kraft des Wortes. So mufi der Mensch sich entwickeln, 
bis er fahig geworden ist, seine Umgebung nach dem Bild seines inne- 
ren Wesens zu modellieren. Der Eingeweihte geht ihm nur auf diesem 
Wege voran. Es ist einleuchtend, dafi die Erde selbst heute noch nicht 
solche menschlichen Leiber hervorbringen kann, wie sie es am Ende 
ihrer Entwickelung konnen wird. Zu diesem Zeitpunkt werden die 
Korper so weit sein, dafi sie als Ausdruck dessen gelten konnen, was 
man den Logos nennt. Der grofie Missionar, der allein in einem 
menschlichen Leib, gleich dem unsrigen, diese Macht des Logos, 
dieses «Das Wort ward Fleisch» offenbart hat, das ist der Christus. Er 
erscheint in der Mitte unserer Evolution, um uns ihr Ziel aufzuzeigen. 



Fragen wir uns nun: Unter welcher Form lebte der menschliche 
Geist, bevor er mittels der Atmung in uns Einzug hielt? - Die Erde ist 
die Wiederverkorperung eines vorhergehenden Planeten, den man im 
Okkultismus den Mond nennt. Auf diesem Mond gab es noch kein 
reines Mineral. Er bestand noch aus einer holzahnlichen Substanz, 
einem Mittelding zwischen Mineral und Pflanze. Seine Oberflache 
hatte nicht die Harte des Minerals, hochstens konnte man sie mit dem 
Torf vergleichen. Es wuchsen auf dieser Weltkugel halb pflanzenhaf- 
te, halb molluskenhafte Wesen, und ein drittes Reich bewohnte sie, 
ein Zwischenreich zwischen dem Menschen und den gegenwartigen 
Tieren. Dies waren gerade diejenigen Wesen, die mit einem traumhaf- 
ten imaginativen Bewufitsein begabt waren. Man kann sich die Mate- 
rie, aus der sie zusammengesetzt waren, vorstellen, wenn man sie ver- 
gleicht mit derjenigen, die heute die Nervenmasse der Krebse oder 
die Nerven uberhaupt darstellt. In der Tat ist es die Verdichtung die- 
ser Materie, aus der die gegenwartige Gehirnmasse hervorgegangen 
ist. Aber wahrend sie damals, auf dem Monde, in einem gallertartigen 
Zustand leben konnte, mufi sie nun auf der Erde von einer schiitzen- 
den Beinhiille umgeben sein: dem Panzer der Krustentiere oder der 
Schadelkapsel. So sind alle Substanzen, aus denen wir zusammen- 
gesetzt sind, aus dem Makrokosmos hervorgegangen. Und diese 
universelle Vorbereitung war notwendig, damit das Ich sich in den 
Menschen hineinsenken konnte. 

Aber wir haben gesehen, da£ der Mensch erst imstande war, den 
Keim seines Ich auf der Erde zu empfangen, als er die ihn umgebende 
Luft atmen konnte. Was atmete er nun auf dem Monde? 

Je weiter wir in der Entwickelung zuriickgehen, desto mehr er- 
hoht sich die Temperatur. Auf der Atlantis war alles in heifie Damp- 
fe gehullt. In diesen alten Zustanden wird die Luft erst heifi, dann 
feurig: das Feuer nimmt die Stelle der Luft ein. Die Lemurier haben 
noch Feuer geatmet. Darum heilk es in den okkulten Schriften, dafi 
die Menschen zuerst durch die Feuergeister belehrt worden seien. 
Als der physische Mensch auf der Erde Fuft falke, wurde die Luft 
sein Lebenselement. Aber der Mensch verdirbt diese Luft, indem er 
sie in Kohlensaure verwandelt, und so driickt der Atmungsprozefi 



die Verdichtung unseres Erdballs noch urn einen Grad herunter. Die 
Tatigkeit der Pflanzen stellt das Gleichgewicht her. Immerhin be- 
wirkt der physische Leib, der es notig hat, sich den Sauerstoff der 
Luft anzueignen, dalS die Kohlensaure auf der Oberflache der Erde 
sich vermehrt und infolgedessen die menschlichen Korper blutarm 
werden. Eine Zeit wird kommen, wo der physische Korper ver- 
schwunden sein wird und Mensch und Erde astraler Natur sein 
werden. Denn die physische Natur zerstort sich durch ihre eigenen 
Krafte. Bevor sich aber diese Umwandlung vollendet, wird sich eine 
kosmische Nacht dazwischenfiigen, ahnlich derjenigen, welche den 
Ubergang vom alten Mond zu unserer gegenwartigen Erde dar- 
stellte. 

Die Atmosphare des Mondes enthielt Stickstoff, wie heutzutage 
die irdische Atmosphare Sauerstoff enthalt, und das Vorwalten des 
Stickstoffs ist es, was das Ende der Mondperiode und den Anfang 
der kosmischen Nacht bewirkt hat. Was auf der Erde an die letzten 
Existenzbedingungen des Mondes erinnert, das sind die Stickstoff - 
verbindungen. Daraus erwachst auf der Erde eine destruktive Wir- 
kung, denn diese Stickstoffverbindungen sind hier nicht an ihrem 
Platze. Es sind schadliche Riickstande aus den Lebensbedingungen 
eines anderen Weltalters. Die Verbindung von Kohlenstoff und 
Stickstoff hatte auf dem Mond ungefahr die gleiche Wirkung wie auf 
der Erde diejenige von Kohlenstoff und Sauerstoff (siehe Hinweis). 

Der Tiermensch, der auf dem Monde lebte, ist also der Vorfahre 
des physischen Erdenmenschen, wie die Feuergeister dieser Mond- 
epoche die Erzeuger des gegenwartigen Menschengeistes sind. Was 
sich auf dem Mond im Feuer inkarnierte, das inkarniert sich auf der 
Erde in der Luft. 

Aber wo finden wir beim gegenwartigen Menschen eine Erinne- 
rung an die Tatigkeit dieser Feuergeister? - Auf dem Mond hatten 
die Lebewesen kein warmes Blut. Was hat die Blutwarme und im 
Verfolg das Aufleben der Leidenschaften verursacht? Das Feuer ist 
es, das die Wesen auf dem Monde eingeatmet haben und das nun auf 
der Erde in ihrem Blute wieder Leben gewinnt. Und der Geist der 
Luft umgibt heute mit einem leichten Sinneskleid diesen Korper, der 



das Erbe des Mondzustandes bewahrt: die Blutwarme, das Gehirn, 
das Riickenmark, die Nerven. 

Diese Beispiele zeigen uns, daft man sehr sorgfaltig die Verwand- 
lung der Substanzen studieren mufi, um eine Umwandlung zu be- 
greifen, wie sie sich vollzog im Laufe der Entwickelungsphasen, die 
der Erde vorangingen. Wiirden wir weiter zuriickgehen, so wiirden 
wir sehen, daft unser Planet in vorhergehenden Zustanden einen rein 
gasformigen Korper hatte, und, noch weiter zuriick, einen Korper 
von reiner Klangstofflichkeit. Von diesem Klang, der das Welten- 
wort selber ist, nimmt die menschliche Entwickelung ihren Aus- 
gang, um in der Folgezeit zum Licht, zum Feuer, zur Luft fort- 
zuschreiten. Erst im vierten Zustand wird der menschliche Geist 
bewuftt. Von diesem Zeitpunkt an kommt ihm die Orientierung, die 
ihm vormals durch das Wort gegeben worden war, aus seinem Inne- 
ren, und sein Bewufttsein wird sein eigener Fiihrer. Sein ureigent- 
liches Wesen realisiert sich im Ich. Die Bewufttwerdung des Ich, das 
bedeutet die Verwirklichung des Christus-Prinzips im Menschen. 

Wiirden wir zuriickgehen bis zur ersten elementaren Form, so 
wiirden wir vom Wort, vom flutenden Ton aufgenommen werden. 
Mit der zweiten Elementarstufe wiirden wir hiniiberwechseln zum 
flutenden Licht. Die dritte Elementarstufe wiirde uns mit Warme 
durchdringen. Endlich wiirden wir auf der vierten Elementarstufe, 
in der irdischen Atmosphare, das Selbstbewufitsein erscheinen 
sehen, das dem Menschen erlaubt, Ich zu sich zu sagen. (Siehe die 
schematische Darstellung auf S. 104.) 



Schematische Darstellung zum fiinfzehnten Vortrag 



Logos 



Flut~?ndei-Ton 

...M.) 

». 



Flieflen<k>j Lichf 
/ • Wcirmc - Fewer 

/ / '', Luff - mi n c r q h* jchc Forroen 



'/" " t " r 
it'. 



j \ \ PflcimJicho Fonncn 

/ ? \ TYci-iiches Lcben 

/ f \ Aloiuchh'the Fohmen 

/ ; \ Alonschfichej Lebcn 



/^ensch 



KOSMOGONIE 
Secbzehnter Vortrag, Paris, 12. Juni 1906 

In einer vorhergehenden Stunde sind wir in der menschlichen Evo- 
lution zuriickgegangen bis zur Geschlechtertrennung. Dieser Punkt 
der Entwickelung ist das Ergebnis einer langen kosmischen Vorbe- 
reitung. Nach der Nacht, welche die alte Mondenentwickelung von 
der Erdenentwickelung schied, erschien die Erde zunachst gemischt 
aus den Kraften der heutigen Sonne und des heutigen Mondes. Sie 
bildeten einen einzigen Korper, der sich nach und nach differenzier- 
te und die drei Korper, die wir heute kennen, aus sich gebar. Die 
Trennung in die Geschlechter ist das Ergebnis der Teilung in die 
Monden- und in die Erdenkrafte. Die weiblichen Reproduktions- 
krafte sind unter dem Einflufi des Mondes geblieben, Der Mond 
bleibt gebunden an dasjenige, was auf der Erde beim Menschen und 
bei den Tieren das Fortpflanzungsleben regelt. So enthiillen uns die 
Kenntnisse, die uns der Okkultismus verschafft, welche Wirkens- 
krafte im Planetensystem im Spiele sind. 

Als die Sonne noch mit der Erde und mit dem Mond verbunden 
war, gab es weder Pflanzen noch Tiere noch Menschen im eigent- 
lichen Sinn des Wortes. Einzig das Pflanzenreich existierte, jedoch in 
einer ganz anderen Art als heute. Es hat eine besondere Beziehung zu 
den Sonnenkraften bewahrt, entsprechend der Beziehung des Tieres 
zum Monde und des Menschen zur Erde. Solange die Sonne mit der 
Mond-Erde verbunden war, richteten die Pflanzen ihre Bliiten hin 
zum Mittelpunkt des Planeten. Als sie sich entfernte, orientierten sie 
sich nach ihr und richteten ihre Bliiten zu ihr hin. Wir haben gesehen, 
dafi die Pflanzen eine dem Menschen entgegengesetzte Haltung ein- 
nehmen, indem sie sich zwar, wie er selbst, vertikal aufrichten, aber in 
umgekehrter Richtung, wahrend das Tier sich in der Mitte zwischen 
der Orientierung des Menschen und derjenigen der Pflanzen befin- 
det: Seine Wirbelsaule verlauft horizontal. In dem Mafie, als sich die 
drei Himmelskorper trennten, haben die drei Naturreiche auf der 
Erde die Verhaltensweise angenommen, die wir kennen: das Pflan- 
zenreich zur Zeit der Sonnentrennung, das Tierreich zur Zeit der 



Mondentrennung. In der urspriinglichen Zusammensetzung der 
Krafte war im Keim alles enthalten, was in der Folgezeit in phy- 
sischem Aspekt zutage trat. Man stelle sich eine Substanz vor, die bis 
zu einem hohen Hitzegrad gebracht und dann erkaltet ist; man sieht 
dann, wie alle Elemente, die sie enthielt, Form annehmen. 

Zur Zeit des alten Mondes finden wir gleichfalls die Sonnenkraf- 
te, die in einer bestimmten Epoche in einem aufterhalb dieses Mon- 
des befindlichen Gestirn konzentriert sind. Der Mond drehte sich 
urn diese alte Sonne, und zwar so, dafi er ihr immer die gleiche Seite 
zuwandte. Die Mondrotation urn die Erde ist eine Fortsetzung die- 
ser Bewegung, wie sie einstmals um die alte Sonne vollfuhrt wurde. 
Diese beiden Gestirne verbanden sich am Anfang und am Ende die- 
ser kosmischen Periode auf dieselbe Weise wie sich die Erde, der 
Mond und die Sonne am Anfang der Erdperiode miteinander ver- 
banden und sich am Ende wiederum vereinigen werden. Niemals 
hatte die Wirksamkeit dieser beiden alten Gestirne in der Evolution 
zutage treten konnen, wenn sie nicht nach der Trennung ihre Krafte 
umgeschmolzen hatten. Was der Mond entwickelt hat, wahrend er 
aufierhalb der Sonne war, das sind die Krafte, die es erlaubten, dafi 
spater ein dritter Korper erschien. Denn wahrend dieser Trennung 
konnte der Mensch dasjenige in sich entwickeln, was dazu fiihren 
sollte, daft er physische Gestalt annahm und auf Erden ein Gegen- 
standsbewufksein, das Wachbewufksein, auszubilden vermochte. 

Die Periode, die dieser Mondenentwickelung vorausging, heifit 
die Sonnenentwickelung. Bis zu diesem Punkt der Entwickelung 
gibt es namlich ausschliefilich reines Sonnenleben. Die Geheimwis- 
senschaft sieht in der Sonne einen Fixstern, der vormals ein Planet 
war, ebenso wie sie in der Erde einen Planeten sieht, der dazu be- 
stimmt ist, kimftig die Sonne eines Weltsystems zu werden. Wah- 
rend der Sonnenentwickelung hat der Mensch nur ein Bewulksein 
ahnlich dem traumlosen Schlaf. 

Der Sonnenperiode ging noch ein anderer Zustand voraus; die 
Sonne selbst war noch kein Planet. Der Mensch kannte hier nur ein 
tiefes Trance- oder tiefes Schlafbewufitsein. Er war noch nicht das 
Lichtgeschopf, das er auf der alten Sonne werden sollte. Er vibrierte 



einfach als ein Ton in der reinen Harmonie dieser Saturnperiode, mit 
der im iibrigen der heutige Saturn nichts zu tun hat. 

Nach unserer Erdperiode mit dem wachen physischen Bewufk- 
sein wird ein funfter Zustand anbrechen, ein imaginatives Astral- 
bewulksein, im Verlauf einer Entwickelung, die man die Jupiterent- 
wickelung nennt. Dann wird die Venusentwickehing folgen, in der 
bewufit werden wird, was heute der unbewufke Tiefschlaf ist. End- 
lich folgt die Vulkanentwickelung, die dem hochsten Bewufitseins- 
zustand entspricht, den ein Eingeweihter erreichen kann. 

Aber die Beziehungen der Erde und der Planeten horen damit 
nicht auf. Unsere gegenwartige Erdepoche lafk sich in zwei Ab- 
schnitte teilen. Im ersten hat sich herausgebildet, was bewirkt, dafi 
unser Blut rot ist. Was ist es, das uns dieses rote Blut gegeben hat? - 
Zur Zeit der Trennung, die sich zwischen der Erde und der Sonne 
vollzog, wurde der aus leichtfliissigen Substanzen bestehende Welt- 
korper von den gleichfalls fliissigen Stromungen des Planeten Mars 
durchzogen. Vor diesem Durchgang des Mars existierte keine Spur 
von Eisen auf der Erde. Das Eisen war das Resultat dieses Durch- 
gangs. Alle Substanzen, die Eisen enthalten, wie unser Blut, unter- 
liegen dem Einfluft des Mars. Mars hat die Substanz der Erde 
gefarbt, und sein Einflufi hat das Erscheinen des roten Blutes 
ermoglicht. Aus diesem Grunde nennt man die erste Halfte der 
Erdentwickelung die Marsentwickelung. 

Das Eisen war zu jener Zeit eine flussige Substanz. Erst in der 
Folgezeit sind die Metalle hart geworden. Das einzige Metall, das 
sich noch nicht verfestigt hat, ist das Quecksilber. Wird es fest sein, 
so wird die Seele des Menschen unabhangig vom physischen Korper 
geworden sein und die astrale Imagination wird zum Bewufitsein 
werden konnen. Dieses Geschehen ist gebunden an die Krafte des 
Merkur, welche die zweite Erdperiode beeinflussen, in dem Mafie, 
als sie sich verdichten und verfestigen. Die Erde ist Mars und Mer- 
kur zugleich. Das haben die Eingeweihten in die Sprache einfliefien 
lassen, indem sie die Tage der Woche mit den Namen der Planeten 
bezeichneten, die zu unserer Evolution gehoren: Mars und Merkur 
haben ihren Platz zwischen Mond und Jupiter. 



Das Erdinnere. Die physikalische Wissenschaft kennt lediglich 
erst die Erdrinde, die mineralische Schicht, die im Grunde nur eine 
diinne Haut auf der Oberflache der Erde ist. In Wirklichkeit ist die 
Erde zusammengesetzt aus einer Folge konzentrischer Schichten, 
die wir jetzt beschreiben wollen. 

Erstens: Die mineralische Schicht enthalt die Metalle, deren Sub- 
stanz sich im physischen Korper von alle dem befindet, was auf der 
Oberflache lebt. Diese Schicht, die gleichsam eine Haut um das 
lebende Wesen Erde bildet, hat nur eine Starke von einigen Meilen. 

Zweitens: Die zweite Schicht versteht man nur, wenn man sich 
durchringt zu der Idee einer Materie, die derjenigen, die wir kennen, 
entgegengesetzt ist. Es ist ein negatives Leben, der Gegensatz zum 
Leben. Alles Leben erstirbt hier. Eine Pflanze, ein Tier, das man da 
hinein versenkte, wiirde unmittelbar vernichtet werden, aufgelost in 
der Masse. Diese zweite halbfliissige Umhullung, welche die Erde 
umgibt, ist in Wahrheit ein Todesbezirk. 

Drittens: Die dritte Schicht ist ein Bezirk umgekehrten Bewulk- 
seins. Jedes Leid erscheint hier als eine Freude, jede Freude als ein 
Leid. Ihre Substanz, aus Dampfen bestehend, verhalt sich hinsicht- 
lich unserer Gefiihle in der gleichen negativen Art wie die zweite 
Schicht hinsichtlich des Lebens. 

Streichen wir diese drei Schichten in Gedanken, so finden wir die 
Erde wieder in dem Zustand, in dem sie war, bevor der Mond sich 
von ihr trennte. Kann man sich durch Konzentration bis zu einer 
bewufiten astralen Vision erheben, so sieht man diese zwei Schichten 
in Tatigkeit: die Zerstorung alien Lebens auf der zweiten, die 
Umwandlung der Gefiihle auf der dritten Schicht. 

Viertens: Der vierte Kreis heifit Wasser-Erde, Seelen-Erde, Form- 
Erde. Er besitzt eine bemerkenswerte Eigentumlichkeit. Man stelle 
sich einen Wiirfel vor, der seiner Substanz nach umgekehrt erschie- 
ne: da, wo diese Substanz war, ware nichts; der durch den Wiirfel 
eingenommene Raum ware leer, aber um ihn herum ware diese Sub- 
stanz, die substantielle Form. Daher kommt dieser Name Form- 
Erde. Hier ist dieser Wirbel von Formen, anstatt eine negative Leere 
zu sein, eine positive Substanz. 



Fiinftens: Diese Schicht heilk Erde der Wachstumskrafte. Sie 
enthalt die Ursprungsquelle des irdischen Lebens, eine Substanz 
knospender, reichlich sich vermehrender Energien. 

Sechstens: Die sechste Schicht ist die Feuer-Erde, eine Substanz, 
die aus purem Willen besteht, Element des Lebens, der Bewegung, 
ohne Unterlafi durchzogen von Impulsen, von Leidenschaften, ein 
wahrhaftes Reservoir von Willenskraften. Wiirde man einen Druck 
auf diese Schicht ausiiben, so wiirde sie Widerstand leisten und sich 
verteidigen. 

Sieht man in Gedanken von diesen drei neuen Schichten ab, so 
kommt man zu dem Zustand, in dem die Weltkugel sich befand, als 
Sonne, Mond und Erde zusammen noch einen Korper bildeten. Die 
folgenden Kreise sind nur der bewufken Beobachtung nicht nur des 
traumlosen Schlafes, sondern sogar des Tiefschlafs oder der Trance 
zuganglich. 

Siebentens: Dieser Kreis ist der Spiegel der Erde. Ahnlich einem 
Prisma zerlegt er jedes Ding, das sich darin spiegelt, und lafit das 
Gegenbild dazu erscheinen. Sieht man durch einen Smaragd, er- 
scheint er rot. 

Achtens: In diesem Kreise erscheint alles zerstuckelt und bis ins 
Unendliche wiedererzeugt. Nimmt man eine Pflanze oder einen 
Kristall und konzentriert sich auf diesen Kreis, so erscheint darin 
Pflanze und Kristall ins Unendliche vervielfacht. 

Neuntens: Diese letzte Schicht besteht aus einer mit moralischer 
Aktivitat ausgestatteten Substanz, aber ihre Moralitat ist entgegen- 
gesetzt derjenigen, die sich auf der Erde entfalten mufi. Denn ihr 
Wesen, die mit ihr verbundene Gewalt, das ist: die Trennung, die 
Zwietracht und der Haft. Hier in der Danteschen Holle befindet 
sich Kain, der Brudermorder. Diese Substanz ist entgegengesetzt 
allem, was unter Menschen gut und schon ist. Die Bemiihung der 
Menschheit zur Verbreitung der Briiderlichkeit auf der Erde ver- 
mindert in entsprechendem Mafie die Macht dieser Sphare. Es ist 
die Macht der Liebe, die in dem Grade, wie sie sich vergeistigen 
wird, sogar den Leib der Erde umbilden wird. Diese neunte Schicht 
ist der substantielle Ursprung von dem, was auf der Erde als 



schwarze Magie erscheint, das heifk als Magie, die auf den Egois- 
mus begriindet ist. 

Alle diese Schichten sind miteinander verbunden durch Strahlen, 
die den Mittelpunkt der Erde mit ihrer Oberflache verbinden. In der 
aufieren Schicht, im SchoE der festen Erde, finden sich in ziemlich 
grower Zahl gewisse unterirdische Raume, die mit der sechsten 
Schicht, der Feuer-Erde, in Verbindung stehen. Dieses Element der 
Feuer-Erde steht in enger Verwandtschaft mit dem menschlichen 
Willen. Sie ist es, die jene entsetzlichen Eruptionen hervorgebracht 
hat, die der lemurischen Epoche ein Ende bereitet haben. Die Krafte, 
die den menschlichen Willen speisen, gingen zu dieser Zeit durch eine 
Krise, welche die Entfesselung jener Feuergewalt herausforderte, in 
welcher der lemurische Kontinent unterging. Im Laufe der Ent- 
wickelung senkte sich diese sechste Schicht immer mehr gegen den 
Erdmittelpunkt, und aus diesem Grunde wurden die vulkanischen 
Eruptionen weniger zahlreich. Aber sie finden immer noch statt 
unter der Einwirkung des menschlichen Willens, der magnetisch auf 
die Erdschicht wirkt und sie in Unordnung bringt, wenn er schlecht 
und irregeleitet ist. Gereinigt vom Egoismus kann der menschliche 
Wille im Gegenteil dieses Feuer besanftigen. Insbesondere die mate- 
rialistischen Epochen sind begleitet und gefolgt von Erdkatastro- 
phen, Erdbeben und so weiter. Eine starkere Befolgung der fort- 
schreitenden Entwickelung ist die einzige Alchimie, die nach und 
nach den Organismus und die Seele der Erde verwandeln konnte. 

Folgendes Beispiel zeigt die Relation zwischen dem menschli- 
chen Willen und den Erdbewegungen: Bei den Menschen, die infol- 
ge von Erdbeben oder vulkanischen Eruptionen starben, kann man 
im Laufe ihrer folgenden Inkarnation ganz andere Eigenschaften 
beobachten. Sie bringen bei ihrer Geburt grofie spirituelle Veran- 
lagungen mit, denn sie sind durch ihren Tod in Beziehung getreten 
zu einem Element, das ihnen das wahre Gesicht der Dinge und das 
Illusionare eines blofi materiellen Lebens gezeigt hat. 

Man hat auch eine Beziehung beobachtet zwischen bestimmten 
Geburten und den Erdbeben- und Vulkankatastrophen. In Kata- 
strophenzeiten inkarnieren sich gerne materialistische Seelen, die 



sich sympathisch angezogen fiihlen durch die vulkanischen Phano- 
mene wie durch die konvulsivischen Bewegungen der boswilligen 
Erdseele. Und ihrerseits konnen diese Geburten neue Katastrophen 
herbeifiihren. Denn umgekehrt haben die schlimmen Seelen einen 
erregenden Einfluft auf das Erdfeuer. Die Entwickelung unseres 
Planeten ist eng verbunden mit der Entwickelung der menschlichen 
Krafte und der Zivilisationen. 



KOSMOGONIE 
Siebzehnter Vortrag, Paris, 13. Juni 1906 

Es gibt sieben Lebensgeheimnisse, von denen man bis heute aufier- 
halb der okkulten Bruderschaften noch niemals gesprochen hat. Erst 
in der gegenwartigen Zeitepoche ist es moglich, exoterisch davon zu 
sprechen. Man nennt sie auch die sieben unaussprechlichen oder 
namenlosen Geheimnisse. 

Wir wollen versuchen, vom vierten Geheimnis zu sprechen, dem 
[Geheimnis der Geburt und] des Todes. 

Dies sind die Geheimnisse: 

Erstens: Das Geheimnis des Abgrunds. 

Zweitens: Das Geheimnis der Zahl. Man kann es in der pythago- 
reischen Philosophie studieren. 

Drittens: Das Geheimnis der Alchimie. Dieses kann man durch 
die Werke von Paracelsus und Jakob Bohme begreifen. 

Viertens: Das Geheimnis [der Geburt und] des Todes. 

Funftens: Das Geheimnis des Bosen, das beriihrt wird in der 
Apokalypse. 

Sechstens: Das Geheimnis des Wortes, des Logos. 

Siebentens: Das Geheimnis der Gottseligkeit; es ist das zutiefst 
verborgene Geheimnis. 

Erinnern wir uns, daft wir auf dem Planeten, der unserer Erde vor- 
anging, auf dem alten Mond, drei Naturreiche unterschieden haben, 



die von den Reichen auf der Erde ganz verschieden sind. Unser Mine- 
ralreich existierte noch nicht. Es ist geboren aus der Verdichtung, aus 
der Kristallisation, dem Mineralisch-Pflanzlichen des Mondes. Un- 
sere Pflanzenwelt ist aus dem Pflanzlich-Tierischen der Mondenent- 
wickelung entsprossen. Und was gegenwartig die Tierwelt ist, ent- 
stammt dem, was auf dem Monde der Tiermensch war. Wir sehen 
also, dafi jedes dieser Mondreiche auf der Erde einen Abstieg zur Ma- 
terialisation hin durchmachte. Ebenso verhalt es sich mit den Wesen, 
die auf dem Mond iiber dem Tiermenschen standen: den Feuergei- 
stern. Die Menschen jener Zeit atmeten jenes Feuer, wie wir heute die 
Luft atmen. Deshalb ist das Feuer in den Legenden und Mythen ge- 
wisserma£en die erste Manifestation der Gotter geblieben. Goethe 
macht im «Faust» eine Anspielung darauf, wenn er sagt: 

Ein biEchen Feuerluft, die ich bereiten werde, 
Hebt uns behend von dieser Erde. 

Diese Feuergeister des alten Mondes verkorpern sich innerhalb der 
Erdenentwickelung in der Luft. Sie sind also auch in eine dichtere 
Materialitat herabgestiegen, in die Luft, die wir gegenwartig ein- 
und ausatmen. Sie sind diese Luftsubstanz, die um uns und in uns 
lebt und die Erde mit ihrer Atmosphare einhiillt. 

Wenn diese Geister nun also bis zum Luftelement herabgestiegen 
sind, wenn die Mondenreiche auf diese Art eine Involutions-Ent- 
wickelung durchgemacht haben, so ist es zu dem Zweck geschehen, 
dafi der Mensch, dank ihrer Tatigkeit, sich bis zur Vergottlichung 
emporheben konne. In der Tat hat eine doppelte Bewegung inner- 
halb eines jeden der beiden Mondenreiche stattgefunden: die unter- 
ste Partie ist herabgestiegen, wahrend die uns nachststehende aufge- 
stiegen ist. So hat sich der Tiermensch in zwei Gruppen gespalten, 
von denen die eine, unter dem Einflufi der Atmung und der Tatig- 
keit der zu Luftgeistern umgebildeten Feuergeister, an der Heraus- 
formung ihres Gehirns arbeitete, wahrend die zuruckgebliebene 
Gruppe zum Tierreich hinabstieg. Diese Spaltung findet sich wieder 
bis hinein in die Konstitution des Menschen selbst, dessen untere 
Partie sich dem Tier nahert, wahrend die obere Partie dem Geistigen 



zustrebt. Je nachdem das eine oder andere Merkmal mehr oder we- 
niger ausgepragt war, bildeten sich nach und nach zwei verschiedene 
Menschenarten heraus: die eine, entsprechend ihrer niedrigeren 
Natur, vornehmlich an die Erde gebunden, die andere, hoher ent- 
wickelte, losgeldst von der Erde. Die erstgenannten fielen in die 
Tierheit zuriick. Die anderen konnten den gottlichen Funken in sich 
aufnehmen, das Ich-Bewufttsein. So ist die Beziehung, die tatsach- 
lich zwischen Mensch und Tier besteht, und insonderheit zum Af- 
f en. Das physische Korrelat zu dieser geistigen Entwickelung wurde 
das Wachstum, die Entfaltung des menschlichen Gehirns, das zu ei- 
nem Tempel wurde, in dem die Gottheit Wohnung nehmen konnte. 

Aber wenn nur diese Entwickelung sich vollzogen hatte, hatte 
doch noch etwas gefehlt. Es hatte Mineralien gegeben, Pflanzen, 
Tiere, ja Menschen mit entwickeltem Gehirn, fahig, die gegenwarti- 
ge Menschenform zu erreichen. Aber etwas ware auf dem Monden- 
standpunkt stehengeblieben. Auf dem alten Mond gab es weder 
Geburt noch Tod. 

Man stelle sich das menschliche Wesensgefiige vor ohne den physi- 
schen Leib: es gabe keinen Tod, die Wesenserneuerung wiirde sich auf 
eine andere Art vollziehen als durch die gegenwartige Geburt. Teile 
des Astralleibs, des Atherleibs wiirden sich durch Austausch erneu- 
ern, aber die Zusammensetzung bliebe konstant. Das Zentrum bliebe 
unveranderlich, die Oberflachen allein waren der Ort des Austauschs 
mit der aufieren Umgebung. So war es auf dem Mond: der Mensch 
machte lediglich Metamorphosen durch, weder Geburt noch Tod, 
sondern eine unaufhorliche Umgestaltung. Aber in diesem Stadium 
war er noch nicht zum Selbstbewufitsein gelangt. Die Gotter, die ihn 
gebildet hatten, waren um ihn, hinter ihm, aber nicht in ihm. Sie waren 
ihrerseits das, was der Baum ist fur den Zweig oder was das Gehirn ist 
fur die Hand. Die Hand bewegt sich, aber das Bewuiksein von der 
Bewegung ist im Gehirn. Der Mensch war ein Zweig am gottlichen 
Baum, und wenn seine Entwickelung auf der Erde diesen Zustand 
nicht geandert hatte, ware sein Gehirn nur eine Bliite an diesem gott- 
lichen Baum gewesen, seine Gedanken wiirden sich auf dem Spiegel 
seiner Physiognomie gezeigt haben, aber er hatte nichts gewufk von 



seinen eigenen Gedanken. Unsere Erde ware eine Welt von Wesen ge- 
wesen, begabt mit Gedanken, aber nicht mit Selbstbewuiksein, eine 
Welt von Statuen, die durch die Gotter, und namentlich durch Jahve 
oder Jehova beseelt waren. Was ist geschehen, um die Lage der Dinge 
zu verandern, und wie ist der Mensch zur Unabhangigkeit gelangt? 

Gibt es in einer Schule mehrere Klassen, so gibt es Kinder, die alle 
durchlaufen, und andere, die nicht bis dahin gelangen. Die Gotter 
von der Gefolgschaft des Jahve waren soweit, in das menschliche 
Gehirn herabsteigen zu konnen. Aber andere Geister, die auf dem 
Monde zu den Feuergeistern zahlten, hatten ihre Entwickelung nicht 
beendet, und anstatt auf der Erde in das Gehirn des Menschen einzu- 
dringen, verbanden sie sich mit seinem Astralleib. Dieser Astralleib 
besteht aus Instinkten, Wiinschen, Leidenschaften. Hier hinein zo- 
gen sich solche Feuergeister zuriick, die ihr Entwickelungsziel auf 
dem Monde nicht erreicht hatten. Sie erlangten eine Wohnstatte in 
der tierischen Natur des Menschen, wo die Leidenschaften entstehen, 
und gleichzeitig gaben sie diesen Leidenschaften einen hoheren 
Schwung. Sie liefien den Enthusiasmus in das Blut und in den Astral- 
leib einstromen. Die Jehovagotter hatten die reine, kalte Form der 
Idee gegeben; aber durch diese Geister, die man luziferische nennen 
kann, wurde der Mensch fahig, sich fur die Ideen zu begeistern und 
leidenschaftlich fur oder gegen sie Partei zu nehmen. Wenn die 
Jehovagotter das menschliche Gehirn modelliert haben, so haben die 
luziferischen Geister dieses Gehirn mit den physischen Sinnen ver- 
kniipft durch die Verzweigungen der Nerven, die in die Sinnesorgane 
endigen. Luzifer lebt in uns ebenso lange wie Jehova. 

Alles, was durch die Sinne fliefk und dem Menschen ein objekti- 
ves Bewufitsein von seiner Umgebung gibt, verdankt er den luzife- 
rischen Geistern. Verdankt er den Gottern das Gedankenleben, so 
verdankt er Luzifer, dafi er dessen bewufk wird. Luzifer lebt in sei- 
nem Astralleib und betatigt sich in seinem durch die Nerven vermit- 
telten Sinnesleben. Deshalb spricht die Schlange in der Genesis: 
Eure Augen werden aufgetan werden. - Man kann diese Worte 
buchstablich nehmen, denn im Laufe der Zeit haben die luziferi- 
schen Geister die Sinne des Menschen erschlossen. 



Durch die Sinne individualisiert sich das Bewufitsein. Ohne den 
Bezug auf die Sinneswelt waren die Gedanken des Menschen nichts 
als Reflexe von der Gottheit, Akte des Glaubens, nicht des Wissens. 
Die Widerspriiche zwischen dem Glauben und der Wissenschaft 
kommen von diesem doppelten Ursprung des menschlichen Gedan- 
kens her. Der Glaube wendet sich zu den ewigen Ideen, zu den Ur- 
miittern, die sich von den Gottern ableiten; die Wissenschaft, die 
Kenntnis der aufieren Welt durch die Sinne, kommt von den luziferi- 
schen Geistern. Der Mensch ist geworden, was er ist, indem er das 
luzif erische Prinzip mit der gottlichen Vernunft verbunden hat. Diese 
Verbindung zweier entgegengesetzter Prinzipien in ihm gibt ihm die 
Moglichkeit zum Bosen, aber gleichzeitig auch das Mittel, sein Selbst- 
bewufitsein zu erlangen, kritisch zu prtifen und frei zu sein. Nur 
einem Wesen, das zur Individualisierung veranlagt ist, konnte durch 
diesen Gegensatz der Elemente in seinem Inneren geholfen werden. 
Hatte der Mensch, als er in die Materie hinabstieg, nur die von Jehova 
verliehene Form empfangen, so ware er unpersonlich geblieben. 

Luzifer ist also das Prinzip, das es dem Menschen erlaubt, wahr- 
haft ein von den Gottern unabhangiger Mensch zu werden. Der 
im Menschen sich offenbarende Christus oder der Logos ist das 
Prinzip, das ihm erlaubt, wiederum zur Gottheit aufzusteigen. 

In vorchristlicher Zeit waltete im Menschen das Jehovaprinzip, 
das ihm seine Form verlieh, und das Luziferprinzip, das ihn indivi- 
dualisierte. Er war geteilt zwischen dem Gehorsam gegeniiber dem 
Gesetz und der Auflehnung des Individuums. Doch das Christus- 
prinzip kam, um zwischen den beiden das Gleichgewicht herzustel- 
len, indem es lehrte, im Inneren des Individuums selbst das Gesetz 
zu finden, das zuerst von aufSen gegeben worden war. Das erklart 
Paulus, der von der Freiheit und von der Liebe das christliche Prin- 
zip recht eigentlich ableitet: das Gesetz hat den alten Bund regiert 
wie die Liebe den neuen. - Wir finden also beim Menschen drei 
Prinzipien, die untrennbar und zu seiner Entwickelung notwendig 
sind: Jehova, Luzifer, Christus. 

Aber Christus Jesus ist nicht blofi ein unbestimmtes Prinzip in 
der Welt. Er ist ein Wesen, das nur einmal, in einem geschichtlich 



bestimmten Moment erschienen ist. In menschlicher Gestalt hat er 
durch sein Wort und Leben einen Zustand der Vollendung enthiillt, 
den alle Menschen am Ende der Zeiten durch ihren eigenen freien 
Willen erreichen werden. Er ist erschienen auf dem Hohepunkt 
einer furchtbaren Krise, als die herabsteigende Entwickelungslinie 
der Menschheit im Begriffe war, ihren tiefsten Punkt in der Materia- 
lisierung zu erreichen. 

Sollte das Christus-Prinzip in den Menschen zur Erweckung 
kommen, war es notwendig, da£ es auf der Erde in einem Menschen 
zur Erscheinung kam und dafi der Christus gelebt hat. 

Das Karma und der Christus sind der Inbegriff der ganzen Evo- 
lution. Das Karma ist das Gesetz von Ursache und Wirkung in der 
geistigen Welt; es ist die Spirale der Entwickelung. Die Christus- 
Kraft schaltet sich in die Entwickelung dieser karmischen Linie als 
richtunggebende Achse ein. Diese Kraft findet sich seit der Ankunft 
des Christus auf der Erde im Grunde jeder menschlichen Seele. 

Aber wenn man im Karma nichts anderes sieht als eine dem Men- 
schen auferlegte Notwendigkeit, sein Unrecht wieder gutzumachen 
und seine Irrtiimer abzubiiften durch eine unversohnliche Gerech- 
tigkeit, die von einer Verkorperung zur anderen wirkt, so unter- 
stiitzt man den gelegentlichen Einwand, dafi das Karmagesetz die 
Erloserrolle des Christus aufhebe. In Wirklichkeit ist das Karma auf 
der einen Seite eine Erlosung des Menschen durch sich selbst, durch 
sein eigenes Bemiihen, durch seinen stufenweisen Aufstieg zur Frei- 
heit im Laufe der Wiederverkorperungen, und anderseits dasjenige, 
was den Menschen dem Christus annahert. Denn die Christus-Kraft 
ist der Grundimpuls, der den Menschen in Freiheit zur Umwand- 
lung des unversohnlichen Gesetzes fiihrt, und die Quelle dieses 
Impulses ist die Person und das Beispiel des Christus Jesus. Nicht 
mehr ist es notig, im Karma ein Verhangnis zu sehen; vielmehr ist es 
als das notwendige Mittel zu verstehen, um die hochste Freiheit, das 
Leben in Christus, zu erreichen - eine Freiheit, die man nicht er- 
reicht, indem man der Ordnung der Dinge mifkraut, sondern indem 
man sie begreift. Das Karma hebt weder die Gnade noch den Chri- 
stus auf, es findet sie im Gegenteil der ganzen Evolution zugeordnet. 



Ein anderer Einwand ist der, den man machen kann vom Ge- 
sichtspunkt der ostlichen Weisheit. Die Idee eines Erlosers, der den 
Menschen zu Hilfe kommt, so sagt man, unterdriickt die logischen 
Verkniipfungen des Karma und setzt an die Stelle des groften univer- 
sellen Entwickelungsgesetzes das unvermittelte Eingreifen einer 
wundersamen Gnade. Es ist nur gerecht, dafi derjenige, der die 
Fehler begangen hat, auch ihre Schwere tragt. 

Das ist jedoch ein Irrtum. Das Karma ist das Gesetz von Ursache 
und Wirkung fur die geistige Welt, wie die Mechanik das Gesetz von 
Ursache und Wirkung in der materiellen Welt ist. In jedem Moment 
des Lebens stellt das Karma etwas dar wie die Bilanz eines Ge- 
schaftsmannes, die exakte Ziffer von Soli und Haben. Mit jeder 
Handlung, sie sei gut oder schlecht, vermehrt der Mensch sein Soli 
oder sein Haben. Wer einen Akt der Freiheit nicht zugeben mochte, 
wiirde einem Kaufmann gleichen, der nicht das Risiko einer neuen 
Geschaftsunternehmung eingehen mochte und sich immer auf dem 
gleichen Stande der Geschaftsbilanz halten wiirde. 

Eine rein logische Auffassung von Karma wiirde es verbieten, 
einem Menschen im Ungliick zu helfen. Aber gerade da wiirde der 
Fatalismus sich als falsch erweisen, und die Hilfe, die wir einem 
anderen aus freien Stiicken erweisen, eroffnet einen neuen Abschnitt 
in seinem Schicksal. Unsere Schicksale sind gewoben aus solchen 
Impulsen, solchen Gnadenerweisungen. Wenn wir aber die Idee ei- 
ner individuellen Hilfe akzeptieren, konnen wir dann nicht auch 
verstehen, daft jemand, der sehr viel mehr vermag als wir, nicht 
nur einem einzelnen helfen kann, sondern alien Menschen, ja einen 
neuen Impuls in die ganze Menschheit hineintragen kann? Nun, 
solcherart ist die Tat eines Mensch gewordenen Gottes, die nicht 
geschah, um den Gesetzen des Karma zu widersprechen, sondern 
um zu ihrer Erfullung zu verhelfen. 

Das Karma und der Christus erganzen sich wie das Mittel zur 
Erlosung und der Erloser. Durch das Karma wird die Tat des Chri- 
stus ein kosmisches Gesetz, und durch das Christus-Prinzip, den 
geoffenbarten Logos, erreicht das Karma sein Ziel, namlich die Be- 
freiung der Seelen zum Selbstbewufksein und ihre Wesensgleichheit 



mit Gott. Das Schicksalsgesetz ist die stufenweise Erlosung, der 
Christus ist der Erloser. 

Wenn die Menschen sich mit diesen Ideen durchdringen wiirden, 
wiirden sie fiihlen, dafi sie zueinander gehoren, und wiirden das 
Gesetz begreifen, das in den okkulten Bruderschaften herrscht: daft 
jeder fiir den anderen leidet und lebt. 

Wir werden in der Zukunft einen Punkt erreichen, wo das Prin- 
zip der aufieren Erlosung fiir jeden Menschen zusammenf alien wird 
mit der Tatigkeit des Erlosers im Menscheninneren. 

Nicht die Offenbarung, sondern die Wahrheit macht die Men- 
schen frei: «Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit 
wird euch frei machen.» 

Der Weg unserer Entwickelung fiihrt zur Freiheit. Wenn der 
Mensch all das in sich erweckt haben wird, was prophetisch im 
Christus-Prinzip enthalten ist, wird er frei geworden sein. Denn 
wenn die Notwendigkeit das Gesetz der materiellen Welt ist, so 
herrscht die Freiheit in der geistigen Welt. Die Freiheit erobert man 
nur schrittweise, und sie wird im Menschen in ihrer Totalitat nicht 
friiher zur Erscheinung kommen als zu dem Zeitpunkt seiner 
Entwickelung, wenn seine Natur wahrhaft durchgeistigt sein wird. 



KOSMOGONIE 
Achtzehnter Vortrag, Paris, 14. Juni 1906 

Wir haben im Laufe dieser Vortrage zu wiederholten Malen gesagt, 
da£ das Christentum den entscheidenden Mittelpunkt der mensch- 
lichen Entwickelung bildet. Alle Religionen haben ihr Daseinsrecht 
und waren Teiloffenbarungen des Logos, aber keine hat das Gesicht 
der Welt so verandert wie das Christentum. Man kann diesen Ein- 
flufi zum Beispiel in dem Evangelienwort erfiihlen: «Selig sind, die 
nicht gesehen und doch geglaubt haben.» Die nicht gesehen haben, 
das sind diejenigen, die keine Kenntnis von den Mysterien hatten. 



Durch das Christentum wurde ein wesentlicher Teil der alten My- 
sterien offentlich, so die Hauptgebote der Moral, die Unsterblich- 
keit der Seele durch die Auferstehung oder Wiedergeburt. 

Vor dem Christentum konnte man die iibersinnliche Wahrheit 
sehen in den Offenbarungen, den Riten, den dramatischen Vorfuh- 
rungen der Mysterien. Nun aber durfte man daran glauben dank der 
gottlichen Person des Christus. Zu alien Zeiten gab es aber einen 
Unterschied zwischen der den Eingeweihten bekannten esoteri- 
schen Wahrheit und ihrer exoterischen Form, wie sie der grofien 
Masse angepafit war und durch alle Religionen hindurch zum Aus- 
druck kommt. Ebenso verhalt es sich mit dem Christentum. Was in 
den Evangelien geschrieben steht, das ist die gute neue Botschaft, 
verkiindet fur die Allgemeinheit. Aber es gab eine tiefere Lehre, und 
diese ist beschlossen in der Apokalypse in der Form von Symbolen. 

Es gibt eine Art, die Apokalypse zu lesen, die man erst zu unserer 
Zeit offentlich bekanntgeben kann. Aber man hat sie im Mittelalter 
in den okkulten Schulen der Rosenkreuzer gepflegt. Man schatzte 
die historische Seite des Buches gering, das heilk die Art seiner 
Abfassung, die Frage nach seinem Verfasser, kurz, all das, was heute 
einzig und allein das Hauptinteresse der Theologen bildet, die in 
diesem Buch lediglich historische Tatbestande herausfinden wollen. 
Die heutige kritische Theologie kennt nur die aufiere Schale dieses 
Buches und ignoriert den Kern. Die Rosenkreuzer hielten sich an 
seine prophetische Seite, seine ewige Wahrheit. 

Der Okkultismus beschaftigt sich allgemein nicht mit der Ge- 
schichte eines einzigen Jahrhunderts oder einer einzigen Periode, 
sondern mit der inneren Geschichte der menschlichen Evolution im 
Ganzen. Wenn er untertaucht in die ersten Manifestationen unseres 
Planetensystems, wenn er zuruckgeht bis zum pflanzlichen und 
tierischen Zustand des Menschen, dehnt sein Gesichtskreis sich aus 
iiber Millionen von Jahre bis zu einer kiinftigen vergottlichten 
Menschheit. Alsdann wird die Erde selbst Substanz und Form ge- 
wechselt haben. Aber wie lafit sich die feme Zukunft erraten? Ist 
Prophetie moglich? Sie ist moglich, weil alles, was physisch gesche- 
hen soli, bereits im Keim, im Schofi der Urbilder existiert, deren 



Gedanken den Plan unserer Evolution bilden. Nichts erscheint auf 
dem physischen Plan, das nicht zuvor in groften Linien auf dem 
Gebiet des Devachan vorgesehen und vorgeformt war. Nichts ge- 
schieht in der Tiefe, was nicht vorher in der Hohe existiert hat. Das 
ist die Art und Weise, wie sich die Dinge verwirklichen. Sie hangt ab 
von der Freiheit und der Initiative der Individuen. 

Das esoterische Christentum beruht nicht auf einem vagen und 
sentimentalen Idealismus, sondern auf einem konkreten Ideal, das 
aus einer Kenntnis der hoheren Welten geschopft ist. Es ist jene 
Kenntnis, die der Verfasser der Apokalypse hatte, der grofte Seher 
von Patmos, der die Zukunft der Menschheit in christlicher Per- 
spektive aufgezeigt hat. 

Versuchen wir diese Zukunft nach den Gesetzen der Weltentste- 
hung zu betrachten, wie wir sie im Vorhergehenden dargelegt haben. 
Bei den Rosenkreuzern enthiillte man dem Schiiler zuerst einige 
Schauungen aus der Vergangenheit und einige aus der Zukunft. 
Dann iiberantwortete man ihm zur Deutung dieser Schauungen das 
Buch der Apokalypse. Machen wir es ebenso und betrachten wir, 
wie der Mensch allmahlich das geworden ist, was er ist, und welche 
Zukunft sich vor ihm offnet. 

Wir haben zum Beispiel vom alten atlantischen Kontinent ge- 
sprochen und von den Atlantiern, deren Atherleib weit mehr ent- 
wickelt war als der physische Leib und die erst am Ende ihrer Kultur 
ein erstes Ich-Bewufksein hatten. Die aufeinanderfolgenden nach- 
atlantischen Kulturen waren: 

Erstens: Die vorvedische Kultur im Siiden Asiens, in Indien. Das 
war der Beginn der arischen Kulturen. 

Zweitens: Die Epoche des Zarathustra, umfassend die Kultur des 
alten Persien. 

Drittens: Die agyptische Kultur, die Epoche des Hermes, an die 
sich anschliefien die chaldaischen und semitischen Kulturen. Die 
ersten Samenkorner des Christentums wurden in dieser Zeitepoche 
in den Schofi des hebraischen Volkes versenkt. 

Viertens: Die griechisch-lateinische Kulturepoche, welche die 
Geburt des Christentums erlebt. 



Fiinftens: Eine neue Epoche bereitet sich zur Zeit der Volker- 
wanderung und der Eroberungsziige vor. Das Erbe der griechisch- 
lateinischen Kultur wird von den Rassen des Nordens iibernom- 
men: den Kelten, den Germanen, den Slawen. Es ist die Epoche, in 
der wir jetzt noch leben. Es ist eine langsame Umbildung des grie- 
chisch-lateinischen Kulturerbes durch das kraftvolle Element der 
neuen Volker, unter dem machtigen Impuls des Christentums, mit 
dem sich der Sauerteig des Ostens vermischt hat, der durch die Ara- 
ber nach Europa gebracht wurde. Das eigentliche Ziel dieser Kultur- 
epoche ist, den Menschen vollig dem physischen Plan anzupassen, 
indem seine Vernunft, sein praktischer Sinn entwickelt wird und 
sein Intellekt in die physische Materie untertaucht, um sie zu begrei- 
fen und zu beherrschen. Unter dieser harten Arbeit, dieser erstaun- 
lichen Errungenschaft, die heute an ihr Ende gelangt ist, hat der 
Mensch augenblicklich die hoheren Welten vergessen, aus denen er 
stammt. Indem wir unsere geistige Verfassung beispielsweise mit 
derjenigen der Chaldaer vergleichen, ist leicht einzusehen, was wir 
gewonnen, was wir verloren haben. Wenn ein chaldaischer Magier 
den Himmel betrachtete, der fur uns lediglich ein Problem der Him- 
melsmechanik darstellt, so hatte er dabei eine ganz andere Idee, ein 
ganz anderes Gefuhl, ja man konnte sagen, ein ganz anderes Erlebnis 
als wir. Da wo der moderne Astronom nichts als eine seelenlose 
Maschine sieht, empfand der Magier die tiefe Harmonie des Him- 
mels als eines gottlichen, lebendigen Wesens. Betrachtete er Merkur, 
Venus, den Mond oder die Sonne, so sah er nicht nur das physische 
Licht dieser Himmelskorper, er nahm ihre Seelen wahr als solche 
von lebenden Wesen, und er fuhlte die eigene Seele in Zusammen- 
hang mit diesen grofien Seelen des Firmaments. Er nahm ihre Ein- 
fliisse als Anziehung und Abstoftung wahr, gleichsam als ein wun- 
derbares Konzert gottlicher Willensstromungen, und die Sympho- 
nic des Kosmos tonte in ihm als harmonischer Widerhall des 
menschlichen Mikrokosmos zuriick. So war die Spharenmusik eine 
Realitat, die den Menschen mit dem Himmel verband. — Die Uber- 
legenheit des modernen Gelehrten wurzelt in seiner Kenntnis der 
physischen Welt, der stofflichen Materie. Die Geisteswissenschaft 



ist herabgestiegen auf den physischen Plan. Den kennen wir gut. 
Jetzt aber handelt es sich darum, die Kenntnis des Astralplans und 
der Geisteswelt durch Hellsichtigkeit wiederum zu erlangen. 

Dieser Abstieg in die Materie war notwendig, damit die fiinfte 
Epoche ihre Mission erfullen konne. Astrales und geistiges Hellse- 
hen mufite verschleiert werden, damit der Intellekt auf dem Felde 
der Sinneswelt durch genaue, minuziose, mathematische Beobach- 
tung der physischen Welt sich entwickeln konnte. 

Aber wir miissen die Naturwissenschaft durch die Geisteswis- 
senschaft erganzen. Hier ein Beispiel: Man stellt gewohnlich die 
Himmelskarte des Ptolemaus derjenigen des Kopernikus gegeniiber, 
wobei man die erstgenannte fur irrtumlich erklart. Das ist falsch. 
Beide sind gleicherweise wahr. Nur bezieht sich die Karte des Pto- 
lemaus auf den Astralplan, und auf diesem Plan ist die Erde im Mit- 
telpunkt der Planeten, und die Sonne ist selbst ein Planet. Die Karte 
des Kopernikus bezieht sich auf den physischen Plan, da steht die 
Sonne im Zentrum. Alle Wahrheiten sind relativ, je nach Zeit und 
Ort. Das System des Ptolemaus wird in einer folgenden Epoche 
rehabilitiert werden. 

Nach unserer funften Epoche wird eine andere kommen, die sech- 
ste, die sich zu der unsrigen verhalt wie die spirituell gesinnte Seele 
zur rational eingestellten Seele. Diese Epoche wird die Genialitat, die 
Hellsichtigkeit, den schopferischen Geist zur Entwickelung bringen. 
Wie wird das Christentum in dieser sechsten Epoche aussehen? Fur 
den alten Priester der vorchristlichen Zeit bestand eine Harmonie 
von Wissenschaft und Glauben. Wissenschaft und Religion waren ein 
und dieselbe Sache. Indem der Priester das Firmament betrachtete, 
wuEte und fiihlte er, daft die Seele ein Wassertropfen war, der vom 
himmlischen Ozean herabgefallen und durch die unermefilichen Le- 
bensstromungen, die den Raum durchziehen, auf die Erde herabge- 
fiihrt worden war. Heute, wo der Blick sich auf den physischen Plan 
gesenkt hat, bedarf der Glaube einer Freistatt, einer Religion. Daher 
kommt die Trennung von Wissenschaft und Glauben. Die glaubige 
Verehrung der Person des Christus, des Menschengottes auf der 
Erde, ist fur eine gewisse Zeit an die Stelle der Geheimwissenschaft 



und der Mysterien getreten. Aber in der sechsten Epoche werden die 
beiden Stromungen sich vereinigen. Die mechanische Wissenschaft 
des physischen Planes wird sich zur Hohe spiritueller Schopferkraft 
emporheben. Das wird dann die Gnosis oder geistige Erkenntnis 
sein. Dieser sechsten, von der unsrigen radikal verschiedenen Epo- 
che, werden grofte, umwalzende Katastrophen vorausgehen. Denn 
diese Epoche wird ebenso spirituell sein, wie die unsrige materiali- 
stisch war, aber diese Umbildung kann nur durch physische Umwal- 
zungen vonstatten gehen. Wiederum wird alles, was sich im Verlaufe 
der sechsten Epoche gestalten wird, die Moglichkeit einer siebenten 
Epoche herbeifuhren, die das Ende dieser nachatlantischen Kulturen 
bilden und vollig andere Lebensbedingungen als die unseren kennen 
wird. Diese siebente Epoche wird enden mit einer Revolution der 
Elemente, ahnlich derjenigen, die dem atlantischen Kontinent ein 
Ende setzte, und der Zustand, der dann in Erscheinung tritt, wird ein 
Zustand sein, dessen Spiritualitat durch die zwei letzten nachatlanti- 
schen Perioden vorbereitet sein wird. 

Insgesamt umfassen diese arischen Kulturen also sieben grofie 
Epochen. Wir sehen langsam die Gesetze der Entwickelung sich 
entfalten. Der Mensch tragt immer zuerst in sich, was er in der Fol- 
gezeit um sich herum sieht. Alles, was gegenwartig um uns existiert, 
ist in einer vorhergehenden Evolution von uns ausgegangen, damals, 
als unser Wesen noch verbunden war mit der Erde, dem Monde und 
der Sonne. Dieses kosmische Wesen, von dem miteinander der ge- 
genwartige Mensch samt alien Naturreichen entsprungen ist, wird in 
der Kabbala Adam Kadmon genannt. In diesem Menschentypus 
waren alle die vielfaltigen Ausgestaltungen vom Menschen ent- 
halten, die gegenwartig die Volker und die Rassen reprasentieren. 

Was der Mensch heute als sein Seeleninneres besitzt, seine Ge- 
danken, seine Gefuhle, wird sich ebenfalls nach aufien offenbaren 
und wird seine Umwelt werden. Die Zukunft ruht in der Brust des 
Menschen. An ihm liegt es, die Wahl zu treffen, eine Zukunft zum 
Guten oder zum Schlechten daraus zu machen. Ebenso wie es wahr 
ist, daft der Mensch einst dasjenige, was heute die Tierwelt bildet, 
hinter sich gelassen hat, wird dasjenige, was heute an Schlechtem in 



ihm ist, eine Art degenerierter Menschheit bilden. Wir konnen ge- 
genwartig noch mehr oder weniger das Gute oder Bose, das in uns 
ist, verbergen. Ein Tag wird kommen, wo wir es nicht mehr konnen, 
wo dieses Gute oder dieses Bose unausloschlich auf unserer Stirne 
geschrieben sein wird, auf unserem Leib und sogar auf dem Ange- 
sicht der Erde. Dann wird sich die Menschheit in zwei Rassen spal- 
ten. Wie wir heute Felsen oder Tieren begegnen, werden wir alsdann 
Wesen von reiner Bosheit und Hafilichkeit begegnen. In unseren 
Tagen liest nur der Hellseher die Giite oder die moralische Hafilich- 
keit in den Wesen. Wenn aber die Gesichtsziige des Menschen Aus- 
druck seines Karma sein werden, werden die Menschen sich von 
selbst teilen, je nach der Stromung, der sie offensichtlich angehoren: 
je nachdem in ihnen die niedere Natur besiegt sein oder ob sie 
iiber den Geist triumphieren wird. Diese Unterscheidung beginnt 
allmahlich schon wirksam zu werden. 

Sofern man aus der Vergangenheit die Zukunft begreifen und 
daran arbeiten will, um das Ideal dieser Zukunft zu verwirklichen, 
sieht man also die Linien sich abzeichnen. Eine neue Rasse wird sich 
bilden, die das Bindeglied sein wird zwischen den gegenwartigen 
Menschen und den vergeistigten Menschen der Zukunft. Man mufi 
aber unterscheiden zwischen der Entwickelung der Rassen und der- 
jenigen der Seelen. Es ist der Freiheit einer jeden Seele anheimge- 
stellt, sich zu dieser auEeren Form einer Rasse hinzuentwickeln, 
deren Charakter dem Guten entspricht, das sie verkorpert. Nur aus 
der Freiheit des Willens und durch die Anstrengung der seelischen 
Individuality wird man dieser Rasse angehoren. Die Zugehorigkeit 
zu einer Rasse wird fur eine Seele nicht mehr zwangslaufig sein, 
sondern das Ergebnis ihrer Entwickelung. 

Der Sinn der manichaischen Lehre ist, dafi die Seelen sich von 
jetzt an dazu vorbereiten sollen, das Bose, das in der sechsten Epo- 
che in voller Starke in Erscheinung treten wird, in Gutes zu verwan- 
deln. In der Tat wird es notig sein, dafi die menschlichen Seelen stark 
genug sein werden, um das Bose, das zutage kommen wird, durch 
eine spirituelle Alchimie vom Guten abzuwenden. 

Wenn dann die Entwickelung unseres Erdplaneten die vorher- 



gehenden Phasen seiner Entwickelung im umgekehrten Sinne 
durchlaufen wird, wird sich zuerst eine Vereinigung der Erde mit 
dem Mond vollziehen, alsdann eine Verbindung, Wiedervereinigung 
dieses gemischten Weltkorpers mit der Sonne. Die Wiedervereini- 
gung mit dem Mond wird dann mit dem Hohepunkt des Bosen auf 
der Erde zusammenfallen. Im Gegensatz dazu wird die Vereinigung 
des Erdkorpers mit der Sonne den Anbruch der GKickseligkeit, die 
Herrschaft der Auserwahlten bezeichnen. 

Der Mensch wird das Zeichen der sieben groften irdischen Pha- 
sen an sich tragen. Das Buch mit den sieben Siegeln, von dem die 
Apokalypse spricht, wird geoffnet sein. Das Weib, mit der Sonne 
bekleidet, das den Mond unter den FiiEen hat, bezieht sich auf die 
Zeit, wo die Erde aufs neue mit der Sonne und dem Monde vereinigt 
sein wird. Die Posaunen des Jiingsten Gerichts werden ertonen, 
denn die Erde wird im devachanischen Zustand angelangt sein, wo 
nicht mehr das Licht, sondern der Ton herrschen wird. Das Ende 
der Erdenentwickelung wird im Zeichen des Christus-Prinzips ste- 
hen, das die ganze Menschheit durchdringen wird. Dem Christus 
ahnlich geworden, werden die Menschen sich um ihn versammeln 
wie die Scharen um das Lamm, und als Frucht dieser Entwickelung 
wird das Neue Jerusalem erstehen, das die Kronung der Welt 
darstellt. 



! 

i 



Popularer Okkultismus 

Notizen aus vierzehn Vortragen, 
gehalten in Leipzig vom 28. Juni bis 11. Juli 1906 



POPULARER OKKULTISMUS 
Erster Vortrag, Leipzig, 28. ]uni 1906 

Zweck dieser Vortrage ist eine Einfiihrung in die theosophische Welt- 
anschauung in ihrem Zusammenhang. Dabei werden wir Fragen zu 
behandeln haben wie die Ursache des Todes, die Ursache des Leidens, 
den Ursprung des Bosen und so weiter. Ausgehend vom Menschen, 
seinem Wesenskern, werden wir das gro£e Gesetz von Reinkarnation 
und Karma betrachten sowie den Ursprung des Menschen, der Erde 
und des Sonnensy stems. Ferner, wie die grofien Wahrheiten, speziell 
im Christentum und in den einzelnen Religionen, zum Ausdruck 
kommen. Es ist die Wahrheit vom Wesen des Menschen, wie sie der 
Okkultismus allezeit verstanden hat. Der Okkultismus, die Weisheit 
von den verborgenen Wesenheiten, betrachtet den Menschen so, dafi 
der sichtbare Teil seiner Wesenheit, der physische Leib, das erste 
Glied bildet, das als materielles Gebilde wie andere leblose Gegen- 
stande betrachtet wird. Das zweite Glied ist der Atherleib, welcher 
unsichtbar und feiner als der physische Leib ist. Er ist das Ebenbild 
des physischen Leibes in den oberen Partien des Menschen, in den 
unteren ist er anders gestaltet. So wie ein Blindgeborener die Anga- 
ben eines Sehenden fur Phantastereien halt, geradeso geht es denen, 
die den Atherleib hellsehend wahrnehmen. Von denen sind es bis 
jetzt etwa dreihundert bis vierhundert unter alien Menschen, die die- 
se Fahigkeit haben. Aber die Anlage dazu schlummert in alien Men- 
schen; darum wird das in hundert Jahren etwas anders sein. Riesen- 
fortschrkte stehen in nachster Zeit bevor, auch auf technischem 
Gebiet. Die gegenwartige Theosophie ist ja nur der elementare Teil 
des Okkultismus, mehr darf heute noch nicht gelehrt werden. 

Durch innere Schulung wird die Entwickelung des geistigen 
Sehvermogens erreicht. Wer schon Hellsehen besitzt, sieht den 
Atherleib folgendermafien: Er mufi dazu seine Aufmerksamkeit 
vom physischen Leib ganz abwenden und sich diesen gleichsam 
wegsuggerieren. Suggestion, Hypnotismus, abnorme Seelenzustan- 
de, abgedampftes Bewufksein, positive und negative Suggestion, die 
schadlich sind fur den, an dem sie ausgeubt werden, damit hat die 



hier gemeinte Theosophie nichts zu tun. Wer seine hoheren Seelen- 
krafte entwickelt hat, ist imstande, die ganze sinnliche Wirklichkeit 
eines vor ihm befindlichen Menschen oder Gegenstandes durch sei- 
ne Willenskraft aus dem Gesichtsfelde hinauszuwerfen. Anstelle des 
physischen Korpers ist dann derselbe Raum eingenommen von 
einer menschenahnlichen Gestalt, die aus einem innerlich leuchten- 
den Kraftgebilde besteht und dem heutigen Menschen sehr ahnlich 
ist. Nur ragt dieser Atherleib etwas iiber den Kopf hinaus. Bei den 
Pflanzen, Tieren und bei den Kindern ragt er ziemlich weit iiber den 
physischen Leib hinaus. 

Das dritte Glied ist der Astralleib. Zunachst miissen wir diesen 
mehr von innen betrachten, dann erst von aufien. Wenn ein Mensch 
vor einem steht, greift man mit der Hand den physischen Leib an. 
Vom Atherleib soil einmal abgesehen werden. Da wo man am 
Korper Muskeln, Knochen, Nerven sieht, ist auch eine Summe von 
Begierden, Schmerzen, Freuden, Idealen, Leidenschaften. Alle diese 
sind ebenso wirklich wie jene. Das ist der Astralleib von innen 
angeschaut. 

Von aufien gesehen ist der Astralleib fur den gewohnlichen Men- 
schen iiberhaupt nicht da. Wenn aber der Mensch sich seelisch 
schult, dann lernt er auch den Astralleib als einen seelischen Men- 
schen erleben; dies nennt man die Aura. Eine wilde Leidenschaft 
durchzieht den Astralleib wie eine rote, triibe Wolke, ein reines 
Ideal hat weift-goldene Ausstrahlungen. Die alten Maler, die dem 
Hellsehen noch naherstanden, haben diese Aura in den verschieden- 
sten Strahlungen gemalt. Menschen mit viel Sympathie und Nach- 
stenliebe zeigen eine grunliche Aura. Fromme Gefiihle, religiose 
Inbrunst umleuchten die Menschen mit blauen Umstrahlungen. 
Diese Aura ist nur der auEere Ausdruck fur die inneren Triebe, Be- 
gierden und so weiter. Die aufiere Form der Aura ist ganz anders als 
die des physischen Leibes, sie bettet den Menschen ein wie eine 
Eiform. Diese Lichterscheinung umstrahlt und umschwebt den 
menschlichen Leib. 

In einigen Jahrzehnten werden diese Wahrheiten fur die Erzie- 
hung des Menschen, fur die Padagogik, von grofitem Wert sein. 



Wenn erst die Geisteswissenschaft Einlafi in unser Erziehungs- 
system gefunden haben wird, wird unendlich viel gewonnen sein. 
Sie ist fur das aulSere Leben unendlich wichtig. 

Betrachten wir einmal das Kind im Hinblick auf diese drei Leiber. 
Sie entwickeln sich bei ihm nicht gleichzeitig. Vom ersten bis zum 
siebenten Jahr entwickelt sich der physische Leib, die beiden ande- 
ren Leiber sind noch nicht frei, sie wirken innerlich auf den physi- 
schen Leib. Nur auf den physischen Leib kann man deshalb in dieser 
Zeit erziehend einwirken, die beiden anderen Wesensglieder miissen 
sich erst entwickeln. Eine verstandige Erziehung wird von einer 
vorzeitigen Einwirkung auf diese beiden anderen Leiber absehen. 
Vom ersten bis siebenten Jahr braucht das Kind sichtbare, wahr- 
nehmbare Bilder, Vorbilder. Die sichtbare Umgebung des Kindes 
sollte rein sein bis in die Gedanken hinein. Denn die Umgebung hat 
einen viel grofieren Einflufi auf die Entwickelung des Kindes, als 
gewohnlich angenommen wird. Selbst fur gute und bdse Gedanken 
hat das Kind eine Empfindung. Man mufi die Sinne des Kindes 
scharfen. Uber die Eindriicke der Sinne hinaus ihm Begriffe beibrin- 
gen zu wollen, hilft nichts. Die Phantasie des Kindes sollte angeregt 
werden. Deshalb darf man dem Kinde nicht ganz fertige Dinge als 
Spielsachen geben. Es sollte sich selbst etwas zusammensetzen, ein 
Gebilde machen und so weiter. Dadurch wird das Kind geweckt und 
die Krafte des physischen Leibes werden entwickelt. Also keine 
kunstvollen Spielsachen! 

Im siebenten Jahr geht eine besondere Veranderung im Kinde vor 
sich: ein Teil des Atherleibes wird nun frei, und deshalb sollte von 
jetzt ab auf den Atherleib eingewirkt werden. Was wirkt auf den 
Atherleib? Beobachten wir zunachst, was beim Tod des Menschen 
vor sich geht. Es bleibt der physische Leib allein liegen, Atherleib 
und Astralleib trennen sich von ihm und steigen auf. Im Schlafe ist 
es anders. Beim schlafenden Menschen ist der Atherleib mit dem 
physischen Leib verbunden im Bett, und nur der Astralleib lost sich 
heraus. Im Augenblick des Todes geschieht fur den Menschen etwas 
aufierordentlich Merkwiirdiges: das ganze verflossene Leben liegt 
vor dem Gedachtnis ausgebreitet und zieht an ihm voriiber. Das- 



selbe kommt zuweilen in hochster Lebensgefahr vor, zum Beispiel 
bei Ertrinkenden, Abgestiirzten und so weiter, die wieder zum Le- 
ben erwacht sind. In solchen Momenten tritt ihnen auch ihr ganzes 
vergangenes Leben vor die Seele. Was geschieht da? Es lockert sich 
der Atherleib vom physischen Korper. Ein ahnlicher Vorgang voll- 
zieht sich, wenn ein Glied «einschlaft» oder wenn man es abbindet. 
Der Hellseher sieht beispielsweise, wenn jemand sich den Finger ab- 
bindet, wie der Atherleib des Fingers herunterhangt und gelockert 
ist. Bei einem Hypnotisierten ist dieser Zustand sehr gefahrlich, weil 
bei ihm das Athergehirn zu beiden Seiten des Kopfes schlaff heraus- 
hangt. Warum liegt in besonderen Augenblicken das ganze Leben 
vor dem Menschen? Weil der Atherleib der Trager des Gedachtnis- 
ses ist. Wird er vom physischen Leib frei, so kann er in diesem 
Augenblick seinen eigenen Bewegungen folgen, und das Gedachtnis 
ist freier als sonst. Im normalen Zustand erfiillt er den physischen 
Leib wie eine verdichtete Lichtwolke. Bis zum Tode stort der physi- 
sche Leib fortwahrend die feinen Kraftewirkungen des Atherleibes. 

Vom siebenten Jahre an hat nun das Kind die Krafte des Atherlei- 
bes frei, und man sollte deshalb vom siebenten bis zum vierzehnten 
Lebens jahre auf das Gedachtnis einwirken. Da der Atherleib uns 
alles in Bildern darstellt, wird man dem Kind Bilder und Vergleiche 
geben und mit Marchen und schonen Erzahlungen wirken. In dieser 
Zeit nimmt das Kind alles auf die Autoritat seiner Eltern und Er- 
zieher hin an. 

Erst vom vierzehnten bis zum einundzwanzigsten Jahr wird der 
Astralleib frei. Mit der Geschlechtsreife fangt er an, sich herauszu- 
entwickeln, bei den Madchen etwas friiher als bei den Knaben. Der 
Astralleib ist der Trager des Verstandes, des bewufiten Urteils. Das 
ist dann der Zeitpunkt, durch Ausbildung der Urteilsfahigkeit auf 
den Astralleib einzuwirken. Strebt man dies friiher an, so versiindigt 
man sich am Kinde, denn das fiigt ihm Schaden zu. Es wird die Zeit 
kommen, wo man die Wissenschaft vom Geiste padagogisch an- 
wenden wird. 

Seinen physischen Leib hat der Mensch gemein mit allem Mine- 
ralischen, seinen Atherleib mit alien Pflanzen, seinen Astralleib mit 



alien Tieren. Aber iiber alle diese Wesenheiten ragt der Mensch em- 
por durch das Ich-Bewufitsein, durch das kleine Wortchen «Ich», 
das aber einzig in seiner Art ist. Denn «Ich» ist der einzige Name, 
den jeder nur zu sich selber sagen kann. Das ist eine Tatsache von 
grofiter Bedeutung. In der althebraischen Religion durfte «Ich», die- 
ses «okkulte Wort», nur vom hochsten Eingeweihten, dem Hohen- 
priester, ausgesprochen werden. Das war ein feierlicher kultischer 
Moment. Da wartete das ganze Volk auf das Aussprechen des Wor- 
tes: «Jahve» (Ich) - und ein heiliger Schauer durchlief die andachtige 
Menge. Jahve: der im Inneren sprechende Gott. Das Wort Jahve 
(Jehova) gait als der unaussprechliche Name. Das ist die Stimme, mit 
welcher der Gott im Menschen zu sprechen beginnt. Niemals 
kommt dieses Wort von auEen in uns hinein. Beim Wort Ich benihrt 
das Ewige das Zeitliche. Damit haben wir die vier Glieder der 
menschlichen Wesenheit kennengelernt: den physischen Leib, den 
Atherleib, den Astralleib und den Wesenskern des Menschen, das 
Ich. Beim Tode trennen sich Atherleib, Astralleib und Ich vom phy- 
sischen Leib. Atherleib und Astralleib losen sich dann allmahlich 
auf, bis das Ich in das Devachan eintritt, wo es bleibt bis zu einem 
neuen Erdenleben. 



P OPULARER OKKULTISMUS 
Zweiter Vortrag, Leipzig, 29. Juni 1906 

Gestern wurde angestrebt, die Wesenheit des Menschen aufzuzeigen, 
soweit die drei Leiber und der Wesenskern in Betracht kommen. Den 
Aufstieg des Menschen in die iibersinnlichen Welten wollen wir jetzt 
betrachten. Deshalb mussen wir einen Blick in das tun, was man die 
drei Welten nennt, und erst, wenn wir die Eigentumlichkeiten dieser 
drei Welten beschrieben haben, konnen wir Karma, Reinkarnation 
und so weiter besprechen. Die physische Welt, die wir mit den Sinnen 
wahrnehmen, ist die erste, diese bewohnt der Mensch. Dann haben 
wir eine zweite, die astralische Welt, und dann die dritte, die geistige 



Welt oder Devachan. Deva heilk Gott und Chan heifit Gebiet, 
Wohnung; Devachan bedeutet also Gottesgebiet. Insofern der 
Mensch ein geistiges Wesen ist, hat er Anteil an der geistigen Welt. 
Die phy sische Welt braucht man nicht zu beschreiben, die kennt j eder 
genau. In erzahlender Form sollen die astralische und die devachani- 
sche Welt geschildert werden. 

Das erste, was man sich klarmachen mufi, ist, daft die anderen 
Welten nicht an anderen Orten sind, sondern daft sie uns ebenso 
umgeben wie die physische Welt und diese durchdringen. Darum 
wandert der Mensch nach dem Tode auch nicht nach anderen Orten, 
sondern die Art und Weise seiner Anschauung und seines Bewufit- 
seins andert sich. Genau wie bei einem Blindgeborenen, der plotz- 
lich sehend geworden ist und der ja auch nicht in eine andere Welt 
versetzt ist, dem sich vielmehr nur ein neuer Sinn erschlossen hat, so 
verhalt es sich beim Menschen, wenn er stirbt oder eingeweiht wird. 
Dann ist um ihn herum nicht eine neue, ganz andere Welt, es sind 
nur die Sinne fur die physische Welt ausgeschaltet, dagegen nimmt 
er nun wahr, was ihm vorher entgangen, was ihm bis dahin ver- 
borgen geblieben war. 

Betrachten wir zunachst die Astralwelt. Das ist die Welt, in wel- 
cher der Mensch jede Nacht und auch zunachst nach dem Tode sich 
bef indet. Wenn er auf hort, seine Sinne der physischen Welt zu off nen, 
konnen ihm die Sinne fur diese Astralwelt aufgehen. Wird der 
Mensch hellsehend, dann ist er zunachst in der astralischen Welt, und 
er nimmt wahr, was als Atherleib und Astralleib beschrieben worden 
ist. Die Astralwelt unterscheidet sich aufierordentlich von der phy- 
sischen. Wer in sie eintritt, steht vor einem verwirrenden Anblick von 
Erscheinungen. Was man wahrnehmen kann, ist so anders, dafi man 
sich erst daran gewohnen raufi, darin zu schauen. Man wird falsch 
lesen, wenn man ebenso lesen will wie in der physischen Welt. Alles 
wird dort wie im Spiegel gesehen, verkehrt oder entgegengesetzt. Die 
Zahl 365 wiirde in der Astralwelt 563 sein. Das ist besonders im An- 
fang sehr verwirrend. Wenn man es mit Zeitumstanden zu tun hat, so 
rechnet man in der physischen Welt alles von vorne nach dem Ende 
zu. In der Astralwelt ist es umgekehrt. Ein Menschenleben wird zum 



Beispiel in der Astralwelt nicht von der Geburt bis zum Tode ver- 
folgt, sondern vom letzten Lebensaugenblick an riickwarts. Hier in 
der physischen Welt sieht man zuerst das Ei und dann das heraus- 
schhipfende Huhn, in der Astralwelt zuerst das Huhn und dann das 
Ei. Das wichtigste ist aber, daft in der Astralwelt alle die Bilder unse- 
rer moralischen Eigenschaften, wie Lust und Unlust, Schmerz und 
Freude, HaE und Liebe, als auf uns zueilend erscheinen. Der Hell- 
seher bemerkt sie alle auf sich zustromen. 

Fur einen Unerfahrenen ist das ein grower Wirrwarr. Er kann erle- 
ben, dafi allerlei tierische Gestalten auf ihn zukommen, auch schreck- 
liche Menschengestalten und so weiter. Es gibt Menschen, die solche 
Erlebnisse erzahlen. Sie sind wirklich in einer sehr bedauernswerten 
Lage, wenn durch eine Erkrankung ihnen die astralische Welt in un- 
regelmaftiger Weise sichtbar geworden ist. Wenn man anfangt ernst- 
haft zu meditieren, sich zu schulen, dann entwickelt sich das Hellse- 
hen regelmaftig, und dann weifi man, um was es sich in der Astralwelt 
handelt. Bei jenen anderen Menschen aber hat sich der Blick in die 
Astralwelt durch eine Gehirnerkrankung oder dergleichen unregel- 
mafiig geoffnet. Schreckliche Gestalten, die sie auf sich zukommen 
sehen, die sich auf sie stiirzen, sind in Wahrheit ihre eigenen Leiden- 
schaften, die von ihnen ausgehen und die in der Astralwelt sich im 
Spiegelbild zeigen. Weil in der Astralwelt alles umgekehrt ist und sie 
das Lesen darin nicht verstehen, stiirmt alles auf sie ein. Da erscheint 
alles im Bild. Losbrechender Jahzorn kann zum Beispiel im Bilde ei- 
nes Tigers sich darstellen, der sie angreift. So ist es mit alien diesen 
wilden Gestalten. Denn jede Begierde, jede Leidenschaft wird zum 
Damon. Der ungeschulte Mensch weift aber nichts damit anzufangen 
und halt das Geschaute fur eine Einbildung, eine Phantasterei, doch 
das ist es durchaus nicht. Es ist ein Bild, ein Spiegelbild. 

Woher kommt es, dafi manche Menschen das heute erleben miis- 
sen? Das liegt an unserer materialistischen Zeit. Werfen wir einmal 
einen Blick zuriick in das 13., 14. Jahrhundert und vergegenwar- 
tigen wir uns eine deutsche Stadt jener Zeit. Da war alles aus dem 
Schonheitssinn der damaligen Seelen gebildet. Da driickt noch je- 
des Haus, ja jedes Tiirschlofi, jeder Schliissel etwas besonderes aus, 



jedes Ding hatte sein eigenes Geprage und war mit Liebe gefertigt. 
Die es schufen, taten es aus einem Gefiihl, das noch heute auf uns 
wirkt. Das ist in unserer Zeit ganz anders. In einer modernen Stadt 
spricht das, was wir sehen, nicht unser Gefiihl an, nichts beriihrt 
uns, hochstens die in den Laden ausliegenden Dinge, wie Biicher 
und so weiter, Ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Nichts 
Heiliges, nichts Religioses ist mehr in der Auftenwelt ausgebreitet. 
Damals gab es noch sehr wenige Biicher, aber in den wenigen fand 
man etwas fiir seine Seele. Bedenken Sie, was heute alles gelesen 
wird: Dinge, welche die Sensation, die Sinnlichkeit erregen. Wenn 
nun die Seele von auEen nichts mehr bekommt, so tragt sie doch 
tief in sich die Sehnsucht nach dem Religiosen. Diese schliefk sie 
tief in sich ein. Damit soil aber nicht gesagt sein, daft wir etwas 
vom Mittelalter zuriickersehnen. Bei Menschen, die gar nichts 
mehr von den hoheren Welten horen, aber tief im Inneren den leb- 
haften Drang danach empfinden, kann diese religiose Sehnsucht 
plotzlich durchbrechen, so dafi sie sich als religiose Leidenschaft im 
Spiegelbild zeigt, wie ich es oben angedeutet habe. Denn alles, was 
in der physischen Welt vorhanden ist als, wie man so sagt, reale 
Wirklichkeit, zeigt sich in der astralischen Welt in Bildern. Sie se- 
hen in der Astralwelt nicht unmittelbar Schmerz oder Freude, son- 
dern Sie sehen den Schmerz als dunkel gefarbte Gestalt, die Freude 
dagegen in einer hellen, gelben, freundlichen Gestalt. Sie lernen 
diese Bilder nach und nach verstehen. Bei diesem Schauen ist ab- 
solut nichts Willkiirliches oder Unbestimmtes, sondern Sie lernen 
sehr bald, wie Schmerz und Freude von einer bestimmten Art auch 
stets als Bilder bestimmter Art erscheinen. 

Daher lernt der Schiiler auf dem Astralplan erst allmahlich lesen 
und lernt die Bilder kennen. Helle Bilder deuten immer auf etwas 
nach der sympathischen Seite hin, dunkle Bilder und Farben immer 
auf etwas nach der antipathischen Seite hin. Die bildliche Anschau- 
ung: das ist das Wesentliche in der astralischen Welt. Goethe, der bis 
zu einem gewissen Grade astralisch schauen konnte, charakterisiert 
diese Eigenschaft der Astralwelt am Schlusse seines «Faust» sehr 
schon: « Alles Vergangliche ist nur ein Gleichnis ...» 



Der Astralplan enthalt aber nicht blofi die Spiegelbilder der physi- 
schen Welt, sondern auch Wesenheiten, die der Mensch auf dem phy- 
sischen Plan nie kennenlernen kann. Unser Geist ist heruntergestie- 
gen bis zum physischen Plan und hat sich sozusagen mit Fleisch um- 
kleidet, umhiillt. Auf dem Astralplan f indet man aber auch Wesen, die 
sich nie mit Fleisch umkleidet haben. Diese huschen fortwahrend 
zwischen unseren physischen Gestalten umher, nur nimmt sie der 
gewohnliche Mensch nicht wahr. Sie sind deshalb keine Erfindung, 
kein Marchen. Jeder, der die Astralwelt bewufit erlebt, nimmt sie 
wahr. Und noch andere Wesen umgeben den Menschen, namlich 
seine eigenen Gedanken. Stellen wir uns die Wirkung eines Gedan- 
kens vor. Der Gedanke ist zum Beispiel zunachst in der Seele: Dieser 
Mensch ist ein schlechter Kerl. - Dieser Gedanke nimmt in der 
Astralwelt Gestalt an. Jeder Gedanke, der von Ihnen ausgeht, nimmt 
dort Gestalt an. Die Gedanken sind auf dem Astralplan Wirklichkei- 
ten. Jeder Gedanke, den wir in die Welt setzen, nimmt, wie das Kind 
im Mutterleibe physische Materie annimmt, Astralstoff an. Wenn wir 
also einen Gedanken haben, so umkleidet sich dieser mit astralischer 
Materie, verdichtet sich zu bestimmten Formen. Es gibt Wesenheiten, 
fur welche die Gedanken der Menschen eine willkommene Gelegen- 
heit sind, sich zu verkorpern, sich einen astralischen Leib zu verschaf- 
f en. Diese Wesenheiten haben eine Gier, sich astralisch zu materiali- 
sieren. Diese wichtige Tatsache weist auf unsere Verantwortung hin, 
die wir im Leben haben. Nehmen wir einen Raum, in dem Manner 
beim Dammerschoppen sitzen. Was sind ihre Gedanken? Einfach aus 
Mitteilungssucht reden sie, ihre Gedanken sind ohne jeden Wert. Ein 
solcher Raum ist nachher fur den Hellseher sehr merkwiirdig bevol- 
kert. Die Wollust am einfachsten Schwatzen, die Mitteilungssucht, 
die nicht aus der Absicht entspringt, andern etwas Edles mitzuteilen, 
gibt namlich recht schlimmen Wesenheiten Gelegenheit, sich zu ver- 
korpern, die dann auch allerlei greuliches Zeug treiben, weil sie sich in 
solcher Masse verkorpern. 

Im Okkultismus sagt man: Auf dem physischen Plan ist eine 
Luge eben eine Luge, auf dem Astralplan aber ist sie ein Mord. Dies 
verhalt sich namlich so: Erzahlen Sie etwas, so erzeugen Sie eine 



entsprechende Gedankenform. Aber auch die Tatsache, von der er- 
zahlt wird, strahlt eine Gedankenform aus. Wenn nun Ihre Gedan- 
kenform der anderen entspricht, wenn sie mit ihr iibereinstimmt, 
dann stromen die beiden Formen auf dem Astralplan zusammen 
und verstarken sich. Damit haben Sie das Leben dieser Wesenheit 
verstarkt. Aber bei einer Unwahrheit stimmt die Gedankenform, die 
von Ihrer Aussage ausstromt, nicht uberein mit derjenigen, die von 
der Sache selbst ausgeht. Die Formen platzen aufeinander und zer- 
storen sich. So wirkt die Unwahrheit, die Luge, lebenzerstorend und 
totend auf andere. Im okkulten Sinne von Moral sprechen, heifk 
nicht nur sie predigen, sondern sie begninden durch Tatsachen der 
hoheren Welten. Schopenhauer sagte mit Recht: Moral predigen 
ist leicht, Moral begrunden schwer. 

Ein kurzer Auf enthalt des Menschen in der Astralwelt verlauft im 
Schlaf . Wenn der Mensch schlaft, was geschieht da mit ihm? Sein phy- 
sischer und Atherleib bleiben im Bett, Astralleib und Ich treten her- 
aus. Den Astralleib sieht der Hellseher wahrend der Nacht in reger 
Arbeit. Der Mensch verbraucht am Tage seine physischen Krafte in 
der Arbeit und so weiter. Deshalb ermiidet er. Diese Krafte miissen 
wieder ersetzt werden. Und diese Arbeit besorgt der Astralleib wah- 
rend der Nacht. Was aber tut er am Tage? Da nimmt er die physische 
Welt wahr. Ist im Schlaf der Astralleib aus dem physischen und Ather- 
leib herausgegangen, dann sieht und hort der Mensch nichts. Denn 
durch den Astralleib nimmt der Mensch wahr. Auge, Ohr und alle Sin- 
nesorgane sind nur die Werkzeuge des wahrnehmenden Astralleibes. 
Da setzt er beispielsweise alle Schwingungen der Luft in Tonempfin- 
dungen um. Wahrend der Nacht ist ihm diese Arbeit erspart, er schafft 
dann fur den physischen und vor allem fur den Atherleib neue Krafte. 
Er muE aus dem physischen Leib heraussteigen, um diese Arbeit des 
Wiederherstellens des Gleichgewichtes leisten zu konnen. Wenn der 
Mensch viele Traume hat, dann wird diese Arbeit gleichsam unter- 
brochen. Daher sind unruhige Traume gesundheitsschadlich. 

Welche Veranderungen gehen im Schlaf bei dem vor, der allmah- 
lich hellsehend wird? Die Nacht wird fur einen solchen Menschen 
etwas ganz anderes. Der gewohnliche Mensch verliert beim Ein- 



schlafen sein Bewufksein, urn es beim Aufwachen wieder zu erhal- 
ten. Er kann nicht wahrnehmen, was astral vorgeht, weil ihm die 
Organe dazu fehlen. Fur den Hellseher wird die Nacht zu etwas 
ganz anderem. Er wird nicht bewulklos wie der gewohnliche 
Mensch. Der nicht Geschulte erlebt die Astralwelt im Traume in 
chaotischer Weise. Fur den Geschulten wird sie regelmafiig in ihrer 
Erscheinung. Zunachst werden es fliichtige, auf und ab wogende, 
aber regelmafiig sich bildende Wahrnehmungen sein. Nehmen wir 
an, ein Mensch schlaft ein, und ein traumartiges Bild, eine braunrot- 
liche Gestalt steigt auf, die menschliche, jedoch verzerrte Ziige hat, 
die aber allmahlich Ahnlichkeit annimmt mit den Ziigen eines 
Freundes. Der Mensch wacht dariiber auf und fragt sich: Was ist 
das? Der Freund ist doch in New York, denkt er - und halt das Bild 
fiir eine reine Einbildung. Nach einiger Zeit erfahrt er, daft sein 
Freund in Gefahr, etwa bei einem Unglucksfall dabei war, der aber 
noch gliicklich voriiberging. Er forscht nach, und es wird ihm klar, 
daft jener nachtliche Eindruck kam, als sein Freund in jene Gefahr 
geriet. Bildlich hatte sich dieses Ereignis vor seine Seele gestellt. 

Mit solchen Erfahrungen kann das Hellsehen anfangen. Es wer- 
den dann die regelmafiigen Gestalten immer haufiger, und diese neue 
Welt gewinnt immer mehr Gestalt. Dem Hellseher ist das Innere des 
Menschen nicht mehr verschlossen. Wenn Sie hellsehend werden, 
dann werden Sie die Aura des Menschen, das Bild seines Seelenle- 
bens sehen, das ihn umschwebt. Die Seelen der Menschen werden 
offen vor Ihren Augen liegen. Wie Sie die Hautfarbe und die Hand 
des Menschen sehen, werden Sie dann die Bilder des Seelenlebens 
vor sich haben. 

Bisher sprach ich nur von Bildern. Wogen denn nur Bilder auf 
und ab? Ist denn die Astralwelt stumm? In der Tat, so ist es zunachst 
fiir den Hellseher. Diese astralische Welt ist zunachst eine stumme. 
Aber es kommt eine Zeit, wo diese Bilder anfangen zu tonen, Stim- 
men aus der geistigen Welt lassen sich horen. Pythagoras spricht von 
der Spharenmusik. Das war keine Phantasterei von ihm: der Weg, 
den ein Stern macht, wird zu einem Ton fiir den Hellseher. Auch 
Goethe wulke davon. Im «Faust» heifk es: 



Die Sonne tont nach alter Weise 
in Bruderspharen Wettgesang, 
und ihre vorgeschriebne Reise 
vollendet sie mit Donnergang ... 

und weiter: 

Tonend wird fiir Geistesohren 
schon der neue Tag geboren ... 

Freilich, die Gelehrten sagen, das habe Goethe bildlich gemeint. 
Aber nach einer gewissen Entwickelung fangt der Hellseher an, 
Tone zu horen. Goethe meint die geistige Wesenheit der Sonne. 
Und wenn die Alten die Sterne bezeichneten, so meinten sie mit den 
Namen, die sie ihnen gaben, den Geist der Planeten. Das, was man 
als Sonne sieht, ist nur der physische Leib der Sonne, und Goethe 
wufke recht gut, dafi es einen Sonnengeist gibt. Wenn der Hellseher 
nach einer bestimmten Zeit zunachst Tone wahrnimmt, so nimmt er 
noch spater das «innere Wort» wahr. Die Gabe, das innere Wort zu 
horen, nennt man Inspiration, so wie man die Gabe, die Bilder der 
Astralwelt wahrzunehmen, Imagination nennt. In der Imagination 
wird geschaut, in der Inspiration wird gehort. Wenn Jakob Bohme 
und Paracelsus von Inspiration redeten, so meinten sie diese Gabe. 
Und so spricht man auch davon, dafi die religiosen Urkunden inspi- 
riert sind. Die sie geschrieben haben, waren Inspirierte, das heifit 
Eingeweihte, die das innere Wort hatten. Wenn der Mensch das 
Schauen entwickelt, dann erschlieftt sich ihm die Astralwelt. 
Im inneren Horen erschlieEt sich ihm die Devachanwelt, die 
geistige Welt. 



POPULARER OKKULTISMUS 
Dritter Vortrag, Leipzig, 30. Juni 1906 

Gestern haben wir von der astralischen Welt gesprochen. Heute soil 
uns das Leben des Menschen nach dem Tode in dieser astralischen 
Welt beschaftigen. Wir werden die verschiedenen Zustande des 
Menschen nach dem Tode charakterisieren. Damit wird der Grund 
gelegt sein fur das Verstandnis der Wiederverkorperung und des 
Karma. Wir sahen, wenn der Mensch stirbt, tritt folgendes ein: Der 
physische Leib bleibt als Leichnam zuriick. Wahrend im Schlaf der 
Atherleib mit dem physischen Leib verbunden bleibt, gehen im 
Augenblick des Todes Atherleib, Astralleib und Ich heraus. Nach 
dem Eintritt des Todes entrollt sich vor der Seele des Abgeschiede- 
nen das ganze Erdenleben in alien Einzelheiten in Bildern. Dieser 
Vorgang dauert etwa drei Tage, bis die nachste Trennung eintritt, 
namlich die des Atherleibes von Astralleib und Ich. Man spricht aus 
diesem Grund okkult von zwei Leichnamen. Der Atherleib bleibt 
nach einiger Zeit als ein zweiter Leichnam zuriick. 

Wenn diese zweite Trennung stattgefunden hat, hort die Erinne- 
rungsfahigkeit - jedoch nicht fur immer - auf, und ein neuer Zustand 
beginnt fur den Menschen. Wie ist nun dieser Zustand? Der Mensch 
erlebt sich j etzt in der Welt, die er jede Nacht im Schlaf betritt. Aber es 
unterscheidet sich jener Zustand nach dem Tode sehr stark von dem 
Schlafzustand. Er wird in theosophischen Biichern zuweilen so be- 
schrieben, als ob auch er eine Art von Schlafzustand ware. Dies ist 
aber nicht der Fall. Vielmehr hat der Mensch bald nach dem Tode ein 
Bewufksein in der astralischen Welt. Trotzdem besteht der Aus- 
spruch «Der Schlaf ist der Bruder des Todes» ganz zu Recht. Dieser 
neue Zustand heifk das Leben im Kamaloka. Im Schlaf arbeitet, wie 
wir gesehen haben, der Astralleib am physischen und Atherleib, um 
deren Krafte zu ersetzen. Diese Arbeit unterdriickt das Bewufksein 
des Menschen wahrend des Schlafes und hindert ihn, wahrzunehmen 
in der Astralwelt. Nach dem Tode ist er dieser Arbeit enthoben, er 
braucht keine Ermiidung mehr zu beseitigen, und deshalb dammert 
ihm ein Bewufksein der astralischen Welt auf. Diese Kraft verwende- 



te er sonst zura Wiederaufbau des physischen Leibes. Nun wird diese 
Kraft frei und ist als Bewufttsein vorhanden. In dem Moment, wo der 
Astralleib nichts auszubessern hat, nimmt er die Bilder der Astralwelt 
auf. Auch daran konnen Sie sehen, warum gesunder Schlaf angestrebt 
werden soli. Betrachten Sie das physische Leben hier auf dieser Welt, 
wie jeder sucht, seine Sinne zu befriedigen. Was der Mensch genielk, 
das wird im Seelischen genossen, das Organ des Geniefiens aber ist 
physisch. Hat der Mensch Freude am Essen, so ist es der Gaumen, 
den die Seele zum Geniefien braucht. Nach dem Tode lebt die Sehn- 
sucht nach den Gemissen weiter, die Organe des Geniefiens aber feh- 
len nun. Die Seele diirstet nach leckerer Speise, aber das Organ dazu 
fehlt. Die Sehnsucht kann nicht mehr befriedigt werden. Die Seele ist 
wie ein Wanderer, der unter brennendem Durst vergeblich nach Was- 
ser sucht und keine Moglichkeit findet, den Durst zu stillen. Dies ist 
kein Dauerzustand, nach und nach schwindet das Sehnen. Verschie- 
dene Religionen haben diesen Zustand als ein Leben im Fegefeuer 
bezeichnet. Und alte Maler haben ihn zuweilen bildlich dargestellt 
durch Feuergluten. In der Tat: die Seele leidet brennenden Durst. Der 
weitere Verlauf ist der, dafi der Mensch seine letzten Begierden emp- 
findet und sein ganzes Leben rucklaufig durchlebt bis zu seiner Ge- 
burt, als er noch keine Begierden hatte. Danach betritt der Mensch 
das Devachan. Ganz deutlich weist darauf hin jene Stelle in den 
Evangelien: Ihr konnt nicht in das Reich Gottes kommen, wenn ihr 
nicht werdet wie die Kindlein. 

Stiickweise muE sich der Mensch von allem frei machen, was ihn 
mit der sinnlichen Welt verbunden hat. Kamaloka ist der Zustand, in 
dem sich der Mensch frei macht von allem, was ihn an die Sinnen- 
welt kettet. Es wird ganz beeinflufk von dem Sinnenleben, das man 
in der physischen Welt gefiihrt hat. Ist einer vollstandig in den Sin- 
nen aufgegangen, so wird sein Kamalokaleben lang und schwer sein. 
Gewohnlich aber nimmt das Kamalokaleben den dritten Teil der 
Dauer des Erdenlebens in Anspruch. In Bildern, als Wesenheiten, 
die uns qualen, tritt dem Menschen im Kamaloka das vergangene 
Leben vor die Seele. Hier kehrt sich alles um: Was Befriedigung 
gewesen ist, tritt als Entbehrung auf. Heifie Sinnlichkeit bringt das 



Gefiihl grauenhafter und kaltender Wesen. Doch immer bleibt der 
brennende Durst bestehen. Je mehr der Mensch vor dem Tode vom 
physischen Leben losgelost, je leichter also sein Sterben gewesen ist, 
urn so leichter wird er sich von der sinnlichen Welt entwohnen. Am 
schwersten wird dieses Entwohnen dem Selbstmorder. Denn dieser 
tauscht sich: Er bedenkt nicht, dafi er die Trennung vom sinnlichen 
Leben gewaltsam vollzog und dafi ihn deshalb eine unsagliche Gier 
nach seinem physischen Leibe erfafit, die ihn in der Nahe der phy- 
sischen Welt festhalt. Ahnlich, wenn auch in abgeschwachter Form, 
ergeht es dem, der durch einen Ungliicksfall plotzlich sein Leben 
verloren hat. Auch ein solcher Todesfall hinterlafk die Gier nach 
dem physischen Leib, aber spater findet dann ein Ausgleich im 
Devachan statt. Wenn die Seele die irdischen Wiinsche abgelegt 
hat, tritt sie ein in den Devachan-Zustand. 

Geisteswissenschaft lehrt nicht die Abkehr vom Leben. Der Gei- 
steswissenschafter kann folgenden Vergleich gebrauchen: Die Seele 
ist einer Biene gleich, die hinausfliegt auf die Fluren, um Honig zu 
suchen und zuriickzubringen. Hier auf Erden sammelt die Seele den 
Honig des Lebens, den sie nach dem Tod zum Altar der Gottheit 
bringt. Ohne Leben im Sinnlichen wiirde die Seele dazu niemals fahig 
sein. Wenn der Mensch sich verkorpert hat und anfangt zu sehen, 
nimmt er zunachst einfach mit den Augen wahr. Allmahlich erwachst 
ihm daraus der geistige Genufi. Physisches Wohlgefallen setzt sich in 
geistigen Genuft um. Der Wilde, der erst wenige Verkorperungen 
durchlaufen hat, freut sich nur an der Buntheit der Farben und den 
einfachsten Sinneseindnicken. Mit jeder Verkorperung verfeinern 
sich die Sinne. Wiirde der Mensch an den Farben nie sinnlichen Ge- 
nuE gehabt haben, wiirde er sich nie zum geistigen Genufi aufschwin- 
gen konnen. Darum ist der SinnesgenuE ein notwendiger Umweg. 
An der Schonheit der sinnlichen Welt sollen wir uns freuen. Ahnlich 
fiihrt auch die sinnliche Liebe allmahlich zur hochsten, reinsten, gei- 
stigen Liebe. Alles Erleben soli die Seele umsetzen und dann zum 
Altar der Geistigkeit hinauftragen. Denn nichts, gar nichts geht ver- 
loren. Die Sinnlichkeit ist die Schule, ohne die der Mensch nie zur 
Geistigkeit kommen wiirde. Die Erde ist kein Jammertal, sie ist ein 



Sammelplatz, und die Menschen sind ausgesandte Boten - Gottes 
Engel, sagt die Bibel -, um Honig zu sammeln. 

Der Mensch ist in Umwandlung begriffen. Denken Sie an Ihre 
Kindheitsjahre! Wie viele Vorstellungen und Begriffe kamen an Sie 
heran, wieviel haben Sie in sich aufgenommen! Und wie haben sich 
Ihre Vorstellungen und Begriffe gewandelt vom zehnten bis zum 
zwanzigsten Jahr! Eine viel schwachere Umwandlung erfahrt das 
Temperament. Ein heftiges Kind wird auch im Alter noch heftig ge- 
blieben sein. Das Temperament ist dem Menschen korperlich aufge- 
pragt. Anders in Gesichtsausdruck, Haltung und Gang zeigt sich der 
Choleriker, der Sanguiniker, der Melancholiker, der Phlegmatiker. 
Nun ist aber nicht die Hauptsache, sich Begriffe anzueignen, sondern 
der Mensch mufi vor allem anstreben, an seinem Temperament etwas 
verandern zu konnen. Solche Schulung wurde in den Geheimschulen 
gelehrt. Die ganze Richtung der Lebensfiihrung wurde in den 
Geheimschulen geandert. Auf eine Willensanderung kam es an. 

Was der Mensch hier an geistigen Verhaltnissen und Banden 
kniipft, das dringt bis zum Devachan nach dem Tode. Man nehme 
an, zwei Menschen schliefien innige Freundschaft, diese nimmt im- 
mer mehr geistigen Charakter an. Aber das physische Leben bleibt 
dabei doch ein gewisses Hemmnis. Im Devachan kommt diese 
Freundschaft dann zu vollem, reinem Ausdruck. 

Alles, was der Mensch aus dem Erdenleben herausgesogen hat, 
wird innerlich einverleibt, einverseelt, vergeistigt. Dadurch schafft 
sich der Mensch fur seine nachste Verkorperung bis in den Leib hin- 
ein den Ausdruck dessen, was er sich erarbeitet hat. Im Morgenland 
gilt der Spruch: Was du heute denkst, das bist du morgen. - So arbei- 
ten wir in jeder Verkorperung fur die nachste. Das nachste Mai wer- 
de ich zeigen, was der Mensch im Devachan durchlebt. Dieses De- 
vachanleben ist kein Traumzustand, der Mensch schlaft nicht durch 
die geistige Welt hindurch. Sein Bewufksein ist ein sehr viel hoheres 
und lebendigeres als hier. Alles tritt in lichterem Glanz auf. Seine 
Freunde sind ihm dort nicht entschwunden, es ist nur ein anders 
geartetes, und zwar viel innigeres, geistiges Einssein. Das Devachan 
ist ein ungleich wirklicherer Zustand als der des Erdenlebens. 



POPULARER OKKULTISMUS 
Vierter Vortrag, Leipzig, 1. Juli 1906 

Heute soil das Devachan geschildert werden, und zwar die Summe 
der Erlebnisse, die der Mensch dort hat zwischen dem Tod und ei- 
ner neuen Geburt. Man darf nicht denken, dafi diese Welt raumlich 
irgend woanders ware. Sie ist immer um uns herum. Nur hat der 
gewohnliche Mensch nicht die Organe, um die Tatsachen in ihr 
wahrzunehmen. Auch mufi man bedenken, dafi unsere Sprache, 
unsere Ausdriicke nur fiir die physische Welt gepragt sind. Daher 
kann man die hoheren Welten nur in Vergleichen beschreiben. Da, 
wo in der physischen Welt ein Gegenstand ist, findet man im 
Devachan den betreffenden Raum als Hohlraum, und wo im Phy- 
sischen nichts ist, ist im Devachan ein Leuchtendes, Strahlendes, To- 
riendes und so weiter. Man konnte dies mit einem photographischen 
Negativ vergleichen. In den Hohlraum wiirde ganz genau der phy- 
sische Gegenstand hineinpassen. Merkwiirdig ist, dafi es sich nur bei 
Naturgegenstanden so verhalt, wahrend vom Menschen kunstlich 
geformte Gegenstande im Devachan als Positiv da sind. Alles, was 
aus festen mineralischen Stoffen aufgebaut ist, also auch das, was an 
den Pflanzen, Tieren und am Menschen mineralisch ist, das ist in der 
ersten Region des Devachan im Negativ, als Hohlraum vorhanden. 
Dies ist gleichsam die feste Grundlage des Devachan: der Kontinent 
des Devachan. Die Gegenbilder des Physisch-Mineralischen bilden 
also das kontinentale Gebiet des Devachan. 

Alles, was hier Leben ist, was Pflanzen und Tiere zu wachstums- 
fahigen Wesen macht, das lafk sich im Devachan vergleichen mit dem 
Ozean. Dies ist die zweite Region desselben. Dort findet man fluten- 
des, stromendes Leben. Und eine grofie Regelmafiigkeit ist in diesem 
stromenden Leben, in diesen Ozeanen des Devachan. Man konnte es 
mit dem Blutumlauf im Korper des Menschen vergleichen. 

Die dritte Region ist die Luft, die Atmosphare des Devachan. In 
ihr ist alles, was hier Empfindung und Gefiihl genannt wird. Wie 
hier der Wind weht, so kann man dort Schmerzensstrome wahrneh- 
men. Ein jegliches Verhangnis wird horbar, das hier im Physischen 



stattfindet. Eine Schlacht zum Beispiel stellt sich dem Hellseher, der 
im Devachan wahrnimmt, als ein furchtbares Gewitter dar, das sich 
in Blitz, Donner und Sturm entladt. 

In der vierten Region findet man alle fruchtbaren und wertvollen 
Ideen, die von Menschen jemals gedacht word en sind. Wie hier der 
Sternenhimmel uns umgibt, so findet man dort eine wunderbare 
Sternenschrift. Man kann sie als die sogenannte Akasha-Chronik 
lesen. Alle Vorstellungen, die mit menschlichen Handlungen ver- 
kniipft sind, sind dort fiir ewig eingeschrieben und konnen abgele- 
sen werden. Man findet aber noch grofiere Schriftziige im Devachan. 
Jedem Tier, jeder Pflanze, jedem Kristall liegt ein Gedanke zugrun- 
de. Alles das ist im Devachan eingegraben. 

In der funften Region des Devachan findet der Mensch sein wah- 
res Wesen. «Tat tvam asi - das bist du», das grofie Mittelpunktswort 
der Vedantaphilosophie, tont ihm dort entgegen. 

Im Kontinentalgebiet des Devachan uberwindet der Mensch nach 
und nach das Wichtignehmen des eigenen Korpers. Er lernt selbstlos 
sein eigenes physisches Dasein mit allem anderen physischen Dasein 
vergleichen. Mit jeder Verkorperung wird der Mensch ein wenig 
selbstloser. Das erste Gebiet des Devachan ist die hohe Schule dieser 
Vervollkommnung. Im zweiten, im Ozeangebiet des Devachan, er- 
lebt der Mensch bei seinem Durchgang durch dasselbe jedesmal die 
Einheit alien Lebens. Erst nach und nach kann mit dem Einzug der 
theosophischen Gesinnung auch die Einsicht von der Einheit, die in 
alien Dingen liegt, einziehen. Von diesem dahinstromenden All-Le- 
ben bleibt uns auch nach der neuen Verkorperung eine leise Ah- 
nung. Im dritten Gebiet, in der Atmosphare des Devachan, nimmt 
der Eingeweihte, und der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt, 
alles Leid und alle Freude wahr in Form von wunderbaren atmo- 
spharischen Erscheinungen, und in Tonen von Blitz und Sturm. 
Weil der Mensch selbst dann aufierhalb dieser Seelenregungen ist, 
sieht er sie objektiv an und kann ihre voile Bedeutung erkennen. 
Bereichert mit dieser Anschauung, mit dieser devachanischen Erfah- 
rung kehrt er dann in ein neues Erdenleben zuriick. Wenn der 
Mensch in seiner inneren Entwickelung an einem bestimmten Punkt 



angelangt ist, erhalt er die Ruckerinnerung an seine vergangenen 
Erdenleben. Dies ist nur eine Frage der Entwickelung. Auf dieser 
Stufe wird schliefilich jeder ankommen. Durch die haufige Wieder- 
holung der Devachanerlebnisse werden deren Bilder so tief ein- 
gepragt, daft die Kraft der Erinnerung ausreicht. 



POPULARER OKKULTISMUS 
Fiinfter Vortrag, Leipzig, 2. Juli 1906 

Wir mulken zuvor die hoheren Welten im allgemeinen kennenler- 
nen, um heute klar herausarbeiten zu konnen, was Wiederverkorpe- 
rung und Karma ist. Man versteht unter Wiederverkorperung den 
Durchgang des Menschengeistes durch verschiedene Erdenleben. 
Dieses Gesetz der Wiederverkorperung ist im Grunde genommen 
dasselbe, das sich auch in der iibrigen Natur findet. Nehmen Sie eine 
einfache Substanz, zum Beispiel Kochsalz. Das «verkorpert» sich, 
kristallisiert sich immer von neuem in Wiirfeln. Wir konnen da von 
einer Wiederverkorperung der Form sprechen. Ahnlich konnen wir 
dieses Gesetz in der Pflanzenwelt beobachten. Die Blumen verge- 
hen, aber ihre Arten bleiben bestehen, sie zeigen sich im nachsten 
Jahr wiederum als gleichgeartete Blumen. Hier liegt eine Wiederver- 
korperung der Arten vor. Dasselbe findet sich im Tierreich. 

Beim Menschen spricht man nicht von der Art, sondern von 
der Individualitat. Da erhalt sich nicht die Art durch Entstehen und 
Vergehen hindurch, sondern die Individualitat, der eigentliche 
Wesenskern des Menschen. Dieser erscheint in einer immer neuen 
Personlichkeit. Die jeweilige Personlichkeit ist nur der Ausdruck 
der ewigen Individualitat. Nicht immer herrschte auf Erden die 
Reinkarnation, und sie dauert auch in die Zukunft hinein nicht 
ewig, sondern hat eine bestimmte Dauer. 

Hat nun die Wiederholung der Erdenleben einen Wert, eine Be- 
deutung? Man muE sich nur klar dariiber sein, was Reinkarnation 
und Karma eigentlich sind. Dieses Gesetz ist eng verkniipft mit dem 



ganzen EntwickelungsprozeE der Menschheit auf der Erde. Sehen 
wir zuriick in das alte Griechenland: Wie waren damals die Verhalt- 
nisse so anders, und wie griindlich hat sich die ganze aufiere Art des 
Lebens in diesen zwei Jahrtausenden geandert! Im allgemeinen ist 
das Antlitz der Erde, der gesamten Kultur jedesmal ganzlich veran- 
dert, wenn der Mensch seine nachste Wiederverkorperung durch- 
macht. Immer dann tritt eine neue Inkarnation fur den Menschen 
ein, wenn dieser etwas Neues auf der Erde zu vollbringen hat. In 
zwolfmal 2160 Jahren absolviert die Sonne einen vollen Kreislauf 
um den ganzen Tierkreis. Die alten Volker haben noch den Zusam- 
menhang gekannt, der zwischen dem menschlichen Leben und die- 
sem Gang der Sonne durch die zwolf Sternbilder besteht. In uralten 
Zeiten wurde in Persien das Bild der Zwillinge verehrt; es folgte eine 
Zeit, in welcher man den Stier verehrte. Diese Verehrung fand ihren 
historischen Ausdruck im Mithras- und Apiskult. Danach kam die 
Zeit, wo man das Lamm, den Widder verehrte. Je 2160 Jahre fallen 
auf jedes dieser Bilder. Man rechnet durchschnittlich, dafi zwei 
Inkarnationen in diesen Zeitraum von 2160 Jahren fallen; eine 
davon ist weiblich, die andere mannlich. 

Was wir uns in einem Leben als Wissen und Erkenntnis angeeig- 
net haben, das kommt im nachsten Leben als Fahigkeiten heraus. 
Karma ist das Gesetz von Ursache und Wirkung in den verschiede- 
nen Lebenslaufen. Fur die physische Welt wird das Gesetz von Ur- 
sache und Wirkung allgemein anerkannt, nicht aber fiir das geistige 
Leben. Und doch sollte man ebenso nach den verschiedenen Ursa- 
chen der Lebensverhaltnisse der Menschen fragen. Karma ist das 
grofie Gesetz der Weltengerechtigkeit. Aber man darf Karma nicht 
fatalistisch verstehen. Es brauchen nicht alle Ereignisse Folgen aus 
der Vergangenheit zu sein. Es kommen auch neue Dinge an den 
Menschen heran, die dann in spateren Leben ihren Ausgleich finden. 
Man kann die Wirkung des Karmagesetzes mit der Technik des 
Kaufmanns vergleichen, der ein Kontobuch fiihrt. Die Vertreter des 
Bekenntnis-Christentums wenden gegen das Karmagesetz ein, der 
Tod Jesu sei ein stellvertretendes Siihneopfer gewesen - die Theoso- 
phie aber lehre Selbsterlosung und Sundenausgleich durch Karma, 



darauf konne die christliche Religion nicht eingehen. Aber dieser 
Einwand beruht auf einem Mifiverstandnis. Ebenso ist es ein Mifi- 
verstandnis, wenn eingewendet wird, wenn jemand in Not sei, dann 
diirfe ich ihm nicht helfen, denn ich diirfe in sein Karma nicht 
eingreifen. Nehmen Sie an, ein Mensch gelangt an den Punkt, wo er 
sich selbst nicht mehr helfen kann. Dann helfen Sie ihm, und durch 
diese Hilfe verbessern Sie sein Schicksal. Oder Sie konnen zwolf 
Menschen helfen, dann sind Ihnen zwolf Dankbarkeit schuldig. 
Diesen zwolfen wird es nicht einfallen, zu sagen, der kann uns gar 
nicht helfen, Karma erfordert, daft wir uns selbst helfen, Aber die 
Hilfe, die ein anderer leistet, schreibt sich in das Karma ein und wird 
spater ausgeglichen. So kann ein machtiger, grofier Geist nicht blofi 
einem Menschen oder tausend helfen, sondern der ganzen Mensch- 
heit in dem Augenblick, wo sie es braucht. Darin bestand die Tat des 
Christus Jesus auf Erden. Sie ist eine Hilfe fur alle Menschen und 
schrieb sich ein in das Karma aller Menschen und ist eine Wirkung 
fur alle Menschen. Indem die Geisteswissenschaft solches lehrt, ist 
sie die beste Dienerin des Christentums. Sie vermittelt das wahre 
Verstandnis des Christentums. Sie hat aufklarende Arbeit zu leisten, 
damit der Weg gefunden werde. 



POPULARER OKKULTISMUS 
Sechster Vortrag, Leipzig, 3. Juli 1906 

Wir wollen heute den Menschen von seinem Tod bis zu einer neu- 
en Geburt verfolgen und sehen, wie das, was vom verflossenen Leben 
stammt, sich in das nachste hineinverpflanzt. Nach dem Tod lafit der 
Mensch seinen physischen Leib als Leichnam zuriick und ubergibt 
ihn der Erde. Atherleib, Astralleib und Ich Ziehen aus ihm heraus. In 
diesem Augenblick unmittelbar nach dem Tode steht das ganze ver- 
flossene Leben von der.Geburt bis zum Tod wie in einer langen Bil- 
derreihe gleichzeitig vor der Seele. Dieses Erinnerungstableau gleicht 
aber nicht ganz den Erlebnissen selbst, die man hier gehabt hat. Denn 



da waren die Erlebnisse mit Gefiihls- und Gemiitseindriicken ver- 
kniipft, die Seele war innerlich interessiert daran. Jetzt aber treten alle 
diese Erlebnisse wie eine Summe aufierer, objektiver Erfahrungen vor 
die Seele. Alles Leid und alle Freude, die einst damit verbunden wa- 
ren, schweigen nun. Wie etwas Fremdes stent dieses Lebensbild vor 
der Seele. Die Stimmungen fehlen. Mich und meine Angehorigen 
sehe ich dann in einem objektiven Bilderpanorama. So lange bleibt 
dieses Bild vor der Seele, bis der Atherleib sich vom Astralleib trennt. 
Der Atherleib wird dann der zweite Leichnam, den der Mensch zu- 
riicklalk. Dieser Atherleib lost sich fur sich allmahlich im allgemei- 
nen Weltenather auf. Wenn man als Hellseher einen Menschen mit 
rohem Empfindungsleben in diesem Zustand beobachtet, wird man 
bemerken, daft er lange Zeit braucht, bis sein Atherleib aufgelost ist. 
Bei einem Idealisten dagegen geht es schnell. Fast gar keine Auf- 
losung aber wird man sehen, wenn man einen Geheimschuler oder 
gar einen Eingeweihten nach dem Tode beobachtet. 

Nach der Auflosung des Atherleibes besteht der Mensch aus 
Astralleib und Ich. Die Bilder des Lebenspanoramas sind von gro- 
wer Bedeutung, denn sie werden nun zu Kraften, die sich dem 
Astralleib einpragen. Sie verwandeln sich so, wie wenn sie eine Art 
von Nahrung fur ihn waren. Aus dieser Summe von Kraften wachst 
der Kausalkorper heraus, der das fiinfte Glied des Menschen ist. 
Dieser ist es, den der Mensch wahrend der Devachanzeit und durch 
alle Verkorperungen hindurch beibehalt. Als der Mensch sich zum 
ersten Mai verkorperte - mit so gearteten Verhaltnissen haben wir es 
ja jetzt nicht mehr zu tun -, bestand er nur aus vier Gliedern: phy- 
sischer Leib, Atherleib, Astralleib und Ich. Der Kausalkorper war 
erst ganz keimhaft vorhanden. Ihn trug er mit bis zur nachsten Ver- 
korperung. Und mit jeder Verkorperung ist der Kausalkorper ge- 
wachsen. Die Bilder der Erinnerung pragen sich jedesmal dem Kau- 
salkorper ein, bereichern ihn und machen ihn mannigfaltiger. Nach 
dem Durchgang durch Kamaloka hat der Mensch Ich und Kausal- 
korper und ist umkleidet mit seinem astralischen Leibe. Vorher muE 
er sein ganzes verflossenes Leben zuriickleben in jeder kleinsten 
Handlung bis in alle Einzelheiten. Er mufi haltmachen bei jedem 



Erlebnis dieses verflossenen Lebens und es riicklaufig noch einmal 
erleben. Dann erst kann er in das Devachan eingehen. 

Dafi man so sein vergangenes Leben in alien Einzelheiten zuriick- 
lebt, das hat den Sinn, dafi man jetzt erst seine eigenen Handlungen 
wahrhaft kennenlernt, indem man deren Wirkungen an sich selber 
erlebt. Denn nun stellt sich fur den Menschen bei jeder Handlung 
der Seelenzustand ein, den derjenige gehabt hat, gegen welchen die 
Handlung sich gerichtet hat. Sie erleben die Schmerzen und Freu- 
den, die sie anderen Menschen bereitet haben, von innen aus. Nichts 
von dem, was man anderen zugefugt hat, gibt es, das nicht in Kama- 
loka eigenes Erlebnis wird. Hier gilt der Satz: Was du saest, das wirst 
du ernten. 

Nehmen Sie fur dieses rucklaufige Erleben ein Beispiel: die Vivi- 
sektion. Diese hangt eng zusammen mit der materialistischen Rich- 
tung der gegenwartigen Wissenschaft. Einem Arzt aus dem Mittelal- 
ter wiirde es sehr toricht vorgekommen sein, das Leben zu studieren, 
indem man den lebendigen Korper zerschneidet und das Leben ver- 
nichtet. Damals waren noch viele Menschen und besonders Arzte 
hellseherisch, und sie sahen deshalb durch den physischen Leib hin- 
durch. Die Schauenskraft ging aber verloren, und weil nun die Men- 
schen nicht mehr in das Innere des Organismus hineinschauen konn- 
ten, begannen sie ihn zu zerschneiden und zu sezieren. Wer jedoch 
viviseziert, der schneidet in lebendiges Leben. Nach dem Tode macht 
sich Karma, das Gesetz von Ursache und Wirkung geltend. Die Ab- 
sicht, die zur Vivisektion fuhrt, kommt dabei weniger in Betracht. 
Der Vivisektor hat die Folgen seiner Taten an sich selbst zu erleben. 
Alle einzelnen Schmerzen, die er den Tieren zugefugt hat, mufi er in 
Kamaloka nun selbst aushalten und durchmachen. Die wissenschaft- 
liche Absicht wird erst spater in sein Karma verwoben. 

Dieses rucklaufige Erleben bewirkt, dafi alles Bose, das der 
menschlichen Personlichkeit anhaftet, ausgeschieden wird. Wenn 
dieser Vorgang beendet ist, lafit der Mensch den Astralleib als den 
dritten Leichnam zuriick und lebt mit Ich und Kausalkorper weiter. 
Der abgelegte Astralleib ist fur die weiteren Zustande des Menschen 
eigentlich unnotig. Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Wir- 



kungen des Kamalokalebens auf die Seele. Hat jemand einem ande- 
ren ein Leid zugefiigt, dann erlebt er es in Kamaloka an sich selbst: 
er erlebt die Wirkung, die es auf den anderen ausgeiibt hat. Indem er 
dies durchlebt, ist er fur spater gewarnt. Diese Erfahrungen, die der 
Mensch in Kamaloka macht, sind bleibend und pragen sich der Seele 
in starker Schrift ein. Den Astralleichnam aber lafit er zurtick. Diese 
astralischen Leichname sind fur den Hellseher immer auf dem 
Astralplan zu schauen. Sie losen sich namlich nur langsam auf. 
Spater betritt die Seele dann die devachanische Welt. Dort ist der 
Mensch fahig, alles dasjenige zu verarbeiten, was er in Kamaloka 
aufgenommen hat, was er sich eingeschrieben hat. 

Alle Erfahrungen, die wir gemacht haben, werden im Kontinental- 
gebiet des Devachan zu Kraften. In der Atmosphare des Devachan 
erlebt der Mensch, was als Gefiihl und Gemiit einst in ihm aufgetre- 
ten ist. Nachdem er die Gemiitswirkungen seiner eigenen Taten er- 
kannt hat, stromen diese Gemiitserlebnisse in ihn hinein und werden 
zu Fahigkeiten. Alle Erfahrungen eines Erdenlebens treten in spate- 
ren Erdenleben wieder auf als Fahigkeiten und Talente. In diesem 
Vorgang der Umwandlung der Erlebnisse in Fahigkeiten liegt fur den 
Menschen ein Gefiihl riickhaltloser Seligkeit. Es ist wie das ins Gei- 
stige umgesetzte Gefiihl der briitenden Henne, ein Warmegefuhl, 
welches neues Leben weckt, das den Menschen dort durchstromt. 

Wenn alles, was im Kausalleib aufgespeichert ist, sich zu Fahig- 
keiten umgewandelt hat, tritt der Mensch den Riickweg zur Erde an. 
Diese sich erdwarts Zuriicklebenden hellseherisch zu beobachten, 
ist aufierordentlich interessant. Bei ihnen nimmt der Hellseher glok- 
kenformige Gebilde wahr, die mit unglaublicher Schnelligkeit im 
Astralplan dahinschiefien nach alien Seiten. Diese Gebilde sind da- 
durch entstanden, dafi ein aus dem Devachan zuriickkehrender 
Mensch sich mit neuer Astralmaterie umgibt. Es handelt sich um ein 
Anschiefien der Astralmaterie um den Wesenskern des Menschen, 
das man mit folgendem vergleichen konnte: In einem Kasten seien 
Eisenfeilspane, und darunter befindlich ein Magnet. Diese Spane 
ordnen sich nach den Kraftlinien des Magneten. Wie der Magnet 
zieht der aus dem Devachan zuriickkehrende Mensch aus den ver- 



schiedensten Richtungen des Astralplanes die Astralmaterie an, und 
diese ordnet sich, wie es seinem Wesen gemafi ist, an. Dieser Zustand 
des Herumschiefiens vor einer neuen Verkorperung dauert nur eine 
kurze Zeit, die sich meistens nach Stunden bemifit. Die Glocken- 
form ist die allgemeine, darinnen finden sich alle Farbennuancen. In 
diesem Zustand besteht der Mensch aus dem Ich nebst Kausalkorper 
und bildet sich nun aus der Astralmaterie einen neuen Astralleib, der 
genau dem entspricht, was sich der Mensch im Devachan ausgebil- 
det hat. Seine ganze Veranlagung erhalt so eine den umgewandelten 
Erfahrungen entsprechende Farbung. 

Danach muft sich der neue Atherleib angliedern. Bei der Astral- 
materie ist es so, als ob sie ganz von selbst anschiefte und sich anglie- 
dere. Bei der Athermaterie ist es anders. Da gibt es Wesenheiten, die 
zunachst mit der Individuality des Menschen nichts zu tun haben. 
Sie helfen bei der Bildung des Atherleibes. Man nennt sie Maha- 
devas. Sie haben auch sonst eine gewisse Bedeutung bei den Men- 
schen. Der Mensch ist nicht so sehr Herrscher seiner Leiblichkeit, 
wie er glaubt. In seinen drei Leibern wohnen auch noch andere 
Wesenheiten wirksam darin. Nur in seinem vierten Glied, im Ich, ist 
der Mensch ganz allein zu Hause. Zu solchen Wesenheiten, die im 
Menschen leben, gehoren auch die Mahadevas, sie haben Einflufi auf 
den Atherleib und vermogen dem Menschen den richtigen Atherleib 
zu geben. Von anderen Wesenheiten wird er sodann zu dem Eltern- 
paar geleitet, nach den Vererbungsverhaltnissen zu derjenigen Fami- 
lie und dem physischen Menschenkeim, die zu den Fahigkeiten und 
Eigenschaften des sich wiederverkorpernden Menschen am besten 
passen. Nur in den seltensten Fallen fiigt sich der neu verkorperte 
Mensch ganzlich in seinen neuen physischen Leib ein, wodurch oft 
viele innere Zwiespalte entstehen. Es kann immer nur ein annahernd 
passender physischer Leib gefunden werden in unserer gegenwar- 
tigen Zeit. In dem Augenblick, wo der geeignete Ort der Verkorpe- 
rung gefunden ist, leiten die Lipikas, elementarische Wesenheiten, 
den Menschen zu einer geeigneten Familie hin, und erst im Augen- 
blick der Befruchtung geschieht die Umkleidung des Astralleibes 
mit dem Atherleib. Wie die Mahadevas in Beziehung stehen zum 



Atherleib, stehen die Lipikas in Beziehung zum physischen Leib. 
Alle diese Vorgange dauern fiir gewohnlich nur Augenblicke. In den 
ersten Wochen nach der Empfangnis ist im Menschenkeim nur der 
Kausalleib tatig und wirksam. Ungefahr in der siebenten Woche 
beginnt der Atherleib mit seiner Wirksamkeit, und vom siebenten 
Monat ab tritt der Astralleib mit seinen Kraften an den Menschen 
heran. 

POPULARER OKKULTISMUS 
Sieb enter Vortrag, Leipzig, 4. Juli 1906 

Gestern sprach ich von dem Weg, den der menschliche Wesenskern 
nach dem Tode macht, und von dem Riickweg in ein neues Erden- 
leben. Zunachst tritt also nach dem Tode das Bildertableau des Ather- 
leibes auf , dann f olgt eine Art kurzer Schlaf zustand. In diesem Schlaf- 
zustand werden die Bilder des Erinnerungstableaus verarbeitet zu 
dem Kausalleibe. Dieser selbst macht sich geltend als Strahlen, die aus 
den iibrigen flammenartigen Gebilden herausstrahlen nach der blau- 
en und Indigofarbe hin. Wenn der Astralleib als dritter Leichnam 
zuriickgeblieben ist, lebt dieser noch eine Zeitlang fiir sich weiter. Er 
wird dann von der Astralwelt auf gesogen. Solche « Astralschemen» - 
Spektren - werden oft von den Medien bei spiritistischen Sitzungen 
zitiert. (Siehe Anhang.) Nach langerer Vorbereitung geht der Mensch 
in das Devachan ein, um jetzt seine Erfahrungen in Fahigkeiten um- 
zuwandeln. Nachdem er durch die ersten beiden Regionen des De- 
vachan gegangen ist, kommt er in das atmospharische - dritte - Ge- 
biet desselben. Dort erlebt er alles, was an Lust und Leid, an Leiden- 
schaften und Trieben sich darleben kann; dies ist die «Luft» des De- 
vachan. Sie ist fiir den geistigen Menschen ein ebenso belebendes Ele- 
ment wie hier der Sauerstoff fur den physischen Menschen. Wenn der 
Mensch so sein ganzes Leben alchimistisch umgestaltet hat, kehrt 
sein Kausalkorper und sein Ich in die Erdensphare zuriick. Es bilden 
sich die geistigen Menschenkeime aus, die als glockenformige Gebil- 
de geschildert wurden, welche dadurch entstehen, dafi ihnen die 



Astralmaterie gleichsam anschiefk nach den inneren Kraftlinien der 
Fahigkeiten dieses geistigen Menschenkeims. Keines dieser Gebilde 
ist dem anderen gleich an Farbe und Gestalt, darin driicken sich die 
verschiedenartigen Individualitaten aus. Der ganze Charakter ist in 
ihnen vorgebildet und pragt sich in Farbe und Form aus. Die Bildung 
des neuen Atherleibes vollzieht sich, wie wir gesehen haben, nicht 
durch Anschiefien von Athermaterie, sondern nur durch die Arbeit 
der sogenannten Mahadevas. Dieses Anziehen des neuen Atherleibes 
geschieht, wenn das glockenformige Gebilde schon den Weg zum 
Embryo gefunden hat. Eine vollstandige Verbindung des Atherleibes 
mit dem physischen Menschenkeim aber findet erst in der siebenten 
Woche nach der Empfangnis statt. Bis dahin sind zwar die Leiber ver- 
kniipft, aber die Verbindung ist nicht bis zum Keim gedrungen. 
(Siehe Anhang.) Wesenheiten, die man die Lipikas nennt, leiten den 
Menschen zu dem Elternpaar und in die Familienverhaltnisse, in 
denen sich das Karma am besten ausleben kann. 

Nun wollen wir besprechen, wie Karma im einzelnen wirkt. Fas- 
sen wir die Taten des Menschen ins Auge, so sehen wir, dafi hinter den 
Taten immer eine bestimmte Charakterveranlagung steht. Was aufier- 
lich als Tat geschieht, kann, bei verschiedenen Motiven, ein und das- 
selbe sein. (Siehe Anhang.) Im aufieren giinstigen oder ungiinstigen 
Schicksal lebt sich zunachst die Tat und ihre Folgen aus. Auch der 
Charakter, die Neigungen und die Gewohnheiten pragen sich im 
Karma aus. Diese Eigenschaften des Menschen bleiben dem Ather- 
leib eingebildet und werden im folgenden Leben im physischen Leibe 
verarbeitet. Sie wandeln sich um in solche Krafte, die als organbilden- 
de im nachsten Leben im physischen Leibe auftreten. Da also die 
Eigenschaften des Atherleibes so auf den physischen Leib des nach- 
sten Lebens einwirken, hangt die gesunde oder schwache Organisa- 
tion des Menschen in dem einen Leben von seinen Neigungen und 
Gewohnheiten im vorigen Leben ab. Der Mensch kann auf diese 
Weise in diesem Leben die Art seines folgenden beeinflussen, indem 
er edle Neigungen und Gefuhle in sich heranerzieht und so den Leib 
seiner nachsten Verkorperung stark und gesund macht. Die Ursachen 
der Krankheiten sind in der Tat moralische. 



Dieser Umwandlungsprozefi der moralischen Krafte dauert aber 
oft sehr lange. Untergehende Volker und Rassen haben in ihren 
Astralleibern eine Art von Faulnisprozefi. Die einfallenden Hunnen 
und Mongolen brachten Furcht und Schrecken fur die europaischen 
Volker mit durch die Art ihrer dekadenten Astralmaterie. Furcht 
und Schrecken sind aber ein sehr geeigneter Nahrboden fur solche 
verwesenden Astralstoffe. Diese niedergehenden Krafte teilten sich 
den Atherleibern der europaischen Bevolkerung mit, und die Folge 
war die furchtbare Krankheit des Aussatzes im Mittelalter. Wer 
mutig und furchtlos ist, dem konnen solche verwesenden Astralstof- 
fe, wie sie Hunnen und Mongolen in sich trugen, nichts anhaben. 

Da sich die sittlichen Eigenschaften in kiinftigen Generationen 
leiblich ausleben, wirkt man, wenn man sittlich lebt, nicht nur fur 
sich selbst, sondern geradezu fur die Gesundheit der kommenden 
Generationen. 

POPULARER OKKULTISMUS 
Achter Vortrag, Leipzig, 5. Juli 1906 

Wir wollen heute die Betrachtungen iiber die Wirkungen des 
Karmagesetzes fortsetzen. Wiederholen wir das Gesagte: Die Hand- 
lungen des vorigen Lebens driicken sich in diesem aus als aufiere 
Lebensschicksale. Die Neigungen, die Temperamentsanlage und so 
weiter des vergangenen Lebens bilden sich um zu der physischen, 
gesundheitlichen Konstitution in diesem Leben. Wieder ein anderer 
Zusammenhang ergibt sich uns, wenn wir das Vorstellungsleben des 
Menschen betrachten. Dieses Vorstellungsleben ist Tatigkeit unse- 
res Astralleibes. Die Art dieses Vorstellungslebens wirkt ein auf den 
Atherleib im nachsten Leben, das heifk auf die bleibende moralische 
Gesinnung des Menschen. Betrachten wir die Stimmung eines Scho- 
penhauer, der Pessimist gewesen ist. Das Leben pessimistisch oder 
auch optimistisch anzusehen, ist eine Eigenschaft des Atherleibes, 
und beim Pessimismus ist diese Haltung dadurch verursacht, dafi ein 
solcher Mensch in seinem vorigen Leben unbefriedigende oder un- 



gluckliche Erfahrungen gemacht hat. (Siehe Anhang.) Wenn jemand 
viele abfallige Urteile iiber seine Mitmenschen fallt, so recht ein Kri- 
tikaster ist, so driickt sich diese Neigung des einen Lebens im nach- 
sten Leben in einer gewissen Verfassung des physischen Leibes aus, 
und zwar darin, dafi der Betreffende friih altert und iiberhaupt 
wenig Jugendlichkeit zeigen wird. Das ist iiberhaupt eine gute Vor- 
bedingung fur das nachste Leben: alien Menschen nicht abstofiend, 
sondern liebevoll entgegenzutreten. 

Wie steht nun die Vererbung im Einklang mit der Tatsache der 
Wiederverkorperung und des Karma? Manche werden die Wieder- 
verkorperung mit dem Einwand widerlegen wollen, dafi sie etwa 
darauf hinweisen, es gabe Familien, in denen die Angehorigen meh- 
rerer Generationen Musiker sind, und sie werden alles auf Verer- 
bung zuriickfiihren. Ein geistreicher Theosoph hat einmal den Aus- 
spruch getan: Es ist nicht wahr, daft die Kinder den Eltern ahnlich 
sind, vielmehr sind die Eltern den Kindern ahnlich. - Beleuchten 
wir, was dieser Ausspruch sagen will. (Siehe Anhang.) 

Im Anfange seiner Entwickelung hat der Mensch einen Astral- 
leib, an dem sein Ich noch gar nicht gearbeitet hat. Im Laufe der 
Inkarnationen beginnt das Ich in den Astralleib hineinzuarbeiten. 
Dadurch wird dieser vollkommener. Die Fahigkeit, Wahrheit und 
Irrtum zu unterscheiden, ist erst eine Errungenschaft der spateren 
Inkarnationen. Alles im Leben mull erst durch Erfahrungen erlernt 
werden. Nur durch Irrtum entwickelt sich das richtige Urteil. Auch 
die mathematischen Wahrheiten ergeben sich daraus, daft das Ge- 
genteil falsch ist. Fortwahrend arbeitet der Mensch von seinem Ich 
aus an seinem Astralleib. Es ist fur den Hellseher ein grower Unter- 
schied, den Astralleib eines entwickelten oder eines unentwickelten 
Menschen anzuschauen. Infolge dieser Durcharbeitung des Astral- 
leibes findet sich in alien Seelen der Menschen ein Teil, der noch von 
den niederen Trieben und Leidenschaften erfiillt ist, und ein vom Ich 
geistig umgearbeiteter Teil. Franz von Assisi hatte zum Beispiel 
seinen Astralleib ganz verwandelt und umgearbeitet. Das, was vom 
Astralleib durch das Ich umgearbeitet ist, bezeichnet der Okkultist 
mit dem orientalischen Ausdruck Manas. 



Viel schwerer als den Astralleib zu bearbeiten, ist es, in den Ather- 
leib hineinzuarbeiten, weil dieser viel schwieriger zu durchdringen 
ist. Diese Undurchdringlichkeit ist teils das Werk des Menschen 
selbst, insof ern es von friiheren Taten herriihrt, teilweise aber auch das 
Werk anderer, hoherer Wesenheiten, die bei der Bildung des Atherlei- 
bes tatig waren. Je mehr der Mensch in den Atherleib hineinarbeitet, 
desto mehr wird er, was man nennt ein religioser und weiser Mensch. 

Ein Okkultist mufi mit der Methode vertraut sein, nicht nur, wie 
man den Astralleib durcharbeitet, sondern auch wie man in den 
Atherleib hineinarbeitet. Bewuftt gestaltet der Geheimschiiler den 
Atherleib urn, so daft er die Fahigkeit erlangt, auf die Krafte des 
Atherleibes einen harmonisierenden Einfluft zu haben. Bei den Ein- 
geweihten auftert sich diese Einwirkung auf den Atherleib in der 
Weise, daft er in gewissen Phasen seines Lebens iiber Krafte verfugen 
kann, die er sonst nicht haben wiirde. Budhi nennt man das, was so 
entsteht durch das Hineinarbeiten des Ich in den Atherleib, und 
einen Menschen, der es so weit gebracht hat, nennt man einen Chela. 
In einem gewissen Zeitpunkt wird sich der Chela seiner friiheren 
Erdenleben bewuftt, (Siehe Anhang.) 

Zu allerletzt, auf einer sehr hohen Stufe der Entwickelung, be- 
kommt der Mensch auch seinen physischen Leib in die Gewalt. Ein 
solcher Eingeweihter wird ein Meister genannt. So viel der Mensch 
von seinem physischen Leib in die Gewalt bekommt, so viel ist in 
diesem Atma. Dieses Mysterium des Hineinarbeitens in den phy- 
sischen Leib und das sich daraus ergebende Aufleuchten von Atma 
kann hier nicht behandelt werden. 

Beim gegenwartigen Menschen hat das Ich auf den physischen 
Leib geringen Einflufi, auf den Atherleib etwas mehr, aber noch we- 
nig, und auf den Astralleib den groftten Einflufi. Alles, was vom Men- 
schen-Ich im vorigen Leben noch nicht durchgearbeitet worden ist, 
wirkt auf dem Wege der gewohnlichen Vererbung weiter und tritt 
ihm im neuen Leben als Karma entgegen: beim Menschen unserer 
Zeit also vom Astralleib ein geringerer oder grofterer Teil, vom 
Atherleib das meiste und vom physischen Leibe gewohnlich alles. 
Konnte man nachforschen, so wiirde man bei einem Eingeweihten, 



bei einem Meister, folgendes finden: Wenn er geboren wird, dann 
sieht er der Familie nur aufierlich etwas ahnlich, er gleicht vielmehr in 
seiner ganzen Erscheinung der vorigen Inkarnation, weil er schon in 
den physischen Leib hineinarbeiten konnte. Am starksten herrscht 
die Vererbung da, wo keine ausgesprochenen Individualitaten sich 
inkarnieren. Wo die Personlichkeiten stark differenziert und aus- 
gepragt sind, da findet man wenig Ahnlichkeiten. Nehmen wir einen 
menschlichen Wesenskern mit bestimmten Fahigkeiten an, der vor 
Jahrhunderten inkarniert war und nun einer neuen Verkorperung 
zustrebt. Vermoge seiner Eigenschaften mull er sich hingezogen fiih- 
len zu Eltern, deren physische Eigenschaften am meisten seinen Ka- 
pazitaten entsprechen. Er sucht sich die Familie aus, die ihm durch 
ihre leibliche Beschaffenheit und Wesensart den geeignetsten physi- 
schen Leib geben kann, den er gerade braucht, um seine Fahigkeiten 
ausleben zu konnen. Ein grower Musikergeist braucht eine Vorfah- 
renreihe, die ihm einen Leib geben kann, in dem er am besten ein 
Organ fur seine Betatigung finden kann. Dies ist der Sinn des zu- 
nachst paradoxen Ausspruches: Die Eltern sind den Kindern ahnlich. 

Es entsteht noch die Frage: Hat der Mensch in Kamaloka und De- 
vachan nichts anderes zu tun, als fur sich selbst zu arbeiten? Im Ge- 
genteil, er arbeitet auch an der iibrigen Welt. Dafi der Mensch immer 
wieder zu neuen Verkorperungen schreitet, ist nicht sinn- und 
zwecklos, denn jedesmal hat sich die Erde wesentlich verandert. Nur 
wenn er etwas Neues lernen kann, kommt er wieder auf die Erde. Was 
auf dem physischen Plan vor sich geht, hat seinen Ursprung in den 
geistigen Welten. Wer hat die Stadt Leipzig geschaffen mit ihrer Kul- 
tur, ihren Hausern, Straften und so weiter? Das hat der Menschen- 
geist getan. Wer hat die Veranderungen der Flora in Mitteleuropa in 
den letzten tausend Jahren hervorgerufen? Das ist von geistigen We- 
senheiten ausgegangen. Das Materielle ist eben der auftere Ausdruck 
rein geistiger Vorgange. Aus dem Devachanplan spinnen sich die Fa- 
den bis zu uns herunter. Die Pflanzenwelt entwickelt sich nicht von 
selbst, sie wird vom Devachan aus geleitet, von devachanischen We- 
senheiten. Und das Tierreich? Ebensowenig wie sich die Steine der 
Hauser von selber hinlagern, ebensowenig verandert sich die Tier- 



welt von selbst. Alles, was sich innerhalb der Tierwelt verandert, wird 
vom Astralplan aus getan, wenigstens was die Tiere mit warmem Blut 
anbelangt. Die Naturwissenschaft fuhrt die Veranderungen in der 
Tierwelt auf die Anpassung an die au£eren Lebensbedingungen zu- 
riick. Aber es ist ein Notbehelf, wenn man dafiir das Wort Anpassung 
hinsetzt, denn es handelt sich um die Arbeit geistiger Wesenheiten. 
Die aufiere Naturwissenschaft kann die wahren Ursachen dieser Ver- 
anderungen niemals entdecken, das kann nur die Geisteswissen- 
schaft. Es gibt Wesenheiten, die es mit der Umgestaltung der Pflan- 
zen- und Tierwelt unserer Erde zu tun haben. Auch der Mensch ar- 
beitet, wahrend er in Kamaloka und Devachan ist, daran mit. Nichts 
geschieht durch «Wunder», alles ist durch gesetzmafiige Wirksam- 
keiten bestimmt. So wie der Menschengeist auf dem physischen Plan 
von kleinen Zelten und Hiitten allmahlich bis zu Gemeinden und 
Staaten gestaltet hat, so bildet er auch im Devachan die uns umgeben- 
de Fauna und Flora mit um. Wir haben uns selbst das Nest bereitet, in 
das wir hineingeboren werden. Im Kamaloka allerdings arbeitet der 
Mensch an den verschiedenen Tierarten. 

Ehe der Mensch sich verkorpert, hat er eine Vorschau auf sein 
kommendes Erdenleben. Ist dies Leben schwer, dann kann er dabei 
einen starken Schock bekommen und wird dadurch unter Umstan- 
den zum Idioten, weil sein Atherleib sich straubt, in den physischen 
Leib hineinzusteigen, und dessen Kraftpunkt infolgedessen sich 
nach aufierhalb des Gehirns verschiebt. 



POPULARER OKKULTISMUS 

Neunter Vortrag, Leipzig, 6. Juli 1906 

Es wird uns in den folgenden Vortragen die Entwickelung des Men- 
schen und der Erde selbst und des ganzen Sonnensystems beschaf- 
tigen, ferner die Methoden der okkulten, inneren Trainierung, ins- 
besondere der Unterschied zwischen orientalischer und abendlan- 
discher Einweihung, dann die christliche Einweihung, wie sie seit 



Johannes iiblich ist, dem Verfasser des Johannes-Evangeliums und 
der Apokalypse. 

Die okkulte Forschung iiber die Entwickelung des Menschen geht 
weit hinter die Zeiten zuriick, von denen uns Geschichte und Natur- 
wissenschaft berichten. Woher weifi der Okkultist diese langst ver- 
gangenen Dinge? Er erfahrt und erforscht sie aus der Akasha-Chro- 
nik. Diese lebendige Chronik der geistigen Welt enthalt die Doku- 
mente und Tatsachen, von denen wir sprechen werden. Sie stehen mit 
den Forschungsergebnissen der Naturwissenschaft vollstandig im 
Einklang. Auch die aufiere Naturwissenschaft fangt jetzt an, sich mit 
der Atlantis zu beschaftigen. Fur die okkulte Forschung war diese 
Atlantis stets vorhanden und bekannt. Wichtig ist, da£ das, was mit 
Augen gesehen werden kann, der modernen Naturwissenschaft aller- 
dings besser bekannt ist als Friiheres, dafiir aber die alte Wissenschaft 
der Mysterien iiber umfassendere, gewaltigere Wirklichkeiten 
Bescheid wufke. Was die moderne Naturwissenschaft noch nicht 
zugibt, namlich daft auch der Mensch schon in Atlantis gelebt hat, das 
bringt der Okkultismus als eine Tatsache vor. Unsere Vorfahren, die 
Volker, die auf unserem Kontinent leben, stammen alle von den At- 
lantiern ab. Freilich sah der atlantische Mensch, den damaligen Er- 
denverhaltnissen angepalk, ganz anders aus als der heutige Mensch. 
Atlantis hatte ein ganz anderes Klima, und daher eine ganz andere 
Verteilung von Luft und Wasser. Es war ein Nebelland. Den Wechsel 
von Regen und Sonnenschein gab es deshalb damals noch nicht. Es 
war alles in Wolken eingehiillt, nur der Feuchtigkeitsgrad wechselte. 
Erst als die Wasserfluten sich verlaufen hatten und die Atlantis unter- 
gegangen war, entstand der Wechsel von Regen und Sonnenschein, 
was wir auch im Alten Testament nachlesen konnen. Dort ist vom 
Regenbogen die Rede, den Noah nach der Sintflut gesehen hat. 

Die religiosen Urkunden konnen von vier Gesichtspunkten aus 
betrachtet werden. Erstens: Naiv und wortlich genommen. Zwei- 
tens: Vom Standpunkt der Wissenschaft aus, die sich fur kliiger halt 
als die Verfasser dieser Urkunden. Drittens: Allegorisch-symbolisch 
in der Auslegung. Diese Art der Auslegung kann sehr geistreich 
sein, aber sie ist vielfach willkurlich. Viertens: Vom okkulten Stand- 



punkt aus, indem man die Tatsachen, die in der eigentiimlichen Spra- 
che derartiger Dokumente verfafk sind, wiederum exakt auffaftt und 
dadurch wieder ein wortliches Verstandnis gewinnt. So ist zum Bei- 
spiel der Regenbogen des Noah kein Symbol, sondern der Ausdruck 
dafur, dafi nach dem Untergang der Atlantis und dem Abziehen der 
Nebel ein Regenbogen erst moglich war. In der alten Atlantis konn- 
te es ja noch keinen Regenbogen geben. Noah ist als der Fiihrer, 
Manu, anzusehen, der die Volker aus der untergehenden Atlantis 
herauszufuhren hatte. In diesem Zeitpunkt geschah es, dafi zum er- 
stenmal der Regenbogen entstand. Auf diese Weise lernt man die 
Bibel wieder wortlich nehmen, und zugleich lernt man, vorsichtiger 
zu sein gegeniiber dem, was andere kritisieren. Es gilt der Satz: Wo 
du dich heute als Kritiker diinkst, wirst du dich spater als Lehrling 
fiihlen, wenn das Wissen und das Verstandnis gewachsen sind. - 
Ebenso liegt ein tiefer Sinn und eine uralte Wahrheit in den Sagen 
und Marchen. Die germanische Sage zum Beispiel spricht von «Nifl- 
heim». Damit ist das Nebelland Atlantis gemeint. «Nibelungen- 
Land» ist eine Umgestaltung des Wortes Niflheim, Nebelheim. 

Die Tier- und Pflanzenwelt war ebenso wie der Mensch auf der 
Atlantis ganz anders geartet als heute. Hohe Stirnen gab es damals 
noch nicht; sie waren weit nach hinten abgeflacht. Das Verhaltnis 
von Atherleib zum physischen Leib war beim Atlantier so, dafi der 
erstere, besonders am Kopf, weit herausragte. Die Fortentwickelung 
des Menschen seither bestand darin, daE der Atherkopf in den phy- 
sischen Kopf hineingeriickt ist. Der alte Atlantier hatte noch nicht 
die Fahigkeit des abstrakten Denkens, auch nicht die Kraft, be- 
stimmt zu sich «Ich» zu sagen. Dafiir waren bei ihm andere Fahig- 
keiten in hohem Mafie entwickelt, zum Beispiel das Gedachtnis. Er 
hatte geringe Verstandeskraft, aber sein Wille war stark und wirk- 
sam. Er konnte zum Beispiel durch einen bestimmten "Willensimpuls 
das Wachstum der Pflanzen fordern. Die Kraft seines Willens wirkte 
magisch. Die Atlantier lebten in einem Zustand dammerhaften Hell- 
sehens. Sie sahen nicht die Dinge so, wie wir sie heute als materielle 
sehen, sondern in iibersinnlichen Bildern. Darum waren auch alle 
ihre Geistesprodukte bildliche Mythen. 



Die Kultur der Atlantier war iiberhaupt ganz anders geartet. Die 
Atlantier beherrschten die Lebenskraft, zumal in den alteren Zeiten. 
Auf diese Weise bildeten sie sich ihre Fortbewegungsmaschinen, mit 
denen sie sich vom Boden erheben und iiber ihn hinwegbewegen 
konnten. Diese Art von Gleitflugzeugen trieben sie mit der Lebens- 
kraft an, die in den Pflanzen verborgen liegt. Diese Fahrzeuge der 
Atlantier wurden mit Getreidekornern gespeist, ahnlich wie unsere 
Eisenbahnen mit Steinkohlen. Auf technischem Gebiete wird die 
Zukunft in dieser Beziehung manches Beachtenswerte bringen. 
Auch die Wohnungsverhaltnisse waren damals ganz andere. Da die 
Atlantier die Lebenskraft beherrschten, konnten sie aus den Bau- 
men, die sie nach Belieben biegen konnten, eine Art Wohngrotten 
bauen, zu deren Bau sie nur lebendige Gebilde, keine toten Stoffe 
verwendeten. Der Atlantier stand der Natur unendlich viel naher als 
der heutige Mensch. Seine Kultur war eine sehr hohe. Es gab eine 
Stadt, in der die hochsten Eingeweihten lebten und von der die alten 
Mysterien sprachen als von der Stadt mit den goldenen Toren. Auch 
die Art des Unterrichtens war damals anders. Man wirkte durch die 
machtige Kraft des Willens suggestiv auf die Schuler. Der Atlantier 
hatte noch ein unmittelbares Gefuhl fur das lebendige Aufleuchten 
des Gottlichen in alien Naturerscheinungen. Der Atmungsprozefi 
war fur ihn noch etwas Heiliges, Religioses. Alle diese religiosen 
Empfindungen stromten im Menschen in ein Grundgefiihl zusam- 
men. Der auftere Laut dafiir kann heute nicht mehr ausgesprochen 
werden, aber bei den Chinesen ist noch etwas ahnliches enthalten in 
dem Wort TAO. Das Zeichen fur diesen Laut finden Sie in dem grie- 
chischen Buchstaben Tau wieder und in dem alten Kreuzeszeichen, 
das heute noch in der Freimaurerei eine Rolle spielt. 

Der Vorganger des Atlantiers war der Lemurier. Lemurien stellt 
einen noch friiheren Entwickelungszustand der Menschheit dar. Die 
Erdverhaltnisse waren damals infolge der viel heifSeren Temperatur 
ganz andere als heute. Auch damals schon war der Mensch vorhan- 
den. Damit kommen wir auf die Verwandtschaft zwischen Tieren 
und Menschen. Etwa in der Mitte der lemurischen Zeit hat die Ver- 
einigung, der Zusammenflufi der menschlichen Seele mit dem Leibe 



stattgefunden. Die Seele lebte schon in Spatlemurien und in der 
Atlantis im menschlichen Leibe. Vorher aber gab es eine Zeit, in 
welcher der Mensch noch nicht imstande war, seine Seele in einem 
physischen Leibe zu haben. Damals lebte die Menschenseele noch 
ganz in den hoheren Welten, auf dem astralen Plan. Davon wollen 
wir morgen sprechen. 

POPULARER OKKULTISMUS 
Zehnter Vortrag, Leipzig, 7. Juli 1906 

Wir haben den Entwickelungsgang der Menschheit zuriickverfolgt 
bis in die Atlantis hinein und wollen nun zur Betrachtung von Le- 
murien iibergehen und von den lemurischen Menschengestalten re- 
den. Diese Menschen reprasentieren als erste den eigentlichen Men- 
schen, bei dem der Korper von einer Seele durchdrungen ist. Betrach- 
ten wir zunachst die Beschaff enheit des lemurischen Kontinentes und 
die jenes Menschentypus, der ihn bewohnte. In der lemurischen Zeit 
war alles erfiillt von einer wasserartigen Masse, aus der Inseln heraus- 
ragten, die samtlich vulkanisch waren. Typisch fur Lemurien ist das 
Wechselvolle in der Natur, in den Formen und im Leben. Da herrschte 
ein rasches Sich-Verwandeln der einzelnen Gestalten und Arten. Die 
Seeleneigenschaften der Atlantier waren bei den Lemuriern noch star- 
ker ausgepragt, insbesondere der Wille, der den allergrofiten Einflufi 
auch auf die Gestaltung des physischen Leibes hatte. Dieser selbst be- 
stand nur aus gallertartigen, durchsichtigen Stoffen, in die das, was 
heute Knochen und Muskeln sind, erst hineingebaut werden mufke. 
Ein Organ, das heute eine sehr grofie Rolle spielt, die Lunge, befand 
sich damals erst in den allerersten Anfangen. Das ist sehr bedeutsam, 
denn mit der Ausbildung der Lunge hangt die Beseelung des Men- 
schen zusammen. Diese Beseelung geschah nicht in einem Augen- 
blick, sondern sie dauerte sehr lange Zeitepochen. 

Welche Beziehungen hatte nun die Menschenseele, bevor sie den 
damaligen physischen Leib beseelte, zu diesem Leibe, der nach un- 
seren heutigen Begriffen sehr miftgestaltet war? Es waren dieselben 



Beziehimgen, die sie heute zu ihm im Schlafe hat: sie war aufterhalb 
des Leibes, umschwebte ihn auf einer Erde, die damals noch von 
machtigen Lebensstromungen durchzogen war. Der Lemurier be- 
fand sich dauernd in einem schlafartigen Zustand, der sich mit unse- 
rem Traumbewufitsein vergleichen laftt, in dem eine lebhafte Bilder- 
welt sich darstellt. Nur in dieser Weise konnte er wahrnehmen; er 
wulke die Bedeutung der einzelnen Bilder und kannte dadurch das 
Seelische der Dinge. 

Ein grofier Entwickelungsaugenblick war der, als er zum ersten- 
mal seinen Korper zum Wahrnehmen benutzte. Die Bewegung des 
Menschen bestand in einem Schweben. In seiner Leibeshohle besaft 
er ein besonderes Organ dafur, eine Art von Schwimmblase. Aus 
dieser Schwimmblase entwickelte sich dann unter dem Einflufi der 
ihn umschwebenden Seele die Lunge allmahlich heraus. In dem 
Mafie, als der Mensch mit der Lunge zu atmen begann, zog seine Seele 
in den Korper ein. Mit der Atemluft atmete der Mensch tatsachlich 
seine Seele ein. Dieser Vorgang wird wiederum wortlich richtig in der 
Genesis im Sechstagewerk geschildert durch den Satz: Und Gott blies 
dem Menschen seinen Odem ein, und er ward eine lebendige Seele. 

Aufierlich sah der Mensch in jener Zeit etwa aus wie ein sehr 
weichkorperiger Lindwurm - Schlange trifft nicht ganz die Wirk- 
lichkeit. Seine Genossen waren Kroten, Fische, Frosche und so wel- 
ter, kurz, eine urtumliche Reptilien- und Amphibienwelt, deren 
heutige Nachkommen allerdings nicht mehr damit verglichen wer- 
den konnen, denn es sind dies ganz herabgekommene Nachkom- 
men. Saugetiere gab es damals noch keine. Weder von jenen Tieren 
noch vom damaligen Menschen sind heute noch Reste aufzufinden. 

Wie hat man sich nun das Verhaltnis von Tier und Mensch zu den- 
ken? - Die Lehre von der Abstammung vom Affen darf als iiberwun- 
den gelten, sie stiitzt sich auf einen falschen Gedankengang. Denken 
Sie sich einen moralisch verkommenen und einen sittlich hochstehen- 
den Menschen. Die Behauptung, der Mensch stamme vom Affen ab, 
ist ahnlich wie: der Vollkommene stamme vom Unvollkommenen ab. 
Sie brauchen ja gar nicht voneinander abzustammen, sondern sie kon- 
nen einen gemeinsamen Vater haben und Briider sein. Der eine ent- 



wickelt sich hinauf, der andere geht in die Dekadenz. So ist auch das 
Verhaltnis zwischen Affe und Mensch anzusehen. Die menschliche 
Gestalt war im Beginne der Atlantis noch affenartig, und in Lemurien 
nahm die Seele Besitz von einem noch viel unvollkommeneren Kor- 
per. Dieser Korper hat sich dann heraufentwickelt. Die affenartigen 
Gestalten aber sind teilweise in Dekadenz geraten und zu den heuti- 
gen Affen geworden. Die Affen sind deshalb die in Dekadenz gerate- 
nen leiblichen Briider der Menschen. In der atlantischen Zeit fand also 
eine Verastelung statt, eine Abzweigung innerhalb der Menschenart: 
der eine Hauptstamm entwickelte sich zum heutigen Menschen hin- 
auf, der andere zum heutigen Affen hinab. So sind alle Tiere, die um 
uns leben, in die Degeneration ausgestofiene Menschen. Nur dadurch, 
da£ sich gewisse Wesenheiten opfern, ist der Aufstieg anderer mog- 
lich. Das Hohere stofk das Niedrigere aus, um noch hoher hinauf zu 
konnen. Spater findet dann ein Ausgleich fur die AusgestoEenen statt. 

In diesem Zusammenhang miissen wir ein kosmisches Ereignis von 
grofker Bedeutung anfiihren, ohne das die Einverleibung der Seele gar 
nicht hatte stattfinden konnen. Es ist dies der Austritt des Mondes aus 
der Erde. Der Mond spaltete sich aus der Erde heraus und bildete ei- 
nen Nebenplaneten. Vorher waren Mond und Erde ein Planet. Also 
Erdenentwickelung und Menschenentwickelung hangen eng zusam- 
men. Was der Astronom vom Monde sieht, ist nicht der ganze Mond, 
denn zu j edem Ding in der Welt gehort auch eine Seele. So hat auch der 
Mond seine Seele. Der Mond ging mit alien seinen Kraften, mit seiner 
ganzen astralischen Aura aus der Erde heraus. Diese astralische Aura 
des Mondes steht in engem Zusammenhang mit allem, was man Be- 
fruchtung und Fortpflanzung nennt. In den altgriechischen Mysteri- 
en wufke man das noch. In der lemurischen Zeit war der Beginn der 
Zweigeschlechtlichkeit; vorher waren die Menschen Zwitter. Es gab 
noch keinen Zeugungs- und Befruchtungsakt, die Vermehrung ge- 
schah auf eine Weise, wie sie sich bei gewissen niederen Lebewesen 
erhalten hat. Die Geschlechtertrennung fallt mit der Mondentren- 
nung zusammen. Dies gilt fur alle Lebewesen. Es schieden sich damals 
gewisse Krafte aus der Erde aus, welche dem Menschen die Moglich- 
keit gegeben hatten, ohne ein anderes Wesen Nachkommen hervor- 



zubringen. Diese Krafte wurden durch die Mondentrennung ausge- 
schieden. Damals kreiste Erde plus Mond um die Sonne. Nur hat der 
Mond die damalige Bewegung des Erden-Mondplaneten beibehalten, 
indem er sich nicht so wie die Erde um die eigene Achse dreht. Wie der 
heutige Mond der Erde, seiner «Sonne», nur immer dieselbe, nie die 
Ruckseite zuwendet, so war es auch damals mit dem Erden-Mond- 
planeten, welcher der Sonne nur immer dieselbe Seite zeigte. Sonne, 
Mond und Planeten sind auch von Wesenheiten bewohnt. 

In noch friiherer Zeit waren Sonne, Mond und Erde ein Korper, 
und alles, was heute Menschen, Tiere und Pflanzen sind, lebte damals 
noch mit der Sonne zusammen. Zu dieser Zeit war der Mensch noch 
von ganz atherischer Gestalt und ganz feiner Materie und lebte eine 
Art von Pflanzendasein. Erst spater bildeten sich Tier- und Men- 
schenformen; alle Geschopfe standen noch auf der einen Stufe des 
Pflanzendaseins. Diese Sonnenpflanzen waren naturlich ganz anders 
beschaffen als die heutigen Pflanzen. Aber man kann doch davon 
sprechen, daft sie mit ihrer Bliite der Sonne, das heilk dem Mittelpunkt 
des Planeten zustrebten und die Wurzel nach oben streckten. In dem 
Augenblick, als die Sonne aus der Erde ausgeschieden wurde, drehten 
sich die Pflanzen vollstandig um, ihre Bliite wieder der Sonne zuwen- 
dend. Von da ab streckte sich die Bliite nach oben und die Wurzel nach 
unten. Die Tiere machten nur eine Drehung im rechten Winkel, als der 
Mond aus der Erde herausging. Der Mensch drehte sich ganz um, so 
daft er eine umgedrehte Pflanze ist, wie die Pflanze ein umgekehrter 
Mensch. Die Lebensseele geht durch die drei — J - ** Naturreiche hin- 
durch. Daher sagt Plato: Die Weltenseele ist an das Weltenkreuz ge- 
heftet. Und auch die Menschenseele ist ans Kreuz geheftet, indem sie 
durch die drei Naturreiche hindurch muft. Dies ist die Bedeutung des 
Kreuzes in den alten Mysterien. Der ganze Bildungsprozeft ist in 
weltgeschichtlicher Hinsicht um des Menschen willen vorhanden. 
Lebendiges kann nur aus Lebendigem entstehen, aber Lebendiges 
scheidet Unlebendiges aus. Alles Leblose ist aus Lebendigem entstan- 
den. Die Mineralien sind Ablagerungen aus Lebendigem. Das Leben- 
dige aber stammt vom Geistigen. Es ist also der Geist der Urspriing- 
liche, von dem alles stammt. Und der Mensch ist das Erstgeborene der 



Schopfung. Er hat die Tiere, Pflanzen und Mineralien ausgeschieden. 
Das Niedere geht immer aus dem Hoheren hervor. 

Morgen wollen wir dann von den Bedingungen sprechen, wie der 
Mensch zu hoheren Erkenntnisstufen kommt. 

POPULARER OKKULTISMUS 
Elfter Vortrag, Leipzig, 8. Juli 1906 

Die menschliche Seele kann sich entwickeln, ihr heutiger Zustand 
kann durch Trainierung, insbesondere des Atherleibes, verandert 
werden. Menschen, die den ubrigen in ihrer inneren Entwickelung 
vorauseilen, nennt man Eingeweihte. Der Weg, den sie gehen und leh- 
ren, ist der der Geheimschiilerschaft. Unsere Wurzelrasse, die ari- 
sche, stammt von der hochstentwickelten Unterrasse der Atlantier, 
der ursemitischen, ab, die zuletzt ungefahr in der Gegend des heuti- 
gen Irland wohnte. Als letzter Rest der untergehenden Atlantis kann 
die von Plato erwahnte Insel Poseidonis angesehen werden. Manu, 
eine Fiihrergestalt der Atlantier, fuhrte die reifsten Menschen nach 
dem Osten. Von dort aus wanderten sie in die Gegend des heutigen 
Indien. Es entstand eine uralte Kultur. Diese urindische Kultur liegt 
weit vor der Zeit, in der die Veden entstanden sind. Sie hatte noch et- 
was Traumhaftes, rein Innerliches. Die Seelenverfassung des alten 
Inders war unserer heutigen ganz entgegengesetzt. Ihm gait alles Au- 
Eere, Sichtbare als Maja, als Illusion, und die Wirklichkeit war nur das 
Brahman und was vom Brahman erfafit werden konnte. 

Eine nachste Kultur entstand weiter westwarts. Diese zweite 
Kultur ist die urpersische, deren Inaugurator und Hauptfuhrer der 
grofie Zarathustra oder Zoroaster war. Die Perser brachten Geist 
und Materie schon in Einklang und begannen mit der Bearbeitung 
und Umgestaltung der materiellen Welt durch den Menschengeist. 

Eine dritte Kultur entstand noch weiter im Westen, es war die 
agyptisch-chaldaisch-babylonische. Hier richtet sich der Blick des 
Menschen noch mehr auf die materielle Welt, die aufteren Wissen- 
schaften treten auf, das Studium der Naturkrafte und deren Gesetze. 



Von jeher hat diese alte Urwissenschaft iiber unsere Erde folgen- 
des gesagt: Die Erde ist auch ein Wesen, das der Wiederverkorpe- 
rung unterliegt. Sie hat friihere Stufen durchgemacht und wird in 
Zukunft weitere Verkorperungen haben. Man spricht von sieben 
planetarischen Zustanden oder «Planeten», durch die sich die Erde 
hindurchentwickelt. Mit den Namen dieser «Planeten» sind nicht 
unsere jetzigen Planeten gemeint, sondern vergangene beziehungs- 
weise zukiinftige Zustande der Erde. Es sind eben diese Zustande 
verwandt mit denen der Planeten, nach welchen sie genannt werden. 
Die erste Verkorperung der Erde wird «Saturn» genannt. Dann folgt 
die «Sonne», darauf der «Mond». «Mars» und «Merkur» nennt 
man die erste und zweite Halfte der Erdenentwickelung. Die noch 
folgenden Zustande sind «Jupiter» und «Venus». Diese sieben Ver- 
korperungen der Erde stehen in innigem Zusammenhang mit der 
Entwickelung des Menschen und spiegeln sich deshalb sogar im 
alltaglichen Leben in den Namen der Wochentage: 



Samstag 






- Saturn 


Sonntag 






- Sonne 


Montag 






- Mond 


Dienstag 


Tiustag 


- Mardi 


- Mars 


Mittwoch 


Wotanstag 
Wednesday 


- Mercredi 


- Merkur 


Donnerstag 


Donarstag 




- Jupiter 


Freitag 


Freyatag 


- Vendredi 


- Venus 



So war die Sternenwelt eng mit dem alltaglichen Leben verkniipft. 
Die alten Agypter konnten genau die Uberschwemmungen des Nil 
und dann seinen Riickgang nach dem Erscheinen des Hundssternes 
feststellen und danach ihren Ackerbau einrichten. 

Eine vierte Kulturepoche ist die griechisch-lateinische. Die alten 
Griechen und Romer glaubten nicht nur an die Gesetze der Weis- 
heit, sondern sie versuchten, den Dingen diese Weisheit einzupra- 
gen. Dadurch entstanden ihre Kunstwerke. Mitten in diese Kultur 
fallt die Tat des Christus, das Mysterium von Golgatha. 

Wir selbst leben in der funften Kulturperiode der fiinften Wur- 



zelrasse des fiinften Erdenzeitraums. Dies ist die germanisch-eng- 
lisch-amerikanische Kultur. Ihre Hauptaufgabe ist die Eroberung 
des physischen Planes. Die nachfolgende sechste Kulturperiode 
wird die Aufgabe haben, die aufiere Kultur wieder mehr zum spiri- 
tuellen Leben hinaufzufuhren und das ist das, worauf die Theoso- 
phie hinarbeitet. Die Zukunftsaufgabe der gesamten Kultur besteht 
darin, mit dem Geist wieder in Verbindung zu kommen. Jede Epo- 
che hat ihre besonderen Aufgaben. Die gegenwartige Wissenschaft 
hat das Weltsystem des Ptolemaus als falsch beiseite gelegt und Ga- 
lilei und Kopernikus als richtig anerkannt. Fur den astralen Plan ist 
aber das ptolemaische System richtig, da man dort von ganz anderen 
Perspektiven auszugehen hat. Die sechste Kulturperiode ruht noch 
in keimhaftem Zustand im Osten Europas. Sie wird die Tragerin der 
spirituellen Kultur der Zukunft sein. 

Es wird eine Zeit kommen, wo der Mensch die Zweigeschlecht- 
lichkeit iiberwunden haben wird. Niedere Fahigkeiten, sexuelle 
Triebe, werden in hohere umgewandelt werden. Nicht um Vernich- 
tung der Triebe kann es sich handeln, sondern um deren Veredelung. 
So ist zum Beispiel die Phantasie ein Ergebnis der Geistveredelung, 
sie ist eine Wirkung der bereits gelauterten Leidenschaften. Die 
Hoherentwickelung der Phantasie fiihrt zur hellseherischen Imagi- 
nation. Wie jetzt schon die Eingeweihten, so werden in Zukunft alle 
Menschen den Seeleninhalt ihrer Mitmenschen wahrnehmen kon- 
nen. Heute kann das Wort geistige Erlebnisse durch die Luft weiter- 
geben, spater wird man durch das Wort lebendige Wesenheiten 
hervorbringen, und schhefilich wird das Wort selbst schopferisch 
sein: da werden die Menschen Magier des Wortes sein. 

Die Angaben iiber die okkulte Schulung stammen aus einer tief be- 
griindeten Wissenschaft. Grundlegend dafur sind zwei Eigenschaf- 
ten, die der Mensch haben raufi. Er mufi fahig sein, zu ertragen, was 
man grofie Einsamkeit nennt, und er mufi eine gewisse Grundstim- 
mung der Devotion sich erringen. Was das erste anbelangt, so ist eine 
Einsamkeit mitten im tatigen Leben fur einige Minuten am Tage ge- 
meint, an denen man sich der Meditation und Konzentration hingibt. 
Schon das gibt der Seele innere Kraft. Im Anfang wird sich innere Lee- 



re und Traurigkeit einstellen, diese mufi aber iiberwunden werden. 
Alle Menschen, die viel geleistet haben, gebrauchten diese innere Ein- 
samkeit zu ihrer Sammlung. Das zweite Haupterfordernis ist die De- 
votion, das ehrfurchtsvolle Hinaufschauen zu einem Hoheren. Wer 
hinaufsteigen will, der mufi zuerst unten sein und sich unten fiihlen. 

Die indische Geheimschulung verlangt eine vollige Unterwerfung 
des Schiilers unter seinen Guru. Die rosenkreuzerische Einweihung 
ist fur den gegenwartigen Menschen des Abendlandes die richtige. 
Vorher entstand die christliche Einweihung. Alle drei Arten der Ein- 
weihung sind im Grunde genommen Ausdruck derselben einen In- 
itiation, aber die Methoden miissen sich mit den Zeiten umgestalten. 

POPULARER OKKULTISMUS 
Zwolfter Vortrag, Leipzig, 9. Juli 1906 

Es mufi eines jeden Menschen vollig freier Wille sein, okkulte H6- 
herentwickelung der Seelenkrafte anzufangen. Wer aber die hohere 
geistige Entwickelung durchmachen will, der raufi auch die notwen- 
digen Bedingungen einhalten und sich ihnen fugen. 

Der Schlaf ist der Ausgangspunkt fur die Betrachtung der Ent- 
wickelung geistiger Sinne. Vom schlafenden Menschen sind phy- 
sischer und Atherleib im Bett, Astralleib und Ich sind auEerhalb 
derselben. Wenn nun der Mensch anfangt, im Schlafe schauend zu 
werden, dann werden dem Korper fur eine gewisse Zeit Krafte ent- 
zogen, die bisher die Wiederherstellung an physischem und Ather- 
leib besorgt haben. Sie miissen auf andere Weise ersetzt werden, soil 
nicht eine grofie Gefahr fur den physischen und den Atherleib ent- 
stehen. Geschieht dies namlich nicht, dann kommen diese mit ihren 
Kraften sehr herunter, und amoralische Wesenheiten bemachtigen 
sich ihrer. Daher kann es vorkommen, da£ Menschen zwar das 
astrale Hellsehen entwickeln, aber unmoralische Menschen werden. 
Wie lange die Voriibungen dauern, das ist ganz individuell. Es 
kommt eben ganz darauf an, auf welcher Entwickelungsstufe der 
Mensch bei Beginn seiner Schulerschaft schon steht. Darum muE 



der Lehrer zuerst den inneren Seelenzustand des Schiilers durch- 
schauen. Die Vorbereitungszeit ist deshalb oft sehr verschieden. 

Wichtig ist folgender Satz: Man kann eine Wesenheit und eine 
Sache urn so mehr sich selbst iiberlassen, je mehr Rhythmus man 
hineingebracht hat. So mufi der Geheimschuler auch in seine Ge- 
dankenwelt eine gewisse Regelmafiigkeit, einen Rhythmus hinein- 
bilden. Dazu ist notwendig: 

Erstens: Gedankenkontrolle, das heilk, der Schiiler darf nur die 
Gedanken in sich hineinkommen lassen, die er selbst haben will. 
Diese Ubungen erfordern viel Geduld und Ausdauer. Aber wenn 
man sie nur fiinf Minuten lang taglich treibt, sind sie schon von 
Bedeutung fur das innere Leben. 

Zweitens: Initiative in den Handlungen. Diese sollen etwas sein, 
was urspriinglich aus der eigenen Seele selbst herauskommt. 

Drittens: Innere Gelassenheit. Man entwickelt dadurch ein viel 
feineres Mitgefuhl. 

Viertens: In alien Dingen und Vorgangen die positive Seite suchen 
und finden. Ich erinnere dabei an die schone Legende von Christus 
und dem toten Hund. 

Fiinftens: Unbefangenheit und Vorurteilslosigkeit. Man soil sich 
stets die Moglichkeit offen lassen, neue Tatsachen anzuerkennen. 

Sechstens: Inneres Gleichgewicht und innere Harmonic 

Wenn der Mensch diese Eigenschaften alle in sich ausbildet, dann 
kommt ein solcher Rhythmus in sein inneres Leben, dafi der Astral- 
leib die Regeneration im Schlafe nicht mehr zu verrichten braucht. 
Denn es kommt durch diese Ubungen in den Atherleib ein solches 
Gleichgewicht, dafi er sich selbst beschiitzen und wiederherstellen 
kann. Wer die okkulte Schulung ohne die Ausbildung dieser sechs 
Eigenschaften beginnt, der lauft Gefahr und ist nachts den schlimm- 
sten Wesenheiten ausgesetzt. Wer aber die sechs Eigenschaften eine 
Zeitlang geiibt hat, der darf damit beginnen, seine astralischen Sinne 
zu entwickeln, und er fangt dann an, mit Bewufitsein zu schlafen. Sei- 
ne Traume sind nicht mehr willkiirlich, sondern sie gewinnen Regel- 
mafiigkeit; die Astralwelt steigt vor ihm auf . Nun hat er die Fahigkeit, 
alles Seelische seiner Umgebung in Bildern wahrzunehmen. Er be- 



kommt ein Verhaltnis zu der seelischen Wirklichkeit. Dieses Bilder- 
bewufttsein nennt man die Imagination. Zuerst gewinnt der Schiiler 
die Imagination im Schlaf, spater aber mufi er imstande sein, zu jeder 
beliebigen Tageszeit diesen Zustand hervorzurufen. Er lernt die Er- 
fahrungen des Schlafes ins Wachbewuiksein heriiberzunehmen. Aber 
erst dann ist diese Fahigkeit fur den Okkultisten wertvoll, wenn er die 
Auren der Lebewesen vollbewufit schauen kann. 

Die erste Stufe ist also die Imagination. Mit ihr hangt die Ausbil- 
dung der sogenannten Lotusblumen zusammen, der heiligen Rader 
oder - indisch - Chakrams, die an ganz bestimmten Stellen des 
Korpers liegen. Man unterscheidet sieben solcher astralen Organe. 
Die erste, die zweiblattrige Lotusblume, ist in der Gegend der 
Nasenwurzel; die zweite, die sechzehnblattrige, liegt in der Hohe 
des Kehlkopfes; die dritte, die zwolfblattrige, in der Hohe des Her- 
zens; die vierte, die acht- bis zehnblattrige, in der Nahe des Nabels; 
die funfte, die sechsblattrige, etwas defer unten; die sechste, die 
vierblattrige, die mit allem, was Befruchtung ist, zusammenhangt, ist 
noch weiter unten; von der siebenten kann nicht ohne weiteres ge- 
sprochen werden. Diese sechs Organe haben fur die seelische Welt 
dieselbe Bedeutung wie die physischen Sinne fur die Wahrnehmung 
der Sinnenwelt. Ein Bild dafiir ist die sogenannte Swastika. Durch 
die genannten Ubungen werden sie zuerst heller, dann beginnen sie 
sich zu bewegen. Beim heutigen Menschen sind sie unbeweglich, 
beim Atlantier waren sie noch beweglich, beim Lemurier noch sehr 
lebhaft bewegt. Aber sie drehten sich damals in entgegengesetzter 
Richtung als heute beim okkult Entwickelten, wo sie sich in der 
Richtung des Uhrzeigers drehen. Eine Analogie zu dem traumhaft 
hellseherischen Zustand der Lemurier ist die Tatsache, daft sich auch 
bei den heutigen Medien mit atavistischem Hellsehen noch immer 
die Lotusblumen in der Richtung drehen, wie einst in der atlanti- 
schen und lemurischen Zeit, namlich gegen den Uhrzeiger, Das 
Hellsehen der Medien ist ein unbewulkes, ohne Gedankenkontrolle, 
das des echten Hellsehers aber bewulk und von den Gedanken ge- 
nau iiberwacht. Die Mediumschaft ist sehr gefahrlich, die gesunde 
Geheimschulung aber ganzlich ungefahrlich. (Siehe Anhang.) 



POPULARER OKKULTISMUS 
Dreizehnter Vortrag, Leipzig, 10. Juli 1906 

Sie erinnern sich, daft ich Ihnen darlegte, wieviel bei der Entwicklung 
des Menschen davon abhing, daft der Mensch begann, durch die Lun- 
gen zu atmen. Seine hohere Schulung hangt nun auch mit einem At- 
mungsprozeft zusammen. In der Yoga-Schulung bringt der Schiiler 
einen gewissen Rhythmus in seine Atmung, indem er Einziehen, 
Anhalten des Atems und Ausatmen in eine gewisse Anzahl von Se- 
kunden bringt. Die Art und Weise dieser Atemiibungen kann aber nur 
vom Lehrer dem Schiiler angegeben werden. Durch die Ubungen zur 
bewuftten Regelung des Atemprozesses wird nichts Geringeres getan, 
als der Anfang zur Alchimie gemacht; dies nennt man «das Auf suchen 
des Steines der Weisen». Noch an der Wende vom 18. zum 19. Jahr- 
hundert haben die Rosenkreuzer etwas davon gewuftt, und es war 
noch manches davon offentlich zu lesen. Der Okkultist weift, daft der 
Mensch durch seine Kohlensaureausatmung fortwahrend die Luft 
verpestet und Leben totet, mehr sogar, als durch das Fleischessen 
Leben getotet wird. Und je materieller die Zeitalter wurden, desto 
schlechter war die ausgeatmete Luft, desto mehr frische Luft braucht 
der Mensch. Der indische Yogi atmete weniger schlechte Luft aus. Die 
schlechte Luft, die von den Menschen ausgeatmet wird, wird von den 
Pflanzen wiederhergestellt, die Sauerstoff abgeben und den Kohlen- 
stoff aufsaugen. Den Pflanzen verdankt somit Tier und Mensch sein 
Leben. In den Steinkohlen geben dann die Pflanzen auch den Kohlen- 
stoff wieder an die Menschen ab. Die Pflanze ihrerseits ist so einge- 
richtet, daft sie mit Hilf e des Kohlenstof fs auf gebaut wird. Dieser Pro- 
zeft bildet eine vollstandige und wunderbare Einheit. Genauso wie 
der Mensch einmal Pflanze war, so wird er in f erner Zukunft auch wie- 
der Pflanze werden in einem gewissen Sinn, namlich mit vollem Ich- 
BewuEtsein. Dann wird der Mensch das, was heute noch die Pflanzen 
fur ihn besorgen, in sich selbst herstellen, und er wird sich seinen 
Atherkorper aus dem Kohlenstoff in bewufiter Weise aufbauen. Da- 
hin zielt die Regelung des Atmungsprozesses. Der Kohlenstoff ist der 
Stein der Weisen. Je mehr der Mensch nach der Weisheit atmet, um so 



reiner und brauchbarer wird die Luft um ihn herum. Die Chemie wird 
sich bald mit dieser Frage beschaftigen. Wer eine Zeitlang rhythmisch 
geatmet hat, bekommt Gewalt iiber seine astralischen Sinne. Der 
Europaer mu£ sehr vorsichtig mit Atemiibungen sein und sie erst 
spat nach entsprechender Anweisung beginnen. 

Die zweite Stufe der orientalischen Schulung besteht darin, eine 
Zeitlang die aufieren Eindriicke auszuschalten, sich zu konzentrie- 
ren und seine Seele vom Ewigen erfiillt sein zu lassen. Es gibt fur 
diese Ubungen gewisse ewige Bilder und Satze. In der Bhagavad- 
Gita stehen solche Weisheitssatze, auch in agyptischen Weisheits- 
biichern und in christlichen Schriften, zumal im Johannes-Evange- 
lium. Wenn der Mensch so weit gekommen ist, die innere Windstille 
in sich herzustellen, dann werden durch die Vertiefung in solche 
Satze neue Krafte in ihm lebendig. Er muE aber diese Satze nicht 
blofi verstehen, sondern es muE in ihm eine Liebe zu ihnen erwa- 
chen. Dasselbe gilt von magischen Figuren wie Pentagramm und so 
weiter. Man kann iiber sie Meditationen anstellen. 

Auf einer gewissen hohen Stufe der Entwickelung bringt es der 
Schiiler soweit, dafi sich das Erlebnis einstellt: es bleibt bei volliger 
Leere des Bewufkseins die Funktion des Denkens ohne Gedanken- 
inhalt noch vorhanden. Der Schiiler lernt in der Meditation bewufit 
zu sein und diese Funktion zu iiben, in der Art, daft er sich keinen 
Inhalt fiir sein Denken gibt. Dies ist ein Anfang, und die geistige 
Welt kann danach beginnen, in ihn einzufliefien. Der Inspirations- 
prozeft beginnt. 

Darauf folgt dann die Stufe der Intuition, die aber erst nach ent- 
sprechend langer okkulter Schulung erreicht werden kann. Schliefi- 
lich lebt der Schiiler bewulk in den hoheren Welten. Der orientalische 
Geheimschiiler mufi sich bedingungslos unter die strenge Zucht des 
Guru stellen, wenn er die Geheimschulung durchmachen will. Er 
mufi sein Leben danach einrichten und vieles tun, was er erst spater 
verstehen lernt. Wenn er sich so an den Guru angeschlossen hat, dann 
beginnt sich der Astralleib zu verandern; die astralen Sinnesorgane, 
die Lotusblumen bilden sich aus. Michelangelo hat an seinem Moses 
die zweiblattrige Lotusblume als zwei Horner wiedergegeben. Zu- 



nachst werden da zwei Lichtstrahlen bemerkbar, die immer breiter 
werden und dann anfangen, sich zu bewegen. Die sechzehnblattrige 
Lotusblume ist wie ein Rad mit sechzehn Speichen, sie liegt am Kehl- 
kopf und dreht sich nach rechts. Die zweiblattrige befahigt uns, den 
Willen auszubilden; die sechzehnblattrige, in fremde Gedanken ein- 
zudringen; die zwolfblattrige, das Gefiihlsleben zu erkennen; die 
vierblattrige hangt mit der Regenerations- und mit der Produktiv- 
kraft des Menschen zusammen. (Siehe Anhang.) 

Anders ist es bei der christlichen Form der Einweihung. Bei ihr 
spricht man von sieben ganz bestimmten Stufen: erstens Fuftwa- 
schung, zweitens Geiftelung, drittens Dornenkronung, viertens 
Kreuzigung, funftens mystischer Tod, sechstens Grablegung, sie- 
bentens Auferstehung. 

Die Gedanken und Bilder, deren hingebungsvolle Meditation die 
christliche Einweihung bewirkt, sind im Johannes-Evangelium ent- 
halten. Wer die ersten vierzehn Verse des Johannes -Evangeliums 
durch viele Monate in seiner Seele erlebt, der erfahrt, daft sie wie 
Zauberkrafte wirken. Schlieftlich erlebt der Schuler etwas ganz 
Merkwiirdiges: Alles, was im Johannes-Evangelium steht, tritt als 
astrale Bilder auf. Denn es ist geschrieben, um meditiert zu werden. 

Die dritte Schulungsart, die aber fur die gegenwartige Menschheit 
die geeignetste ist, weil der Wissenschaft am meisten gewachsen, ist 
die rosenkreuzerische. Sie geht von Christian Rosenkreutz aus, jener 
grofien Individuality, die seit ihrer Einweihung immer wieder inkar- 
niert war. Ihre Schulung ist die allerfreieste, ich habe sie an verschie- 
denen Orten schon geschildert. Auf diesem Wege ist der Lehrer nur 
der Anreger, er gibt nur Ratschlage. Aber gerade in dieser Schulung 
ist am meisten Gefahr, daft der Schuler durch seine voile Freiheit zu 
leicht die devotionelle Stimmung verliert und sich dadurch selbst 
Steine in den Weg legt. Der Lehrer ist hier der Diener des Schiilers, 
und dessen Devotion soli ein freies Geschenk sein. In der Gegenwart 
verlangt die rosenkreuzerische Schulung vom Schuler besonders ein 
ausgebildetes Denken, vor allem ein sinnlichkeitsfreies Denken. 
Dazu ist «Die Philosophic der Freiheit» und «Wahrheit und Wissen- 
schaft» geschrieben worden. In diesen Biichern ist noch nichts von 



eigentlicher Theosophie enthalten. Sie konnen aber als Stiitzpunkte 
und Wegweiser fur den europaischen Zogling dienen. 



POPULARER OKKULTISMUS 

Vierzehnter Vortrag, Leipzig, 11. Juli 1906 

Heute mochte ich noch iiber die christliche Einweihung und iiber das 
Erdinnere sprechen. Zu beriicksichtigen ist dabei, daft die christliche 
Einweihung von alien durchgemacht wurde, die das Christentum aus 
einer okkulten Tiefe heraus lehren soil ten, zum Beispiel auch von den 
Priestern der ersten christlichen Jahrhunderte. Diese Einweihungen 
haben sich noch lange erhalten, sind aber allmahlich etwas verandert 
worden, und nur in bestimmten engen Kreisen wurden diese strengen 
Ubungen noch durchgemacht. Man glaube nicht, daft die Strenge die- 
ser Ubungen jedem zugemutet werden kann, aber wer sich ihnen un- 
terwirft, wird auch zu einer hohen Stufe der Erkenntnis auf christ- 
lichem Wege gelangen. Christus ist in dieser Hinsicht gleichsam der 
Urguru fur alle christlichen Schiiler auf diesem Wege. 
Angelus Silesius sagt einmal: 

Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren 
Und nicht in dir: du bleibst noch ewiglich verloren. 

So etwas entstammt inneren Erlebnissen. Ahnlich auch im Johan- 
nes-Evangelium, wo es heiftt: « Aber Jesus ging zumTempel hinaus.» 

Das ist ein astralisches Erlebnis und bedeutet das Heraustreten 
des Astralleibes aus dem physischen. Ein Ersatz fur den strengen 
Guru des Orients ist in der christlichen Einweihung die Forderung 
der christlichen Demut, des Sich-Fiigens nicht unter einen einzelnen 
Menschen, sondern unter den Christus Jesus. 

Die erste Stufe ist die Fufiwaschung. Man kommt zu ihr, indem 
man monatelang in folgenden Vorstellungen zu leben versucht: Die 
Pflanze kann nicht leben ohne das unter ihr stehende Mineralreich. 
Konnte sie sprechen, sie miifke sagen: Du Steinreich, du bist zwar 



niedriger als ich, aber dir verdanke ich mein hoheres Dasein. Und 
wenn der Mensch sich im Leben umsieht, so raufi er sich eingeste- 
hen: Habe ich es im Geistigen weit gebracht, so miissen dafiir andere 
fur mich arbeiten. Wir mussen uns deshalb in Demut und Dankbar- 
keit zu denen hinunterneigen, die unter uns stehen. «Wer da will der 
Erste sein, der wird der Letzte sein im Himmelreich», lautet ein 
Wort des Evangeliums. Diese Ubung fiihrt schlieElich zum inneren 
Bilde der Fuftwaschung. Christus wascht den Aposteln die Fiifie, 
um ihnen den Tribut seines Dankes darzubringen. Wer in diesen De- 
mutsvorstellungen lebt, der merkt, daft ihm in Form eines Astral- 
traumes das Bild der Fufiwaschung erscheint. Dadurch wird das im 
Johannes-Evangelium Geschilderte zum Eigenerlebnis. 

Dann kann man zur zweiten Stufe iibergehen. Der Schiiler mufi 
im Leben unbedingt alle Leiden und alle Hindernisse aufrecht ertra- 
gen lernen und ruhig bleiben, auch wenn alles auf ihn einsturmt. 
Und wieder tritt dann im Traume auf dem astralen Plane ein Bild 
auf, das der Geifielung. Nicht nur schaut der Schiiler das Bild, 
sondern er fiihlt am ganzen Korper brennende Schmerzen, sogar an 
den Nageln und an den Haaren. 

Wenn dies sich eingestellt hat, geht man zur dritten Stufe iiber. 
Hier mufi der Schiiler nicht nur Schmerzen ertragen, sondern er 
mull in die Lage kommen, dafi er Hohn und Spott ruhig iiber sich 
ergehen lafit. Als Traumerlebnis zeigt sich die Dornenkronung mit 
einem eigentiimlichen, vorubergehenden Kopfschmerz. 

Zur vierten Stufe zu gelangen ist sehr schwer. Der Geheimschiiler 
mufi ein Gefuhl dafiir ausbilden, da£ der eigene Leib fiir ihn genau 
denselben Wert hat wie die Dinge um ihn herum, er mufi ihn als 
etwas Fremdes betrachten lernen, er mulS dazu gelangen, zu empfin- 
den: Nicht ich gehe hin, sondern ich trage meinen Leib dahin. Der 
Schiiler lebt dann nicht mehr in seinem Leibe, sondern er tragt ihn 
wie einen Gegenstand, wie das Kreuzesholz. Diese Ubungen fiihren 
zu der Vision, dafi sich der Schiiler selbst gekreuzigt sieht. Und au- 
fierlich sogar offenbart sich diese Einweihungsstufe, indem sich die 
sogenannten Blutsmale einstellen. Der Schiiler erhalt dann, entspre- 
chend den Wundmalen der Kreuzigung, an den betreffenden Stellen 



seines Leibes richtige Stigmata, die sich voriibergehend zeigen 
konnen, Diese inneren und aufteren Erlebnisse stellen sich ein nach 
entsprechender Versenkung. 

Die fiinfte Stufe ist der mystische Tod. Jetzt wird der Schiiler auf 
dem Astralplan wirklichhellsehend. Das andere warenSymptome des 
Anf angs. Der Schiiler macht einen Augenblick ein Erlebnis durch, wie 
wenn alles verschwinden wiirde, wie wenn er dem Nichts gegeniiber- 
stiinde. Diese Finsternis ist das Gegenbild der allgemeinen Finsternis, 
die bei Christi Tod uber das ganze Land hereinbrach. Dann spaltet 
sich die Finsternis; das ist das ZerreilSen des Vorhanges im Tempel und 
das Durchgehen Christi durch die Holle. Auch das wird auf dieser 
Stufe durchgemacht. Wer nicht bis dahin vordringt, weifi noch nicht 
wirklich, was das Bose ist. Der Schiiler der fiinften Stufe steigt hinun- 
ter in diese Tiefen des Daseins. Das ist das Hinabsteigen in die Holle. 

Mit der sechsten Stufe, der Grablegung, empfindet er die gesamte 
Erde als seinen Leib, und seinen eigenen Leib als ein Stuck von ihr. Er 
wird mit dem ganzen Erdenplaneten eine Einheit. Der Schiiler ist 
dann wie hineingelegt in den ganzen Erdenplaneten, zugedeckt und 
darin begraben, er wird selbst nun eins mit dem planetarischen Geist. 

Die siebente Stufe, die Auferstehung, kann nicht weiter geschil- 
dert werden, denn alles, was sie an Grofie und Erhabenheit bedeutet, 
kann keine Seele, die mit ihrem Denken noch an das Gehirn gebun- 
den ist, begreifen. Macht der Geheimschiiler diese sieben Stufen 
durch, dann wird das Christentum in ihm lebendig. Er erlebt das 
Johannes-Evangelium als Wirklichkeit. 

Zum Abschlufi soil noch von der Gestaltung des Inneren der 
Erde gesprochen werden. Diese Erforschung des Erdinnern hangt 
namlich mit den christlichen Einweihungsstufen zusammen. Man 
kann gerade durch die christliche Einweihung einen wahren Begriff 
von den inneren Zustanden der Erde bekommen. 

Vom okkulten Standpunkt aus besteht ein Zusammenhang zwi- 
schen Menschenleben, Erdschichten, Erdbeben und Vulkanausbrii- 
chen und so weiter. Es stehen noch gewaltige Veranderungen in dieser 
Richtung bevor. Die Ansicht der Naturwissenschaft, das Erdinnere 
sei glutfliissig, ist nicht richtig. Die bestimmte Substanz, die Sie aus 



der auEeren Anschauung kennen, weil Sie darauf treten, das ist die 
aufterste, physisch-substantielle Schicht der Erde. Man nennt sie die 
mineralische Erde. Die Naturwissenschaft kommt nicht einmal bis 
zur Mitte dieser Schicht. Jedes Erlebnis der christlichen Einweihung 
fuhrt nun zum Eindringen in eine bestimmte Schicht des Erdinnern. 
Der dritte Einweihungsgrad laik zum Beispiel ein Eindringen in die 
dritte, der siebente in die siebente Schicht zu und so weiter. 

Was in der zweiten Schicht ist, lafk sich mit keinem chemischen 
Stoff der obersten Schicht vergleichen, das ist schon eine ganz andere 
Materie. Die physische Warme nimmt nur in der ersten Schicht zu. 
Die Substanz der zweiten Schicht hat Eigenschaften, die bewirken, 
dafi, wenn etwas Lebendes damit in Verbindung gebracht wiirde, 
dieses Leben in dieser Substanz sofort getotet werden wiirde. Jede 
Pflanze wiirde in ihr sofort mineralisch, das Leben wiirde aus ihr her- 
ausgetrieben. Man nennt diese Schicht auch die lebenzerstorende. 

Die dritte Schicht ist eine Substanz, welche die seelische Empfin- 
dung in ihr Gegenteil umwandelt. Sie verwandelt Freude in 
Schmerz, und Schmerz in Lust. Sie reagiert auf die Gefiihle der 
Lebewesen, sie hat als Materie diese Eigenschaft und heifit die Emp- 
findungsschicht. 

Die vierte Schicht entspricht in gewissem Sinn dem ersten Gebiet 
des Devachan, denn auch dort erscheinen die physischen Dinge in 
ihrem Negativ. Im Devachan ist es so, dafi anstelle des physischen 
Dinges eine Art von Aura da ist, ein Negativ, ein Hohlraum-Licht- 
bild, in welchem drinnen nichts zu sehen ist, und das von innen 
heraus einen gewissen Ton von sich gibt. Die vierte Schicht des Erd- 
innern hingegen ist substantiell das, was den Erdendingen Form 
gibt. Es sind dort gleichsam die umgekehrten Formen; es lafit sich 
das vergleichen mit Petschaft und Siegelabdruck. Diese vierte 
Schicht wird deshalb die Formschicht genannt. 

Die fiinfte Schicht ist voll wuchernden Lebens. Hier ist das Leben 
nicht in die Form eingeschrankt. 

Die sechste Schicht, die Wasserschicht, ist substantiell eindrucks- 
fahig und besteht ganz aus Wille und Empfindung. Sie antwortet auf 
Willensimpulse, sie schreit gleichsam, wenn sie geprefit wird. Weil 



dieses innere Leben mit dem Feuer zu vergleichen ist, nennt man 
diese Schicht die Feuererde. 

Die siebente Erdschicht wird dann in der siebenten Einweihungs- 
stufe erreicht. Wie das Auge auf gewisse Einwirkungen Gegenwir- 
kungen in sich hervorbringt, so ist es auch in der siebenten Schicht. 
Ihre Substanz verwandelt alle Eigenschaften in ihr Gegenteil, indem 
sie sie umkehrt. Deshalb heifk diese Schicht «der Erdenreflektor». 

Die achte Schicht, die ebenfalls auf der siebenten Einweihungs- 
stufe wahrnehmbar wird, hat nicht blofi irgendwelche physische 
Eigenschaften, sondern auch moralische, sie verwandelt alle mora- 
lischen Eigenschaften, welche die Menschen entwickeln, in ihr Ge- 
genteil. Alles, was auf Erden verbunden ist, das wird dort getrennt 
und zerstreut. Alle moralischen Gefiihle, wie Liebe, Mitleid, sind 
dort in ihr Gegenteil verwandelt, in Harte, Brutalitat und so weiter. 
Man nennt diese Schicht den Zersplitterer. 

Die neunte Schicht ist das Erdgehirn. Dort wirkt das Bose ma- 
gisch. Schwarzmagische Kunst steht damit in Verbindung. Der wei- 
fte Pfad wird dort schwarz. 

Es ist viel schwieriger, das Erdinnere zu erforschen, als den 
Astral- und Devachanplan. Diese Erforschung gehort wirklich zum 
Allerschwierigsten. Was Sinnett in seinem Buch: «Esoterischer Bud- 
dhismus» tiber das Erdinnere sagt, ist nicht richtig. Statt da£ er 
selbst als Hellseher forschte, gebrauchte er ein Medium. Nur in der 
eigentlichen Rosenkreuzerschule vermag man vom Erdinnern zu 
sprechen. Und in den besten Zeiten des Christentums hat man das 
Erdinnere ahnhch betrachtet. Die nordischen Mysterien, die Trot- 
ten- und Druidenmysterien haben auch ziemlich ausfuhrlich davon 
gesprochen. In poetischer Weise spricht auch Dante in seiner «G6tt- 
lichen Kom6die» vom neunteiligen Erdinnern. Die achte Schicht 
finden Sie dort als Kainsschicht, weil durch Kain das Bose, das 
Zersplitternde in die Welt gekommen ist. 

Uberhaupt findet man in den grofien Dichtungen wie in der 
Odyssee, im Parzival und so weiter okkulte Tatsachen geschildert. 
In der Erzahlung vom armen Heinrich wird zum Beispiel hingewie- 
sen auf die Einfltisse der verwesenden Astralstoffe der in Dekadenz 



geratenen Volker des friihen Mittelalters. Die Geheimlehre hat be- 
wufit und unbewufk die grofien Dichter stets beeinflufit. Im Lichte 
der Theosophie wird uns nicht nur die ganze Welt ungeheuer tief, 
sondern auch die grofien Dichtungen der Menschheit. Da kann man 
so recht das Gottliche aufsuchen und erkennen. 

Es war eine Eigenschaft des lemurischen Zeitalters, dafi damals die 
oberen Schichten der Erde nur sporadisch entwickelt waren, gleich- 
sam nur als Inseln, so dafi von der Feuerschicht viel nach aufien drang. 
Die Feuerschicht ist die Grundlage der anderen Schichten. Der da- 
mals noch stark wirkende Wille des lemurischen Menschen vermoch- 
te noch magisch einzuwirken auf diese Feuerschicht. Die wogenden 
Bewegungen der Erde hingen noch mit dem Willen des Menschen zu- 
sammen. Darum kam es zum Untergang des lemurischen Kontinents 
aus der Feuerschicht heraus. Die Menschen waren zu tief gesunken, 
besonders in Spatlemurien. Furchterliche Verirrungen hatten um sich 
gegriffen. Und so wirkten denn diese verderblichen Willensregungen 
auf die Feuerschicht: Lemurien ging, wie Sodom und Gomorrha, 
durch eine Feuerkatastrophe zugrunde, verbunden mit Erdbeben 
und Vulkanausbriichen. Der Wille wirkt eben auf die Feuerschicht. 
So besteht ein Zusammenhang zwischen dem Inneren des Menschen 
und dem Inneren der Erde. Der Erdenzersplitterer, die Kainsschicht, 
erfahrt durch eine fortdauernde sittliche Entwickelung des Men- 
schen eine Umwandlung. Was der Mensch auf der Erde tut, das ge- 
staltet nach und nach den ganzen Erdenplaneten um. Und wenn die 
weifie Magie einmal hervorragend fortgeschritten ist, dann wird der 
Erdkern auch anders. Die schwarzen Magier werden ausgeschieden 
werden auf eine Art von Mond, wenn unser Planet einmal vergeht. 

Wenn nun heute ganz bestimmte bose Willensimpulse zusammen- 
wirken, dann wirken sie auf die Feuerschicht, und es kann dann sein, 
dafi sich die Erschiitterung der Feuerschicht fortsetzt auf die Wasser- 
schicht, und durch die anderen Schichten hindurch, bis zur obersten. 
Dadurch kommen Erdbeben, Vulkaneruptionen, Seebeben und so 
weiter zum Ausbruch. Wenn die Menschheit dafur sorgt, dafi es auf 
Erden moralisch besser wird, wird es auch langsam besser werden in 
bezug auf die Erdkatastrophen. Mit dem Fortschritt der Menschheit 



hangen die Fortschritte des Erdenplaneten zusammen; was uns das 
Erdinnere zeigt, ist nur ein Beispiel dafiir. Man hat untersucht, in 
welcher Beziehung das Karma des einzelnen Menschen zum Karma 
der Gesamtheit stent, hat erforscht, wie sein zuktinftiges Schicksal 
verlaufen konnte, und gefunden, dafi solche Menschen [die durch ein 
Erdbeben umkommen] gewohnlich in der nachsten Verkorperung als 
besonders spirituelle Personlichkeiten auftreten, oder wenigstens die 
Anlage zu spirituellem Leben mitbringen. Sie haben die Nichtigkeit 
des Materiellen eindringlich und rasch erfahren, es war der letzte 
Ruck, den sie noch brauchten, um sich dem Geist zuzuwenden. Ahn- 
lich hat der Feuertod der Martyrer in der nachsten Inkarnation be- 
sonderen Idealismus zur Folge. Interessant sind auch die Zusammen- 
hange zwischen Geburten und Erdbeben. In den meisten Fallen fin- 
det sich, daft die Menschen, die unmittelbar nach der Zeit eines Erd- 
bebens geboren werden, sich als besonders materiell gesinnte Men- 
schen erweisen. Die Kraft, durch die der Mensch aus dem Devachan 
wiederum herunterkommt, hat etwas zu tun mit der Feuerschicht. 
Der Mensch bringt die Feuerschicht insofern in Bewegung, als sein 
ihn zur Verkorperung fuhrender Wille bei seiner Geburt besonders 
niederer, sinnlicher Art ist. Die Erde war im Beginne ihrer Entwicke- 
lung ein Wesen, das einer Umwandlung fahig ist, und dementspre- 
chend ist es das Menschentum. Der Mensch hat der Erde Schicksal an 
sein eigenes gebunden. Sie konnen sich denken, wie im Hinblick dar- 
auf das Verantwortungsgefuhl des Okkultisten wachst in bezug auf 
die geistigen Stromungen, die in die Menschheit gebracht werden. 
Die theosophische Bewegung steht in Beziehung zu einem ganz be- 
stimmten Ziel der Erdenentwickelung. Sie hat die allgemeine Men- 
schenverbriiderung zu bringen. Ihr Ziel soil deshalb sein: den Erden- 
zersplitterer, die achte Schicht, zu verbessern; es erstrebt, vom Erden- 
zentrum zu retten, was zu retten ist. Hier gilt: Steter Tropfen hohlt 
den Stein. Selbst die kleinste Wirkung geht nicht verloren. Der 
Mensch, der danach strebt, seine Seele umzuwandeln, so daft die 
Kraft, die aus dem Okkultismus herauskommt, wirksam wird, der 
wirkt an diesem Werke mit und wird dann auch das alltagliche Leben 
ganz anders nehmen. Das wahre Studium des Okkultismus besteht 



darin, dafi der Geistesschuler erkennend eindringt in das gewohnli- 
che, natiirliche Leben. Der Okkultismus kann auf alien Gebieten 
fruchtbar werden und segensreich wirken. Jede Seele raufi und wird 
schliefilich zur Wahrheit gelangen. Und so vertraut der Okkultismus 
auf das Echo, das er in den Seelen finden wird. 



Das Johannes -Evangelium 

Notizen aus drei Vortragen, 
gehalten in Berlin am 19., 26. Februar und 5. Marz 1906 



DAS JOHANNES-EVANGELIUM 
Erster Vortrag, Berlin, 19. Februar 1906 

Heute und das nachste Mai will ich iiber das Johannes-Evangelium 
sprechen. Ich mochte dabei bemerken, daft die Auseinandersetzun- 
gen, die wir iiber das Johannes-Evangelium horen wollen, allerdings 
mehr oder weniger nur fiir solche Teilnehmer ganz verstandlich sein 
werden, die sich mit der Geisteswissenschaft schon etwas beschaf- 
tigt haben. Es wiirde aber die Sache natiirlich zu sehr ins Weite fiih- 
ren, wenn wir hier auch alle anderen Dinge besprechen wollten, die 
etwa fiir Nichttheosophen in Betracht kommen konnten. 

Sie wissen vielleicht, daft in der letzten Zeit in bezug auf die 
Auffassung der neutestamentlichen Schriften, der Evangelien, eine 
gewisse Auffassung sich herausgebildet hat, die das Johannes-Evan- 
gelium eigentlich als historische, geschichtliche Urkunde entwertet 
hat. Man sagt in theologischen Kreisen, wenigstens in Kreisen der 
«Fortschrittlichen», daft als Urkunde iiber das Leben des Stifters des 
Christentums nur die drei ersten Evangelien, die synoptischen 
Evangelien, in Betracht kommen konnen. Synoptisch werden sie 
genannt, weil man den Inhalt zusammenfaftt und sich auf theologi- 
sche Weise ein Gesamtbild iiber das Leben des Christus Jesus bilden 
will. Dagegen versuchen moderne Theologen, das Johannes-Evan- 
gelium als eine Art von Dichtung aufzufassen, als eine Bekenntnis- 
schrift, als die Schrift eines Menschen, der seine Gemiitseindriicke, 
sein inneres religioses Leben schildert, wie er es empfangen hat 
durch den Einfluft des Christentums. So daft wir eine Andachts- 
schrift, ein inbriinstiges Bekenntnis in dem Johannes-Evangelium zu 
sehen hatten, aber nichts, was irgendwie in Betracht kommen konne 
fiir die wirklichen christlichen Tatsachen. 

Nun wird aber fiir jeden, der sich in die neutestamentlichen 
Schriften vertieft, eine innere Tatsache unbedingt feststehen. Das ist 
diese, daft aus dem Johannes-Evangelium unmittelbar Leben flieftt, 
eine Uberzeugung und ein Wahrheitsquell von etwas anderer Art als 
aus anderen Religionsschriften. Eine Gewiftheit flieftt aus ihm, zu 
der man eigentlich keine aufteren Tatsachen braucht. Das ist so ein 



Gefiihl, das die Menschen uberkommt, wenn sie an das Johannes- 
Evangelium herantreten und dabei ein Empfinden fur inneres seeli- 
sches Leben, fur geistige Vertiefung haben. Man kann nicht recht 
durch etwas anderes als durch geisteswissenschaftliche Vertiefung 
ins klare kommen iiber dasjenige, was hier eigentlich vorliegt. Oft 
und oft habe ich zu Ihnen dariiber gesprochen, wie man zu den Re- 
ligionsurkunden ein Verhaltnis bekommt durch die Geisteswissen- 
schaft, durch spirituelle Vertiefung. 

Jeder von Ihnen weift, dafi das erste Verhaltnis, das man zu reli- 
giosen Schriften hat, das des naiven Menschen ist, der die Tatsachen 
so, wie sie geschildert werden, hinnimmt, der sie nicht weiter kriti- 
siert, der das Brot des religiosen Lebens aus diesen Urkunden emp- 
fangt und damit befriedigt ist. 

Zahlreichen neuzeitlichen Menschen, die diesen naiven Stand- 
punkt eingenommen hatten und dann «gescheit» geworden sind, die 
aufgeklart worden sind, fielen die Widerspriiche in den Evangelien 
auf. Dann sagten sie sich von den Evangelien und vom Glauben los. 
Sie erklarten: Wir konnen es nicht mit unserem Gewissen, mit unse- 
rem Wahrheitsgefuhl vereinigen, in diesen Schriften Erkenntnisse zu 
finden und bei dem Glauben an diese Schriften zu bleiben. - Das ist 
die Stufe der «Gescheiten», die zweite Stufe. 

Dann kommt die dritte Art, wie sich Menschen zu den religiosen 
Schriften verhalten. Sie beginnen, die Religionsschriften sinnbildlich 
auszulegen. Sie fangen an, Symbole, Allegorien darin zu sehen. Diesen 
Weg haben gerade in letzter Zeit Freidenker gewahlt. Bruno Wille, der 
Herausgeber des Blattes «Der Freidenker», hat neuerdings diesen 
Weg eingeschlagen. Er ist dazu iibergegangen, die Christus-Mythe 
wie die Bibel uberhaupt einer sinnbildlichen Auslegung zu unterzie- 
hen. Ein notwendiger Entwickelungsweg, den der Mensch durchma- 
chen mufi, ein innerer Wendepunkt, kann dabei nicht herauskommen. 
Wer weniger geistreich ist, wird diese Schriften auch weniger geist- 
reich ausdeuten. Andere, die geistreicher sind, werden auch mehr 
Geistreiches herausziehen. Dabei wird vieles hineingelegt, was ganz 
der menschlichen Geistreichigkeit entspricht und ihr entspringt. Das 
dritte ist also ein halb glaubiger, aber willkurlicher Standpunkt. 



Dann kommt ein ganz anderer Standpunkt, und das ist der, wo 
man erkennen lernt, da£ es Tatsachen der hoheren Welt gibt, dafi es 
aufier unserer sinnlichen Welt noch andere, namlich geistig-seelische 
Dinge gibt, und da£ die religiosen Mitteilungen eben gar nicht Mit- 
teilungen aus der sinnlichen Welt sind, sondern Darstellungen von 
Tatsachen einer hoheren Welt. Wer dann diese Tatsachen der un- 
mittelbar hinter unserer Welt liegenden astralen und der noch tiefer 
liegenden devachanischen oder mentalen Welt kennenlernt, der 
kommt dann wieder zu einem neuen, hoheren Verstandnis der reli- 
giosen Urkunden. Und es ist unmoglich, das Johannes-Evangelium 
ohne eine solche Erhebung zu einer hoheren Welt zu verstehen. 
Nicht eine Dichtung, nicht eine aus blofi religioser Inbrunst hervor- 
gegangene Schrift ist das Johannes-Evangelium, sondern es stellt dar 
Mitteilungen aus hoheren Welten, die der Schreiber dieses Evange- 
liums empfangen hat. Die Sache liegt ungefahr so - ich will Ihnen 
den Tatbestand kurz schildern. Was dafur als Beweis vorzubringen 
ist, will ich heute nicht heranziehen. Vielleicht werde ich mich das 
nachste Mai darauf einlassen. Derjenige, welcher das Johannes- 
Evangelium geschrieben hat, lernte die Tatsachen, die sich zu Beginn 
unserer Zeitrechnung um den Stifter des Christentums abspielten, 
und dessen Wirken durch sein Erleben in hoheren Welten kennen. 

Nun ein Beispiel zu dem Unterschied zwischen bloftem Kennen 
und dem Erkennen. Wir haben neulich einmal hier angefuhrt, daft 
ein Mensch neben uns sein kann, dafi wir ihn sehen konnen, wie er 
ist, aber dafi wir ihn deshalb noch nicht zu erkennen brauchen. Ich 
habe in diesem Zusammenhang die Anekdote von jener Sangerin 
erwahnt, die auf einer Abendunterhaltung zwischen Mendelssohn 
und einem ihr Unbekannten safi. Sie unterhielt sich sehr gut mit 
Mendelssohn, aber der andere, der sehr artig war, der war ihr zuwi- 
der. Sie fragte daher hinterher: Wer war denn der dumme Kerl zu 
meiner Linken? - Das war doch der beriihmte Philosoph Hegel! - 
war die Antwort. Wenn der Dame vorher gesagt worden ware, bei 
einer Abendunterhaltung werde der grofie Philosoph Hegel zu 
sehen sein, wiirde sie vermutlich allein aus diesem Grunde der Ein- 
ladung gefolgt sein. Da er aber jetzt unbekannt neben ihr sa$, war er 



der dumme Kerl. Das ist der Unterschied zwischen Sehen und Ver- 
stehen, zwischen Kennen und Erkennen. 

Denjenigen, der das Christentum gestiftet hat, konnte man nicht 
ohne weiteres erkennen, wenn man nur den gewohnlichen, auf das 
Sinnliche gerichteten Verstand hatte. Dazu gehorte das, was die 
christlichen Mystiker vielfach in so grofien und schonen Worten 
zum Ausdruck gebracht haben. Das meinte auch Angelus Silesius, 
wenn er sagt: 

Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren 
Und nicht in dir: du bleibst noch ewiglich verloren. 

Es gibt ein inneres Christus-Erlebnis, es gibt eine Moglichkeit, das- 
jenige zu erkennen, was uns aufterlich entgegentritt in den Ereignis- 
sen, die sich zwischen den Jahren 1 und 33 in Palastina abgespielt 
haben. Derjenige, der aus hoheren Welten hereingekommen ist in 
diese Welt, mufi wiederum aus einer hoheren Welt verstanden wer- 
den. Und der ihn am tiefsten schildert, mufite sich erheben zu den 
beiden hoheren Welten, die hier in Betracht kommen, zu der astra- 
len und zu der devachanischen oder mentalen Welt. Diese Erhebung 
des Johannes, wenn wir sie so nennen diirfen, war die Erhebung in 
die zwei hoheren Welten. Diese stellt uns das Johannes-Evangelium 
in seinen Mitteilungen dar. 

Die ersten zwolf Kapitel des Johannes-Evangeliums enthalten die 
Erlebnisse des Johannes in der astralen Welt. Vom dreizehnten Ka- 
pitel ab sind es die Erlebnisse des Johannes in der devachanischen 
oder mentalen Welt, so da£ sich derjenige, der das niedergeschrieben 
hat, von Christus sagt - die Worte sind ganz vergleichsweise zu neh- 
men -: Hier auf dieser Erde hat Er gelebt, hier hat Er aus Kraften 
heraus gewirkt, die gottlich sind, aus okkulten Kraften heraus. Er 
hat Kranke geheilt, Er hat alles, vom Sterben bis zum Auferstehen, 
durchgemacht. Diese Dinge mit dem blofSen Verstande zu begreifen, 
ist unmoglich. Hier auf der Erde gibt es keine Wissenschaft, keine 
Weisheit, durch die man verstehen kann, was da geschehen ist. Aber 
es gibt eine Moglichkeit, hinaufzusteigen in die hoheren Welten. Da 
wird man die Weisheit finden, durch die man den, der hier auf der 



Erde gewandelt hat, verstehen kann. So erhob sich der Schreiber des 
Johannes-Evangeliums hinauf in die beiden hoheren Welten und liefi 
sich einweihen. Es war eine Einweihung, und seine Einweihung 
schildert der Schreiber des Johannes-Evangeliums, die Einweihung 
in die astralische Welt und die Einweihung in die devachanische 
oder Mentalwelt. 

In alten Zeiten, in denjenigen Gebieten, in denen der menschliche 
Korper noch dazu geeignet war, wurde eine solche Einweihung in der 
folgenden Weise bewerkstelligt. Der betreffende Mensch mulke eine 
Art von Schlafzustand durchmachen. Alles, was sonst bei einer heuti- 
gen europaischen Einweihung, die jahrelang dauert, weil das alles 
nicht durchgemacht werden kann von einem Europaer, was jetzt er- 
zahlt wird, alles das, was bei einer europaischen Einweihung durch 
lange Meditations- und Konzentrationsiibungen erreicht wird, das 
wurde fruher, ebenfalls nach bestimmten vorhergehenden Medita- 
tions- und Konzentrationsiibungen, aber in kurzer Zeit, von einigen 
erreicht. Ich bemerke ausdrucklich, dafi fur denjenigen, der wirklich 
die Einweihung empfangen will, doch einmal diese zwei wichtigen 
Erlebnisse in irgendeiner Form kommen mussen, wo er durchmacht 
das, was jetzt zu beschreiben ist, wenn auch auf etwas andere Weise. 
Durch eine Art von Schlafzustand muft der Mensch durchgehen. Um 
zu wissen, was eigentlich Schlaf seinem Wesen nach ist, halten wir uns 
nochmals vor die Seele, was vorgeht, wenn der Mensch schlaft. Es 
sind dann seine hoheren Leiber von den niederen Leibern abgetrennt. 
Der Mensch besteht ja zunachst aus dem physischen Leib, den Sie mit 
Augen sehen konnen. Das zweite Glied ist der sogenannte Atherleib. 
Das ist dasjenige Wesensglied, das den physischen Korper um- 
schliefk, das viel feiner ist als der physische Leib, und in dem Stro- 
mungen und Organe von wunderbarer Mannigfaltigkeit und Prach- 
tigkeit tatig sind. Im Atherleib sind auch die gleichen Organe vorhan- 
den wie im physischen Korper. Auch der Atherleib hat Gehirn, Herz, 
Augen und so weiter. Sie stellen diejenigen Krafte dar, welche die ent- 
sprechenden physischen Organe erst geschaff en haben. Das ist unge- 
fahr so, wie wenn Wasser in einem GefalS abgekiihlt wird, so dafi es zu 
Eis wird. So mussen Sie sich die Entstehung des physischen Organs 



durch die Verdichtung des Atherischen vorstellen. Der Atherleib ragt 
nur wenig iiber den physischen Leib hinaus. 

Der dritte Leib ist der Astralkorper. Er ist der Trager von Begier- 
den, Wiinschen, Leidenschaften und so weiter. Er durchdringt den 
physischen Korper in Gestalt einer Wolke. Farben sind da, heftige 
Leidenschaften in Form von zuckenden Blitzen. Die Eigenschaften 
des Temperamentes durchgleiten den Korper in Lichtpunkten mehr 
oder weniger hell. Der ganze innere Mensch pragt sich nach aufien 
in einer Lichtform aus. Das ist das eigentliche Ich des Menschen, der 
Trager des hoheren, des eigentlichen Wesenskernes. Wenn der 
Mensch des Nachts schlaft, also beim gewohnlichen Schlaf, liegen 
im Bett der physische Korper und der Atherleib. Diese sind fest 
miteinander verbunden. Getrennt von ihnen ist der Astralleib mit 
allem anderen, was noch zum Menschen gehort. Solange der Mensch 
nicht etwas Besonderes unternimmt, bleibt er unbewulk, wenn sein 
Astralleib aus dem physischen Leib heraus ist. Er bleibt unbewufk, 
wie der Mensch in der sinnlichen Welt unbewufk bleibt ohne Augen 
und Ohren. Sie konnten noch so lange leben in der physischen Welt 
- wenn Sie nicht Augen hatten, wurde es keine Farben, wenn Sie 
keine Ohren hatten, keine tonende Welt geben. So ist es, wenn der 
Astralleib aujRer dem Korper ist. Er ist dann ausgedehnt in der see- 
lischen Welt, aber er sieht sie nicht, er nimmt sie nicht wahr, weil er 
noch keine astralen Sinne hat. Diese rmissen erst nach und nach aus- 
gebildet werden. Solange der Mensch nicht Ubungen macht, so lan- 
ge bleibt er in der hoheren Welt bewufklos. Macht er sie aber, dann 
kann er in dieser hoheren Welt Bewufksein erlangen. Wenn sein 
Astralleib Organe bekommt, fangt er an, die astralische Welt rings- 
herum zu sehen. Diejenigen, die ofter diese Vortrage gehort haben, 
wissen, dafi es sieben solche astralen Sinne gibt. Man nennt sie die 
heiligen Rader, Chakrams oder Lotusblumen. Zwischen den beiden 
Augen, zwischen den Augenbrauen befindet sich die zweiblattrige 
Lotusblume. In der Nahe des Kehlkopfes ist die sechzehnblattrige 
Lotusblume veranlagt, in der Nahe des Herzens die zwolfblattrige. 
Bilden sich diese Organe nach und nach aus, so wird der Mensch 
sehend in der astralischen Welt. 



Dieses astralische Schauen ist etwas ganz anderes als das physische 
Sehen. Sie konnen sich eine Vorstellung davon machen, wie das astra- 
lische Schauen ist, wenn Sie sich erinnern, wie das Traumleben ver- 
lauft. Sinnbilder sind es, die wir im Traume erleben. So sind auch die 
astralen Wahrnehmungen Sinnbilder, richtige Symbole. Da wird der 
Mensch ein Symbol-Sehender. Fur das, was in der physischen Welt 
unmittelbar vorgeht, verliert er in der astralischen Welt das Bewufit- 
sein, aber in Sinnbildern kann er solche Tatsachen des Christus Jesus- 
Lebens erfahren, wie sie Johannes aus seinem Erleben in der Astral- 
welt heraus schildert. Darstellungen dieser Art bilden den Inhalt der 
ersten zwolf Kapitel des Johannes-Evangeliums. Mifiverstehen Sie 
mich nicht! Ich weifi, viele werden sagen: Wenn das astrale Erlebnisse 
sind, dann ist das doch nichts Wirkliches, und was uns von dem Stifter 
des Christentums gesagt wird, hat dann doch keine Gultigkeit. - Das 
ist nicht richtig. Es ware das gleiche, wie wenn man leugnen wollte, 
dafi ein Mensch aus Fleisch und Blut ein Genie ist, weil man das Genie 
nicht sehen kann. Wenn man auch die Wahrheit iiber den Christus 
Jesus erst auf dem Astralplan erkennen lernt, so hat sich sein Leben 
doch auf dem physischen Plan tatsachlich abgespielt. Wir haben es 
mit dem Symbol auf dem astralischen Plan und mit der aufieren 
Wirklichkeit auf dem physischen Plan zu tun. Nichts wird von der 
Tatsachlichkeit weggenommen, wenn wir sie im tieferen Sinne ver- 
stehen, im Sinne des Johannes-Evangeliums. 

Der Einweihung in den astralen Plan mufi das vorangehen, was 
man Meditation nennt. Das ist die Versenkung der Seele in sich selbst, 
ich habe es hier ofter geschildert. Um zu einem meditativen Erleben 
zu kommen, mufi sich der Mensch zunachst blind und taub machen 
gegenuber alien sinnlichen Eindriicken. Nichts darf ihn storen, Ka- 
nonen mufi man losschiefien konnen, ohne daft er in seinem inneren 
Erleben etwas davon vernimmt. Das gelingt einem nicht so ohne wei- 
teres, aber durch standiges Uben kann man die entsprechende Fahig- 
keit erwerben. Der Mensch hat sich auch fur das, was er schon erlebt 
hat, unempfanglich zu machen, das Gedachtnis mufi ausgeloscht 
werden. Rein mit sich selbst beschaftigt mufi die Seele werden, dann 
konnen aus ihrem Inneren die ewigen Wahrheiten aufsteigen, ewige 



Wahrheiten, die geeignet sind, nicht blofi unser Verstehen zu wecken, 
sondern die in unserer Seele wie verzaubert schiummernden Fahig- 
keiten zu entbinden. Diese grofien, ewigen Wahrheiten werden dem 
Menschen je nach der Reife aufgehen, die er durch sein Karma erlangt 
hat: dem einen, wie Subba Row sagt, in sieben Inkarnationen, dem 
anderen in siebzig Jahren, einem anderen in sieben Jahren, anderen in 
sieben Monaten, sieben Tagen oder in sieben Stunden. 

Johannes gibt nun auch dasjenige an, was ihn in einen solchen 
seelischen Zustand versetzt hat, was ihn hineingefiihrt hat in das 
Wahrnehmen auf dem astralischen Plan. Die Formel, die er als Me- 
ditationsformel gebraucht hat, steht am Anfang seines Evangeliums: 
«Im Urbeginne war das Wort, und das Wort war bei Gott, und ein 
Gott war das Wort. Dieses war im Urbeginne bei Gott. Alles ist 
durch dasselbe geworden, und aufter durch dieses Wort ist nichts 
von dem Entstandenen geworden. In ihm war das Leben, und das 
Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht schien in die 
Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen.» 

In diesen fiinf Satzen liegen die ewigen Wahrheiten, die in der Seele 
des Johannes die grofien Gesichte herauszaubern. Das ist die Medita- 
tionsformel. Derjenige, fur den das Johannes-Evangelium geschrie- 
ben ist, darf es nicht nur lesen wie irgendein anderes Buch. Er mufi die 
ersten fiinf Satze als Meditationsformel betrachten, dann lebt er 
Johannes nach, dann sucht er dasselbe zu erleben, was Johannes erlebt 
hat. Das ist der Weg, ihm nachzuleben, so ist es gemeint. Johannes 
sagt: Tut, was ich getan habe, lasset in euren Seelen die grofien Satze 
«Im Anfang war das Wort» und so weiter wirken, und ihr werdet 
bewahrheitet finden, was in meinen zwolf ersten Kapiteln gesagt ist. 

Das ist etwas, was einzig und allein zum Verstandnis des Johan- 
nes-Evangeliums beitragen kann. So ist es gemeint, und so soli es 
benutzt werden. Was nun das «Wort» bedeutet, das habe ich auch 
schon ofter erwahnt. Im Anfang - fassen wir das richtig, was das 
heifit. «Im Anfang» ist keine gute deutsche Ubersetzung. Die Uber- 
setzung miifite eigentlich lauten: Aus den Urkraften sprofite das 
Wort heraus. Das heifit es: da kam das Wort heraus, aus den Urkraf- 
ten heraus. Im Anfang heifit also: aus den Urkraften heraus. 



Wenn der Mensch in diesen Schlafzustand kommt, dann ist er 
nicht mehr in der sinnlichen Welt. Er geht in eine seelische Welt hin- 
ein, und in dieser seelischen Welt erlebt er die Wahrheit iiber die sinn- 
liche Welt. Da geht ihm die Wahrheit der sinnlichen Welt auf. Er geht 
aus den abgeleiteten Worten der sinnlichen Welt zu den Urkraften 
zuriick und steigt zu den Worten der Wahrheit auf. Jede Wahrheit hat 
sieben Bedeutungen. Fiir den sich versenkenden Mystiker hat sie hier 
aber diese Bedeutung: Die Erkenntnis, das Wort, das da aufgeht, ist 
nicht etwas, was gestern und heute gilt, sondern dieses Wort ist ewig. 
Dieses Wort fiihrt zu Gott, weil es bei Gott selbst immer war, weil es 
das Wesen selbst ist, das Gott in die Dinge hineingelegt hat. 

Es gibt aber noch ein anderes Verstandnis, und das erwirbt man 
sich, wenn man jeden Tag immer wieder zuriickkehrt zu dem be- 
deutsamen Wort: «Im Urbeginne war das Wort.» Wenn man an- 
fangt, es nicht nur mit dem Verstande, sondern mit dem Herzen zu 
verstehen, so daft das Herz ganz eins wird mit diesem Wort, dann 
geht die Kraft auf, dann beginnt schon der Zustand, von dem Johan- 
nes spricht. Er schildert das mit grofier Anschaulichkeit: «Alles ist 
durch dasselbe geworden, und aufier durch dieses Wort ist nichts 
von dem Entstandenen geworden. » 

Was finden wir in diesem Wort? Wir finden das Leben. Was 
erkennen wir durch das Leben? Durch das Licht? Ganz wortlich 
miissen wir die religiosen Urkunden auffassen, wenn wir zu einer 
hoheren Erkenntnis aufsteigen wollen. Wohin scheint das Licht, 
wenn der Mensch dazu kommt? In die Finsternis der Nacht. In die- 
jenigen kommt es hinein, die schlafen. Es kommt in jeden hinein, der 
schlaft. Aber die Finsternis hat es nicht begriffen - bis die Fahigkeit 
entstand, es auf dem astralen Plan wahrzunehmen. So ist auch der 
ftinfte Satz wortlich zu verstehen. Das astralische Licht scheint hin- 
ein in die Finsternis der Nacht, aber die Menschen sehen gewohnlich 
nicht das Licht, sie miissen erst sehen lernen. 

Da fiir den Schreiber des Johannes-Evangeliums dies alles Wirk- 
lichkeit wurde, ging ihm auch das Licht auf, wer der war, dessen 
Schiiler und dessen Apostel er war. Hier auf Erden hat er ihn gese- 
hen. Nun hat er ihn auf dem astralen Plane wieder entdeckt, und er 



hat erkannt, daft der, welcher auf Erden im Fleisch gewandelt ist, 
von dem, was in seinem eigenen tiefsten Inneren lebt, nur durch ein 
Etwas unterschieden war. In jedem einzelnen Menschen lebt ein 
Gottmensch. In ferner Zukunft wird dieser Gottmensch aus jedem 
einzelnen auferstehen. So wie der Mensch heute vor uns stent, ist er 
in seinem aufieren Ausdruck mehr oder weniger ein Abdruck des 
inneren gottlichen Menschen, und dieser innere gottliche Mensch 
arbeitet fortwahrend an dem aufieren Menschen. 

Ich habe bereits am letzten Donnerstag darauf aufmerksam ge- 
macht, wie man sich das schon an der Oberflache klarmachen kann. 
Sehen Sie sich ein Kind an. Sie mogen vielleicht sagen, in diesen nai- 
ven Ztigen liege der Vater, die Mutter, ein Oheim oder ein Ahne. Aber 
alles, was innen ist, driickt sich in den Gesichtsziigen aus, driickt sich 
in den Gesten der Hand, in den ganzen Bewegungen des Kindes aus. 
Es arbeitet sich heraus das, was in dem Kinde schlummert. Dann 
kommt endlich das Eigene heraus, die Physiognomie wird ein Ab- 
druck der eigenen Seele, wahrend vorher mehr der Gattungstypus 
zum Ausdruck kam. Im Wilden schlummert die eigene Seele ge- 
wohnlich noch und hat nur ein sparliches Dasein. In vielen Inkarna- 
tionen arbeitet sich aber das Individuelle heraus, die Seele bekommt 
mehr Macht iiber den physischen Korper, die Physiognomie be- 
kommt den Abdruck oder den Ausdruck des Inneren. Im Unreifen 
driickt sich wenig von der Gewalt der Seele aus. Reifer wird der 
Mensch, und reif ist er, wenn das innere Wort ganz Fleisch geworden 
ist, wenn das Aufiere ein genauer Abdruck des Inneren geworden ist, 
so da£ das Fleisch ganz durchgeistigt ist. Das hat er aber erst jetzt ver- 
standen, nachdem ihm klar vor das astrale Auge getreten ist das hohe- 
re Selbst. Das stand auf dem astralen Plane vor dem Seelenauge des 
Johannes, und er erkannte: Das bin ich. Ich habe es heute nur auf dem 
astralen Plane erlebt, es wird aber allmahlich herunterriicken, wie es 
bei dem geschehen ist, dem ich gefolgt bin. - Es ist die tiefe Verwandt- 
schaft des Christus Jesus mit dem Gottmenschen, der in jedem Men- 
schen veranlagt ist. Das ist das tiefe innere Erlebnis des Johannes. Das 
innere Selbst lebt im Menschen unbewulk, und es wird der Seele erst 
durch die geschilderten Vorgange bewufit. 



Was heifk das: Etwas wird uns bewulk? Kann etwas in uns be- 
wufit werden, das bloft in unserem Inneren lebt? Solange es bloE in 
unserem Inneren lebt, ist es uns nicht bewufk. Was subjektiv ist, was 
der Mensch in sich tragt, dessen ist er sich nicht bewufit. Ich mochte 
einen groben Vergleich gebrauchen, urn das zu verdeutlichen. Sie 
alle haben ein physisches Gehirn, aber Sie sehen es nicht. Man miifi- 
te es herausschneiden, dann konnten Sie es sehen. Derselbe Grund, 
nur in einer etwas anderen Weise, liegt vor dafur, daft Sie Ihr hoheres 
Ich nicht sehen. Es ist das Ich in Ihnen drinnen. Es mufi aber heraus, 
wenn Sie es wahrnehmen sollen, und das kann nur auf dem astrali- 
schen Plan geschehen. Wenn es herausgeht und vor Ihnen ist, dann 
ist in geistiger Beziehung dasselbe geschehen, wie wenn Sie auf einen 
Teller ein physisches Gehirn legen und es zum Objekte Ihrer sinn- 
lichen Anschauung machen wiirden. 

Diesen Vorgang schildert der Schreiber des Johannes-Evangeli- 
ums: Das eigene hohere Ich tritt vor ihn, das eigene hohere Ich, das 
in seiner Vollendung den Christus darstellt. Wenn Sie das wissen, 
dann erst werden Sie gewisse Andeutungen, gewisse Wahrheiten der 
ersten Kapitel des Johannes-Evangeliums verstehen konnen. Einzel- 
nes werden Sie sehr gut verstehen, wenn Sie nur das nehmen, was ich 
bis jetzt schon gesagt habe. Man bezeichnet in der okkulten Sprache 
dasjenige, worin zunachst dieses Ich wohnt, den physischen Korper, 
den es sich aufgebaut hat, um darin zu wohnen, als den Tempel. So 
daft man sagt: Die Seele wohnt in dem Tempel. 

Es ist nun keine ganz schmerzlose Prozedur, wenn die Seele zum 
ersten Male aus dem Tempel des Leibes herausgehen soil, so daft sie 
drauften sichtbar ist. Dieses Verlassen des Leibes ist nicht schmerz- 
los. Alles, was diesen hoheren Zusammenhang mit dem physischen 
Leibe bildet, das sind nicht so leicht zu losende Fesseln, was Sie sich 
ungefahr so vorstellen konnen: Nehmen Sie an, Sie sind mit einem 
Gegenstande durch Fesseln verbunden und reifien ihn los - Sie wer- 
den schmerzliche Eindriicke durch dieses Zerreiften haben. Das ist 
durchaus ein Vorgang wie ein Zerreiften, wenn der Astralleib her- 
ausgeht aus dem physischen Leib, wenn er wahrnehmbar heraus- 
geht. Das Heraustreten beim Schlaf ist etwas anderes, da nimmt der 



Mensch iiberhaupt nichts wahr. Tritt er aber bewulk heraus, dann 
werden die Schmerzen wahrnehmbar. 

Wenn der Mensch nun anfangt, astral bewufk zu werden, dann 
treten ihm die Dinge auf dem Astralplan im Spiegelbild entgegen. 
165 diirfen Sie nicht 165 lesen, sondern 561, also wie im Spiegelbild 
geschrieben. Alles erscheint im Astralplan umgekehrt. Sogar die Zeit 
ist umgekehrt. Wenn Sie einen Menschen auf dem Astralplan verfol- 
gen, so gehen Sie zunachst aus von dem Orte, wo er ist. Dann kon- 
nen Sie zuruckgehen bis zu seiner Geburt. Ruckwarts konnen Sie 
ihn verfolgen; auf dem physischen Plane - vorwarts, auf dem astra- 
len Plane - zuriick. So erscheint uns das Heraustreten aus der phy- 
sischen Korperlichkeit. Es ist, wie wenn wir den Tempel des Leibes 
verlassen wiirden und gepackt wiirden von alien Seiten. Das ist der 
Vorgang, den Johannes schildern will, der darin besteht, dafi er aus 
sich herausgetreten ist, um den Christus, sein eigenes hoheres gott- 
liches Selbst, vor sich zu erleben. Die Menschen, die um ihn herum 
sind, sind so, dafi sie streng, wie mit Fesseln, ihren Astralleib an 
ihren physischen Leib gefesselt haben. Ware Johannes so geblieb en 
wie sie, dann ware er weiterhin an den physischen Leib gefesselt. 

Nun lesen Sie, wie dieser Vorgang bildlich, symbolisch im Johan- 
nes-Evangelium Kapitel 8, Verse 58 und 59, geschildert ist: «Jesus 
sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: ehe denn Abra- 
ham ward, bin ich. - Da hoben sie Steine auf, dafi sie auf ihn wiirfen. 
Aber Jesus verbarg sich und ging zum Tempel hinaus, mitten durch 
sie hindurchstreichend», durch die Hindernisse. Damit endet das 
achte Kapitel. Das ist der Vorgang des Heraustretens des Astral- 
leibes aus dem physischen Leibe. Gewohnlich dauert solch ein 
Vorgang, ein letzter Akt, der zu diesem Heraustreten fiihrt, um den 
Menschen vollig sehend zu machen, drei Tage. Wenn diese drei Tage 
um sind, dann erlangt der Mensch ein ebensolches Bewufksein auf 
dem astralen Plan wie friiher auf dem physischen Plan. Dann ver- 
einigt er sich mit der hoheren Welt. 

Man nennt in der okkulten Sprache diese Vereinigung mit der ho- 
heren Welt die Hochzeit der Seele, die mit den Machten der hoheren 
Welt geschlossen ist. Wenn man herausgetreten ist aus dem phy- 



sischen Leib, dann steht der physische Leib einem gegeniiber wie 
dem Kinde, wenn es Bewufttsein haben konnte, bei der Geburt ge- 
geniiberstehen wiirde die Mutter, aus der es herausgeboren ist. So 
steht der physische Leib einem gegeniiber, und es kann ganz gut der 
astralische Leib zum physischen Leibe sagen: Dies ist meine Mutter. 
Wenn er seine Hochzeit gefeiert hat, dann kann er das sagen, dann 
blickt er zuriick auf die fruher vorhanden gewesene Vereinigung. 
Nach drei Tagen kann das geschehen. So ist der okkulte Vorgang fur 
den Astralplan. Kapitel 2, Vers 1, heiftt es: «Und am dritten Tage 
ward eine Hochzeit zu Kana in Galilaa; und die Mutter Jesu war 
da.» Das ist der bildliche Ausdruck fur das, was ich eben gesagt 
habe. Am dritten Tage geschah das. 

Wenn der Mensch aus dieser Welt in die astrale Welt eingetreten 
ist, befindet er sich in einem Gebiete, aus dem ihn ein weiterer Auf- 
stieg in eine noch hohere Welt, in die mentale oder devachanische 
Welt fiihrt. Dieser Eintritt in die mentale oder devachanische Welt 
muft mit einem volligen Entwerden, einer Totung der niederen 
Natur erkauft werden. Der Mensch mufi durchgehen durch den 
dreitagigen Tod und dann auferweckt werden. Ist er auf dem Astral- 
plan sehend geworden, sind ihm die Bilder auf dem Astralplan ent- 
gegengetreten, dann ist er auch reif geworden, wissend zu werden 
auf dem mentalen oder devachanischen Plan. Das ist so, daft man 
dann schildern kann seine Auferweckung auf dem devachanischen 
Plan. Das bewuftte, gedankliche Sich-Finden auf dem hoheren Plan 
fiir sein eigenes Selbst - das ist die Auferweckung des Lazarus. 

Auch diese Auferweckung des Lazarus schildert Johannes. Zuvor 
hat er gezeigt, daft man durch diesen ganzen Vorgang in die hohere 
Welt eintreten kann, daft dies die Tur ist zu den hoheren Welten. In 
Kapitel 10, Vers 9, heiftt es: «Ich bin die Tiir; so jemand durch mich 
eingeht, der wird selig werden und wird ein- und ausgehen und Weide 
finden.» Das ist die Auferweckung dessen, was in Schlaf gehiillt war 
und nun auferweckt wird auf dem Devachanplan. Johannes macht sie 
durch. Johannes ist Lazarus, und Johannes will nichts anderes sagen 
als das, was in seinen ersten zwolf Kapiteln beschrieben ist: Als astra- 
les Erlebnis hat er geschildert, daft er auferweckt war auf dem astralen 



Plan. Dann geschah die Einweihung fur den devachanischen Plan. 
Drei Tage hat er im Grabe gelegen, und dann hat er die Auferweckung 
empfangen. Die Auferweckung des Lazarus ist die eigene Auferwek- 
kung des Johannes, der das Evangelium geschrieben hat. 

Lesen Sie alles nach bis zu dem Kapitel iiber die Auferweckung 
des Lazarus, ob Johannes schon irgendwo vorkommt, ob irgendwo 
eine Andeutung von ihm zu finden ist. Sehen Sie Lazarus und Jo- 
hannes an. Von Johannes heifit es: «Es war aber einer unter seinen 
Jiingern, der zu Tische saft an der Brust Jesu, welchen Jesus lieb 
hatte.» Und gerade bei Lazarus finden Sie auch das Wort, dafi der 
Herr ihn lieb hatte. Es ist dieselbe Individualitat. Sie wird nicht 
erwahnt vor der Erweckung. Erst nachher tritt sie auf, nachdem sie 
«vom Tode auferweckt» worden ist. 

Das sind die Geheimnisse, die im Johannes-Evangelium schlum- 
mern. Der Jiinger, den der Herr lieb hatte - das ist derjenige, den er 
selbst eingeweiht hat. Der Schreiber des Johannes-Evangeliums war 
derjenige, den der Herr lieb hat. Und wodurch war er imstande, das 
zu schreiben? Er war dadurch dazu imstande, da£ er zuerst auf dem 
astralen Plan und dann auf dem Devachanplan eingeweiht worden 
ist. Wenn Sie so die Auffassung des Johannes-Evangeliums vertiefen, 
dann wird erst das Johannes-Evangelium in seiner wahren Tiefe ver- 
standen werden, dann wird es zu einer der grolken Urkunden, die 
jemals geschrieben worden sind. Es ist die Schilderung der Einwei- 
hung in die Tiefen des Seelenlebens. Geschrieben ist es darum, damit 
jeder das, was darin steht, nachleben kann. Und das kann man. Satz 
fur Satz, Wort fur Wort kann der Mensch in sich selbst bei seiner 
Erhebung auf den hoheren Plan das finden, was im Johannes-Evan- 
gelium geschildert ist. Nicht eine Biographie des Christus Jesus ist 
es, sondern eine Biographie der sich entwickelnden Menschenseele. 
Und was geschildert ist, das ist ewig, und immer kann es sich in der 
Brust eines jeden Menschen ereignen. Ein Muster und Vorbild ist 
diese Schrift. Deshalb hat sie auch jene lebendige und erweckende 
Kraft, die den Menschen nicht nur zum Christen macht, sondern ihn 
die Auferweckung zu einer hoheren Wirklichkeit nachvollziehen 
lafit. Nicht eine Bekenntnisschrift ist das Johannes-Evangelium, 



sondern eine Schrift, welche Kraft und selbstandiges hoheres Leben 
wirklich gibt. Das sprieftt aus diesem Johannes-Evangelium, und 
wer es so aufnimmt, daft er es nicht bloft verstehen will, sondern es 
leben will, der hat dieses Johannes-Evangelium in der richtigen 
Weise verstanden. 

Nur mit wenigen Worten konnte ich auf das hindeuten, was darin 
enthalten ist. Das nachste Mai wollen wir auf Einzelheiten eingehen. 
Sie werden dann sehen, wie jeder einzelne Satz Ihnen eine Bestati- 
gung sein kann fur das, was wir heute in allgemeinen Umrissen iiber 
das Johannes-Evangelium gesagt haben. Sie werden dann nach und 
nach sehen, inwiefern sich dieses Johannes-Evangelium nicht bloft 
an den Intellekt des Menschen richtet, sondern an seine samtlichen 
Seelenkrafte, und wie aus dem Johannes-Evangelium tatsachlich 
Seeleninhalte hervorsprieften. 



DAS JOHANNES-EVANGELIUM 
Zweiter Vortrag, Berlin, 26. Februar 1906 

Das letzte Mai habe ich iiber die ersten zwolf Kapitel des Johannes- 
Evangeliums gesprochen. Wir haben gesehen, daft das Lazaruswun- 
der die Einweihung eines Menschen in die geistige Welt darstellt. 
Das Johannes-Evangelium ist so aufzufassen, daft jeder Satz in die 
hohere Welt weist, Wenn wir es in uns lebendig machen, lernen wir 
die christliche Einweihung kennen. Wer andere Formen der Schii- 
lerschaft kennt, wer weift, daft es auch solche andere Einweihungs- 
wege gibt, der weift auch, daft derjenige, der heute die Schulerschaft 
anstrebt, durch andere Methoden heraufgeleitet wird, wie sie ja auch 
den meisten von Ihnen bekannt sind. Diejenigen, die schon dem 
geistigen Leben nahergetreten sind, wissen, daft es noch eine eso- 
terische Seite unserer geisteswissenschaftlichen Bestrebungen gibt. 

Die christliche Einweihung besitzt Ahnlichkeit mit anderen Ein- 
weihungswegen, aber heute kann man diesen Weg nicht nachvollzie- 
hen. Wer ihn beschreiten will, muft dies an der Hand eines kundigen 



Lehrers tun, aber angesichts unserer heutigen normalen Lebens- 
bedingungen fragt es sich, ob dieser Weg iiberhaupt noch moglich 
ist. Lassen Sie uns das Lazaruswunder noch einmal ins Gedachtnis 
rufen, und zwar nur in bezug auf die christliche Einweihung. 

Gehen wir vom gewohnlichen Schlafzustand aus. Was geschieht 
mit dem Menschen, der schlaft? - Wir haben es beim Menschen zu 
tun mit dem physischen Leib, dem Atherleib, dem Astralleib und 
dem Ich. Was geschieht nun im okkulten Sinne mit dem Menschen 
im Schlaf ? - Da bleibt im Bette der physische und der Atherleib, und 
der Astralleib hebt sich mit dem Ich heraus und schwebt beim 
unvollkommenen Menschen in der Form eines Ringes, spater in der 
Form des physischen Leibes iiber diesen. Der Astralleib ist nicht 
untatig, er hat etwas zu tun. Wenn der Mensch wach ist, durchwebt 
das Astralische den physischen Korper. Wenn es herausgetreten ist, 
dann arbeitet es am physischen Leibe, es hegt und pflegt ihn. Der 
Astralleib verhalt sich zum physischen Leib so wie der Arbeiter zur 
Maschine, aber mit dem Unterschiede, daft der Arbeiter hier in der 
Maschine darin ist, er durchseelt die verschiedenen Teile, die er in 
Bewegung bringt. Aber dieses Gleichnis vom Arbeiter an der Ma- 
schine trifft besser zu, wenn der Mensch im Schlafe liegt: Es wirkt 
der Astralleib von aufien. Und was tut er? Er gleicht durch seine 
Arbeit am physischen Leibe die Schaden aus, welche dieser wahrend 
des Tages erleidet. Man ersieht daraus, welchen Nachteilen Men- 
schen ausgesetzt sind, die einen schlechten Schlaf haben. Auf den 
Astralleib selbst haben Wesenheiten Einflufi, die dem dritten Ele- 
mentarreich angehoren. Wesenheiten aus dem zweiten Elementar- 
reich machen sich iiber den Atherleib des Menschen her, und solche, 
die dem ersten Elementarreich angehoren, verschaffen sich Zugang 
zum physischen Leib, um ihn zu zerstoren. Nur wenn der Astralleib 
wahrend des Schlafes am physischen Korper arbeitet, werden die 
Zerstorungsvorgange ausgeglichen. 

Die bloEe physische Erkenntnis ist hier ohne Einflufi. Wenn der 
Mensch aber anfangt, an sich geistig zu arbeiten, dann mufi er auch 
fur die Tatigkeit des Astralen am Physischen die notigen Vorbedin- 
gungen schaffen. Die Meditation wirkt sich auf die Arbeit des astra- 



lischen Leibes am physischen und Atherleib in der Nacht aus. Es 
durfen nur gute Wesen Zugang zum Menschen finden. Wer die Ein- 
weihung sucht, mufi sich die grofttmogliche Ruhe verschaffen. Dazu 
gehort, daft er alle Aufregungsmittel, namentlich Alkohol meidet. 
Zu den Voraussetzungen eines jeden hoheren Strebens zahlt die 
Gedankenkontrolle, ein sittlich einwandfreies Leben und eben das 
Bestreben, sich nicht jeder Gemiitsbewegung, weder dem Schmerz 
noch der Freude, hinzugeben, sondern ein seelisches Gleichgewicht 
zu bewahren. Damit wird auch die Moglichkeit herbeigefuhrt, daft 
gute Wesen tatig sind, wenn der Astralleib wahrend des Schlafes am 
physischen und Atherleib arbeitet. 

Bei der Einweihung, wie sie im Johannes-Evangelium beschrie- 
ben ist, geht der Astralleib zusammen mit dem Atherleib aus dem 
physischen Leib heraus. Dieser bleibt dann wie im Tode zuriick. Das 
liegt zugrunde, wenn geschildert wird, daft Lazarus drei Tage im 
Grabe lag. Das Lazaruswunder ist also das Bild einer Einweihung. 
Es handelt sich darum, den Astral- und Atherleib wieder in den 
physischen Leib zuriickzufuhren. Das vollbringt der Meister. Der 
Mensch ist jetzt ein Auferweckter, der sich an die Erlebnisse in den 
hoheren Welten erinnern kann. Das ist bei jedem Menschen mog- 
lich. Was aber in alten Zeiten eine Prozedur von dreieinhalb Tagen 
war, vollzieht sich heme auf andere Weise. Das Ergebnis ist das 
gleiche, doch wird es mit anderen Methoden erreicht. 

Der Schiiler des christlichen Einweihungsweges hatte sieben Prii- 
fungen durchzumachen. Das waren nicht nur physische, sondern 
geistige Erlebnisse. Wer sie durchgemacht hatte, wuftte, daft aufter- 
halb des Leibes reale Erfahrungen moglich sind. Auf der ersten Stufe 
erfahrt der Schiiler, wie der Mensch das geworden ist, was er heute 
ist. Das wurde durch das folgende Gleichnis bewirkt: Die Pflanze 
muft einen mineralischen Boden haben. Das Mineralische steht zwar 
tiefer als die Pflanze, aber die Pflanze muft sich niedersenken und 
sagen: Dir, Stein, der du zwar niedriger bist als ich, verdanke ich 
mein Dasein, mein Leben. — Hoher als die Pflanze steht das Tier. Es 
atmet Sauerstoff ein und Kohlenstoff aus, sonst kann es nicht leben. 
Die Pflanze atmet den Sauerstoff aus. Das Tier muft zur Pflanze sa- 



gen: Zu dir, Pflanze, neige ich mich in Demut, denn ohne dich konn- 
te ich nicht sein. - Und so verhalt sich der hoher stehende Mensch 
zum niedriger stehenden. Auch er mufi zu diesem sagen: Ohne daft 
du da bist, bin ich nicht. - Mit diesem Gefiihl mufi man sich ganz 
durchdringen und sich in Demut neigen. Aus seinem tiefsten Er- 
leben heraus mufi der Mensch sich beugen konnen vor denen, die 
niedriger sind als er. Das ist die Fufiwaschung, die erste Stufe der 
christlichen Einweihung: Christus neigt sich vor den Jiingern und 
wascht ihnen die Fiifie. Was hier durchlebt wird, stellt ein Symbol 
der hoheren Welt dar. Wer geistig in dieser hoheren Welt leben kann, 
wer das geschilderte Gefiihl ausgebildet hat wie Lazarus, der erlebt 
die Fufiwaschung in der hoheren Welt. Wer die Erniedrigung in der 
physischen Welt erlebt, der erlebt in einer hoheren Welt die Fufiwa- 
schung. Dieses Erlebnis zeigt ihm an, daft er die erste Stufe auf dem 
Wege zur Einweihung erreicht hat. Auch im Korperlichen driickt 
sich das aus: er hat ein Gefiihl, als wenn ihm alle Muskeln neu ge- 
starkt wiirden. Stahlen der Muskeln nach dem Gefiihl der Erniedri- 
gung, das entspricht der ersten Stufe. 

Die zweite Stufe der christlichen Einweihung sind Geifielung und 
Backenstreiche. Der Mensch mufi lernen, das, was ihm friiher weh 
getan hat, ruhig zu ertragen, die Schmerzen der Welt auf sich zu 
nehmen. Das driickt sich ebenfalls in der hoheren Welt aus: diese 
Seelenstarke symbolisiert sich als Geifielung und wie wirkliche 
Schlage. Dann fiihlt der Schiiler eines Tages eine Art Stechen am 
ganzen Leibe, ein Zeichen, daft er bestanden hat. Das ist ein reales 
Erlebnis, das der Mensch durchmacht, der aus eigener Erfahrung 
den Weg geht. Die hohen Mystiker haben das erfahren. Ein solcher 
Mensch hat also die zweite Stufe erreicht. 

Die dritte Stufe ist die Dornenkronung. Sie ist damit verbunden, 
daft man nicht nur Schmerzen, sondern sogar Verachtung von seinen 
Mitmenschen ertragt. Man mufi Festigkeit erringen, um die Aus- 
loschung zu ertragen, wenn niemand mehr da ist, der einem Mut 
und Starke geben kann, als man selbst, wenn einem gar kein Wert 
mehr beigemessen wird und man doch innerlich aufrecht bleibt. So 
mufi das erlebt werden. Das lebt sich aus in der geistigen Welt wie 



die Dornenkronung: der Mensch sieht sich selbst mit der Dornen- 
krone. Am physischen Leib werden Schmerzen am Kopf empfun- 
den. Das Gehirn macht Veranderungen durch, ein Vorgang, der auch 
spater wahrend des Wachzustandes bemerkbar wird. 

Der vierte Grad ist die Kreuzigung. Das wird dadurch erlebt, dafi 
der Mensch lernt, seinen eigenen Leib wie einen fremden Gegen- 
stand zu empfinden, etwa wie ein Stuck Holz. Er verbindet sein Ich 
nicht mehr mit seinem Leibe. In der geistigen Welt sieht er sich mit 
dem Kreuz auf dem Riicken. Damit ist die vierte Stufe erreicht. 
Physisch driickt sich dies als Stigmatisierung aus: die Wundmale tre- 
ten auf. Bei gewissen Heiligen ist das keine Sage, sondern es bezeich- 
net, dafi sie diese vierte Stufe erreicht haben. Solche Heiligen sind 
Kreuztrager. 

Ist der Mensch so weit gediehen, so gelangt er zur fiinften Stufe. 
Das ist der mystische Tod. Dem Schiiler scheint die ganze Welt wie 
mit einem Schleier verdeckt zu sein. Alles um ihn her hat seinen alten 
Wert verloren. Wahrend er sich so in der Finsternis fiihlt, zerreifit 
plotzlich der Vorhang, und der Mensch beginnt, die geistigen Urziele 
zu schauen. Er blickt in eine ganz neue Welt hinein. Zugleich lernt er 
erkennen, was auf dem Grunde der menschlichen Seele liegt. Er wird 
ein Zweiter neben sich und sieht auf sein niederes Ich herab, das er 
getrennt von sich erschaut. Sein Leib ist die Mutter, die er unter sich 
stehen sieht, und das verwandelte niedere Ich ist der Jiinger, der Zeug- 
nis davon ablegt, dafi der Christus lebt. Nun kann das hohere Ich zu 
dem niederen Ich sagen: «Siehe, das ist deine Mutter! » 

Wenn der Mensch diese fiinfte Station durchgemacht hat, kann er 
zur sechsten, der Grablegung und Auferstehung, fortschreiten. Al- 
les, was zum Planeten gehort, wird zum Leib des christlichen Mysti- 
kers. Er fiihlt auf dieser Stufe, als ob die ganze Erde zu ihm gehort. 
Der Mensch hat aufgehort, ein Sonderwesen zu sein, er ist eins mit 
dem ganzen Erdenleben. Mit ihm ist er innerlich durch die Grab- 
legung verbunden. Das Grab wird zur Quelle seiner Erfahrung: 
Mensch und Tier, Pflanze und Stein um ihn umher werden durch- 
sichtig. Er hat sein Sondersein verloren, aber er hat das Leben der 
ganzen Erde, ihr hoheres Leben, in sich aufgenommen. 



Die siebente Stufe wird die Himmelfahrt genannt. Sie bedeutet 
die vollige Aufnahme in die geistige Welt. 

Das Johannes-Evangelium ist eine Schilderung dieses christlichen 
Einweihungsweges. Wer es als einen aufieren Bericht nimmt, ver- 
steht es nicht. Es ist erst zu verstehen, wenn der Mensch es innerlich 
durchlebt. In diesem Sinne sagt Angelus Silesius: 

Wenn du dich iiber dich erhebst und lafit Gott walten 
So wird in deinem Geist die Himmelfahrt gehalten. 

Wie kein Wesen das auEere Sonnenlicht sehen kann, wenn ihm 
nicht die Augen aufgeschlossen sind, so kann niemand das Geheim- 
nis von Golgatha verstehen, wenn er es nicht innerlich erlebt. Erst 
wenn der Mensch zu einem solchen inneren Erleben gelangt, wird 
er einsehen, warum die Zeitrechnung in zwei Teile, vor und nach 
Christus, zerfallt. 

Das Christentum erlangt erst seine wahre Bedeutung, wenn es als 
innerer Weg durchgemacht wird. Das Johannes-Evangelium ist eine 
Schrift, die Satz fur Satz erlebt werden kann. Und wer es erlebt hat, 
weifi, dafi auftere Kritik gar keine Bedeutung hat. In dem Augen- 
blick verschwindet jede Kritik, jeder Zweifel schwindet, wenn der 
Mensch weifi: du sollst das, was geschrieben steht, durch und durch 
erleben. Jede Zeile kann innerlich durchlebt werden. Der christliche 
Geist ist ein solcher, der in den Tiefen erlebt werden mufi. Der, 
welcher selbst gesehen hat, wie die Dinge sich zugetragen haben, 
weifi es, da$ er die Wahrheit spricht, und sagt es aus. Er ist ja der 
auferweckte Lazarus. 



DAS JOHANNES-EVANGELIUM 
Dritter Vortrag, Berlin, 5. Marz 1906 

Die Betrachtungen, die wir einzeln iiber das Johannes-Evangelium 
anstellten, haben uns tief, sehr tief in das Wesen der christlichen 
Weltanschauung hineingefuhrt und uns auch gelehrt, welche tiefe 
mystische Kraft in der wirklichen Durchdringung der christlichen 
Urkunde liegt. Wir haben gesehen, daft das Johannes-Evangelium 
nicht bloft so gelesen werden soil wie eine auftere Geschichte, wie 
eine Nachricht oder eine Mitteilung, sondern daft es gelesen werden 
soil wie eine Lebensschrift, so daft jeder Satz, wenn wir ihn lebendig 
aufnehmen, in uns etwas verwandelt. 

Wir haben die sieben Stufen des geistigen Aufstiegs in diesem 
Johannes-Leben betrachtet. Heute moge ein kleiner Nachtrag uns 
zeigen, wie tief solche Dinge doch zu nehmen sind. Ich mochte 
Ihnen an einzelnen Beispielen zeigen, daft es wirklich nicht etwas 
Untergelegtes ist, was ich als einen so tiefen Sinn versuchte heraus- 
zuschalen aus dem Johannes-Evangelium, sondern daft wir mit den 
Mitteln der sogenannten Geheimlehre, mit den Mitteln des Okkul- 
tismus erst manche Dinge, die sonst dunkel und unverstandlich er- 
scheinen miissen, verstehen lernen. Ich darf Sie zunachst einmal an 
etwas erinnern, was ich schon ofter vorgebracht habe, namlich 
daran, welches die sieben Einweihungsstufen waren gerade in der- 
jenigen Zeit, in welche die Geburt des Christentums hineinfieL 

Wir haben die christliche Einweihung letztes Mai kennengelernt. 
Aber nicht nur ist durch das Christentum eine innere Einweihung 
moglich geworden, sondern es gab zu alien Zeiten, seitdem es Men- 
schen in unserem Sinne auf der Erde gibt, die Moglichkeit, ein Ein- 
geweihter zu werden, hohere Stufen des menschlichen Daseins zu 
erklimmen. Durch das Christentum sind alle diese Dinge noch mehr 
verinnerlicht worden. Der Mensch kann viel, sehr viel erreichen, 
seitdem das Christentum uns Urkunden gegeben hat, wie das Johan- 
nes-Evangelium eine ist, die er nur in sich wirken zu lassen braucht, 
in sich lebendig werden zu lassen braucht, um hinaufzusteigen zu 
gewissen Hohen. Solche Urkunden aber, wie sie das Christentum 



den Menschen in die Hand gegeben hat, gab es eigentlich vor der 
Entstehung des Christentums nicht. Da muftte man in geheime 
Einweihungstempel oder Kultstatten eingefiihrt werden, und nach 
den verschiedensten Volkern waren die untersten Stufen der Ein- 
weihung verschieden. Sie konnen sich aber denken, dafi man dann 
iiber alle nationalen Eigentiimlichkeiten hinauskommt. Die hoheren 
Stufen waren deshalb bei alien Volkern, auch des Altertums, gleich. 

Ich mochte die sieben Einweihungsstuf en noch einmal nennen, wie 
sie in der persischen Mithras-Einweihung vorhanden waren. Das war 
eine Einweihungsart, die in ganz Vorderasien, auch iiber Griechen- 
land und Rom hinaus, sogar bis in die Gegend des Donaugebietes, ge- 
pflegt worden ist. Sie wurde noch lange iiber die Zeit hinaus ausgeiibt, 
in der das Christentum entstanden ist. Lange konnte man diese sieben 
Stufen durchmachen, auch in den Geheimkulten und Tempeln Agyp- 
tens, die oft in Felsen hineingebaut waren. Sie waren niemandem zu- 
ganglich als denjenigen, die als gelauterte Schiiler und Eingeweihte 
nach strenger Priifung damit bekannt geworden waren. Zuerst gab es 
den Grad des «Raben». Als Rabe trug der Einweihungsschuler dieje- 
nigen Kenntnisse, die in der sinnlichen Aufienwelt gewonnen werden 
konnen, in das geistige Leben hinein. In den Mythen und Sagen hat 
sich der Begriff des Raben erhalten. Da gibt es die Raben des Wotan, 
die Raben des Elias, und auch in der deutschen Barbarossa-Sage sind 
die Raben die Vermittler zwischen dem im Berge verzauberten Kaiser 
und der Aufienwelt. In den Mithras-Mysterien war also die Bezeich- 
nung Rabe die Umschreibung fur einen Einweihungsgrad. 

Der zweite Grad war der des «Okkulten». So hiefien diejenigen, 
welche schon einige wichtige, wesentliche okkulte Geheimnisse aus- 
geliefert erhielten. 

Der dritte Grad war der des «Streiters». Das waren Eingeweihte, 
in denen das hohere Selbst schon bis zu einem solchen Grade erfiihlt 
wird, daft ihnen Spriiche von der Art, wie Sie sie in der zweiten 
Abteilung von «Licht auf den Weg» finden konnen - «Tritt zur Seite 
im kommenden Kampfe, und so du auch streitest, sei du nicht der 
Streiter» -, verstandlich werden. Diese Spriiche verstehen kann erst 
ein im dritten Grade Eingeweihter. Damit soli nicht gesagt werden, 



dafi sich nicht jedermann ein gewisses Verstandnis aneignen kann. 
Jeder hat ein hoheres Selbst, und wenn der Mensch imstande ist, sein 
niederes Selbst zu verleugnen und das, was er als niederes Selbst ist, 
in den Dienst des hoheren Selbst zu stellen, so kann er in gewisser 
Weise sagen: So du auch streitest, bist du nicht der Streiter. - Aber 
erst dann, wenn der Mensch einen bestimmten Entwickelungsgrad 
erlangt hat, weifi er genau, was dieser Satz bedeutet. Dann fallen 
sogar Interessen ab, die man sonst als hohere Interessen bezeichnet. 
Sie werden blofie niedere Interessen und blofie Diener des Streiters. 

Der vierte Grad ist dann erreicht, wenn vollige innere Harmonie 
und Ruhe, Ausgeglichenheit und Kraft erlangt ist. Man nennt diese 
Stufe der Einweihung den Grad des «L6wen». Ein solcher Ein- 
geweihter hat das okkulte Leben soweit in sich verwirklicht, dafi 
er nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten fur das Okkulte 
eintreten darf. 

Indessen geht das Bewufitsein eines Menschen, der durch diese 
vier Stufen hindurchschreitet, immer weiter und weiter. Es identi- 
fiziert sich mit immer grofieren und grofieren Menschengruppen. Es 
haben alle diese Ausdriicke noch eine geheime Bedeutung. Nehmen 
Sie den Ausdruck «der Okkulte». Der Mensch, wie er gewohnlich 
vor uns steht, um was handelt es sich bei ihm? Es handelt sich bei 
ihm um das, was in ihm ist. Als Rabe, als ein im ersten Grade Ein- 
geweihter, sucht er zu iiberwinden, was nur in ihm ist; dann werden 
seine Interessen weiter. Was die Menschen seiner nachsten Umge- 
bung sind, was diese empfinden, was sie wollen, das wird zu gleicher 
Zeit seine Empfindung und sein Wille. Die Ausdriicke sind gepragt 
worden in Zeiten, in denen es noch menschliche Gemeinschaften 
gab, die man als Sippen, als erweiterte Familien betrachtete. Was 
sagte man sich zum Beispiel von einer Sippe, von einer gemeinsamen 
Familie? Man sagte sich, das sind die Glieder einer Seelenfamilie bis 
zu einem gemeinschaftlichen Vorfahrenpaar hinauf. So betrachtete 
man eine solche Sippe als die Glieder eines verborgenen Ichs, als die 
Glieder einer Seelenfamilie. 

Jeder, der im zweiten Grade eingeweiht war, der Okkulte, hatte 
sein Ich veredelt bis zu dem Ich seiner Gemeinschaft, so dafi er de- 



ren Interessen zu den seinigen machte. Das Okkulte einer Men- 
schengemeinschaft vermochte in ihm zu leben. So wurde eine solche 
Menschengemeinschaft, deren Ich der einzelne Eingeweihte zu sei- 
nem Ich machte, die Wohnstatte fur ihn. Der Streiter kampfte fur die 
groftere Gemeinschaft. Im alten Palastina bezeichnete man denjeni- 
gen, der sich aufgeschwungen hatte, einen ganzen Stamm, das Be- 
wufttsein eines ganzen Stammes, das Ich eines ganzen Stammes in 
sich aufzunehmen, als einen «L6wen». Der Lowe aus dem Stamme 
Juda, das ist ein Ausdruck fiir denjenigen, der auf einer solchen 
Einweihungsstufe angekommen war, daft er das Ich des ganzen 
Stammes aufgenommen hat. 

Der Eingeweihte des fiinften Grades hatte seine Personlichkeit 
soweit iiberwunden, daft er die Volksseele in sich aufnehmen konn- 
te. In ihm lebte der Volksgeist. In Persien nannte man einen solchen 
Eingeweihten «Perser», in Griechenland wiirde man einen solchen 
Eingeweihten emen «Griechen» genannt haben, wenn es Gebrauch 
gewesen ware. Was bedeutet also dieser Grad? Alles Einzelne ist fiir 
ihn geschwunden, und sein Bewufttsein ist identisch geworden mit 
dem Ganzen. Das ist ein hoheres Bewufttsein. 

Heute ist es nicht so. Wir gehen heute durch die Zerkliiftung aller 
Gemeinschaften ganz anderen Stufen der Einweihung entgegen. 
Aber es hatte noch Bedeutung, als das Christentum entstand, wo 
von Seelen, im fiinften Grade eingeweiht, die Rede ist. Davon 
konnen Sie sich im Johannes-Evangelium iiberzeugen. Ich bitte Sie, 
im Johannes-Evangelium zu lesen Kapitel 1, Vers 45: 

«Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den 
gefunden, von welchem Moses im Gesetz und die Propheten ge- 
schrieben haben, Jesum, Josephs Sohn von Nazareth. Und Nathana- 
el sprach zu ihm: Was kann von Nazareth Gutes kommen? Philip- 
pus spricht zu ihm: Komm und siehe es! Jesus sah Nathanael zu sich 
kommen und spricht zu ihm: Siehe, ein rechter Israeliter, in welchem 
kein Falsch ist.» 

Nathanael ist hier als ein Eingeweihter im fiinften Grad bezeich- 
net. Er hat also kennengelernt dasjenige, was fiir uns Menschen die 
Kraft des Lebens ausmacht, den Baum des Lebens. Friiher schon 



geniefk man die Frucht von dem Baume der Erkenntnis. Die Frucht 
vom Baume der Erkenntnis geniefit man, wenn man iiberhaupt zu 
sich «Ich» zu sagen vermag. Wenn aber das Hohere, das Geistige im 
Menschen erwacht, dann kann es dazu kommen, daft der Gott den 
Menschen behiiten will. Sorge des Jehova war, dafi die Menschen, 
nachdem sie von dem Baum der Erkenntnis genossen, nicht auch 
noch von dem Baume des Lebens geniefien, wozu sie noch nicht reif 
sind. Der im fiinften Grade Eingeweihte lernt aber das, was die Sor- 
ge gering macht und was iiber alien Tod und iiber alle Verganglich- 
keit erhebt: das ist das geistige Element. 

Wie kann dieses geistige Element sich im Menschen festsetzen? 
Dieses geistige Element ist fur jeden, der tiefer in die Theosophie 
eindringt, etwas, was die ganze Welt durchflutet. Fur denjenigen, 
der in den hoheren Welten zu schauen vermag, driickt sich alles das- 
jenige, was zunachst ein innerer Entwickelungszustand ist, auch auf 
den hoheren Planen, zuerst auf dem astralen Plan, als ein Bild aus. 
Wenn nun der Mensch den fiinften Grad der Einweihung erlangt 
hat, dann sieht er immer ein Bild auf dem astralen Plan, das er friiher 
nicht gesehen hat, namlich das Bild eines Baumes, das Bild eines sich 
verastelnden weifien Baumes. Man nennt dieses Bild auf dem astra- 
len Plan, das Sie als ein Sinnbild fur die Einweihungsstufe des fiinf- 
ten Grades der Einweihung nehmen wollen, den Lebensbaum. Von 
dem, der es erreicht hat, wird gesagt, dafi er unter dem Lebensbaume 
safi. So saft auch der Buddha unter dem Bodhibaum und Nathanael 
unter dem Feigenbaum. Das sind Ausdriicke fur die Bilder auf dem 
astralen Plan. Das, was da gesehen werden kann, sind Spiegelungen 
fur innere, jetzt auch korperlich innere Dinge. Dieser Bodhibaum ist 
nichts anderes als das astrale Spiegelbild des menschlichen Nerven- 
systems. Der Mensch, der den Blick nach innen zu richten vermag 
durch die Einweihung, der sieht in die astrale Aufienwelt sein In- 
nenleben bis auf das Korperliche hineingespiegelt. Sie sehen, was 
hier gesagt werden soil, in diesem Kapitel des Johannes-Evange- 
liums: Nathanael soil angeredet werden als ein Sachverstandiger. Es 
soil darauf hingewiesen werden: wir verstehen uns. «Jesus spricht zu 
ihm: Ehe denn dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaum 



warst, sah ich dich.» Das heilk: Wir sind B ruder des fiinften Einwei- 
hungsgrades. Es ist eine Erkennungsszene der Eingeweihten. 
«Nathanael spricht zu ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der 
Konig von Israel.» Sie sehen, die Erkennung ist vollzogen. Jesus 
antwortet ihm gleich darauf, daf? er sich erweisen werde nicht nur im 
funften Grade eingeweiht, sondern noch als ein anderer. Er sagt: 
«Du glaubest, weil ich dir gesagt habe, daft ich dich gesehen habe 
unter dem Feigenbaum; du wirst noch Grofieres denn das sehen! » 

Weiter mochte ich Sie hinlenken auf das Gesprach mit Niko- 
demus, welches Sie finden konnen im dritten Kapitel. Da wird das 
bedeutsame Wort gesprochen: «Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: es 
sei denn, daft jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er 
nicht in das Reich Gottes kommen.» Was heifit das: von neuem gebo- 
ren werden und das Reich Gottes sehen? - Das heilk, sein hoheres 
Selbst auferweckt haben, das heilk, so geboren werden, daft der ewige 
Wesenskern erwacht ist. Was heiftt eintreten in das Himmelreich? 
Das heiftt, nicht nur die Spiegelung des Devachan hier sehen, wie es 
sich durch die physischen Augen darstellt, sondern unmittelbar die- 
ses Reich sehen. Das kann nur derjenige, der nicht bloft fur diese phy- 
sische Welt geboren ist, sondern der zum zweiten Male geboren wird. 

Nehmen Sie das, was ich schon einmal als Vergleich gebraucht 
habe, das aber mehr ist als ein Vergleich. Nehmen Sie es in gewissem 
Grade wortlich. Geboren werden heiftt: ubergehen von dem Em- 
bryonalzustand zu dem Zustande, in dem man mit Sinnen die Auften- 
welt wahrnimmt. Derjenige, welcher nicht den Embryonalzustand 
durchmachen wurde, konnte niemals reif sein, geboren zu werden. 
Wer diesen Zustand kennt, der weift auch, daft das gewohnliche Le- 
ben ein Embryonalzustand fur das hohere Leben ist. Das fiihrt uns 
tief hinein in die Bedeutung des gewohnlichen Lebens. Sehr leicht 
konnten diejenigen, welche den Blick richten auf die geistige Welt, die 
Uberzeugung gewinnen, daft es eine solche geistige Welt gibt, und 
dafi der Mensch ein Burger dieser geistigen Welt ist; sie konnten diese 
physische Welt miftachten und glauben, der Mensch konnte nicht 
schnell genug diese Welt verlassen, sich abtoten, um bald in die geisti- 
ge Welt zu kommen. Das ist nicht die richtige Erkenntnis. Das ist ge- 



radeso unsinnig, wie wenn man den menschlichen Keim nicht ausrei- 
fen lassen wollte, sondern ihn mit zwei Monaten holen wollte, damit 
er hier leben konne. Genau ebenso muft man fiir das hohere Leben 
reifen, reif werden. Das ist derjenige, der sein hoheres Selbst ausgebil- 
det hat. Hier in dieser physischen Welt ist die Ausbildungsstatte. Der, 
welcher das Ich hier ausgebildet hat, ist reif, einzutreten in die Reiche 
der Himmel, das heiftt, wiedergeboren zu werden, Der Mensch mufi 
durch Geburt und Tod immer wieder hindurchgehen, bis er sein voi- 
les Maft der Reif e erlangt hat, um dann Eintritt zu erhalten in das gei- 
stige Reich selbst, so daft er dann keine physischen Organe mehr 
braucht. Daher miissen wir es einsehen, daft alles das, was unsere 
Augen und Ohrenund die anderen Sinne hier leisten, Leistungen sind 
fiir das hohere Leben. 

Gewift, wir haben oft und oft davon gesprochen, daft der Mensch 
hohere Sinne heranbilden mufi, daft er die Chakrams oder heiligen 
Rader ausbilden mull, die ihn befahigen, in die geistige "Welt zu kom- 
men und sie zu sehen. Aber wodurch erlangt er diese heiligen Ra- 
der? Durch seine Arbeit hier auf dem physischen Plan. Hier ist die 
Zubereitungsstatte daftir. Was wir hier arbeiten, das bereitet uns die 
Organe fiir eine hohere Welt vor. So wie im Leibe der Mutter vorbe- 
reitet wird der Mensch, so wird im Leibe der groften Weltenmutter 
- und da sind wir, wenn wir unser physisches Leben fiihren -, im 
Leibe der groften Mutter vorbereitet dasjenige, was uns fahig ma- 
chen mull, zu schauen und zu handeln in den hoheren Welten. Es ist 
daher vollstandig berechtigt, von einer hoheren Welt zu sprechen 
und sie hoher zu schatzen als unsere niedere Welt. Aber wir diirfen 
diesen Ausdruck nur in technischem Sinne nehmen. Alle Welten 
sind im Grunde genommen gleichberechtigte Ausgestaltungen des 
hochsten Prinzipes. Keine Welt diirfen wir so ansehen, daft wir sie 
verachten. So kommen wir dazu, daft wir uns richtig zu den nie- 
deren und richtig zu den hoheren Welten verhalten. Das bildet die 
Voraussetzung fiir das dritte Kapitel des Johannes-Evangeliums. 

Wir miissen uns klar sein dariiber, daft Jesus zu Nikodemus von 
einer richtigen Wiedergeburt spricht, und daft er ihn vor alien 
Dingen mahnen will, daft das gewohnliche Leben unter diesem 



Gesichtspunkte als ein hoheres Leben geboren werden soli und so 
betrachtet werden muE. Wer intimer liest und genauer betrachtet 
dieses Kapitel, der wird sehen, dafi es sich urn eben dies handelt. 

Am meisten haben gewisse Kreise einzuwenden gegen die Theo- 
sophie, weil sie die Wiederverkorperung lehrt, das allmahliche Her- 
anreifen des Menschen zu der Wiedergeburt durch die wiederholten 
Erdenleben hindurch. Es wird gesagt, dafi das Christentum nichts 
wisse von dieser Lehre der Wiedergeburt. Zunachst gibt es gerade 
im Johannes-Evangelium ein deutliches Zeichen dafiir, dafi Jesus, 
wenn er mit seinen Jungern intim sprach, die Wiederverkorperung 
lehrte. Man kann namlich mit dem neunten Kapitel - Heilung eines 
Blindgeborenen am Sabbath - nur dann einen Sinn verbinden, wenn 
man die Lehre von der Wiederverkorperung zugrunde legt. Man 
mufi bedenken, dafi er in der Sprache, die damals iiblich war, sprach. 
Es war dazumal in Griechenland nicht iiblich, anders zu sprechen als 
von der Kraft, die den Menschen im Innersten durchsetzt und im 
Innersten vorwartsbringt. Die menschenbildende und menschen- 
entwickelnde Kraft: das war fur die Griechen der Gott, und auch bei 
alien Volkern der damaligen Zeit. Einen blofi auiKeren Gott, einen 
Gott im Jenseits, kannten solche Zeiten noch gar nicht. Deshalb 
bezeichnete man vor alien Dingen das, was im Menschen lebt, als 
den Gott im Menschen. Wenn man also von dem Gotte Abrahams, 
Isaaks und Jakobs spricht, dann ist das hohere Selbst gemeint. Sie 
verstehen das Alte Testament nur, wenn Sie wissen, daft der Gott so 
aufzufassen ist. Auch Jesus spricht, wenn er zu seinen Jungern intim 
spricht, von dem im Menschen lebenden Gott: «Seine Jiinger fragten 
ihn und sprachen: Meister, wer hat gesiindigt, dieser oder seine 
Eltern, dafi er blind geboren ist? - Jesus antwortete: Es hat weder 
dieser gesiindigt noch seine Eltern, sondern da£ die Werke Gottes 
offenbar wiirden an ihm.» 

Diese drei Satze sprechen klar genug. Es hat weder er gesiindigt, 
also der physische Teil nicht, und auch seine Eltern nicht; daher gilt 
auch nicht das jiidische Gesetz, daft Gott die Siinden der Vater bis 
zum soundsovielten Gliede heimsucht. Aber die Werke des Gottes im 
Menschen sollen sichtbar werden, das heiftt des Selbstes im Men- 



schen, das durch alle Verkorperungen hindurchgeht. Es sind so klar 
wie nur moglich die Worte, die Jesus in dieser Weise zu seinen Jiin- 
gern gesprochen hat. Sie kennen ja die orthodoxe Auslegung. Denken 
Sie nur einmal, wenn jemand voraussetzen wollte, was hier gesagt 
werden sollte: Gottes Herrlichkeit solle an einem Blinden offenbar 
werden. - Das setzt voraus, daft man veranstaltet hatte, daft einer 
blind geworden ware, damit Jesus ihn kurieren kann, damit Gottes 
Herrlichkeit offenbar werden kann. 1st das mit einem vertieften 
Christentum vertraglich? Nein. Denn das wiirde das Christentum im 
moralischen Sinne herabwiirdigen. Theosophisch interpretiert, hat 
dieses Bild einen grofien, einen schonen und herrlichen Sinn. 

So war es immer, wenn Jesus mit den Jungern intim sprach. Daft 
das so war, das enthiillt sich vor alien Dingen bei einer Szene, die wir 
die Verklarungsszene nennen. Die steht aber nicht im Johannes- 
Evangelium. Sie finden diese Verklarungsszene bei Matthaus im 
siebzehnten Kapitel, bei Markus im neunten Kapitel; bei Johannes 
finden wir sie nicht. Das einzige, was wir bei Johannes finden, das 
darauf Bezug haben konnte, ist die Stelle im zwolften Kapitel, Vers 
28: «Vater, verklare deinen Nam'en! Da kam eine Stimme vom Him- 
mel: Ich habe ihn verklaret und will ihn abermals verklaren.» Und 
weiter, Vers 31: «Jetzt geht das Gericht iiber die Welt; nun wird der 
Ftirst dieser Welt ausgestoften werden. Und Ich, wenn Ich erhohet 
werde von der Erde, so will Ich sie alle zu mir ziehen. Das sagte er 
aber, um zu deuten, welches Todes er sterben wiirde. Da antwortete 
ihm das Volk: Wir haben gehort im Gesetz, daft Christus ewiglich 
bleibe; und wie sagst du denn: des Menschen Sohn mu8 erhohet 
werden? Wer ist dieser Menschensohn? Da sprach Jesus zu ihnen: 
Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, dieweil ihr 
das Licht habt, daft euch die Finsternis nicht iiberfalle. Wer in der 
Finsternis wandelt, der weift nicht, wo er hingehet. Glaubet an das 
Licht, dieweil ihr es habt, auf daft ihr des Lichtes Kinder seid.» 

Bei alien Evangelisten finden Sie die Verklarungsszene, bei Johan- 
nes nicht. Das wird uns tief er in diese Szene hineinfuhren. Machen wir 
uns den Sinn der Verklarungsszene ganz klar. Was geschieht da? Jesus 
geht mit drei Jungern, mit Petrus, Jakobus und Johannes, auf den 



Berg, das heifk ins innere Heiligtum, da wo man eingeweiht wird in 
die hoheren Welten, wo man also in okkulter Sprache spricht. Wenn 
gesagt wird: Der Meister ging mit seinen Jungern auf den 
Berg so heifk das, er ging an den Ort, wo er ihnen das Gleichnis aus- 
legte. Die Junger wurden entriickt in einen hoheren Bewufkseins- 
zustand. Sie sehen darin, was nicht verganglich, sondern ewig ist. 
Moses und Elias erscheinen, und Jesus selbst unter ihnen. Was heifit 
das? In der Geheimwissenschaft heiEt das Wort Elias dasselbe wie EL 
- das Ziel, der Weg. Moses ist das geheimwissenschaftliche Wort fur 
Wahrheit. Indem also Elias, Moses und in der Mitte Jesus erscheint, so 
haben Sie darin die urchristliche Wahrheit: Ich bin der Weg, die Wahr- 
heit und das Leben. Jesus selbst sagt - das ist eine urchristliche mysti- 
sche Wahrheit -: «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.» 

Alledem liegt zugrunde, da£ hier das Ewige gegeniiber dem Zeitli- 
chen vor Augen gefiihrt wird, dafi die Junger hineinsehen in eine Welt, 
die jenseits dieser Welt liegt. Da sagten sie hinterher zu dem Meister: 
Das alles sollte doch erst geschehen, wenn Elias wiedergekommen ist. 
-Also sie sprachen mit ihm so, als ob es selbstverstandlich ware, daft es 
eine Wiederverkorperung gibt, wie auch an verschiedenen Stellen des 
Evangeliums die Lehre von der Wiederverkorperung besprochen 
wird. Johannes fragt: Bist Du der wiedererstandene Elias. - Da sagt 
ihm der Meister: «Elias ist wiedergekommen. » - Johannes der Taufer 
ist Elias. - «Die Menschen haben ihn nur nicht erkannt.» - «Saget es 
aber niemandem, bis ich wiederkomme.» - Da haben Sie die allgemei- 
ne, weisheitsvolle, religiose Wahrheit der Wiederverkorperung aus- 
gesprochen im intimen Gesprach zwischen dem Meister und seinem 
Schuler. Zu gleicher Zeit ist es eingesetzt wie eine Art Testament: Saget 
es niemandem, bis ich wiederkomme. - Diese Wiederkehr deutet auf 
eine sehr viel spatere Zeit, auf die Zeit, wenn alle Menschen durch ihr 
hoheres Verstandnis den Christus wiedererkennen werden. Wenn das 
der Fall ist, dann wird er ihnen wiedererscheinen. 

Diese Zeit wird gerade durch die theosophische Weltanschauung 
vorbereitet. Der Christus wird wiedererscheinen in der Welt. Fur 
diese Zeit aber soil die Lehre von Wiederverkorperung und von 
Karma als populare Lehre aufgespart werden. Jetzt aber sollten die 



Menschen von der Lehre von Reinkarnation und Karma nichts 
wissen, dadurch sollten sie veranlalk werden, das Leben zwischen 
Geburt und Tod als etwas besonders Wertvolles und Wichtiges zu 
nehmen. Alle Stadien der Lebenserfahrung miissen durchgemacht 
werden von den Menschen. Bis zu Christi Zeit war es so, dafi man 
allgemein sprach von Wiederverkorperung. Das Leben zwischen 
Geburt und Tod war nur eine voriibergehende Episode. Nun sollte 
der Mensch aber lernen, dieses Leben hier auf der Erde als etwas 
Wichtiges zu betrachten. Eine radikale Ausgestaltung dieser Lehre 
war die Lehre von der ewigen Strafe und der ewigen Belohnung. Das 
ist eine ganz radikale Ausgestaltung. Worauf es ankam, war das, dafi 
jede Menschenindividualitat, jeder Menschengott, durchgehen sollte 
durch eine Inkarnation, in der er nichts wei$ von Reinkarnation und 
Karma, durch eine Inkarnation, in der er das Leben zwischen 
Geburt und Tod aber als eminent wichtig erkenne. 

Wenn Sie die theosophischen Biicher durchgehen, so werden Sie 
finden, dafi die Zeit zwischen zwei Inkarnationen funfzehn bis acht- 
zehn Jahrhunderte ist. Das ist ungefahr die Zeit zwischen Jesu Ge- 
burt und unserer Zeit. Die zu jener Zeit gelebt haben, erscheinen 
jetzt wieder. Sie konnen also jetzt die neue Lehre wieder aufnehmen. 
Daher ist die theosophische Weltanschauung auf dem Berge Tabor 
vorbereitet durch den Christus Jesus. Wenn wir die Weltgeschichte 
im grofien betrachten, diirfen wir nicht glauben, dafi es sich um 
Wahres und Falsches handelt, das wir kritisieren konnen. Nicht um 
absolut Wahres und absolut Falsches kann es sich handeln, sondern 
darum, was den Menschen frommt. Wenn ich hier safie und hatte 
eine Schar Knaben, nicht alter als zehn Jahre, und wiirde sie Mathe- 
matik lehren, so ware das, was ich lehrte, Wahrheit - und doch ware 
es eine Torheit. Ich mull den Menschen geben, was den Menschen 
frommt fur eine gewisse Entwickelungsepoche. Es ist also nicht 
richtig fur uns als Spaterlebende, einen Mafistab anzulegen und zu 
sagen, das Christentum hat Falsches gelehrt. Nein, man mufite, um 
den physischen Plan zu erobern, das eine Leben wichtig nehmen. 
Gewift, grofte geistige Wahrheiten haben die chaldaischen Priester- 
weisen ins Dasein gebracht. Ein ungeheures Wissen von der geisti- 



gen Welt haben sie heruntergebracht, aber sie lebten mit primitivsten 
Werkzeugen, ohne die Kenntnis der alltaglichen Naturkrafte. Der 
physische Plan war erst zu erobern. Um dieses zu tun, muftte die 
ganze Gefiihlswelt darauf abgestimmt werden. Das Christentum hat 
die Menschheit darauf vorzubereiten gehabt, um die physische Welt 
zu erobern. Das war gesetzmaftig bestimmt, das ist das Testament 
vom Berge Tabor. So bewirkt das, was diesem Testament zugrunde 
liegt, etwas Wunderbares. 

Wer tiefer dringt, der wird noch auf allerlei kommen. Wenn wir 
religiose Urkunden verstehen wollen, die aus solchen Zeiten stam- 
men, die nicht materialistisch gedacht haben, sondern wirkliche 
Kenntnis vom geistigen Leben gehabt haben, mtissen wir wissen, 
daft die Denkungsart eine ganz andere war, daft der Mensch, wenn er 
vom Menschen redete, in ganz anderer Weise geredet hat. 

Jetzt mufi ich Ihnen etwas sagen, was fur den Verstand leicht, fur 
die Seelenauffassung aber schwer zu begreifen ist fur die heutigen 
Menschen. In der damaligen Zeit, als das Evangelium entstand, war 
das Morgenrot des Christentums. Da hat man noch Namen ge- 
braucht, wie ich es jetzt bezeichnen will. Da hat man sich nicht an 
den physischen Organismus gewendet. Ein Mensch jener Zeit hat 
immer durch den physischen Organismus das Geistige, das Hohere, 
durchblicken gesehen. Er hat unter einem Namen nicht das, was wir 
heute darunter verstehen, empfunden, sondern sinnvoll hat man 
benannt. Denken Sie sich, man hat jemand Jakobus geheiften. Jako- 
bus heifit eigentlich Wasser. Wasser ist der geheimwissenschaftliche 
Ausdruck fur das Seelische, so daft, wenn ich jemand als Jakobus 
bezeichne, ich damit sage, daft das seelische Element durch seinen 
Korper durchscheint. Sinnvoll bezeichne ich ihn damit als einen 
zum Wasser Gehorigen. Wenn ich also einem als Eingeweihten die- 
sen Namen Jakobus gebe, so ist er mir das Sinnbild fur das Wasser 
(hebraisch = Jam). Jakobus ist nichts anderes als der wissenschaft- 
liche Name fiir einen Eingeweihten, der die Kraft des okkulten 
Wassers im besonderen beherrscht. 

Das waren die drei Jiinger, mit ihrem Einweihungsnamen be- 
zeichnet, die mitgenommen wurden nach dem Berge Tabor: Jakobus 



bedeutet das Wasser, Petrus bedeutet die Erde - der Fels (hebraisch 
= Jabbaschah), Johannes bedeutet Luft (Ruach). Johannes bezeich- 
net also den, der zum hoheren Selbst gekommen ist. Das fuhrt Sie 
tief hinein in die Geheimlehre. Versetzen Sie sich hinein in die Zeit, 
in der die Menschen nur die niederen Prinzipien hatten, also in die 
dritte Wurzelrasse, in die lemurische Zeit der Erde. Da haben die 
Menschen noch nicht Luft geatmet, sondern durch Kiemen. Die 
Lungen sind erst spater entstanden und damit auch die Lungen- 
atmung. Dieser Vorgang fallt zusammen mit der Befruchtung durch 
das hohere Selbst. Luft ist nichts anderes als nach hermetischem 
Grundsatz das Untere fur das Obere, fur das hohere Selbst. Bezeich- 
ne ich einen als Johannes, so ist er ein solcher, der das hohere Selbst 
zur Erweckung gebracht hat, einer, der die okkulten Krafte der Luft 
beherrscht. Jesus ist der, welcher die okkulten Krafte des Feuers 
(Nur) beherrscht. So haben Sie in den vier Namen die Reprasentan- 
ten fur Erde, Wasser, Luft und Feuer. Das sind die Namen der vier, 
welche nach dem Berge Tabor hinaufgehen. 



Jam 


Jakobus 


Nur 


Ruach 


Jesus 


Johannes 


Jabbaschah 


Petrus 



Denken Sie sich einmal diese vier beisammen auf dem Berge der 
Verklarung, dann haben Sie zu gleicher Zeit die Eingeweihten, wel- 
che die vier Elemente beherrschen - die Herren der vier Elemente: 
Feuer, Wasser, Luft, Erde. Was geschieht also ? Es geschah dazumal, 
dafi der geistige Beweis geliefert wurde, daft durch die Jesus-Er- 
scheinung die ganze Kraft der Elemente in einer Weise erneuert 
wird, dafi das Leben, das durch die Elemente pulsiert, einen neuen, 



wichtigen Punkt in der Entwickelung durchmacht. Das ist okkult 
die Verklarung. Wenn nun jemand in dieser Weise die Verklarung 
durchmacht, daft er in sich hat die Stufen von Wasser, Erde und Luft 
und selbst aufsteigt zu den Kraften des Feuers, dann ist er ein Wie- 
derauferweckter, ein solcher, der die Kreuzigung durchgemacht hat. 
Daher ist diese Szene bei den anderen Evangelisten in Wahrheit 
nichts anderes als eine Vorbereitung der eigentlichen tieferen Ein- 
weihungsszene, der Kreuzigung selbst. Dagegen erscheint uns bei 
Johannes alles vorbereitet. Die Vorbereitungsszene erscheint iiber- 
haupt nicht, sondern der Tod auf dem Berge Golgatha. Jam - Nur - 
Ruach - Jabbaschah = INRI - das ist die Bedeutung der Worte, die 
am Kreuze stehen. 

So konnen Sie tiefer und tiefer hineingehen, und Sie werden nie 
auslernen in den religiosen Schriften. Manchmal, wenn man so etwas 
hort, ist es wie eine erzwungene Erklarung. Aber jeder Schritt, den Sie 
tiefer hinein machen, wird Ihnen den Beweis liefern, daft es sich nicht 
um etwas Erzwungenes handelt. Gerade bei den trivialen Erklarun- 
gen werden Sie sehen, daft man damit die «Tiefe» zwangsweise abwei- 
sen will. Aber die Tiefe liegt in diesen Schriften. Wer etwas weift, der 
kann immer zu sich sagen: Wahrscheinlich wird noch viel mehr darin- 
nen sein, ich werde noch viel lernen miissen. - Das ist die Ehrerbie- 
tung, die wir den religiosen Schriften entgegenbringen konnen. 

Diese Ehrerbietung ist das Beste, da sie dann die Kraft wird, die 
wir aus den Tief en gewinnen. Nur hinzudeuten vermag ich auf einen 
wichtigen Satz. Er steht im Johannes-Evangelium, neunzehntes Ka- 
pitel, 33. Vers: «Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, daft er schon 
gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht ... Denn solches ist 
geschehen», heiftt es dann im 36. Vers, «daft die Schrift erfiillet 
wiirde: <Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen.»> Sie wissen, daft das 
anklingt an eine Moses-Stelle. Auch dort hat es schon, richtig ver- 
standen, einen tiefen Sinn. Noch kurz diese Stelle mochte ich erkla- 
ren, die von tiefer Symbolik ist. 

Wenn Sie unsere ganze Welt iiberblicken, so werden Sie sich sagen, 
daft der Mensch, so wie er jetzt im Fleische inkarniert ist, zunachst 
keine Kraft hat iiber das Leben und keine Kraft hat iiber das, was iiber 



dem Leben steht. Was er beherrscht, ist die leblose Kraft, die unorga- 
nische Kraft. Der Mensch kann nicht eine Pflanze wachsen machen, 
sie nicht schneller wachsen machen. Die okkulten Krafte dazu muftte 
er sich erst aneignen. Er vermag schon gar nicht tiber dasjenige, was 
noch hoher ist als die Lebenskraft, eine Herrschaft auszuiiben. Was 
der Mensch zu beherrschen vermag, ist drauften die unlebendige 
Welt. Da iibt er seine Herrschaft aus, in dem Werke des Alltags, in den 
Stoffen, die ihm die Natur gibt. Er macht Kunstwerke, Bilder des 
Allerhochsten, aber das Leben kann er ihnen nicht einhauchen. Er 
kann das Leben nur nachbilden. Er kann nur im Leblosen die Ahnung 
des Lebens erwecken, selbst in den hochsten christlichen Kunstwer- 
ken. Dies ist tatsachlich der Fall, weil der Mensch seine astrale und 
atherische Kraft mit dem festen, dichten physischen Leib umgeben 
hat. Dadurch hat er dieses Verhaltnis zur aufieren Umwelt bekom- 
men, daft er nur Herr ist uber das Leblose. Der Mensch muft sich sei- 
ner eigenen physischen Werkzeuge bedienen, und diese sind nur Herr 
uber das Leblose. Die hoheren Krafte, die nicht an das Physische 
gebunden sind, miifken erwachen, dann wiirde der Mensch wieder 
Herr werden uber das Leben. Die Menschen konnen Herr werden 
iiber die physischen Krafte, nicht aber liber das Leben selbst. 

Das hangt damit zusammen, dafi des Menschen Korper einst 
weich und biegsam war, jetzt aber fester und fester geworden ist. 
Wenn Sie zuriickgehen in der Entwickelung, dann werden Sie sehen, 
daft der Mensch ganz anders geworden ist. Das Knochensystem war 
noch nicht vorhanden in der lemurischen Zeit. Das hat sich erst spa- 
ter herausgebildet. So ist das Knochensystem das letzte, was aufge- 
treten ist im menschlichen Organismus. Es wird dem Menschen so 
lange eigen sein, bis er wiederum sich vergeistigt hat, bis er wieder- 
um die inneren Krafte erweckt hat und die Lektion gelernt hat, die 
er in seinem bis zum Knochensystem verdichteten Korper durchzu- 
machen hat. Der Christus Jesus in seiner kosmischen Mission ist 
derjenige Geist, der in einem solchen Leib verkorpert ist, um den 
Menschen wieder den Weg zu zeigen aus dieser Welt hinaus in eine 
hohere Welt. Er ist der Fiihrer, der Weiser in eine solche hohere 
Welt. Dabei ist das, was den Weg finden soli in diese hohere Welt, 



symbolisiert in dem Festen, in dem Knochengeriist des Menschen. 
Als der Mensch noch anders war, noch nicht so weit war bis zum 
festen Knochensystem, da brauchte er nicht einen Messias. Aber 
gerade fur diese Epoche braucht er den Messias, den Erloser. 

So ist es klar, daft fiir das jetzige Menschengeschlecht nicht in 
Betracht kommen die Krafte in Jesus, die mit der hoheren Welt zu- 
sammenhangen. Die Ausdrucksweise ist nun diese, daft man nennt 
das Knochengeriist = das Auftere, Wasser = Atherkorper, Blut = 
Astralkorper, und dann Geist. Daher konnen Sie lesen bei Johannes: 
Drei sind, die da zeugen: Blut, Wasser und Geist. - Daher kann her- 
ausrinnen aus dem Leibe des Christus das Blut und das Wasser. Die 
kommen fiir den gegenwartigen Menschheitszyklus nicht in Be- 
tracht. Dagegen ist dasjenige, was das Ganze halten muft, was den 
Menschen hinauf zu dem Throne des Ewigen bringen muft, worin 
die Lektion gelernt werden muft, in Unversehrtheit zu erhalten. Das 
ist das Knochengeriist, das Symbol fiir das Leblose in der Natur. Das 
hat jetzt durch das Knochensystem den Christus mit dem gegen- 
wartigen Menschheitszyklus zusammengebracht. Es ist das, was zu- 
sammengehalten werden muft bis zu der Zeit, wo die Menschheit 
die hoheren Stufen erreicht hat. Wir konnten es noch verfolgen bis 
zu der entsprechenden Stelle der Biicher Moses. Aber das kann ein 
anderes Mai geschehen. 

Ich wollte heute noch eine Erganzung, eine nachtragliche Andeu- 
tung geben, die Ihnen zeigen wird, daft das Johannes-Evangelium 
nie auszuforschen ist; die Ihnen zeigen wird, wie es Kraft und Leben 
enthalt. Indem wir es in uns aufnehmen, gibt es uns selbst Kraft und 
Leben. Dadurch wird es zu der Hauptschrift fiir alle diejenigen, die 
immer tiefer und tiefer in das theosophische Christentum eindrin- 
gen wollen. Wenn daher die Theosophie fiir das Christentum wird 
wirken sollen, dann wird sie vor alien Dingen an dieses Johannes- 
Evangelium anzukniipfen haben. Dann allerd ings - dariiber miissen 
Sie sich klar sein -, wenn ich das Johannes-Evangelium vollstandig 
erlautern wollte, miiftte ich einen ganzen Winter zu Ihnen dariiber 
sprechen. Ich miiftte Zeile fiir Zeile durchnehmen, und dann wiirden 
Sie erst sehen, wie tief die Worte sind, die dem Johannes zugeschrie- 



ben werden, das heifk demjenigen, der schon durch seinen Namen 
andeutet, daft er ein Kiinder des hoheren Selbst ist. Er ist Vertreter 
der Luft, der die hoheren Krafte beherrscht und aus den Anschau- 
ungen des hoheren Selbst sein Johannes-Evangelium geschrieben 
hat. 

Eitel und vergeblich ware es, mit den Kraften des niederen Men- 
schenverstandes das Johannes-Evangelium ergriinden oder kritisie- 
ren zu wollen. In unserer Zeit feiert der Verstand groEe Triumphe, 
aber fur den Verstand ist das Johannes-Evangelium nicht geschrie- 
ben. Erst der, welcher den niederen Verstand iiberwunden hat und 
ihn dann hinleiten kann in die Hohen der Geisteskrafte, wie sie 
Johannes hatte, der kann das Johannes-Evangelium auch verstehen. 
Das Richtige wird nicht sein, wenn die Theosophie sich entschlieik, 
ein verstandesmaftiges Kritisieren des Johannes-Evangeliums zu be- 
ginnen, sondern wenn sie sich ganz und gar in die Tiefen desselben 
versenkt, um es selbst zu verstehen. Dann werden wir sehen, daft 
fur uns ein neuer Geist des Christentums - nicht nur der Geist des 
vergangenen, sondern eines zukunftigen Christentums - aus dem 
Johannes-Evangelium hervorgehen kann, und wir werden etwas 
verspiiren von den tiefen Wahrheiten eines der schonsten und be- 
deutsamsten der christlichen Ausspruche, der uns anzeigen soil aus 
dem Munde des Schopfers des Christentums selbst, dafi das Chri- 
stentum nichts ist, was in der Vorzeit gelebt hat, sondern dafi diesel- 
be Kraft noch lebt, denn - wahr ist, was der Christus gesagt hat: «Ich 
bin bei euch alle Tage bis ans Ende der 2eiten.» 



Die Theosophie anhand 
des Johannes-Evangeliums 

Notizen aus acht Vortragen, 
gehalten in Miinchen vom 27. Oktober bis 6. November 1906 



DIE THEOSOPHIE 
ANHAND DES JOHANNES-EVANGELIUMS 

Erster Vortrag, Miinchen, 27. Oktober 1906 

In einer Reihe von Vortragen wollen wir einmal in einer Art syste- 
matischer Ordnung ein Gesamtbild aufnehmen theosophischer Ge- 
sinnung und Weltauffassung und desjenigen, was darin als Grund- 
lage fur unsere geisteswissenschaftliche Arbeit gelten kann. Und 
dabei wollen wir diese theosophischen Betrachtungen an das Johan- 
nes-Evangelium anlehnen. Es wird sich ganz natiirlich ergeben, da£ 
nach einigen Vortragen Licht hineinkommt in das allermerkwiirdig- 
ste Schriftstiick der Welt. Denn das ist dieses Johannes-Evangelium. 
Lassen Sie mich heute einmal darauf hinweisen, was das Johannes- 
Evangelium eigentlich ist. 

Da miissen wir uns zunachst eine Grundlage schaffen, um das 
defsinnige erste Kapitel zu verstehen. Wenn man das Evangelium 
liest, kann man erbaut sein iiber die Grofie der Bilder, aber man kann 
als Gegenwartsmensch nicht mehr so recht darauf kommen, was mit 
diesem Evangelium eigentlich gemeint ist. Fruher gait es als eine 
Urkunde dafiir, wie der wirkliche Christus Jesus auf Erden gelebt 
hat und was da eigentlich in Palastina geschehen ist. In der mehr 
protestantischen und in der modernen Forschung iiberhaupt hat 
man spater zu bemerken geglaubt, daft das Evangelium des Johannes 
den drei anderen Evangelien zu widersprechen scheint. Die drei 
ersten, die Synoptiker, wurden daher zusammengefaftt. Das vierte 
Evangelium will man als gleichwertig nicht gelten lassen, da es viel 
spater entstanden ist. Es enthielte nichts Geschichtliches, sondern 
sei eine Art poetischer Wiedergabe, ein Gedicht, in dem der Schrei- 
ber das niedergelegt hat, was er sich von dem Leben des Christus 
Jesus gedacht hat. Das ist der Standpunkt des sogenannten Glaubi- 
gen der Gegenwart. Mit einem gewissen Recht hat daher der be- 
riihmte Theologe Bunsen gesagt: «Wenn das Johannes-Evangelium 
nichts anderes ist als der poetische Erguft eines einzelnen, dann fallt 
mit diesem das ganze Christentum.» Es liegt dieser ganzen For- 
schung zugrunde die Unfahigkeit der letzten vier bis fiinf Jahrhun- 



derte, iiberhaupt dahinterzukommen, was mit dem Johannes-Evan- 
gelium gemeint ist. 

Der Mensch und die Anschauungen haben sich geandert, und der 
heutige Mensch kann sich gar nicht denken, dafi man die Welt auch 
von anderem Standpunkte aus ansehen konne. Was dem Menschen 
der Gegenwart so recht verstandlich ist, das ist Sinnes- und Verstan- 
deserkenntnis. Friiher dagegen wulke man noch, dafi es auch eine an- 
dere Art von Erkenntnis gibt. Man wulke, dafi es noch andere Sinne 
und andere Erkenntnisquellen gibt. Die heutige materialistische For- 
schung steht in bezug auf diese Erkenntnis dem orthodoxen Bibel- 
glaubigen schroff gegeniiber. Das gilt auch fiir die mosaische Schop- 
fungsgeschichte. Die Glaubigen nehmen sie wortlich, und die moder- 
ne Forschung sagt: Das ist niemals wortlich zu nehmen; wir haben es 
dabei mit langen, langen Zeitraumen zu tun. - Der Bibelglaubige und 
der Naturforscher verstehen sich gar nicht. Man hat eine Art Aus- 
gleich gesucht, man hat versucht, die ganze Schopfungsgesichte sinn- 
bildlich zu verstehen, zu sagen, sie sei nur symbolisch gemeint. Wie 
hat man vor fiinfhundert Jahren in den Kreisen der Kirche die Schop- 
fungsgeschichte aufgefaftt? Kein Mensch in der Kirche hat ursprting- 
lich gesagt: das hat sich materiell sichtbar vor unseren aufieren Augen 
so abgespielt. Dem mittelalterlichen Theologen ware das grotesk er- 
schienen. Die Auffassung von dem Wortlichnehmen der sieben 
Schopfungstage ist erst durch den Materialismus hereingekommen. 

Als eine Art gesetzmafiiger Notwendigkeit flutete die materialisti- 
sche Weltanschauung iiber unsere Erde dahin, und das erste, was diese 
Welle ergriff, war die Religion. Zuerst wurde nicht die Wissenschaft 
erfafit von der materialistischen Anschauung, zunachst war es die Kir- 
che. Was friiher spirituell aufgefalk wurde, in das wurde die materia- 
listische Gesinnung hineingelegt. Jetzt bekampft die Wissenschaft 
etwas, was die materialistische Weltauffassung hineingebracht hat. 

Ein Beispiel dafur bietet die Auffassung des Abendmahls. Im 12. 
Jahrhundert ging es wie eine grofie Erschutterung durch die Kirche, 
als man anfing, das Abendmahl so aufzufassen, als ob sich Wein in 
wirkliches Blut und Brot in wirklichen Leib verwandeln konne. Die 
spirituelle Lehre der Transsubstantiation wurde vergessen. 



So ging Stuck fur Stuck der spirituelle Sinn verloren. Der Theo- 
loge des 6. und 7. Jahrhunderts wufke noch, was mit der Schop- 
fungsgeschichte gemeint ist. Wenn es heilk: «Adam fiel in einen 
tiefen Schlaf», so wird damit auf eine Traumvision hingewiesen, 
durch die Adam das Sieben-Tage-Werk als astralen Vorgang erlebte. 

Was in der Vorzeit war, die Sinne konnten es nicht mehr errei- 
chen. Aber in einem hoheren geistigen Zustande konnten es jene 
erreichen, die mit der Seele schauten. Aber es erscheint ihnen dann 
im Bilde. So waren es astrale Bilder, was Adam in den sie.ben Schop- 
fungstagen da im Traume sah; er sah zuriick auf die Ursprungswelt, 
aus der er gekommen ist. 

Also man schrieb den religiosen Urkunden hohere Erkenntnis- 
quellen zu. Die Bekampfung der Bibel beruht auf Miftverstandnis- 
sen. Das Johannes-Evangelium wortlich zu nehmen im materialisti- 
schen Sinne, heifit, es mifiverstehen. Das soli nicht heifien, dafi man 
es symbolisch zu nehmen hat. Dasjenige, was im Johannes-Evange- 
lium steht, kann ebensowenig in dieser physisch-sinnlichen Welt er- 
lebt werden wie das Werk der sieben Tage, die Schopfungsgeschich- 
te, sondern nur in anderem Bewulkseinszustand. Der Schreiber des 
vierten Evangeliums stellt dar dasjenige, was er nicht innerhalb, son- 
dern aufierhalb des physischen Leibes in einem anderen Bewufit- 
seinszustand wahrgenommen hat. Die drei anderen Evangelien las- 
sen das Wortlichnehmen noch zu, das Johannes-Evangelium nicht 
mehr. Es ist wahrer als wahr, es enthalt die tiefste Wahrheit des 
Christentums. Es sieht in Christus Jesus den Mittelpunkt der Wel- 
tenentwickelung. Fur Johannes ist der in Jesus verborgene Christus 
eine iiberragend hohe Personlichkeit, die man nur verstehen kann, 
wenn man sich zu einer hoheren Erkenntnis aufschwingt. Um das 
zu verstehen, was im Johannes-Evangelium lebt, dazu ist es notig, 
die tiefsten Geheimnisse des Daseins zu erkennen. Um den Men- 
schen und den Fiihrer der Menschheit zu verstehen, mufi man das 
Wesen des Kosmos erfassen. Das Johannes-Evangelium beginnt mit 
den Worten, denen das ganze Weltengeheimnis zugrunde liegt. Das 
eigentumlichste dieser Worte ist, dafi sie nicht nur an unser Ver- 
standnis appellieren, sondern auch von magisch mentaler Wirkung 



sind. Sie geben uns ein Bild, wie der Mensch und der Kosmos 
zusammenhangen. 

Das Johannes-Evangelium mufi erlebt werden. Man mufi die er- 
sten Worte als Meditationsstoff nehmen, in sich leben lassen. Das ist 
geistiger Lebensstoff. Man mufi sich sagen: Das ist fur mich ein 
Stoff, mit dem ich fiinf Minuten taglich leben will. Diese Worte 
werden Ihre Geistesaugen und -ohren offnen; die Zaubergewalt die- 
ser Worte, die Krafte sind, werden Sie erleben, und zwar in astralen 
Bildern. Lassen Sie mich Ihnen vor die Seele riicken, was der Schrei- 
ber des Johannes-Evangeliums als Impuls empfunden hat, was er hat 
sagen wollen. Zuerst war er einer, der seiner Seele nach ein Neu- 
geborener war, einer, der erweckt worden war durch die Gewalt 
der Erkenntnisse, die in den Satzen liegt: 

«Im Urbeginne war das Wort, und das Wort war bei Gott, und 

ein Gott war das Wort. 

Dieses war im Urbeginne bei Gott. 

Alles ist durch dasselbe geworden, und auEer durch dieses ist 
nichts von dem Entstandenen geworden. 

In diesem war das Leben, und das Leben war das Licht der Men- 
schen. 

Und das Licht schien in die Finsternis, und die Finsternis hat es 
nicht begriffen.» 

Das ist der erste Teil der Meditation. Und dies ist der zweite Teil: 

«Es ward ein Mensch, gesandt war er von Gott, mit seinem 
Namen Johannes. 

Dieser kam zum Zeugnis, auf daE er Zeugnis ablege von dem 

Lichte, auf daft durch ihn alle glauben sollten. 

Er war nicht das Licht, sondern ein Zeuge des Lichtes. 

Denn das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, sollte in die 

Welt kommen. 

Es war in der Welt, und die Welt ist durch es geworden, aber die 
Welt hat es nicht erkannt. 

In die einzelnen Menschen kam es (bis zu den Ich-Menschen kam 



es), aber die einzelnen Menschen (die Ich-Menschen) nahmen es 
nicht auf. 

Die es aber aufnahmen, die konnten sich durch es als Gottes 
Kinder offenbaren. 

Die seinem Namen vertrauten, sind nicht aus Blut, nicht aus dem 
Willen des Fleisches, und nicht aus menschlichem Willen, son- 
dern aus Gott geworden. 

Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnet, 
und wir haben seine Lehre gehoret, die Lehre von dem einzigen 
Sohn des Vaters, erfullt von Hingabe und Wahrheit.» 

Wenn Sie die Valeurs dieser Worte nehmen, nicht blof$ ihre lexi- 
kalische Bedeutung, dann haben sie einen unendlichen Wert. So mufi 
es zum Beispiel heifien: «Bis zu den Ich-Menschen kam es» - statt: 
«Er kam in sein Eigentum.» 

Wenn Sie diese Worte lesen, dann haben Sie einen kurzen Abri£ 
der Theosophie des Johannes und derjenigen, die auch wir lehren. 
Wollen wir also versuchen, uns zum Verstandnis der allerersten 
Worte hinaufzuranken. Dazu ist eine kurz gehaltene Ubersicht der 
elementaren Grundbegriffe der Theosophie notig. 

Es gibt Wesenheiten, die uber dem Menschen stehen und die 
keinen physischen Korper mehr brauchen. Das sind: die Engel, die 
Erzengel, Urbeginne oder Anfange, Gewalten, Machte, Herrschaf- 
ten, Throne, Cherubim, Seraphim. 

Vers 1: «In den Urbeginnen war das Wort, und das bekam Leben, 
und weil es schopferisch war, war es ein Gott.» Alles, alles ist kristal- 
lisiertes gottliches Wort, gesprochenes Wort. Jetzt hat der Mensch 
das Wort; spater wird er seinesgleichen hervorbringen durch das 
Wort. Die Urbeginne sind die Wesenheiten, die am Anfang der Er- 
denentwickelung schon auf der Stufe standen, auf welcher der 
Mensch am Ende der Erdenentwickelung angelangt sein wird. 

Dadurch, daE Johannes diesen Impuls empfinden konnte, hatte er 
in grofien astralen Visionen das erlebt, was in diesen Satzen steht. 
Das war aber erst das zweite in seiner Seele, das erste war die Erwek- 
kung dieser Krafte. Das dritte war nun das folgende. Wir wollen es 



an einem Beispiele zu verstehen suchen. Sie haben zum Beispiel in 
einer gewissen Nacht einen Traum; er zeigt Ihnen einen Menschen, 
den Sie noch nie gesehen haben. Der Traum gibt Ihnen die Gewift- 
heit, daft dieser Mensch Ihnen nicht gleichgiiltig ist; nach kurzer Zeit 
lernen Sie ihn kennen. - So war es Johannes ergangen mit dem Er- 
leben des Christus. Er hatte im Traumeszustand die astralen Visio- 
nen gehabt von dem, was in Palastina Geschichte wurde. Was seine 
Erlebnisse in hoheren Welten waren, seine Schauungen, das wurde 
im irdischen Erleben dann Erfahrung. 

Die Meditation ware so zu machen, daft der Mensch eines Mor- 
gens beginnt, sich die ersten Worte des Johannes-Evangeliums tag- 
lich durch die Seele ziehen zu lassen. Er wird nach Monaten, nach 
Jahren, nach Jahrzehnten in seiner Seele etwas erleben von dem, was 
in diesen Worten enthalten ist. Namentlich ist die Ubersetzung die- 
ser Worte wichtig: «Bis zu den Ich-Menschen kam es, aber die Ich- 
Menschen nahmen es nicht auf.» Wenn Sie diese Worte durchgehen, 
haben Sie darin einen kurzen Abrifi der Theosophie im Johannes- 
Evangelium: die Theosophie, die wir lehren. Daher ihre ungeheure 
Wirkung. Nur wer erst diese seelisch-geistigen Krafte in sich wach- 
ruft, der wird das erleben. 

Versuchen Sie zum Verstandnis der allerersten Worte des Johan- 
nes-Evangeliums zu kommen. Dazu ist eine kurzgehaltene Uber- 
sicht liber die allerelementarsten Begriffen der Theosophie notig. 

Versuchen wir es, indem wir von unten beginnen. Wenn wir den 
Menschen betrachten, wie er heute vor uns steht, so kann man sagen: 
Dasjenige, wo von man heute etwas weift, das ist der physische Leib, 
ein Glied nur der menschlichen Wesenheit. Schon der physische 
Menschenleib ist von anderen hoheren Wesensgliedern durchdrun- 
gen; daher sieht er so aus, wie er uns jetzt erscheint. Ware er nicht so 
durchzogen von anderer Wesenhaftigkeit, er ware nur ein physika- 
lischer Apparat, den nichts von innen bewegt, dem nichts wehe tut. 
Allein das physische Auge ist gleich einem physikalischen Apparat. 
Sie miissen sich die Moglichkeit, daft der Mensch wachst und daft 
ihm etwas wehe tut, lebhaft vor Augen halten, dann erkennen Sie, 
wie der physische Leib mit zwei anderen Gebilden durchsetzt ist: 



Das eine macht, daft der Mensch wachst, sich fortpflanzt und sich 
nahrt; es geschieht dies durch seinen Atherleib. Das andere ist, daft 
er empfindet, daft er Triebe, Begierden und Leidenschaften hat, die 
ihm von seinem Astralleib kommen. Damit der physische Leib 
wachsen kann, braucht er den Atherleib. Damit er empfinden kann, 
braucht er den Astralleib. 

Wasserstoff allein kann nicht Wasser darstellen; er braucht dazu 
den Sauerstoff. Trennen sich wieder Wasserstoff und Sauerstoff, so 
haben wir nicht mehr Wasser; der Zusammenhang ist hier wie dort 
notig. Wird der Mensch von seinen zwei anderen Leibern getrennt, 
so verfallt der physische Leib augenblicklich. 

Empfindungsleib, Atherleib, physischer Leib, diese drei Wesens- 
glieder gehen bis zum Tier hinab. Seinen Fleischleib hat der Mensch 
gemein mit der Erde, dem Mineral; seinen Atherleib mit den Pflan- 
zen, seinen Astralleib mit den Tieren. Wir konnen auch sagen: Alles, 
was Wachstum und Fortpflanzung bedingt, ruht im Atherleib; Trie- 
be, Lust und Schmerzempfindungen im Astralleib. 

Im Tode bleibt der physische Leib zuriick, Ather- und Astralleib 
bleiben zunachst zusammen, und bald trennt sich auch noch der 
Atherleib vom Astralleib. Im Schlafe ist der Mensch im vollsten, 
buchstablichsten Sinne also Pflanze: sein Leib ist allein noch in Be- 
trieb gehalten von dem vegetativen Leben, dem Atherleib. Norma- 
lerweise ist der Mensch im Schlaf ohne Bewufttsein und ohne Willen 
oder Begierden. Die wenigen, die im Schlafe ihr Bewufttsein auf- 
rechterhalten, sind Vorziigler der Menschheit; sie reprasentieren 
heute schon einen Zustand, den einmal in spaterer Zukunft alle 
Menschen erreichen werden: sie sind die pradisponierten, pradesti- 
nierten Fiihrer und Propheten der Menschheit. 

Wie sind Traume moglich? Wie kommen sie zustande? Im Astral- 
leib liegt eine verborgene Anlage. Wenn diese Fahigkeit voll aus- 
gebildet wird, so tritt Bewufttsein ein. 

Zum physischen Leibe, zum Ather- und Astralleibe kommt noch 
eines hinzu. Es gibt ein Wort, das sich von alien anderen unterschei- 
det, weil man es nur zu sich selbst sagen kann. Es ist das Wort «Ich». 
Diese Tatsache ist von hochster Bedeutung. Ein schones Beispiel 



von der Bedeutsamkeit dieses Wortes gibt uns die Erzahlung Jean 
Pauls. Er schildert uns, wie er als ganz junger Knabe unter der Tiir 
seines Elternhauses stand, als plotzlich das Bewufitsein in ihm auf- 
blitzte: Ich bin ein Ich! - Es ist ein Vorgang im verhangenen Aller- 
heiligsten des Inneren, den reine Naturen besonders stark als ein 
Mysterium empfinden. Die Tragweite dieses Mysteriums empfan- 
den die Priester und Weisen aller Zeiten. Es liegt auch dem zugrun- 
de, was man bei den alten Hebraern den unaussprechlichen Namen 
Gottes nannte. «Joph» sagte der Hohepriester einmal im Jahr, wenn 
er ausdriicken wollte, wie das Unaussprechliche ertont. Joph ist das 
Ich. Zusammen mit den vorher genannten Leibern bildet das Ich 
das, was als die pythagoraische Vierheit bekannt ist. 

Der Hellsichtige kann die hoheren Leiber bei vollem Bewulksein 
sehen. Etwas anderes ist es um die Hypnose. In diesem Zustand 
sieht der Hypnotisierte das, was der Hypnotiseur will. Der Hypno- 
tisierte unterliegt einer positiven oder negativen Suggestion, je nach- 
dem ihm glauben gemacht wird, dafi etwas wirklich da ist, dafi er 
etwas empfindet, zum Beispiel den sufien Geschmack einer Birne, 
wahrend er in eine Kartoffel beilk, oder dafi etwas nicht da ist, zum 
Beispiel keine Leute, keine Gegenstande in der Stube und so weiter. 

Diesen letztgenannten Zustand kann man sich bewulk hervor- 
bringen, um sich den Atherleib sichtbar zu machen. Es ist eine ho- 
here Art der Aufmerksamkeit. Durch einen energischen Willensent- 
schlufi suggeriert man sich den physischen Leib weg und iiberzeugt 
sich dann, daft der Raum, den vorhin der physische Korper ein- 
nahm, nicht leer ist, sondern ausgefullt mit einem herrlichen, mit 
nichts Irdischem vergleichbaren Lichtstoffe, und in der Herz- und 
Lungengegend sieht man wunderbare Bewegungen dieses Lichtstof- 
fes, das ist der Atherleib des Menschen. Der bewuEt Hellsehende 
sieht den Atherleib ein wenig iiber den Menschenleib hervorragen. 
Beim Pferde ist er sehr viel weiter herausstehend. 

Das dritte, was der Hellseher sehen kann, wenn auch der Ather- 
leib wegsuggeriert ist, das ist der Astralkorper, der dann als ellipti- 
sche Wolke in Erscheinung tritt. Da sieht man die Triebe und Begier- 
den in Form von farbigen Lichtbildungen, das helle Gelb einer ent- 



wickelten Intelhgenz und klaren Denkens, und das scheme Blau der 
Frommigkeit und selbstloser Aufopferungsfahigkeit. 

Zu diesen drei fur den Hellseher sichtbaren Erscheinungen 
kommt noch ein viertes hinzu, das bei alien Menschen sehr verschie- 
den gebildet ist. Im Raum hinter der Nasenwurzel sieht man im 
Astralkorper eine Art Hohlkugel von blaulicher Farbe, ahnlich dem 
Kern einer Lichtflamme, der durch die gelbe Lichthiille blau er- 
scheint. Beim unentwickelten Menschen ist es ein kleines blauliches 
Oval; beim entwickelten Menschen wird es als blauer Schein sichtbar. 

Freundschaft, Liebe, Religiositat erscheinen in Griin, Blau, Blau- 
rot; alles fortwahrend und intensiv bewegt, wahrend der Atherleib 
rotiert. 

Fragen wir uns nun, unter welchen Einfliissen diese vier Bestand- 
teile der menschlichen Wesenheit sich gebildet haben, so ist die 
Antwort, dafi der physische Leib, der nur das Leben der Erde wider- 
spiegelt, aus den Kraften der Erde zusammengesetzt ist. Auf ihn hat 
die Erde Einfluft. Der Atherkorper ist wie die Pflanzen nicht nur 
von der Erde, sondern auch von der Sonne abhangig; er strebt der 
Sonne zu. Unser Astralleib aber ist abhangig von den Kraften der 
Sternenwelt, daher sein Name. Ganz mit Recht sagt Paracelsus: 
Nichts ist im Himmel und auf der Erde, das nicht auch im Menschen 
ist, und Gott, der im Himmel und auf der Erde ist, der ist auch im 
Menschen. - In der Nacht lebt der Mensch in den Sternen, in den 
Kraften, aus denen er aufgebaut wurde. Sein Astralleib erlebt wah- 
rend des Schlafes die Bahnen, in denen sich die Sterne bewegen und 
halten. Aus diesem Astralleib, dem aus den Sternen herausgebore- 
nen Leib, wird nun das Ich geboren. 

Was man als Grundton der Gestirnbewegungen im Weltenall ver- 
nehmen kann, nennt man die Pythagoraische Spharenmusik. Diesen 
Grundakkord der Sternenbahnen und des Weltenalls, diesen Ton be- 
zeichnet und meint der Schreiber des Johannes-Evangeliums, wenn 
er vom Weltenwort spricht. So wird in unserem BewuEtsein ein erstes 
Verstehen des tiefen mystischen Sinnes dieser Worte aufzudammern 
beginnen. Es wird uns immer tiefer und defer in die wahre okkulte 
Bedeutung dieser wunderbaren Urkunde hineinfuhren. 



DIE THEOSOPHIE 
ANHAND DES JOHANNES - EVAN GELIUMS 

Zweiter Vortrag, Miincben, 28. Oktober 1906 

Dafi im Johannes-Evangelium etwas gegeben ist, was nur auf hohe- 
ren Bewufkseinsebenen zu erleben moglich ist, haben wir gestern 
gesehen. Ehe er derartiges erleben kann, mufi sich der Mensch erst 
hoher entwickeln. 

Der Mensch ist eben ein in Entwickelung begriffenes Wesen. Wir 
konnen es von untergeordneten zu immer hoheren Zustanden ver- 
folgen. Das zeigt schon der Unterschied zwischen einem Wilden 
und einem zivilisierten Europaer, oder zwischen einem gewohn- 
lichen Menschen und einem Genie wie Schiller, Goethe oder Franz 
von Assisi. Jedem Menschen stent eine unbegrenzte Entwickelungs- 
moglichkeit off en. Um das zu verstehen, wollen wir an den gestrigen 
Vortrag ankniipfen und uns anhand eines Schemas die theoso- 
phischen Grundlehren liber die Entwickelung der menschlichen 
Wesensglieder klarmachen: 

(Wahrend der folgenden Ausfiihrungen wird das nachstehende 
Schema an die Tafel gezeichnet, beginnend von links unten.) 

IV. Ich 

Ilia Empfindungsseele III. b Verstandesseele IILc Bewufttseinsseele 
III. Astralleib, Empfindungsleib V. Manas, Geistselbst 
II. Atherleib, Lebensleib VI. Lebensgeist, Budhi 

I. Physischer Leib VII. Geistesmensch, Atman 

Wir haben also gesehen, daft der Mensch seinen physischen Leib 
gemeinsam hat mit alien leblosen Wesen, den Atherleib mit allem 
Pflanzlichen unserer physischen Welt und den astralen Leib mit 
alien tierischen Lebewesen seiner Umgebung. Wir haben dann gese- 
hen, daft der Mensch hinsichtlich seiner Entwickelung sich von alien 
Wesen dadurch unterscheidet, daft er Ich zu sich sagen kann. 

Das Ich ist keineswegs ein ganz einfaches Gebilde. Genauer gese- 
hen ist es auch wiederum etwas Gegliedertes. Das Tier empfindet, hat 
Begierde und Leidenschaft, die Pflanze nicht; das Tier deshalb, weil es 



eben schon einen Astralleib besitzt. In diesem entwickelt sich beim 
Menschen das Ich. Dieses Ich ist aber schon langst an der Arbeit gewe- 
sen, bevor der Mensch davon ein klares Bewufksein bekam. Dariiber 
belehrt uns genauer ein Blick in die Menschheitsentwickelung. 

Die Erde war nicht immer so wie heute. Ihr Antlitz hat sich wie- 
derholt umgebildet, die heutigen Kontinente waren nicht immer da. 
Wahrend der vorletzten Erdperiode war da, wo heute der Atlantische 
Ozean wogt, ein Kontinent, die Atlantis. In uralten Sagen haben sich 
Spuren davon erhalten und die Kunde ihres Unterganges. In der Bibel 
ist die Sintflut damit gemeint. Die andersgearteten Urvater, deren 
Nachkommen wir selbst sind, haben das erlebt. In dieser alten Atlan- 
tis herrschten ganz andere Luft- und Wasserverhaltnisse als jetzt. Das 
Ganze war in einen dichten Nebel gehiillt. Im Worte Nebelheim, 
Niflheim haben wir noch einen Anklang daran. Nicht gab es Regen 
und nicht Sonnenschein; statt Regen nur Nebelstromungen, statt 
Sonne nur diffuses Erhellen. Erst nach langen Zeitraumen schlug der 
Nebel sich nieder als Wasser. Die Sonne drang nur ein klein wenig, 
wie eine schwache Ahnung, durch den steten Nebel. In solcher Um- 
gebung lebte der Mensch auch ein ganz anderes Seelen- und Geistes- 
leben als heute. Erst gegen das Ende der atlantischen Periode, etwa in 
der Gegend des heutigen Irland, zeigt der Mensch zum ersten Male 
das Ich-Bewufksein, kann der Mensch klar und logisch denken. Im 
Nebel hatte es keine Moglichkeit gegeben, die Gegenstande so abzu- 
grenzen wie heute. Ein Bewuiksein, wie wir es haben, lernt der 
Mensch erst an seiner Umgebung entwickeln. In demselben Mafie als 
die Gegenstande aus dem Nebel heraustauchten, lernte das physische 
Auge sehen; in demselben Mafie entwickelte sich auch die Bewuftt- 
seinsseele und innerhalb derselben das von sich selber wissende Ich. 
Sprechen konnte der Mensch schon damals. 

Gehen wir noch weiter zuriick in die ersten Zeiten der Atlantis, 
so finden wir, dafi der Mensch wesentlich anders aussah. Kein aufie- 
res Anschauen hatte er damals, sondern eine andere Wahrneh- 
mungsart, in Bildern. Um diesen Bewufitseinszustand zu begreifen, 
stellen Sie sich einen recht lebhaften Traum vor, der etwas von Ihrer 
Umgebung widerspiegelt. Als Beispiel mag folgender Traum dienen. 



Ein Student traumt, er stiinde an der Tiir des Horsaals, ein anderer 
streift ihn absichtlich, was ein schweres Vergehen ist, das nur durch 
ein Duell gesiihnt werden kann. Er fordert ihn, sie fahren in den 
Wald, das Duell beginnt, der erste Schufi kracht. Da wacht unser 
Student auf - er hat den Stuhl neben seinem Bett umgestofien. Ware 
er wach gewesen, so hatte er bemerkt, dafi ein Stuhl umfiel. Weil 
aber seine Bewufkseinsseele im Schlafe herabgedammert war, hat er 
mit einer tieferen, weniger entwickelten Seelenkraft wahrgenom- 
men. Die dramatische Handlung des Traumes ist eine bildliche 
Umgestaltung eines aufieren Vorgangs. 

In ahnlicher Weise verliefen die Bewufitseinsvorgange bei den 
alten Atlantiern. Wohl waren die Bilder geregelter, geordneter, aber 
sie besaften keine klare Wahrnehmung ihrer Umgebung. Das Emp- 
findungsleben driickte sich recht charakteristisch aus in feinen Tast- 
und Farbwahrnehmungen. Nahm der Friihatlantier eine warme 
Nebelstromung wahr, die sich ihm in roter Farbenempfindung sym- 
bolisierte, so wufke er, daft sich etwas Sympathisches ihm nahe. 
Oder wenn er einem anderen, ihm unsympathischen Menschen be- 
gegnete, zeigte das sich ihm auch an durch eine ganz bestimmte 
Empfindung, die zum Bilde wurde, zum hafilichen Farbton. Doch 
die Warme zum Beispiel symbolisierte sich ihm in einer schonen 
roten Wolke. So geschah es in mannigfachen Graden und Variatio- 
nen. Der Friihatlantier hatte also bildliche Wahrnehmungen. Wir 
haben solche nurmehr beim Schmerz, der ja offenbar nur in uns ist, 
so viel er auch von der Aufienwelt verursacht wird und laut werden 
kann. Auch unser Schmerz wird innerlich seelisch erlebt, und ist 
also als solcher doch wahrer als die aufieren Tatsachen. 

Der Atlantier entwickelte indessen schon geordnete Vorstellun- 
gen. Nicht so der Lemurier. Der atlantischen Periode geht namlich 
voran die lemurische. Der Mensch konnte noch keine Sprache 
aufiern. Er war lediglich in der Lage, das, was auch das Tier empfin- 
det, mehr zu verinnerlichen. So entwickelte sich bei ihm das, was wir 
die Empfindungsseele nennen. Den Kontinent Lemurien, der durch 
die Gewalten des Feuers unterging, haben wir uns zu denken zwi- 
schen Afrika, Australien und Asien. 



Nun aber zuriick zu unserem Schema: III a Empfindungsseele, 
III b Verstandesseele, III c Bewufkseinsseele sind alle drei Umwand- 
lungen, veredelte Umgestaltungen aus dem Astralleib. Erst gegen 
Ende der atlantischen Zeit wird der Mensch fahig, in bewuftter 
Weise an sich zu arbeiten. Was tut er nun? 

Bisher haben die kosmischen Krafte den Menschen in seiner Ent- 
wickelung hinaufgehoben. Jetzt fangt der Mensch an, seine Entwik- 
kelung mit Bewufitsein selbst in die Hand zu nehmen, an sich selbst 
zu arbeiten, sich zu erziehen. An welchem Leibe beginnt er nun seine 
Arbeit? Es ist wichtig, hier auf die Reihenfolge streng zu achten. Zu- 
erst war und ist der Mensch imstande, an seinem und in seinen Astral- 
leib hineinzuarbeiten. Und auf dieser Fahigkeitsstufe steht im grofien 
ganzen der Mensch der Gegenwart auch heute noch. Im allgemeinen 
konnen wir vom heutigen Menschen sagen: Er verwendet seine Er- 
lebnisse und Erfahrungen dazu, seinen Astralleib umzugestalten. 
Spater werden wir sehen, dafi eine hohere Entwickelungsstufe darin 
besteht, in die niederen Leiber hineinzuarbeiten. Bleiben wir zu- 
nachst bei der ersten: bei der Fahigkeit, den Astralleib umzuwandeln. 

Vergleichen wir zu diesem Zweck den Kulturmenschen mit dem 
Wilden. Der Wilde folgt zuerst hemmungslos seinen Trieben, Begier- 
den und Leidenschaften, jedem Geliiste. Er kann aber dann beginnen 
an seinem Selbst mitzuarbeiten. Zu gewissen Trieben sagt er: bleibe; 
zu anderen: hebe dich von hinnen. So hort etwa der Menschenfresser 
auf mit seiner Gewohnheit, seinesgleichen zu fressen; er verlalk damit 
eine gewisse Kulturstufe und wird ein anderer. Oder er lernt logisch 
handeln, lernt zum Beispiel pflugen. Dadurch wird sein Astralleib 
immer mehr gegliedert. Friiher bestimmten auftere Machte den Men- 
schen, jetzt tut er es selbst. Der Astralleib eines Hottentotten kreist in 
wilden dunkelroten Wirbeln, bei einem Menschen wie Schiller in 
hellen griinen und gelben, bei Franz von Assisi in wundervollem 
Blau. So wird an dem Astralleib gearbeitet. Das nun, was ganz be- 
wufit in den Astralleib vom Ich hineingearbeitet wird, nennt man 
Geistselbst oder Manas. Mit dem bewufiten Hineinarbeiten des Ich 
beginnt etwas ganz Eigenartiges. Vorher jedoch, ehe man zur Bildung 
dieses Manas kommt, bleibt im Astralleib jener Teil, den auch das Tier 



hat, ganz unverandert. Trotz Zunahme an Verstand kann der Astral- 
leib im wesentlichen unverandert, etwa voll tierischer Begierden blei- 
ben. Es gibt aber Einfliisse, die den Empfindungsleib sehr wohl urn- 
wandeln: bewuike Religiositat und Kunst. Aus diesen saugen wir 
Kraft zur Selbstiiberwindung und Veredlung, das ist eine viel starkere 
Macht als blofie Moral. So viel hat der Mensch von Manas oder Geist- 
selbst, als er in seinen Astralleib hineingearbeitet hat. Dieses ist nicht 
etwas Aufierliches, es ist ein Umwandlungsprodukt dessen, was 
friiher Empfindungsseele war. 

Solange ich blofi an meinem Empfindungsleib arbeite, verwende 
ich meine Errungenschaften, um diesen meinen Astralleib umzuar- 
beiten. Mehr kann alle Moral der Welt nicht leisten, ebenso alle In- 
tellektualitat. Arbeitet aber wahre Religiositat in mir, so driickt sich 
diese starkere Kraft durch den Astralleib hindurch und wirkt bis in 
den nachstniederen, den Atherleib hinein. Das ist natiirlich eine viel 
starkere Leistung, wie wenn das Ich blofi Astralisches umarbeitet, 
denn das Rohmaterial des Atherleibes ist ja viel grober, widerstands- 
fahiger als der feinere astrale Leib. Das Ergebnis dieser Umwand- 
lung nennen wir den Lebensgeist oder Budhi. Der Lebensgeist ist 
also der vergeistigte Lebensleib. Ein solcher, der es darin zur hoch- 
sten Stufe gebracht hatte, wurde im Orient ein Buddha genannt. 
Diese ungeheure moralische Kraft geht vom Bewufttsein aus, wenn 
die drei Seelen durch ein starkes Ich regiert werden. Fur die Mensch- 
heit im allgemeinen sind das Vorbereitungsstufen. In voller bewufi- 
ter Weise arbeitet erst der Chela in seinen Atherleib hinein. Der 
Chela geht darauf aus, bis in seinen Atherleib hinein alles zu vergei- 
stigen. Die Chelaschaft ist abgeschlossen, wenn er Budhi ganz in 
seinen Lebensleib hat hineinstromen lassen, so dafi der Lebensleib, 
den er vom Ich aus veredelt, zum Lebensgeist geworden ist. 

Auf der dritten Stufe erreicht der Mensch das hochste uns vorlau- 
fig erreichbare Prinzip. Er ist imstande, bis in seinen physischen 
Leib hinunterzuwirken. Damit kommt er iiber den Grad des Chela 
hinaus und wird «Meister». Wenn auf der zweiten Stufe Budhi sei- 
nen Atherleib durchgluht, so bekommt der Mensch, aufter morali- 
schen Grundsatzen, seinen Charakter in seine Gewalt. Sein Tempe- 



rament, seine Gedachtniskraft, seine Gewohnheiten kann er andern. 
Der heutige Mensch beherrscht alles dieses nur ganz unvollkom- 
men. Um die Aufgabe des Chela zu begreifen, vergleichen Sie sich, 
so wie Sie gegenwartig sind, mit sich, als Sie zehn Jahre alt waren. 
Wie viel haben Sie seitdem an Kenntnissen hinzugelernt, und wie 
wenig hat Ihr Charakter sich geandert! Der Inhalt der Seele hat sich 
ganz griindlich geandert, die Gewohnheiten und Neigungen aber 
nur sehr gering. Wer als Kind jahzornig, vergeJftlich, neidisch, unauf- 
merksam war, der ist es oft auch noch als Erwachsener. Wie sehr 
haben sich unsere Vorstellungen und Gedanken, wie sehr wenig 
unsere Gewohnheiten geandert! Das gibt Ihnen einen Anhalt, um 
abzuschatzen, wie viel zaher, fester, schwerer bildsam der Atherleib 
gegenuber dem Astralleib ist. Umgekehrt, wie viel fruchtbarer und 
folgenreicher eine am Atherleib erzielte Verbesserung! 

Als Beispiel fur das verschiedene Tempo der Umwandlungsmog- 
lichkeit kann der Satz gelten: Was Sie gelernt und erfahren haben, das 
hat sich verandert wie der Minutenzeiger der Uhr, Ihre Gewohnhei- 
ten wie der Stundenzeiger. Lernen ist leicht, abgewohnen schwer. An 
den Schriftziigen von damals kann man Sie jetzt noch erkennen, die 
gehoren namlich auch zu den Gewohnheiten. Leicht ist es, Ansichten 
und Erkenntnisse, schwer Gewohnheiten zu andern. Dieses so zahe 
Ding, Gewohnheit, nach und nach zu andern, das ist die Aufgabe des 
Chela. Das bedeutet, ein anderer Mensch zu werden, indem man sich 
einen anderen Atherleib schafft, also Lebensleib in Lebensgeist ver- 
wandelt. Damit bekommt man die Wachstumskrafte in seine Hand. 
Gewohnheiten gehoren zu den offenbaren Wachstumskraften. 
Zerstore ich sie, so wird Wachstumskraft, vis vitalis, zu meiner Ver- 
fiigung frei, zu meiner Bewufitseinsdirigierung. Christus sagt: «Ich 
bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.» - Christus ist die Personi- 
fikation der Kraft, die den Lebensleib andert. 

Nun zur dritten Stufe. Es gibt etwas, was noch schwerer unter die 
Gewalt des freien Willens zu bekommen ist als unsere Gewohnheiten, 
als Seelenregungen: das ist der physische Leib in seiner animalischen 
und vegetativen, mechanischen oder reflektorischen Abhangigkeit. 
Es gibt eine Stufe menschlicher Entwickelung, in der kein Nerv sich 



betatigt, kein Blutkiigelchen rollt ohne des Menschen bewufken 
Willen. Diese Selbstumwandlung greift in Verhaltnisse und Zustande 
hinein, die lange, lange vor Atlantis und Lemurien fixiert wurden, 
dementsprechend also am gewohnheitshartesten, am schwersten re- 
versierbar sind: in kosmische Urzustande. In dieser Arbeit entwickelt 
der Mensch Atman, den Geistesmenschen. Die Anlage dazu ist heute 
in jedem Menschen vorhanden. Dieser ganze Kreislauf hangt ab von 
der Erlangung des vollklaren Ich-BewuEtseins. 

Die starksten, machtigsten Gesetze sind diejenigen des Atmungs- 
prozesses. Der ganze Geistesmensch hangt ab von der Lungenat- 
mung, denn sie ist der aufiere Ausdruck des allmahlichen Einziehens 
des Ich. In der alten atlantischen Zeit kam diese Anlage dann heraus 
durch das Ich-Sagen. In Lemurien atmete der Mensch nicht durch 
Lungen, sondern durch kiemenartige Organe. Auch ging er nicht wie 
heute, sondern schwebte oder schwamm in dem mehr fliissigen Ele- 
ment, wo Wasser und Luft noch ungetrennt waren. Zur Gleichge- 
wichtserhaltung hatte er ein der Fisch-Schwimmblase analoges Or- 
gan. Je mehr die Luft allmahlich sich absonderte, desto mehr wandel- 
te diese Schwimmblase sich um zu unserer heutigen Lunge. Parallel 
der Lungenentwickelung geht die Erarbeitung des Ich-Bewufitseins. 
Das liegt noch in dem Wort: «Und Gott blies dem Menschen seinen 
Odem ein, und er ward eine lebendige Seele.» Atman heifit nichts an- 
deres als «Atem». Die Regulierung des Atems ist daher eines der 
starksten Hilfsmittel in der Yogaarbeit, die alle Leibesfunktionen 
beherrschen lehrt. Hiermit blicken wir in eine Zukunft, in der die 
Menschen sich von innen heraus umgestaltet haben werden. 

Bewufites Arbeiten in den Atherleib ist also Chelaschaft. 

Bewufites Arbeiten in den physischen Leib: Meisterschaft. 

Der Mensch empfindet das Emporwachsen in diese zwei Stufen als 
eine Erschliefiung neuer Welten, neuer Umgebungen, vergleichbar 
nur mit den Empfindungen des Kindes, wenn es bei der Geburt aus 
dem dunklen warmen Mutterschofie in die kalte helle Welt heraus- 
tritt. Der Moment des Erzeugens von Budhi wird in alien Mysterien 
zweite Geburt, Neugeburt, Erweckung genannt. Wie friiher der 
Mensch eine Welt des Inneren verlieft, von der nur Nachklange im 



Traum vorhanden sind, so betritt er eine neue Welt als Erweckter - 
dieselbe Welt auf hoherer Stufe. Zu jenen alten Zeiten nahm der 
Mensch die Welt wahr mit Hilfe seiner eigenen Innenbilder. Auf der 
kiinftigen Stufe des hoheren Hellsehens tritt der Mensch aus sich her- 
aus und sieht hinter die Wesenheit der Dinge, er sieht ihre Seelen. Es 
ist ein Hellsehen, das sich nach aufien richtet und das «An sich» der 
Dinge heraushebt. Der Seher dringt zum Beispiel hinter die Ober- 
flache der Pflanze, des Steins hinunter. Dieses nach aufien gerichtete 
Hellsehen erhellt bei voller Verstandeswachheit nicht nur den Ur- 
grund seiner eigenen Seele, sondern auch den der Wesenheiten und 
Dinge aufterhalb seiner selbst. So geht die Entwickelung vor sich. 

Der heutige Mensch lebt im manasischen Zustand, das heilk, er 
vermag wohl an seinem astralen, jedoch noch nicht an seinem Ather- 
leib, und am allerwenigsten an seinem physischen Leibe Wesentli- 
ches zu andern. Der Mensch nimmt daher von einem anderen nur so 
viel auf, als seiner Entwickelungsstufe entspricht. «Du gleichst dem 
Geist, den du begreifst, nicht mir!» dieses Wort gilt auch hier. 

Nach der christlichen Terminologie entsprechen sich die Be- 
zeichnungen: 

Vater Sohn-Wort Geist, Heiliger Geist 

Atman Budhi Manas 

Aus welchem Grunde wird Budhi das «Wort» genannt? Damit 
treten wir an den Rand eines der grofien Mysterien heran, und wir 
werden sehen, welch hohe Bedeutung in der Bezeichnung «Wort» 
liegt. 

Wir haben gesehen, dafi der Mensch seinen Lebensleib durchgeistigt 
mit der Budhi. Was bewirkt der Lebensleib im Menschen? Wachs- 
tum und Fortpflanzung, alles, was das Lebewesen vom Mineral un- 
terscheidet. Welches ist die hochste Aufierung des Lebensleibes? 
Die Fortpflanzung, das Wachstum iiber sich selbst hinaus. Was wird 
nun aus dieser letzten Aufierung des Lebensleibes, wenn der 
Mensch den Weg zuriick zur Vergeistigung bewufk zurucklegt? 
Worin verwandelt sich diese Fortpflanzungskraft, was wird aus ihr, 
wenn sie gelautert, durchgeistigt ist? - Im menschlichen Kehlkopf 



haben Sie die Lauterung, die Umwandlung der Fortpflanzungskraft, 
und in dem artikulierten Vokallaut, im menschlichen Wort das um- 
gewandelte Fortpflanzungsvermogen. Analog dem Gesetz «Alles ist 
unten wie oben» finden wir den entsprechenden Vorgang auch im 
Physischen: den Stimmbruch, die Mutation zur Zeit der Ge- 
schlechtsreife. Alles, was Geist wird, geht vom Wort oder vom In- 
halt des Wortes aus. Das ist das allererste Hereinscheinen von 
Budhi, wenn aus der menschlichen Seele der erste artikulierte Laut 
dringt. Ein Mantram wirkt deshalb so bedeutsam, weil es ein geistig 
artikuliertes Wort ist. Ein Mantram ist deshalb fur den Chela das 
Mittel, um hinunterzuwirken in die Tiefen seiner Seele. 

So haben wir im Physischen die Kraft des Fortpflanzungsvermo- 
gens, durch welche das Leben iiber den Eigenleib hinaus erzeugt und 
weitergegeben wird, zu etwas Dauerndem wird. Und wie die physi- 
schen Zeugungsorgane leibliches Leben, so geben die wortzeugenden 
Organe - Zunge und Kehlkopf, Odem - geistiges Leben weiter wie 
Ziindungsapparate. Im Physiologischen ist der enge Zusammenhang 
zwischen Stimme und Zeugung offensichtlich. Er tritt uns entgegen 
im Nachtigallensang, im Balzen, Stimmwechsel, Stimmzauber, im 
Gesang, Gurren, Krahen, Rohren. Wir konnen geradezu den Kehl- 
kopf das hohere Geschlechtsorgan nennen. Das Wort ist Zeugungs- 
kraft fur neue Menschengeister, der Mensch erreicht im Worte eine 
vergeistigte Schopferkraft. Heute beherrscht der Mensch die Luft mit 
dem Wort, indem er sie rhythmisch-organisch gestaltet, erregt, belebt. 
Auf hoherer Stufe vermag er das in dem fliissigen und zuletzt in dem 
festen Element. Dann haben Sie das Wort umgestaltet zum Schdpfer- 
worte. Der Mensch wird in seiner Entwickelung das erreichen, denn 
es war urspriinglich so da. Der Lebensleib, hervorgestromt aus dem 
Worte des Urgeistes, - das ist wortlich zu nehmen. Deshalb wird 
Budhi das «Wort» genannt, was nichts anderes heifit als: Ich bin. 



Gott 

physischer Leib 



Leben Licht 

Wort Astralleib 

Atherleib Empfindungsleib 
Lebensleib 



entspricht den 
drei Reichen 



So sehen wir in geometrischer Klarheit die johanneischen Wun- 
derworte: «Im Urbeginne war das Wort, und das Wort war bei Gott, 
und ein Gott (Schopfer) war das Wort. In diesem war das Leben, 
und das Leben war das Licht der Menschen.» Der Astralleib, der 
sternenleuchtend ist, der wird zum Wortlicht; der Urgott, das Leben 
und das Licht, das sind die drei Grundbegriffe des Johannes-Evan- 
geliums. Johannes mufke sich bis zu Budhi hinaufentwickeln, um 
erfassen zu konnen, was in dem Christus Jesus sich offenbarte. Die 
anderen drei Evangelisten waren nicht so hoch entwickelt. Johannes 
gibt das Hochste, er war ein Erweckter. Johannes heiften alle, die 
erweckt sind. Das ist ein Gattungsname, und die Auferweckung des 
Lazarus im Johannes-Evangelium ist nichts anderes als die Beschrei- 
bung dieser Erweckung. Der Schreiber des Johannes-Evangeliums, 
wir werden spater seinen Namen horen, nennt sich nie anders als 
«der Jiinger, den der Herr lieb hat». Das ist die Bezeichnung fur die 
intimsten Schiiler, fur diejenigen, bei denen es dem Lehrer und Mei- 
ster gelungen ist, den Jiinger zu erwecken. Die Beschreibung einer 
solchen Erweckung gibt der Verfasser des Johannes-Evangeliums in 
der Auferweckung des Lazarus: «der Herr hatte ihn lieb», er konnte 
ihn erwecken. 

Nur wenn wir in tiefster Demut uns solchen religiosen Urkunden 
nahen wie das Johannes-Evangelium eine ist, diirfen wir hoffen, bis 
zum wortlichen Verstandnis zu gelangen, und wenigstens einen 
kleinen Teil seines heiligen Inhaltes unserem Verstandnis zu er- 
schlieEen. 



DIE THEOSOPHIE 
ANHAND DES JOHANNES-EVANGELIUMS 

Dritter Vortrag, Milnchen, 31. Oktober 1906 

Im vorhergehenden Vortrag warfen wir einen Blick auf das Wesen 
der menschlichen Natur. Heute fahren wir in dieser Betrachtung 
fort. Haben wir den Sinn der Menschheitsentwickelung kennenge- 
lernt, so verstehen wir den Johanneischen Hauptgedanken besser. 
Dieser Entwickelungsgang der Menschheit ist das Thema der Ein- 
gangskapitel. Es will erstens sagen: dieser Christus Jesus ist es, den 
ich euch begreiflich machen will. Zweitens: der Entwickelungsgang 
der ganzen Menschheit wird in ganz bestimmter Weise von diesem 
Christus beeinfluftt. Von Christus ab wurde der Entwickelungsgang 
des einzelnen Menschen auch ein ganz anderer. Wir miissen die 
Parallele zwischen dem Entwickelungsgang der ganzen Menschheit 
und dem des einzelnen Menschen recht deutlich begreifen. 

Im Menschen liegen die drei hochsten Wesensglieder heute noch 
unentwickelt. Die Durcharbeitung dieser Glieder tritt, je hoher ihre 
Natur ist, um so spater an den Menschen heran. Werfen wir einen 
Blick auf die Evolution der Menschheit auf Erden durch die ver- 
schiedenen Rassen hindurch. Die Hauptrassen der Urzeit sind die 
polarische, die hyperboraische, die lemurische. In der ersten Haupt- 
rasse wird entwickelt der physische Leib, in der zweiten Hauptrasse 
der Atherleib, in der dritten der Astralleib, Empf indungsleib. Soweit 
ist der Mensch in der lemurischen Zeit gediehen. 

Wahrend der atlantischen Zeit, der vierten Hauptrasse, wird aus 
dem Empfindungsleib die Empfindungsseele herausgebildet, ferner 
die Verstandesseele und endlich, ganz gegen das Ende der Atlantis, die 
Bewufkseinsseele mit dem Ich, womit die fiinfte Hauptrasse anhob, 
unsere jetzige Rasse. Vor dem Erwachen der Bewulkseinsseele waren 
die Hauptfahigkeiten des Menschen Sprache und Gedachtnis. Kom- 
binieren, logisch schliefien und rechnen konnte er noch nicht. Erst mit 
dem aufdammernden Bewufitsein beginnt die fiinfte Hauptrasse, de- 
ren Mission ist, Manas, das Geistselbst, den Menschen einzugliedern, 
es auszubilden. Beim Aufgehen des Manas entwickelt sich die erste 



Unterrasse dieser unserer Wurzelrasse. Es ist die indische vorvedische 
Kultur. Ihr folgt die persische, dann als dritte die chaldaisch-agyp- 
tisch-hebraische, und als vierte die griechisch-lateinische. Wir selbst 
gehoren zur funften Unterrasse. Wir machen die fiinfte Stufe der Ma- 
nas-Entwickelung durch. Uns folgen wird die sechste Unterrasse mit 
noch anderen, hoheren Aufgaben der menschlichen Entwickelung. 

Diesen alien ist die Aufgabe gemeinsam, das Manasprinzip zum 
Ausdruck zu bringen. Jede der Rassen tut dieses in besonderer 
Weise. Im einzelnen geschieht es etwa so: 

In der ersten Unterrasse hatte der Empfindungsleib oder Astral- 
leib die allgemeine manasische Einfiihlungsarbeit zu leisten. Unser 
heutiger physischer Leib umfafk eine mannigfache komplizierte 
Summe von Organsystemen. In dem Zeitalter, in dem wir leben, um- 
falk er das Knochen- und Muskelsystem. Die gesamten Sinnesappa- 
rate sind von den Kraften des physischen Leibes gebildet. Der Ather- 
leib bewirkt alles Vegetative, alle Organe, die der Ernahrung, Verdau- 
ung, Fortpflanzung dienen. In diesen leiblichen Komplex baut der 
Astralleib das Nervensystem hinein. Alle unbewulken Bewegungen, 
alle Reflexe hangen von dem sympathischen Nervensystem ab, das 
sich symmetrisch zu beiden Seiten des Riickenmarks erstreckt. Den 
Teil, der sich in der Bauchhohle ausbreitet, nennen wir den Solarple- 
xus. In der lemurischen Zeit war das sympathische Nervensystem das 
eigentliche astralische Wahrnehmungsorgan. Es war damals von an- 
derer Beschaffenheit und diente dem Hellsehen. Unter der Einwir- 
kung der Empfindungsseele gliederte sich das Riickenmark ein, das 
dann unter dem Einflufi der Verstandesseele zum Gehirn wurde, in- 
dem sich die zwei Strange des Riickenmarks an ihren Enden gleich- 
sam aufplusterten und erweiterten. Das Vorderhirn bildete sich erst 
gegen Ende der atlantischen Epoche aus. Parallel mit dieser Entwik- 
kelung ging eine andere, namlich die hohere Ausbildung der Atmung 
und Blutzirkulation, der Ernahrungs- und Wachstumsvorgange. 

Das Starkste am Menschen war beim Anbruch der funften Wur- 
zelrasse der Empfindungsleib, so daft in der ersten Unterrasse, der 
indischen, Manas in den Empfindungsleib hineingesenkt wird. Die 
Fiihrer dieser Epoche suchten das alte Hellsehen in sich wieder zu 



erwecken. Die hoheren Verstandeskrafte, die noch nicht stark genug 
waren, wurden ausgeschaltet. So wurde mit Hilfe des sympathi- 
schen Nervensystems ein traumartiges Hellsehen ausgebildet. Ma- 
nas senkte sich in das sympathisers Nervensystem und damit in den 
Empfindungsleib. Auf diese Weise wird die ganze herrliche Traum- 
welt des alten Indiens begreiflich, das grofie und weite, aber damm- 
rige und dumpfe Erfassen des Brahman, das Aufier-sich-Sein des 
alten Yogasystems. 

In der zweiten Unterrasse steigt das Manas hoher hinauf, steigt in 
die Empfindungsseele. Die Urperser stellen uns dieses dar. Bei ihnen 
lebt das Geistselbst oder Manas in der Empfindungsseele. Der erste 
Ausdruck davon ist das Sich-Entgegentreten von Welt und Seele, 
von Welt und Ich. Das ist ausgedriickt in dem Gegensatz der Geist- 
gestalten von Ormuzd und Ahriman. Der Mensch sucht den da- 
durch entstandenen Zwiespalt durch die Arbeit zu uberwinden. Das 
Chaos, die ungeordnete Materie, soil iiberwunden werden von dem 
guten Gott, der hinfuhrt zum Geistigen. 

Die dritte Unterrasse lebt sich dar in den agyptischen, assyri- 
schen, israelitischen Volkern. Das Manas oder Geistselbst steigt bis 
in die Verstandesseele hinauf. Manas in ihr sucht nunmehr die Welt 
um sich herum verstandesmalSig zu begreifen. Oder mit anderen 
Worten: der Mensch trachtet Manas im Kosmos zu finden. Daraus 
ergeben sich die weisheitsvollen Systeme der chaldaischen Astrolo- 
gie, die Kombinationen zwischen den ewigen Gesetzen, welche den 
Kosmos und die Menschenschicksale leiten und bewegen. Hinauf zu 
den Sternen blickt der chaldaische Priesterweise, und es entsteht je- 
nes wunderbare Wissen von den Planetenbewegungen. In besonde- 
rem Mafie gilt aber das Waken von Manas bei dem einen Volke, dem 
auserwahlten. Die Israeliten wenden das manasische Prinzip so an, 
dafi das Volk selbst nach dem Verstande eingerichtet, als geschlosse- 
ne Volksgemeinschaft geschaffen wird. Die Gesetzgebung des Mo- 
ses, sie ist ein Abbild der Sternenweisheit der chaldaischen Priester. 

In der vierten Unterrasse, der griechisch-lateinischen, dringt das 
Geistselbst hinauf bis in die Bewufttseinsseele. Eben das ist das Er- 
wachen des Bewulkseins, daft es sich selbst gleichsam am Schopfe 



packt. Das voll erwachte Bewufitsein legt nunmehr nicht nur seinen 
Verstand und sein Gemiit in die Welt, wie in Jehovas Gesetz, son- 
dern in Hellas legt es sein ganzes Ich in seine Gotter hinein, in reine 
Menschenbilder. Rom aber schafft sich sein idealisiertes Ich in sei- 
nem Staate wieder. Die griechischen Gotter und der romische Staat 
sind also das Abbild dessen, was das Ich in sich hat und nun objektiv 
zu machen sucht. 

Die ftinfte Unterrasse, das ist unsere anglo-germanische Rasse, 
die zum Ausdruck bringen soil das Geistselbst im Geistselbst, Ma- 
nas in Manas. Das heifit, der Mensch wird begreifen lernen, was das 
Geistselbst eigentlich ist; der Mensch wird drinnenstehen in Manas. 
Manas wird endlich in sich selbst wirken. Heute begreifen nur we- 
nige Menschen eigentlich das Manas. Das Denken mit dem Denken 
zu begreifen, das Denken im Denken zu erhaschen, die Ewigkeits- 
schlange fertig zu runden, das ist die Aufgabe der fiinften Unterras- 
se. Das Denken ist das Organ, wo sich zunachst das menschliche 
Wesen wie an einem Zipfel ergreift. Dies im Menschen anzuregen, 
ist der Zweck meines Buches «Die Philosophic der Freiheit». 

Die sechste Unterrasse ist die kiinftige. Das Geistselbst dringt bis 
in Budhi hinauf; da scheint in Manas, wie ein Licht von oben, Budhi 
in den Menschen herein. Zuerst aber ist Budhi noch eine Gabe von 
oben. Diesem Hereinleuchten von Budhi entspricht der christliche 
Begriff der Gnade. Der Anfang des EinflieEens geht bis in die vierte 
Unterrasse zuriick. Diesen Zeitpunkt haben wir als den Anfang des 
Christentums zu bezeichnen. Und derjenige, der Budhi in die irdi- 
sche Menschenwelt hereingebracht hat, ist der Christus Jesus. Und 
der Christus Jesus erschien als der Hereinbringer jener bisher volhg 
fremden Macht. 

Zusammenfassend sei gesagt: Was der Mensch sich wahrend der 
fiinf Rassen angeeignet hat, das ist Manas - Manas, das Geistselbst. 
Ihm kommt wie eine Gabe von oben Budhi entgegen, das entspricht 
der christlichen Grundidee der Gnade. Dieses also ist das Thema des 
Johannes-Evangeliums. Doch wie wurde dazu der Ansatz gemacht? 
Zwei Dinge miissen, mufiten zusammenkommen, um Budhi wirk- 
lich wirkend werden zu lassen: erstens, die Menschen mulken als 



Trager der bisherigen Entwickelung nun ein aus Manas gebildetes 
Organ fur Budhi haben. Sie mufken durstig sein nach Budhi, dur- 
stig, iiber den Verstand hinauszukommen. Gehirnentwickelung en- 
det ohne Zusammenhang mit den hoheren Gliedern immer in einer 
Sackgasse, sie kommt iiber manasische Entwickelung, iiber astrale 
Dinge nicht hinaus. 

Es gab solche Menschen, die aus dem Manas heraus der Budhi ein 
hochentwickeltes Seelenorgan entgegenbrachten. Das mufi so sein. 
Es mag noch so viel Licht scheinen, wenn kein Auge da ist, wird es 
nicht wahrgenommen. So ist es auch mit Budhi. Es gab einen Namen 
fur alle die Menschen, die ein solches Organ entwickelt hatten, die 
durstig waren nach der Budhi, einen Gattungsnamen: Johannes. Er 
ist auch besonders anwendbar auf den Taufer. Christus und Budhi 
ist dieselbe Stromung in geistiger Beziehung. 

Wir miissen nun auch das andere bedenken: Manas gestaltet auch 
den physischen Menschen um. Allmahlich erstarkten die Organe, 
allmahlich gliederte sich das erstarkende Riickenmark ein, und es 
bildeten sich immer neue Kraftzentren. Diesen geistigen Vorgangen 
mufiten wie immer leibliche entsprechen. Die Aufgabe der funften 
Hauptrasse war die Etablierung von Manas, dem entsprechend im 
Korper: die Bildung des Gehirns. Es steht bevor in der sechsten 
Hauptrasse: Etablierung von Budhi; Vollendung des Herzens als 
eines vollig willkurlichen Muskels. In der siebenten Hauptrasse: 
Etablierung von Atman; Vollendung des Atmens. 

Wir sahen, wie das Herz und die Atmungsorgane sich bildeten. 
Im Zirkulationssystem ist mit dem Herzen vorgebildet die Budhi- 
Entwickelung. Das Herz steht namlich erst am Anfange seiner Ent- 
wickelung. Vor dem Herzen steht die Anatomie wie vor einem 
Ratsel, denn es macht in ihre Theorie ein Loch. Das Herz ist ein 
quergestreifter Muskel, wie alle willkurlichen Muskeln es sind, 
dabei ist das Herz aber ein unwillkiirlicher Muskel. Damit verhalt 
es sich nun so, dafi es eben zu einem willkurlichen bestimmt ist, 
und zwar in der Zukunft, wenn Budhi ausgebildet ist. Das Herz ist 
fur die Zukunft organisiert, es wird dann ein iiberaus wichtiges 
Organ sein. Wie jetzt Manas im Menschen durch die Blutzirkula- 



tion genahrt wird, so wird dann Manas im Herzen und vom 
Herzen aus wirken. 

Betrachten wir die geschichtliche Entwickelung vor und nach 
dem Hereinleuchten von Budhi. Richten wir vor allem unser Au- 
genmerk auf das Blut. Das Blut wird vom Nervensystem beeinflufk. 
Erst indem die manasische Entwickelung weiterdringt, wird das 
Verhaltnis zum Blut anders. In der Urzeit aller Volker haben wir die 
ganz besondere Erscheinung der sogenannten Nahehe. Wir haben 
die kleinen Volksgruppen, die alle innerhalb der Blutsverwandt- 
schaft heiraten. Bei jedem Volke treffen wir aber den Ubergang zur 
Fernehe, so da$ eine intensive Blutmischung eintritt. Friihere Vol- 
kergruppen waren also stammverwandt; sie hatten einen gemeinsa- 
men Ahnherrn, der besondere Verehrung genofi, zum Beispiel bei 
den deutschen Stammen der Stammvater Tuisto. 

Die Sagen bewahren uns in getreuer Weise die Konflikte auf, die 
durch das Brechen der Blutsbande entstanden. Das Blut soldier in 
Nahehe lebender Volksgemeinschaften wurde beeinflufk durch die 
unteren Partien des Nervensy stems. Dadurch war dem Menschen 
das Hellsehen und das intuitive Unterscheiden von Gut und Bose 
gegeben; er hatte einen sicheren moralischen Instinkt. Mit dem 
Augenblick, wo der Mensch aus der Nahehe heraustritt, tritt fur ihn 
die Unmoglichkeit ein, sich von innen heraus, aus dem Sympathi- 
kus heraus, in das Hellsehen zu vertiefen. Mit der Fernehe hort 
die instinktive Fuhrung auf und das aufiere Gesetz beginnt. Der 
urspriingliche moralische Instinkt verschwand mit der Fernehe; das 
aufiere Gesetz mulke eintreten. Aus der Nacht des alten Instinktes 
heraus dammerte ein moralisches Sternenlicht. Dann kam die mosa- 
ische Gesetzesreligion als Huter der Moral. Diese wird endlich ab- 
gelost durch ein neues Licht, das Christus-Licht, die spirituelle 
Fuhrung. 

Was der moralische Instinkt fur den einzelnen Stamm war, das ist 
Budhi oder das Christus-Prinzip fur die ganze Menschheit. In Chri- 
stus ist dieser Vorgang Fleisch geworden. Christus kam, als die 
Stammesblutsbande geniigend gelockert waren, so dafi der Stam- 
mesgott nunmehr zu einem Gott aller Menschen sich wandeln kann, 



Blutsbriiderschaft zur Pflicht gegen jeden Mitmenschen, Stammes- 
treue zu Selbst- und Gottestreue erweitert werden konnte und soll- 
te. Was das Sonnenlicht der Materie, was die intelligible Wahrheit 
dem Verstande, das ist das Christus-Licht in der Budhi, der von 
oben kommenden Gnade. Durch Budhi ist das Friihere nun nicht 
mehr mafigebend, weder der durch die Blutsbande gegebene Moral- 
instinkt noch das Priestergesetz, weder Moses noch uberhaupt 
Stammesautoritaten, deren letzte Jehova war. Nun gilt der Satz: 
«Wer nicht verlafit Vater und Mutter und Bruder um meinetwillen, 
der kann nicht mein Jiinger sein.» Das heifit, wer nicht vergifit die 
alten Stammesprinzipien, und die Blutsliebe nicht auf alle Menschen 
iibertragt, der kann nicht Christus nachfolgen. Die alten Stammes- 
gotter hatten unauflosliche Ehen mit ihren Volkern geschlossen, mit 
ihren Volkern mufiten sie vergehen. Der Christus stellt in der Welt 
dar einen ganz neuen Geist, der in die Menschheit einzog, und dieser 
Geist verband sich mit der Menschenseele, die durch die ganze Evo- 
lution hindurchgeht. Die den Namen Johannes trugen, die fiihren- 
den Menschen jener Zeit, waren so weit, mit grofiter Starke die 
brennende Sehnsucht zu empfinden nach etwas, das oberhalb der 
blofien Gesetzmafiigkeit und Gerechtigkeit liegt, das heilk, sie diir- 
steten nach dem neuen Menschensohne. Wer diese Sehnsucht befrie- 
digte, das war der Christus, der Brautigam der Menschheitsseele 
uberhaupt, die Menschheit war die Braut. So ist Christus oder Budhi 
in der Tat der einig geborene Sohn Gottes: «Er mufi wachsen, ich 
aber mufi abnehmen», war der Ausspruch Johannes des Taufers. 

Eines der grofiten Symbole fur dieses Hochzeitsfest ist die Hoch- 
zeit zu Kana in Galilaa, einem Orte, wo allerlei Volker in buntem, 
internationalem Gemisch zusammenstromten. Wir sehen, wie dort 
ein Hochzeitsfest gefeiert wird. «Und die Mutter Jesu war auch da», 
so heifit es. Nie wird im Johannes-Evangelium die Mutter Jesu 
«Maria» genannt, ebensowenig wie der Schreiber des Johannes- 
Evangeliums, der Jiinger, den der Herr lieb hatte, «Johannes» ge- 
nannt wird. Die Mutter Jesu ist namlich die Menschenseele, und 
diese mufi erst ausreifen, bis Christus in ihr wirken kann. Darum die 
Worte: «Weib, was habe ich mit dir zu schaffen, Meine Stunde ist 



noch nicht gekommen.» Niemals hatte eine so hohe Individualist 
wie Christus sonst so zu seiner leiblichen Mutter gesprochen. 

Das vierte Kapitel des Johannes-Evangeliums zeigt uns Jesus mit 
der Samariterin am Jakobsbrunnen. Hier haben Sie Jakob, den Re- 
prasentanten der Stammesgottheit; den Brunnen: die alte Tradition, 
aus der geschopft werden mui? und die nicht befriedigt. «Spricht 
nun das samaritische Weib zu ihm: <Wie bittest du von mir zu trin- 
ken, der du doch ein Jude bist und ich ein samaritisch Weib?> (Denn 
die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern).» Hier 
haben Sie das alte Gesetz. Aber an die Stelle dessen, was durch das 
Stammesblut floft, sollte ein neues Lebensprinzip treten: die Budhi. 
«Wer aber des Wassers trinkt, das ich ihm gebe, den wird ewiglich 
nicht dursten; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das 
wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige 
Leben quillet. » 

Der Menschengott vermahlte sich der Menschenseele, die Budhi 
senkte sich in Manas hinab, und fortan konnte die Menschheit das 
Bewufitsein von Gut und Bose aus einem anderen Quell, dem Quell 
des «lebendigen Wassers», und nicht mehr aus dem Brunnen des 
Vaters Jakob, der mosaischen Gesetzgebung, schopfen. Denn in 
diesem Sinne und in keinem anderen ist das Gesprach des Christus 
Jesus am Brunnen mit dem samaritischen Weibe zu verstehen. 

Wer war Christus? Und was hat er fur die Evolution getan? 
Das sind die groften Fragen, an deren Beantwortung wir allmahlich 
herantreten wollen. Manches ist jetzt vielleicht noch schwierig zu 
begreifen, darum miissen erst allmahlich Tone angeschlagen werden, 
die noch starker nachklingen werden. 



Schema fiir die Unterrassen (Kultur epoch en) 
der fiinften Runde der Erdenentwickelung 



Erste Unterrasse 
Zweite Unterrasse 
Dritte Unterrasse 
Vierte Unterrasse 
Fiinfte Unterrasse 
Sechste Unterrasse 



Geistselbst durchdringt den Empfindungsleib 
Geistselbst durchdringt die Empfindungsseele 
Geistselbst durchdringt die Verstandesseele 
Geistselbst durchdringt die Bewufitseinsseele 
Geistselbst durchdringt das Geistselbst, Manas 
Geistselbst durchdringt den Lebensgeist, Budhi 



Soweit strahlt Budhi hinein. 



Fiir die nachste, die sechste Runde, hatte Budhi alles das zu tun, was 
Manas in der fiinften tat; auf ihr blieb Ende der fiinften Hauptrasse 
und der vierten Unterrasse der Weltenzeiger stehen. In der sieben- 
ten Runde ware dann Atman auszubilden. 



Schema fiir die Hauptrassen (Hauptzeitalter) 

Erstes Hauptzeitalter bildet aus den physischen Leib 

Zweites Hauptzeitalter bildet aus den Atherleib 

Drittes Hauptzeitalter bildet aus den Empfindungsleib, Astralleib 

Viertes Hauptzeitalter bildet aus das Ich-Bewufksein 

Fiinftes Hauptzeitalter bildet aus Manas, Geistselbst 



DIE THEOSOPHIE 
ANHAND DES JOHANNES - EVAN GELIUMS 

Vierter Vortrag, Munchen y 2. November 1906 

Wir sind vorgestern in unserer Betrachtung dahingekommen, fest- 
zustellen, welche groften Gesichtspunkte im Johannes -Evangelium 
liegen. Heute wollen wir von den Beziehungen des Menschen zu der 
uns hier au£ dieser Erde umgebenden Welt reden. Der Mensch sieht 
gewohnlich sich selbst als ein viel zu einfaches Wesen an. In Wirk- 
lichkeit ist er aber ein sehr kompliziertes Gebilde. Eine Eigenart des 
Gegenwartsmenschen ist die Bequemlichkeit, die bis in unser Vor- 
stellungswesen herauf wirkt. Die Wahrheit ist etwas Einfaches nur 
fur jenen, der sich zuerst durch die Mannigfaltigkeit durchgerungen 
hat. Sie ist wie ein Faden, an dem viele, viele Perlen aufgereiht sind. 

Aus den offentlichen Vortragen haben wir bereits entnommen, 
wie der Mensch verwandt ist mit dem ihn umgebenden Kosmos, mit 
der ihn umgebenden irdischen Natur. Durch seinen physischen Leib 
ist er verwandt mit der mineralischen, sogenannten leblosen Welt, 
durch seinen Atherleib mit der ganzen Pflanzenwelt, der Vegetation, 
durch seinen Astralleib mit alien tierischen Wesen. Erst durch das 
Ich-Bewufitsein erhebt er sich iiber die anderen drei Reiche. Ohne 
diesen Werdegang griindlich zu verstehen, und ohne zu verstehen, 
was eine Einweihung oder Erweckung ist, konnen wir nicht in die 
Tiefen des Johannes-Evangeliums dringen. 

Betrachten wir die drei Reiche der Natur um uns. Der Kristall hat 
kein Selbstbewufksein, kein Ich in der physischen Welt. Diese 
Behauptung beruht auf klaren Erkenntnissen, die aus der okkulten 
Forschung stammen. Doch nur hier auf dieser Erde haben der Stein, 
die Pflanze, das Tier kein Selbstbewufitsein. Es taucht ja die Frage 
auf: bewufk sei doch alles? Wie das zu verstehen ist, kann uns erst 
durch okkultes Studium klarwerden. Gehen wir zunachst vom 
Bewufitsein des Menschen aus. Das Wesen des Menschen in seiner 
Viergliedrigkeit beruht darauf, dafi er sein Bewufitsein in dieser phy- 
sischen Welt hat, daft er seine vier Glieder in dieser Welt hat. Machen 
wir uns dies durch ein Schema klar: 



Astralwelt Rupa- Arupa- 

Devachan Devachan 

Atherleib Astralleib Ich 

Astralleib Ich 

Ich 



In der 

physischen Welt 

Mineral Physischer Leib 

Pflanze Physischer Leib 
Atherleib 

Tier Physischer Leib 

Atherleib 
Astralleib 

Mensch Physischer Leib 
Atherleib 
Astralleib 
Ich 

Das Tier hat seine drei Leiber hier, sein Ich in der Astralwelt; das 
Tier hat darum keine individuelle Seele, sondern eine Gruppenseele. 
Wenn Sie des Menschen zehn Finger betrachten, sind sie alle belebt, 
aber nicht selbstandig - sie sind nur ein Glied an dem ganzen Leibe. 
So wie wir das Ich der Finger in uns suchen miissen, so miissen wir 
in die astralische Welt hinaufgehen, um die gemeinsame Seele der 
Tiere zu finden. Die einzelnen Lowen sind Glieder des Lowen-Ich, 
der Lowen-Seele. Alle Lowen sind astralisch verbunden, von jedem 
geht ein Faden in die Astralwelt, wo das Ich sich befindet. 



Lowen -3ch 



'/>/'' "SS" ' 

i 

* 4 * * 

*'»; • • i"\ 

1 i ' ' • i 

6 O w 



Fur den Materialisten ist das unglaublich; der Geistesforscher muS 
aber sagen: es ist wahr! Man kann der Gruppenseele der Tiere genau 
solch eine Evolution zuschreiben, wie dem menschlichen Ich in der 
physischen Welt. Wenn wir Gruppen von Tieren auf dem Astralplan 
verfolgen, dann sehen wir dort ihre Entwickelung so vor sich gehen, 
wie die des Menschen auf dem physischen Plan als Individuum. 

Die Pflanze hat ihren Astralleib in der Astralwelt, den physischen 
und Atherleib in der physischen Welt und das Ich im unteren De- 
vachan. Was ist aber die Wesenheit einer solchen Pflanzengruppe? Es 
haben gleichartige Pflanzen ihr Ich, ihre Gruppenseele im Devachan. 
Der Mensch im traumlosen Schlaf ist genau in derselben Lage wie die 
Pflanze ihr ganzes Leben lang. Die ganze Pflanzenwelt der Erde ist 
ein schlafendes Wesen; die Pflanze fiihrt ein Traumleben. 

Betrachten wir den schlafenden Menschen: Im Bette liegt der phy- 
sische und Atherleib, der Astralleib befindet sich auf dem Astralplan 
und das Ich im traumlosen Schlaf im Devachan. Gehen wir zum 
Mineral liber. Es hat seinen physischen Leib in der physischen Welt, 
seinen Atherleib in der Astralwelt, den Astralleib in Rupa-Devachan, 
und das Ich ganz oben in Arupa-Devachan. 

Unterer Devachan, Rupa: die Welt der geistigen Gestalten 
Oberer Devachan, Arupa: die Welt, die noch nicht gestaltet ist 

Das Mineral denkt, fiihlt und will wie der Mensch, nur nicht auf 
dem physischen Plan, sondern im Devachan. Es erstreckt nur seine 
leblosen Teile in die physische Welt. Das Verhaltnis vom Mineral zu 
seiner Seele ist dasselbe, wie beim Menschen dasjenige von seinen 
Nageln und Knochen zu seinem Ich. Ein Insekt, das iiber einen Fin- 
gernagel kroche und ihn fur leblos hielte, weil es das ganze Individu- 
um nicht uberschaut, ware mit einem Menschen zu vergleichen, der 
einen Kristall fur leblos hielte. Der Kristall ist also ein Gegenstand, 
der einem Wesen zugehort, das hinaufreicht bis in die geistige Welt; 
so ist der Zusammenhang seiner physischen Erscheinung mit der 
geistigen Welt. 

Der Mensch hat seine vier Wesensglieder auf dem physischen Plan. 
Was am Menschen physischer Natur ist, bleibt physischer Leib, hat 



aber im Devachan fur sich ein Bewulksein, von dem der Mensch aller- 
dings nichts weift, das indessen in seinen Gliedern spukt. Ein anderes 
Bewufksein hat der Atherleib, das sich im unteren Devachan auslebt. 
Endlich hat auch der Astralleib ein ihm eigenes Bewulksein auf dem 
Astralplan. So daft der Mensch also ein sehr kompliziertes Wesen ist. 
Folgendes Schema mag uns zur Erlauterung dienen: 

Oberer Devachan Physischer Leib 

Unterer Devachan Atherleib 

Astralplan Astralleib 

Physischer Plan Ich 

Sein Ich ist heimisch in der physischen Welt; das kann ihm niemand 
streitig machen. Weiter lebt im Menschen und gehort zu ihm dasjenige 
von seinem Astralleib, das ein unbewufites Bewulksein hat und hei- 
misch ist auf dem Astralplan. Ferner besteht ein unbewufkes Bewufk- 
sein des Atherleibes auf dem unteren Devachanplan, und ein solches 
vom Ich im oberen Devachanplan. Das Wichtigste nun ist, daft der 
Mensch vom Ich aus in die anderen Korper hineinarbeitet, und dafi 
dadurch erst die verschiedenen Bewufttseine ihm bewufit werden. 

Eine eigentiimliche Verbindung des Menschen mit den verschie- 
denen Welten gibt es, die ein hochst wichtiges Mysterium ist. Lernt 
man das erkennen, dann weift man allmahlich, was eine Einweihung 
ist. Wenn der Mensch von seinem Ich aus hineinarbeitet in seinen 
Astralleib, dann steigt er hinauf zum Astralplan und wird ein Ge- 
nosse aller astralischen Wesenheiten. Alles das, was ein Astralbe- 
wufitsein hat, ist rings um ihn. Wenn er mit seinem Ich in seinen 
Atherleib hineinarbeitet, dann steigt er zugleich hinauf in die unte- 
ren Partien des Devachan; es tauchen dann um ihn herum atherische 
Wesenheiten auf. Das ist ein grower und gewaltiger Moment: 
Er sieht das Licht nicht nur als Licht, sondern als den Trager licht- 
voller Wesenheiten; mit den physischen Sonnenstrahlen dringen 
heran Engelwesenheiten, die das Licht als Leib haben. Das ist ein 
Ergebnis der Einweihung. 

Wenn der Mensch noch hoher hinaufsteigt oder hinuntersteigt - 
erinnert sei an das Goethe-Wort: 



«Versinke denn! Ich konnt' auch sagen: steige! 
's ist einerlei ...» 

- dann ist der Augenblick da, wo er zunachst mit dem Urvater der 
Welt eins wird. Dann kann er sagen: «Ich und der Vater sind eins.» 
Dann tauchen Wesenheiten auf - noch hohere als die geschilderten. 
Nun stellen Sie sich eine Personlichkeit vor, welche so hoch ein- 
geweiht ist, dafi sie in ihren eigenen Leibern bewufk die Natur der 
hoheren Wesen tragt, wie dies Johannes an dem Christus Jesus er- 
lebt. In dem Einen Christus Jesus sieht der Schreiber des Johannes- 
Evangeliums die Wesenheiten der drei Welten. Und er lafit Philip- 
pus zu Nathanael sagen (Joh. 1, 45-51) 

«Wir haben den gefunden, von welchem Moses im Gesetz und die 
Propheten geschrieben haben, Jesum, Josephs Sohn von Nazareth. 

Und Nathanael sprach zu ihm: Was kann von Nazareth Gutes 
kommen? - Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh es! 

Jesus sah Nathanael zu sich kommen und spricht von ihm: Siehe, 
ein rechter Israeliter (also Eingeweihter im funften Grad), an wel- 
chem kein Falsch ist. 

Nathanael spricht zu ihm: Woher kennest du mich? Jesus antwor- 
tete und sprach zu ihm: Ehe denn dich Philippus rief, da du unter 
dem Feigenbaum warest, sah ich dich.» 

Dies unter dem Baume-Sein ist der okkulte Ausdruck fur die 
Einweihung, das Geheimnis der Vervielfaltigung und Erweiterung 
der Bewufttseine. Jetzt erst erwidert Nathanael: 

«Meister, Du bist Gottes Sohn» - also ein noch hoherer Ein- 
geweihter -, «und ein Konig in Israel. 

Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubest, weil ich dir 
gesagt habe, dafi ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum; du 
wirst noch Grofieres denn das sehen. 

Und er spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich sage ich euch: Von nun 
an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- 
und herabfahren auf des Menschen Sohn.» 

Das heiftt: dasjenige sehen, was seine vier Bewufkseine durch- 
leuchtet. Der Mensch wird eine Leiter, auf welcher man sehen kann 
die Engel Gottes hinauf- und herabfahren. 



Auch in dieser physischen Welt gibt es hohere Wesenheiten als 
den Menschen. Der Mensch hatte friiher, ehe er auf den physischen 
Plan herabstieg, zur Zeit als der «Blut-Rubikon» noch nicht iiber- 
schritten war, eine Gruppenseele auf dem Astralplan. Der ganze 
Stamm lebte da in dieser Gruppenseele. Ebenso werden die Tier- 
gruppenseelen spater herabsteigen und sich individualisieren. Hier 
beriihren wir ein hohes Mysterium, welches zu den sieben Geheim- 
nissen gehort, die man die unaussprechlichen nennt. 

Eines dieser Geheimnisse ist das Geheimnis der Zahl. Wahr ist es, 
daft ganze Gruppen von Menschen eine Seele hatten. Das Geheimnis 
lautet: Aus dem Einen fliefk es und wird zur Zahl: zahlreich wie die 
Korner der Ahren. Beim Herabsteigen einer solchen Gruppenseele 
geschieht dasselbe wie beim Samenkorn: ein Korn wird in die Erde 
gelegt, und es entsteht daraus die Ahre mit den vielen Kornern. 

Aber alles in der Welt ist in einer bestimmten Weise nur einmal 
vorhanden. So ist auch diese Menschheit, wie sie jetzt ist, nur einmal 
da. Nichts in der Welt wiederholt sich in gleicher Weise. In den Tier- 
gruppenseelen haben wir solche zu sehen, die spater Individualsee- 
len werden, aber unter ganz anderen Verhaltnissen als die Menschen, 
in einer ganz anderen Beschaffenheit. Gibt es nun auch Seelen, die 
schon Individualseelen waren und die dann wieder hinaufstiegen auf 
den Astralplan und zu Gruppenseelen geworden sind? - Ja, solche 
Seelen gibt es. Sie entstehen dann, wenn sich um einen Eingeweihten 
eine Anzahl von Menschen kosmisch zusammenfinden und wie die 
Glieder eines gemeinsamen Leibes werden. Eingeweihte werden so 
zu Volksseelen. So hatte das judische Volk, das auserwahlte Volk, 
eine die Einzelnen verbindende gemeinsame Seele, die einmal 
Mensch war und wieder hinaufgestiegen und zur Volksseele gewor- 
den ist. Im Schofie des Vaters Abraham konnte sie ruhen. 

Denken Sie sich nun, der Mensch mache als Einzuweihender sei- 
ne Entwickelung schneller durch. Er geht dann als Einzelseele den- 
selben Weg, den jene Volksseele gemacht hat: Er wird Gruppenseele. 
Der Einzelne geht auf in einem solchen erweiterten Bewulksein. Er 
ist dann in Wahrheit als Eingeweihter an kosmischem Werte gleich 
einer ganzen Volksseele. Das konnen Sie noch an den alten Benen- 



mmgen sehen. Man nannte diese Stufe der Entwickelung mit dem 
Namen des ganzen Volkes, zum Beispiel Israeliter. 

In der persischen Mithras-Einweihung wurden sieben Stufen un- 
terschieden. Der Eingeweihte des ersten Grades trug die Bezeich- 
nung der Rabe. Er ist der Bote zwischen der physischen und der 
astralischen Welt. Dem Sinnbild des Raben ist bis in die altesten Zei- 
ten hinein Bedeutung beigelegt worden. Im Alten Testament wird der 
Prophet Elias von den Raben versorgt. Raben sind die Boten Wotans, 
die taglich iiber das Erdenrund fliegen und ihm berichten, was sie 
wahrgenommen haben. Auch der Kyffhauserberg, in dem Barbaros- 
sa schlummert, wird von Raben umkreist, die ihm Nachricht geben 
sollen, wenn die Stunde des Erwachens fur ihn gekommen ist. 

Der zweite Grad ist der des Okkulten. Dieser darf schon im 
inneren Heiligtum leben. 

Der Eingeweihte des dritten Grades, der Streiter, darf die okkulte 
Weisheit, die er in sich aufgenommen hat, in der Welt vertreten. Ein 
solcher Streiter ist Lohengrin. Auf diesen Grad wird in dem Buch 
von Mabel Collins «Licht auf den Weg» angespielt. 

Der vierte Grad ist der des Lowen. Das ist die Bezeichnung fur 
einen Initiierten, der mit seinem Bewufttsein bis zur Stammesseele 
aufgestiegen ist. Daher stammt der Ausdruck: Lowe aus dem Stam- 
me Juda. 

Im Eingeweihten des funften Grades ist das Bewufksein des 
Volkes selbst erwacht. Er tragt den Namen seines Volkes; in der 
Mithras-Einweihung heifk er also der Perser. 

Der Eingeweihte des sechsten Grades ist der Sonnenheld. Er 
kann so wenig von seiner Bahn abweichen wie die Sonne selbst. 

Die siebente Stufe ist die des Vaters. Es ist die Vereinigung mit 
dem Urgeist. 

Der «Perser» tragt also den Namen des ganzen Volkes; seine Indi- 
vidualseele wird zur Volksseele. Das Bild, das diese Stufe der Einwei- 
hung zum Ausdruck bringt, ist das Sitzen unter dem Baume. Diese 
Ausdrucksweise werden Sie iiberall in der okkulten Sprache finden. 
Buddha sitzt zum Beispiel unter dem Bodhi-Baume. Der Baum 
stammt von dem einen Samenkorn und ist zu den vielen geworden. So 



ist der Vorgang beim Eingeweihten; er hat die Fahigkeit erlangt, sich 
in jede einzelne Seele hineinzuversetzen. Wie wird nun also bei den 
Israeliten ein solcher genannt worden sein? «Israeliter» natiirlich. 
Wie wir gesehen haben, erkennt Jesus den Nathanael als einen Einge- 
weihten des funften Grades, als den, der ein Volksbewufksein erlangt 
hat. Nathanael erkennt in Christus den hoher Eingeweihten: «Rabbi, 
du bist Gottes Sohn.» Christus ist ein Eingeweihter des siebenten 
Grades, der sein Bewulksein bis zum Vater erweitert hat: «Ich (oder 
das Ich-Bin) und der Vater (oder das Gottliche) sind Eines.» Er ist das 
Leben und das Licht der Menschen, denn er hat sein hohes Bewulk- 
sein bis in den physischen Leib hereingebracht. 

Manche werden denken, eine solche Auslegung werde in das Evan- 
gelium hineinspintisiert. Viele, und meistens heutige Theologen, mei- 
nen, die Bibel miisse «schlicht» ausgelegt werden, womit eigentlich 
bequem gemeint ist. Das Evangelium ist aber nicht in der heute iib- 
lichen Weise und fur Menschen geschrieben, die gewohnt sind, ein 
Buch hochstens einmal zu lesen und dann wieder aus der Hand zu 
legen. Das Evangelium ist fur eine Zeit geschrieben, wo der Inhalt ein 
Lebensbuch darstellte, das wieder und immer wieder gelesen wird. So 
mufi es gelesen und aufgenommen werden, denn erst dann wird man 
erkennen lernen, dafi in jeder dieser hohen Wahrheiten immer eine 
noch hohere, und in jeder Erkenntnis eine noch tiefere Erkenntnis 
enthalten ist, und dafi selbst der Weiseste in der Erkenntnis der religio- 
sen Urkunden und in ihrem vollen Verstandnis niemals auslernt. Fni- 
her trat man an diese Schriften so heran, dafi man einen Satz lernte; 
danach hat man ihn oft und oft in der Seele leben lassen, und wenn man 
dann das Gluck, die seltene Gelegenheit hatte, einem Eingeweihten zu 
begegnen, so liefi man ihn sich noch von diesem erklaren. Denn reli- 
giose Urkunden, und ganz besonders das Johannes -Evangelium, sind 
geschrieben aus der Tiefe der Weisheit heraus, und konnen daher nicht 
tief genug erfalk werden. Die Weisheit ist aber nicht da fur die Beque- 
men. Die Weisheit ist da fiir diejenigen, die da suchen und forschen. 

Die ersten fiinf Einweihungsstufen macht der Einzuweihende 
durch, wahrend er auf dem Astralplan hinauf- oder hinuntersteigt. 
Dies ist ganz einerlei, denn hier gilt der hermetische Satz: Es ist oben 



alles so wie unten. Alles im Geistigen hat sein Gegenbild im Physi- 
schen. Steigen Sie so bis zum Astralplan, dann sind Sie in einer 
Volksseele darinnen, denn diese lebt auf dem astralischen Plan. 

Die sechste Stufe bedeutet so viel wie die anderen fiinf zusammen: 
da steigt der Mensch in seinem Atherleib auf und bewirkt dessen Ent- 
wickelung. Ein Volk entsteht immer aus dem anderen dadurch, dafi 
der Astralleib anders wird; iiberall stehen hinter der Volksseele astrali- 
sche Wesenheiten. Der Atherleib der Menschheit und der des Einzel- 
nen bleibt aber unverandert von Volk zu Volk; ein neuer Atherleib 
entsteht erst bei dem Aufstieg von Rasse zu Rasse. Selbst der physi- 
sche Leib ist der Veranderung unterworf en. Die alten Atlantier hatten 
einen ganz anderen und die ersten Lemurier hatten iiberhaupt noch 
keinen wirklichen physischen Leib. Der Sonnenheld umfafk in sei- 
nem Bewufitsein eine ganze Menschenrasse wie einzelne Atome. Er 
ergreift mit seinem Bewufitsein die ganze Rasse. - Die siebente Stufe, 
die Vater-Einweihung, fiihrt iiber die Rasse hinaus zur ganzen Erden- 
menschheit, zu alien Volkern und Rassen des ganzen Planeten. Chri- 
stus Jesus ist der Reprasentant dafiir; er tragt die ganze Menschheit in 
sich. Darum heifk im Johannes-Evangelium die Menschheit die 
Braut, der eingeweihte Menschensohn der Brautigam. Christus Jesus 
ist derjenige, der im Extrakt das Bewufksein der ganzen Menschheit 
umfafk. Damit sind wir dort angelangt, wo wir den vorigen Vortrag 
bei der Betrachtung der Hochzeit zu Kana abgeschlossen haben. 



DIE THEOSOPHIE 
ANHAND DES JOHANNES-EVANGELIUMS 

FUnfter Vortrag, Miinchen, 3. November 1906 

Sie kennen die Stelle im Johannes-Evangelium: «Denn das Gesetz ist 
durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesum Chri- 
stum geworden.» Betrachten Sie ferner, wie der Christus Jesus seine 
Sendung in Gegensatz bringt zu den Geschehnissen in der Wiiste: 
«Eure Vater haben Manna gegessen in der Wuste und sind gestorben. 



Ich gebe euch ein anderes Brot, ich bin das Brot des Lebens.» Moses 
gab das Brot in der Wiiste, Christus gibt das Brot des Lebens. 

Erinnern wir uns noch einmal daran, wie die vier Glieder der 
menschlichen Wesenheit sich zu verschiedenen Zeiten herausbilde- 
ten. Das Ich tritt als Bewufitsein erst gegen Ende der atlantischen 
Zeit auf. Erst in unserer fiinften Wurzelrasse treten auf die manasi- 
schen Fahigkeiten, und zwar tritt Manas in der urindischen Epoche 
innerlich im Empfindungsleib auf. In einer hoheren Form tritt Ma- 
nas bei den Urpersern in die Empfindungsseele. Bei den Chaldaern 
und Agyptern tritt Manas in die Verstandes- oder Gemutsseele. 

Machen wir uns klar, was das heiftt. Anders als die heutigen 
Astronomen betrachteten die chaldaisch-babylonischen Priester- 
weisen die Sterne. Sie sahen in ihnen lebendige, geistbeseelte Welten. 
Wenn sie vom Planeten Merkur sprachen, so meinten sie damit nicht 
blofi ein Materielles, sondern den Merkurgeist - so wie wir das tun, 
wenn wir einen Menschen mit Namen benennen. Die Bewegung der 
Sterne, ihre Sternenschrift war ihnen der Ausdruck von etwas 
Geistigem. Das ist manasische Erkenntnis, ein Durchdringen des 
Weltenraumes mit Gedanken. 

Was ihre chaldaischen Vorganger auf himmlische Zusammenhan- 
ge beschrankten, das zogen die agyptischen Weisen in den Dienst 
mehr und mehr irdisch werdender Angelegenheiten und animali- 
scher Bediirfnisse; sie stellten die manasische Wesenheit in den 
Dienst der Materie. 

Beachten Sie das wohl. Ein Beispiel dafur ist die Anlage des 
kiinstlichen Morissees. Die Agypter legten damit ein Reservoir zur 
Regulierung der Nilflut an. Die Bebauung ganz Agyptens erfolgte 
nach manasischer Kenntnis. Manasisch, das ist: rein geistig. Manasi- 
sche Wesenheiten wurden in den Dienst hochster menschlicher Be- 
diirfnisse gestellt. Eben das ist der Charakter der Verstandesseele, 
dafi sie die manasische Weisheit beniitzt und damit aufiere Bediirf- 
nisse und Wiinsche zu befriedigen sucht. 

Heute ist diese Entwickelung, «die agyptische Finsternis», die 
Manasverfinsterung, noch viel weiter gediehen. Aber ist es so ent- 
scheidend, ob der Mensch sein Getreide zwischen zwei Steinen 



mahlt oder ob er es per Kabel in New York bestellt? Kama Manas 
nennt man in der Theosophie eine solche Verbindung hoheren Be- 
wulkseins mit tierischen, irdischen, materiellen Zwecken. Die alten 
Religionen hatten auf die Errungenschaften all unserer Technik, 
unseres Verkehrs und Handels mit sehr gemischten Gefiihlen herab- 
geblickt. Eine Verunreinigung heiliger Dinge sahen sie darin, wenn 
der Mensch sein hoheres Geistesvermogen in den Dienst der niede- 
ren Naturbediirfnisse stellte. Schlimmer war dies, als wenn das Tier 
seinen Instinkt, der ja zu nichts Besserem taugt, zur Befriedigung 
seiner Bediirfnisse benutzt. Es wurde empfunden als ein Abfall, ein 
Mifibrauch des zu hoheren Aufgaben berufenen Manas, ein Abfall 
des Geistes von sich selbst. Dieser Abfall driickt sich in einer merk- 
wiirdigen Benennung aus: «Agypten». Hiermit ist nicht nur das 
Land gemeint, sondern die Bezeichnung ist das Symbol fur solchen 
Abfall; denn in Agypten geschah es zuerst im grofien Stile. Das Wort 
Agypten ist also nicht nur als die Bezeichnung des Landes hier ge- 
meint, sondern des bestimmten seelischen Zustandes, der Manas- 
blendung, wo die hohere Natur in den Dienst der niederen gestellt 
wird. Das soil keine Kritik sein, sondern eine Schilderung von 
Tatsachen der geistesgeschichtlichen Evolution. 

Dieses Stadium mufite durchschritten werden, Manas mulke 
wahrend drei Unterrassen untertauchen in niedere Krafte, um dann 
aufzuerstehen aus seiner eigenen Natur. Innerhalb Agyptens er- 
wuchs aber auch das Volk, das berufen war, Manas sozusagen rein zu 
machen, zu einem hoheren Bewufitsein zu erheben. Das israelitische 
Volk wurde zum Trager der Aufgabe berufen, Manas aus dem 
eigenen Volk herauszuarbeiten. Und der grofie Missionar dafiir ist 
Moses. Die Israeliten sind nach Agypten verpflanzt worden, wo sie 
die Anregung fur Manas empfingen. Der Auszug aus Agypten ist 
zugleich der Auszug von Manas in die hohere Wirklichkeit. 

Um dies zu erreichen, mufite etwas geschehen, was umgestaltend 
auf das Ich einwirkt. Moses wird zunachst der Gesetzgeber Israels. 
Die Zehn Gebote mulken damit beginnen, dafi auf das bewufite Ich 
hingearbeitet wird. Gott mufi sich ankiindigen als der Ausdruck des 
Ich im Menschen. 



Im dritten Kapitel des zweiten Buches Mose wird erzahlt, wie 
Moses, als er die Schaf e Jethros hiitet, einen brennenden Dornbusch 
erblickt, aus dem die Stimme Jahves ertont: «Ich bin der Gott deines 
Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.» 
Das ist die Geburt des Manas im Selbstbewufitsein. Moses spricht zu 
Gott: «Wer bin ich, daft ich zu Pharao hingehe und fiihre die Kinder 
Israel aus Agypten ?» Gott erwidert ihm: «Ich will mit dir sein. Und 
das soli dir das Zeichen sein, dafi Ich dich gesandt habe: Wenn du 
mein Volk aus Agypten gefuhret hast, werdet ihr Gott opfern auf 
diesem Berge.» Moses fragt weiter: «Wenn ich zu den Kindern Israel 
komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Vater hat mich zu 
euch gesandt, und sie sagen werden: Wie heifit sein Name? was soil 
ich ihnen sagen ?» Und Gott erwidert ihm: «Ich bin der Ich-Bin. 
Also sollst du den Kindern Israel sagen: Ich-Bin hat mich zu euch 
gesandt.» Das ist die Geburt des klaren Selbstbewufkseins, das 
friiher dumpf war. 

Jetzt wird es sich darum handeln, den Gott in seiner Geistigkeit 
zu begreifen; den Gott, der sich im Inneren ankiindigt, auch wirk- 
lich heilig zu halten. Das Gesetz gilt namlich schon etwas Hoherem. 
Der Gott Jehova spricht zu dem Volke: «Ich bin der Herr, dein Gott, 
der dich aus Agypten gefuhrt hat. Du sollst keine anderen Gotter 
haben neben mir.» Das Volk machte sich aber doch ein Bild und 
betete das goldene Kalb an, obwohl ihm geboten war, sich kein Bild 
zu machen, und keinen Namensmifibrauch zu treiben. Gott wollte 
aber der bildlose Gott, der gestaltlos ist, fur sie sein. 

Wollen wir diesen ganzen Vorgang noch genauer begreifen, so 
muE jetzt auf ein anderes hingewiesen werden. Das Ich hat namlich 
eine lange Entwickelungsgeschichte in der Menschheit. Damit das 
Ich entstehen konnte, mufite der sich ihm entgegen entwickelnde 
Menschenkorper sich in vieler Hinsicht umbilden. 

Bei den alten Atlantiern war noch ein Teil des Atherkopfes aufter- 
halb desphysischen Kopfes. Diesem Teil entsprichtunser Vorderhirn. 
Der Kopf mufke dem atherischen Leib entgegenwachsen, er mulke 
der Geistigkeit entgegenreifen. Das war die Voraussetzung fur die 
Einkehr des Selbstbewufttseins. Die Selbstandigkeit bildete sich in 



dem Moment der physischen Evolution heraus, als sich im Menschen 
zuerst ein Knochensystem ablagerte. Die Standfestigkeit, welche der 
Mensch damit erhalten hat, hangt mit seiner Anlage zur Geistigkeit 
zusammen. Und wenn wir auf die Zukunft des Menschen schauen, 
wird es uns urn so klarer, wie wichtig die Bildung dieses Knochen- 
systems war. Wie wird sich das Menschengeschlecht umgestalten - in 
seinem Leibe, nicht in seiner Seele ? Immer mehr wird es sich verf esti- 
gen. Ahnlich wie die Auster ihre Schale beherrscht, wird der Mensch 
seinen Leib, sein Werkzeug, von au£en beherrschen. Um das zu ver- 
stehen, brauchen Sie nur vom Zustand des Schlafes auszugehen, in 
dem die Seele von aufien den physischen Organismus beherrscht. In 
zukiinftigen Zeiten wird die Seele bewufit den Korper als ihr Instru- 
ment von auften beherrschen. Die Knochenbildung ist daher die An- 
lage zu etwas GroEem, Herrlichem. Daher die alten Religionsvor- 
schriften: Bewahret euer Knochensystem. Zerbrecht eure Knochen 
nicht. - Den symbolischen Ausdruck dafiir gab das in Agypten einge- 
setzte Opfer zur Erinnerung an die dort erfolgte Rettung bei der Er- 
wiirgung der agyptischen Erstgeburt. Zum auEeren Zeichen soil ein 
Lamm genossen werden, und bezeichnend sind daher die Worte: 
«Und sollt kein Bein an ihm zerbrechen!» So wird an der Stelle, wo die 
Befreiung durch Manas einsetzt, diese Wichtigkeit der Knochenbil- 
dung nachdriicklich angedeutet in der Ritualvorschrift fur das Pas- 
sahlamm. - Und bei dem grofien Lamm, dem Reprasentanten der 
Menschheit, bei dem Christus Jesus wurden, was sonst bei alien Ge- 
kreuzigten iiblich war, die Beine nicht gebrochen. «... dafi die Schrift 
erfullet wiirde: <Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen>.» 

Die Juden wurden also aus Agypten herausgefuhrt. Sehen wir, ob 
unsere Auffassung in der Bibel des genaueren bestatigt wird. Jawohl, 
wortlich! Das ist eine der grofien Errungenschaften der Geisteswis- 
senschaft, die Angaben der religiosen Urkunden iiber alte symboli- 
sche Handlungen in ihrer Wortlichkeit lesen zu konnen. Das Volk 
Israel zieht in die Wiiste. Was ist die Wiiste? Wenn das Ich in sich 
selbst sich versenkt, um den Gott in sich zu suchen, dann mufi es in 
die Wiiste, in die Einsamkeit, und diese Wiiste mufi der Mensch 
nach Erwachen des Manas in sich selbst dann wieder beleben. Als 



die Kinder Israel murrten, weil sie dem Hungertode nahe waren, 
verhiefi ihnen der Herr, da$ sie am anderen Morgen Brot die Fulle 
haben sollten. Am anderen Morgen «lag's in der Wuste rund und 
klein wie der Reif auf dem Lande». Da fragten die Israeliten einan- 
der: «Man hu - was ist das?» Das ist die Frage, die sich der Mensch 
vorlegt, wenn er etwas erkennen soli. Sie nannten die Speise, die vom 
Himmel kam, Manna. Es ist das gleiche Wort wie Manas. Gewi$ 
werden die Philologen manches gegen diese Erklarung einwenden, 
aber es verhalt sich doch so. Die Aufgabe des judischen Volkes war 
es, reines Manas in die Zukunft hiniiberzutragen. 

Um das besser zu verstehen, miissen wir an den Rand eines My- 
steriums treten, des vierten unter den sieben unaussprechlichen 
Mysterien. Gestern haben wir vom Mysterium der Zahl gesprochen, 
heute wollen wir das vierte streifen, dasjenige von Geburt und Tod. 

Geburt und Tod, was sind sie im okkulten Sinne? Man mufi sich 
das einmal klarmachen. Sind sie immer notwendig mit dem Leben 
verknupft? Denken wir uns zuriick in vorlemurische Zeiten, ehe der 
Mensch in die grobe physische Materie hinunterstieg. 



Vo\r\emvrisdo LemuHsch 




Er hatte eine Art Licht- und Feuerleib, war in Athermaterie verkor- 
pert. Seine Zeitgenossen auf Erden sind Wesen, die etwas iiber dem 
Tiere stehen, in physischen Leibern. In dem tierischen Leibe bildet 
sich eine Art von Hohlung. Der Athermensch steigt in die Hohlung 
und fullt den physischen Leib. Der Lichtmensch hatte sich zum 
Luftmenschen verdichtet, der nun in den physischen Leib einzog. 
Das ist der Moment, der in der Schopfungsgeschichte dargestellt 
wird mit den Worten: «Und Gott blies ihm ein den lebendigen 
Odem, und er ward eine lebendige Seele.» Mit dem Atem ziehen wir 



tatsachlich unseren Atherleib ein. Der Athermensch hatte sich bis 
zur Luft verdichtet, als seine Verbindung mit dem Erdenleib vollzo- 
gen werden konnte, und er fuhr in die Lungen. Mit jedem Atemzug 
ziehen wir tatsachlich unseren Atherleib in uns ein. 

Die ganze Art und Weise des Lebens war beim Fruhlemurier 
anders als bei dem der spateren Zeit. Aus seinem Atherleib son- 
derten sich fortwahrend Teile heraus, und neue Athersubstanz zog 
hinein: Erneuerung und Ausscheidung fand statt. Es fanden auch 
fortwahrende intensive Veranderungen darin statt, entsprechend der 
hoheren Feinheit des Atherleibes; fortwahrend geschah dieses ohne 
den schroffen Wechsel von Geburt und Tod. Es gab also nicht 
Geburt und Tod, nur eine Transformation trat ein. Das Sterben und 
Geborenwerden konnte erst stattfinden nach dem Einzug des 
Atherleibes in die Materie. 

Geburt und Tod ist, genau gesprochen, Anderung eines Bewuik- 
seinszustandes. Tod kann und mufi auch nur da eintreten, wo eine 
Seele in einem ihr eigentlich fremden Leibe wohnt und fremde Or- 
gane beniitzt. Der friihere Lebensinhalt der Seele lost sich dann auf, 
wenn der physische Leib abgelegt wird. Zwei ganz verschiedenen 
Gesetzen und Welten unterliegen diese beiden Leiber,. gehort doch 
der Leib der Erde, die Seele dem Astralen an. Der obere Geistes- 
mensch, der in dem Leibe wohnt, erhalt diesen bei seinem Eintritt in 
die Welt, und die Erde nimmt ihn ihm wieder weg. Es ist, wie wenn 
ich im Erdenland zur Miete wohne: das Mietshaus untersteht den 
Eigentumsvorschriften und Gesetzen - so der Erdenleib. Durch ihn 
kann der Mensch nach aufien schauen. Dieses Schauen nach aufien 
ist Erkenntnisbedingung; darum ist Geburt und Tod mit dem Auf- 
kommen der Erkenntnis unzertrennlich. Die Bibel besagt das mit 
den Worten: «Eure Augen werden aufgetan, und ihr werdet wissen, 
was gut und bose ist.» 

So ist denn seit Lemurien Manas vorbereitet worden, entgegen- 
organisiert worden dem, was sich in den unteren Reichen ausbildete. 
Durch die Sinne zieht Manas ein in den physischen Leib; durch 
Manas ist der Tod bedingt, ohne Manas gabe es keinen Tod. Das ist 
die Stelle, die im Johannes-Evangelium lautet: «Eure Vater haben 



Manna gegessen und sind gestorben.» Am Brote des Lebens kann 
man nicht sterben. Christus ist es, der wieder die Atherentwickelung 
bringt. Der Christus-Impuls ist das Eindringen von Budhi. 

Manas ist also ein Durchgangspunkt, der stattfand, als in Lemu- 
rien der Atherleib in den physischen Leib fuhr. Budhi wird durch 
Christus in den Atherleib, aber von innen hineingebracht. Dieses 
Prinzip des Von-innen-heraus-Belebens bringt das Christentum. 
«Ich bin das Brot des Lebens. » Solange in der Welt geherrscht hat 
die Gebundenheit an den physischen Leib, das Prinzip der Verer- 
bung, hat der Mensch keine Moglichkeit, iiber den Tod hinauszu- 
blicken. Das geschieht aber in dem Augenblick, wo sein Lebensleib, 
sein Atherleib von innen heraus durch Budhi belebt werden kann, 
wo Manas Budhi aufnimmt. Moses ist also der Sendbote fur Manas, 
Christus der Bringer fur Budhi. Der Eingeweihte kann auf dieser 
Stufe aufierhalb seines Leibes sein. 

Nun fragen wir uns noch eines: Ein Volk wird zum Trager der 
Manas entwickelung gemacht, das ganze Volksbewufitsein wird ver- 
dichtet in dem einen Eingeweihten. Als das judische Volk nahe dar- 
an war, seine Mission zu verscherzen, sagte der Herr: Ich werde sie 
vertilgen, dich aber, Moses, will ich zu einem grofien Volke machen. 
- Diese Stelle ist wortlich zu nehmen, es ist eine hohere Einweihung 
des Moses. Damit wird dem Moses seine Sendung so iibertragen, 
daft er zum Eingeweihten mit einem Volksbewufksein gemacht 
wird. 

Ein weiterer tief bedeutungsvoller Umstand ist die Rolle, die das 
Blut in dem Manasprozefi spielt, denn im Blut raufi sich der obere 
Vorgang naturlich abspiegeln. Moses nimmt das Opferblut und 
sprengt es iiber das Volk. Dies ist das Zeichen fur die Wahrheit des 
Bundes durch die Blutsverwandtschaft. Wenn Manas das Blut aufge- 
nommen hat und Budhi auch, dann verstehen wir die Stelle, die im 
Johannes-Evangelium lautet: «Wer mein Fleisch isset und mein Blut 
trinket, der bleibet in mir und Ich in ihm.» Will Christus auf die 
Menschheit wirken konnen, so raufi er durch sein Blut einen Bund 
mit ihr schliefien. Es mufite der Mensch, wenn Christus ihm Budhi 
einpflanzen soil, Christi Blut im Abendmahl empfangen. 



Nun miissen wir noch einige kosmisch-menschliche Wahrheiten 
betrachten - die Welt ist wirklich sehr kompliziert. Die Wesenhei- 
ten, die heute Steine, Pflanzen, Tiere sind, stehen in einem nahen 
Zusammenhange mit dem Menschen. Der Mensch ist nicht das 
spateste Geschopf der Schopfung, sondern das friiheste. Absehen 
wollen wir heute von friiheren Erdverkorperungen und uns mit 
dem Menschen beschaftigen. 

Als die Erde aus dem Pralaya hervortrat und sich bis zur Ather- 
erde verdichtete, bestand sie eigentlich aus lauter Athermenschen- 
leibern und kann bildlich verglichen werden mit der Form einer 
Riesenbrombeere. Der Mensch war damals ein ganz vergeistigtes 
Wesen, durchaus nur mit einem Atherleib begabt. 

Der nachste Zustand besteht darin, dafi sich die Athermenschen 
gleichsam in zwei Stromungen teilen, eine aufsteigende und eine 
absteigende. Aus der absteigenden gehen die Tiere hervor. Wie wenn 
wir zwei Briider haben, von denen der eine mehr, der andere weni- 
ger als der Vater wird, so teilen sich die Menschen in zwei Gruppen, 
die Menschen und degenerierte Menschen, die Tiere. Spater wurden 
aus diesen zwei Gruppen drei: die Pflanzen kamen hinzu. Dann teilt 
sich eine vierte Gruppe ab, das Mineral. 

Immer wenn sich ein neues Wesensglied ansetzt, dann entwickelt 
der Mensch in sich eine andere, neue Naturanlage. Im Moment, wo 
sich das Tier abzweigt, entsteht im Menschen astrales Empfinden, 
im Moment, wo sich die Pflanze abzweigt, atherisches Wachstum. 
Im Moment, wo sich die Steine abzweigen, bildet der Mikrokosmos 
Knochen. Jedesmal wenn sich eine neue Wesensart entwickelt, ent- 
steht beim Menschen ein entsprechendes Korrelat, so dafi man von 
jedem Tier, von jeder Pflanze, von jedem Mineral sagen kann, was 
ihnen im Menschen entspricht. Der Lowe ist auch im Menschen, 
aber iiberwunden. Daher die Entsprechungen und Analogien zwi- 
schen Korperorganen und Erdengegenstand, es sei Lowe, Tollkir- 
sche oder Asbest. Paracelsus sagt: Drauften in der Erdenwelt, da 
sind lauter Buchstaben, der Mensch ist ihr zusammenhangender in- 
nerer Sinn, ihr Wort. Die ganze Natur ist nur der auseinandergelegte 
Mensch; im Menschen ist das Wort davon gebildet. 



Die vom Entwickelungsstrome der Menschheit Abgetriebenen 
sind nicht ohne alle Entwickelung geblieben; im Gegenteil, sie haben 
gewisse Entwickelungsziele sogar friiher erreicht als der nicht spe- 
zialisierte Mensch. Zum Beispiel: es bereitet sich die kiinftige Harte 
des Menschenleibes vor; die hat die Holzpflanze langst erreicht in 
ihrer inferioren Art. Auch stellen gewisse Gifte einen Entwicke- 
lungsvorsprung dar dem Menschen gegeniiber. Gift, das in einer 
Pflanze angetroffen wird, hat der Mensch auch einmal in sich ge- 
habt. Hatte der Mensch sich in demselben Sinne entwickelt wie diese 
Stoffe, dann konnte er zum Beispiel das Arsen aus sich absondern. 
Wenn er an Cholera erkrankt, so stellen sich die gleichen Symptome 
ein, wie wenn er Arsen genommen hatte. Deshalb nannte Paracelsus 
den Cholerakranken einen Arsenikus. 

Wie das Holz, wie die Gifte, so ist ein der Menschenentwickelung 
vorausgeeilter Stoff der Pflanzensaft, der Wein. Das kann man noch 
genauer betrachten. Der Wein, der Saft, der durch die Weinrebe 
fliefk, ist eine einseitige Entwickelung des Blutes. Was das Blut at- 
met, gibt Kohlensaure, Alkohol. Alkohol ist sozusagen Zukunfts- 
blut. Der Kohlensaure ausatmende Pflanzensaft steht dem heutigen 
Blut gegeniiber wie Zukunftsblut. Aus der kosmischen Erkenntnis 
heraus erleben wir die Verwandtschaft zwischen Wein und Blut. 
Christus darf zum Wein sagen: Dies ist mein Blut. - Denn Christus 
ist der Reprasentant der kiinftigen Menschheit. Seine Lehre selbst ist 
ein lebendiger Quell, zu dem sich die Menschheit hinaufentwickelt. 
Denken wir an das Gleichnis vom Weinstock und den Reben, an das 
Gleichnis der Verwandlung von Wasser in Wein. Der Weinstock 
stellt nur dar eine Entwickelungsvorausnahme, analog der antizi- 
pierten Verhartung des Holzes. So wie heute die Pflanze ihre wasse- 
rigen Safte in Wein verwandelt, so kann der Mensch es heute nicht, 
er wird aber spater sein Blut verwandeln. 

Von hier aus fallt Licht auf das Mysterium der Verwandlung von 
Wasser und Wein auf der Hochzeit zu Kana. Warum gerade zu Kana 
in Galilaa? Galilaa (= el gojim) ist das Land der Vermischten, der 
nicht Rasseechten. Dort war Rassenmischung von je stark gesche- 
hen, also die Aufhebung trennender Volkerschranken; dort fand 



gerade statt die Hochzeit verschiedenen Blutes. Die Mutter Jesu, 
heifit es, ist auch dabei, ebenso wie spater am Kreuz. Nie wird sie im 
Johannes-Evangelium «Maria» genannt. Im Gegenteil, die beiden 
anderen Frauen unter dem Kreuz werden ausdriicklich mit dem 
Namen «Maria» genannt, und die eine von ihnen, Maria, als Schwe- 
ster der Mutter Jesu bezeichnet. Jesu Mutter ist nicht Maria. 



DIE THEOSOPHIE 
ANHAND DES J OHANNES-EVANGELIUMS 

Sechster Vortrag, Mtinchen, 4. November 1906 

Wir schlossen gestern damit, daft wir versuchten, ein Licht auf das 
zu werfen, was im Johannes-Evangelium erzahlt wird iiber die 
Hochzeit zu Kana, und wir haben es als besonders wichtig hervor- 
gehoben, dafi da gesagt wird «die Mutter Jesu war da». Johannes 
nennt sowohl hier wie an alien anderen Stellen, wo er die Mutter 
Jesu erwahnt, diese nie anders; nie nennt er sie Maria, ebensowenig 
wie er sich selbst Johannes nennt, sondern nur immer den «Jiinger, 
den der Herr lieb hatte». Wir sahen, dafi mit der Hochzeit in Galilaa 
gemeint ist die Verbindung der Menschen miteinander iiber die 
Blutsschranken hinaus. Ferner heifk es da, wo die Kreuzigung Chri- 
sti geschildert wird: «Es stund aber bei dem Kreuze Jesu seine Mut- 
ter und seiner Mutter Schwester Maria, des Kleophas Weib, und 
Maria Magdalena.» Nach der Darstellung des Schreibers des Johan- 
nes-Evangeliums hat also die Mutter Jesu nicht Maria geheifien, 
denn sonst miifiten ja zwei Schwestern denselben Namen getragen 
haben. Es sei auch auf die Worte hingewiesen: «Weib, siehe, das ist 
dein Sohn! Darnach spricht er zu dem Jiinger: Siehe, das ist deine 
Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jiinger zu sich.» 

Heute wollen wir die Bausteine herbeitragen zum richtigen Ver- 
standnis des Folgenden. Erinnern wir uns noch einmal, da$ Johannes 
oder besser der Schreiber des Johannes-Evangeliums ein Eingeweih- 



ter war; dafi ein wirklich Initiierter dieses Evangelium geschrieben 
hat, einer, der den Himmel offen sah und genaue Kenntnisse der 
astralen und der devachanischen Welt hatte. Johannes gibt auch an, 
wie man zur Erlangung eines solchen Zustandes kommt: durch 
Meditation der Eingangsworte. Laftt man diese immer wieder in der 
Seele leben, dann werden sie zu Zauberworten, durch die man all- 
mahlich hinaufkommt zum Verstandnis des Johannes-Evangeliums. 
Johannes will uns sagen: Wenn ihr den christlichen Weg gehen wollt, 
dann mufit ihr euch, in der Weise, wie ich es hier erzahle, hinauf heben 
zum Devachan, und dann werden euch die Taten des Christus Jesus 
und alles, was mit ihm zusammenhangt und mit ihm geschehen ist, so 
erscheinen, wie ich es euch darstelle. Ein Lebensbuch, das am eigenen 
Leib Erlebtes darstellt, will das Johannes-Evangelium sein. Wir kon- 
nen das Evangelium nicht eher verstehen, bis wir die Vorgange nicht 
mehr als blofie historische Tatsachen, sondern als Dinge ansehen, die 
von Johannes mit dem hoheren Schauvermogen und dessen Sinnen 
gesehen worden sind. Die Hochzeit zu Kana ist zwar auch ein reales 
Ereignis, aber die Tatsachen werden zu Symbolen. Der gewohnliche 
Mensch sieht diese Hochzeit mit ihrem Weinwunder anders an als ein 
Erweckter wie Johannes. Ihm wird sie die prophetische Vorhersage 
fur den ganzen zukiinftigen Entwickelungsgang der Menschheit, 
alles dessen, was durch Christus geschehen soil. 

Wir leben heute in der funften Unterrasse der funften Hauptras- 
se. Was sich in Palastina abspielte, fallt in die vierte Unterrasse, die 
griechisch-lateinische. Aus der dritten Unterrasse war das judische 
Volk hervorgegangen, das sich zu seiner Mission in Agypten vor- 
bereitet und von dort ausgezogen war. Ihm entstammte Jesus. Die 
dritte Hauptrasse spielt nun in die vierte hinein, die vierte in die 
fiinfte, die fiinfte in die sechste. So dafi wir drei Epochen zu unter- 
scheiden haben. In der esoterischen Sprache nennt man sie drei 
Schopfungstage. 



{ Grsret-Tas \f a[Uf \ag V j)ri1Ter lag \ 



Am dritten Tage aber war eine Hochzeit zu Kana: Der Schreiber 
des Johannes-Evangeliums sieht da dasjenige, was erst in der Zukunft, 
in der sechsten Rasse geschehen wird: die Vermahlung des Manas, das 
sich im Gesetz ausdriickt, mit Budhi, der Gnade, der Freude, die gro- 
fte Hochzeit des ganzen manasischen Elementes mit Budhi. Das kann 
erst voll eintreten, wenn die Auf gabe des Christentums ganz gelost ist. 
«Wer nicht verlasset Vater und Mutter und Bruder und Schwester um 
meinetwillen, der kann nicht mein Jiinger sein», das heifk, von den 
engen Gemeinschaften mufi die Liebe herausgeholt und zu allgemei- 
ner Menschenliebe gemacht werden, sie mufi sich von dem, was bluts- 
verwandt ist, zu dem wenden, was geistesverwandt ist. So haben wir 
also in der Hochzeit zu Kana dasjenige verbildlicht, was einst gesche- 
hen soli. «Und am dritten Tage» heilk es nicht zufallig, sondern das ist 
wortlich als Weltentag zu nehmen. Jede Zahl, jedes Wort, alles ist im 
Johannes-Evangelium hochst bedeutungsvoll. 

Man mufi eigentlich staunen, wenn die meisten Theologen den 
Jehova als Christi «Vater» ansprechen. Bei Lukas steht schlicht und 
deutlich da, wo der Erzengel Gabriel Maria (Sophia) die Geburt Jesu 
verkiindigt: «Furchte dich nicht, du hast Gnade bei Gott gefunden, 
der Heilige Geist wird iiber dich kommen und die Kraft des Hoch- 
sten wird dich iiberschatten ...» und nie steht etwas anderes. Der 
Vater des Christus also ist der «Heilige Geist». Das entspricht nicht 
etwa blofi dem Johannes-Evangelium, sondern einer alten Tradition. 
Christus sagt: «Ich und der Vater sind eins.» Ich und der Heilige 
Geist sind eins, bedeutet das. 

Nun ergibt sich die Frage: Wer war die Mutter Jesu? Um das zu 
erkennen, ist das Wissen von dem Wesen der Einweihung notwen- 
dig. Dann erst werden wir klar sehen, dafi wir es hier mit Vorgangen 
in hoheren Welten zu tun haben. Dadurch werden wir uns zugleich 
vorbereiten zum Verstandnis des Johannes-Evangeliums vom 13. 
Kapitel an. 

Hier wollen wir nun die Lehre von der Einweihung in einiger 
Ausfiihrlichkeit einfugen. Denn nicht bloft um das Johannes-Evan- 
gelium handelt es sich uns hier, sondern um Theosophie. Die Lehre 
von den Einweihungen lehrt uns eben die «Mutter Jesu» kennen, 



was sie ist und was der «Heilige Geist» ist. Es herrscht heute vielfach 
die irrige Vorstellung, als ob es nur einen Weg zur Einweihung gebe. 
Das ist nicht richtig. Vom Berge gibt es nur eine Aussicht, aber ver- 
schiedene Wege konnen zum Gipfel fiihren. Ebenso verhalt es sich 
mit der Wahrheit. Auch zu ihr gibt es verschiedene Wege. Welcher 
Weg fiir Sie der passendste ist, das hangt davon ab, an welcher Stelle 
des Bergfufies Sie stehen. Der «Berg» war immer der Ausdruck fiir 
den Aufstieg, so zum Beispiel der Gipfel des Berges bei der Speisung 
der Fiinftausend. 

Es gibt drei verschiedene Wege zur Einweihung, entsprechend den 
Unterrassen unseres Hauptzeitalters. Die Unterrassen losen einan- 
der keineswegs einfach zeitlich ab, sondern leben lange Zeit noch ne- 
beneinander. Der Unterschied ist innerlich viel starker als aufierlich. 
Zum Beispiel: ein Inder kann sich heute noch ungleich leichter als der 
Europaer hineinversenken mit Abspaltung seines Denkens in sein 
sympathisches Nervensystem. Wollte ein Europaer, namentlich ein 
Mann, den orientalischen Pfad gehen, so benotigte er dazu, schon um 
das blofi Physische zu ermoglichen, starker Mittel, die seinen ganzen 
Knochenstatus und seine Korperkonstitution auflockern miilken, 
was nicht ohne dauernden Schaden abgehen wiirde. Somit ist ein sol- 
cher Versuch dem Europaer gar nicht zu raten, und ein gutes Resultat 
damit zu erreichen fast unmdglich. Die Einweihung selbst ist nichts 
anderes als eine vollstandige Umanderung der inneren Natur. Fiir den 
heutigen Europaer ist der rosenkreuzerische Pfad, der seit dem 14. 
bis 15. Jahrhundert gepflegt wird, der beste. 

Die drei Wege der Einweihung sind die folgenden: der indisch- 
orientalische Yogaweg, der christlich-gnostische Weg bis zum 15. 
Jahrhundert, der christlich-rosenkreuzerische Weg seit dem 15. 
Jahrhundert. Der erste ist nicht fiir Europaer. Der zweite ist fiir den 
Menschen der mittleren Zone geeignet, er ist fiir uns gehbar, aber der 
rosenkreuzerische Weg, der vom 14. Jahrhundert ab eingeschlagen 
wurde, ist zweckmafiiger. Der christlich-gnostische Weg bringt 
zwar fiir den einzelnen die Wahrheit, aber der Schiiler wird nicht 
imstande sein, ihn innerhalb des modernen Lebens konsequent 
durchzufiihren und Antworten zu geben auf die mannigfachen Ein- 



wande der heutigen Wissenschaft und Kultur, so wie er es mit Hilfe 
des rosenkreuzerischen Weges zu tun vermag. 

Der orientalische Yogaweg kennt eine Reihe von Stufen, auf de- 
nen man sich zunachst vorbereiten mufi. Die sieben Stufen konnen 
nebeneinander geiibt werden, aber der Mensch mufi sich streng un- 
ter einen sogenannten Guru stellen. Dieser weifi Bescheid iiber den 
Zustand seiner inneren Entwickelung. Der Weg des Inders geht 
gleich hinauf in die Astralwelt. Im Anfange ist da der Schiller sehr 
hilflos, daher die strenge Unterwerfung unter den Guru, weil ihm 
die eigene Korrekturmoglichkeit seiner Irrtumer mangelt bei der 
Wahrnehmung einander hart widersprechender Tatsachen. 

Die erste Stufe ist Yama, das heifk Unterlassen. In der physischen 
Welt korrigiert den Schuler bei alien seinen Wahrnehmungen und Be- 
hauptungen die physische Welt, die Wirklichkeit korrigiert ihn. So ist 
es aber nicht mehr in der astralischen Welt. Da stiirmen die Eindriicke 
auf ihn ein in Bildern und Farben, in Formen und Gebilden, die in 
fortwahrendem wogenden Wechsel und in unaufhorlicher Bewegung 
sind. Dazu kommt noch, dafi das, was die eigene Seele denkt und will, 
auch zu Wesenheiten wird, und der Schuler dann eigenes und anderes 
Astrales noch nicht zu unterscheiden vermag. Darum mufi er in der 
astralischen Welt von innen heraus die Richtung haben, um sicher ste- 
hen zu konnen. Denn wie tritt diese Welt auf? Bei einer Pflanze zum 
Beispiel steigt es wie eine lila Flamme auf. Die Eigenschaften der Din- 
ge losen sich in Farben auf, heben sich ab von den Dingen, der Astral- 
raum ist erfiillt von hin und her wogenden Farben, Eigenschaften und 
Tonen. Diese Farben und Tone miissen hingehen zu den astralischen 
Wesenheiten und sie ausfiillen. Es erscheint Ihnen dann etwa irgend- 
ein Elementargeist in leuchtender gelber Farbe. Um da zu unterschei- 
den und wissen zu konnen, um was es sich handelt, ist Sicherheit not- 
wendig. In dem Momente nun, wo diese Elementargeister Sie zu etwas 
hinleiten wollen, treten starke Krafte auf in des Menschen innerer 
Natur: die eigene Seele des Menschen driickt sich darin aus, und daher 
treiben sie ihn dahin, wohin die Seele will. Um den hilflosen Schuler 
nun richtig zu leiten, mufi er in der Seele des Guru leben, mit seinen 
Augen sehen, daher die Notweridigkeit der strengen Autoritat des 



Guru. Bei allem, was er unternimmt, zum Beispiel sogar bei einem 
Hauskauf, hat der Schuler den Guru zu fragen. - Bei Ausiibung 
desYama mufi man das Unterlassen uben. Unterlassen mufi man: das 
Toten, das Stehlen, das Liigen, das Begehren, den Genujft geistiger 
Getranke und Ausschweifungen. Diese Forderungen sind fur den 
Europaer viel schwerer zu erfiillen, als es aussieht, denn es ist bei den 
jetzigen Zeit-, Lebens- und Kulturbedingungen in Europa kaum 
mehr moglich zu wissen, ob der Schuler diese Bedingungen erfiillen 
kann. Er totet zum Beispiel mit jedem Atemzug, wenn er seine At- 
mung nicht regelt. Er hat sein Vermogen irgendwo bei einer Bank lie- 
gen in irgendeinem Unternehmen: was weifi er, was damit geschieht? 
Der Begriff «Unterlassen» ist fur den Schuler sehr streng zu fassen, 
denn es handelt sich darum, dafi uberhaupt niemand durch uns ge- 
schadigt wird. Die einzige Moglichkeit zur teilweisen Einhaltung die- 
ser Bedingungen ist: immer mehr bedurfnislos zu werden. 

Die zweite Stuf e, Niy ama, schreibt das Beachten der Kultussymbo- 
le vor. Die indische Schulung verlangt streng, dafi der Schuler Zeremo- 
nien mitmacht, sich einem Ritual unterwirft. Dabei mu$ sich im Bilde 
vor einem abspielen, was man innerlich durchmacht. Ein Beispiel fur 
ein solches Ritual ist im katholischen Mefiopfer gegeben, das mit sei- 
nen vier Teilen die Ausdrucksform ist fur das, was auch in den alten 
Mysterien vorging. Es besteht aus dem Evangelium (die Verkiindi- 
gung), der Opferung des niederen Selbst, der Wandlung in das hohere 
Selbst, der Kommunion: Vereinigung mit dem Gottlichen. Was auf 
dem Astralplan wirklich geschieht, geschieht da im Bilde auf dem phy- 
sischen Plan. Dafi man das im Bilde anschaut, hat Bedeutung. Sie neh- 
men das Bild auf, und eines Nachts kann den Schuler die astralische 
Welt dann aufnehmen und sie wird eine Kraft in ihm. Sehet in Bildern 
erst dasjenige an, was auf den hoheren Planen sich vollziehen soli. 

Die dritte Stufe, Asana, ist die richtige Korperstellung. Der heutige 
europaische Kulturmensch hat kaum noch eine Ahnung von der Be- 
deutung der richtigen Korperstellung. Es gehen gewaltige Stromun- 
gen f ortwahrend durch die Welt und durch den menschlichen Korper, 
und diese Atherstromungen sind auf den Menschen von wichtigem 
EinflulL Das wufite man im alten Indien, auch wieviel fur den Schuler 



von der richtigen Korperstellung abhangt. Das Tier hat eine waag- 
rechte Stellung gegeniiber der Erdachse, die Pflanze eine vertikale. 
Ziehen wir eine Linie von der Bliite durch die Wurzel, so treffen wir 
den Mittelpunkt der Erde. Wir haben in der Pflanze das Bild dessen, 
was sich uns im Bau des Menschen zeigt, nur in umgekehrter Rich- 
tung; was dem menschlichen Kopf entspricht, das hat sie unten in der 
Wurzel, die Fortpflanzungsorgane halt sie keusch der Sonne entge- 
gen. Die waagrechte Stellung des Tieres und die auf rechte Stellung von 
Mensch und Pflanze ergeben ein Kreuz, daher das Wort Platos: Die 
Weltenseele ist auf dem Weltenleibe gekreuzigt. - Wie diese Linien im 
Kosmos verlaufen, so gehen die Stromungen durch alle Organe. Der 
indische Yogaschiiler mufite seine Glieder in eine bestimmte Rich- 
tung legen, damit die Weltenstromungen in ihm wirken konnen; beim 
europaischen Menschen ist dies nicht moglich. 

Viertens: Pranayama. Das ist die Lehre vom richtigen Atmen. 
Der Mensch totet eigentlich fortwahrend durch seinen Atmungs- 
prozeft. Wir atmen Sauerstoff ein, vermengen ihn mit Blut und at- 
men Kohlensaure aus, die fiir Menschen und Tiere giftig ist. Wir 
wiirden sterben, wenn nicht die Pflanzen die Kohlensaure atmeten, 
den Kohlenstoff behielten und den Sauerstoff wieder ausatmeten. 
Dieser Kreislauf ist von eminenter Bedeutung und macht die Exi- 
stenz der Menschen und Tiere erst moglich. 

Mensch Pflanze 

Tier atmet aus Sauerstoff, atmet ein 

atmet aus Kohlensaure Kohlensaure, und baut sich aus 

atmet ein Sauerstoff. Kohlenstoff ihren Korper auf. 

Pranayama, der rhythmisierte Atmungsprozefi, soil nach und 
nach den Totungsprozefi uberwinden. Der Mensch wird nicht nur 
sein Bewulksein, sondern sein ganzes Leben erweitern. Im Blut ist 
Kohlenstoff, der mit dem eingeatmeten Sauerstoff zu Kohlensaure 
verbrennt, diese wird ausgeschieden; die Pflanze trennt die Bestand- 
teile, sie atmet Sauerstoff aus, und der Mensch nimmt ihn auf. So 
beginnt der Kreislauf von neuem. In der Zukunft wird der Mensch 
den Kreislauf in sich selbst vollziehen. Wenn der Mensch imstande 



sein wird, aus Kohlenstoff seinen eigenen Leib aufzubauen, dann hat 
er seinen Zukunftszustand erreicht. Der Kohlenstoff, die Kohle 
entspricht dem, was die okkulte Literatur den Stein der Weisen, lapis 
philosophorum, nannte. Wer die Rosenkreuzerei kennt, der weift, 
was der Ausspruch bedeutet, dafi der Mensch sich aus Kohlenstoff 
einen durchsichtigen Korper aufbauen wird, gleich dem aus der 
Kohle sich bildenden Diamanten. Das wird geschehen. 

In der Zukunft wird der Mensch imstande sein, sein blaues Blut 
durch die Lymphdriisen, die dann eine sehr wichtige Rolle spielen 
werden, umzubilden, und sich damit, wie jetzt mit dem brauchbaren 
roten Blut, seinen Korper zu gestalten. Die Zirbeldriise wird in der 
Zukunft ein innerlicher Apparat sein fur den Prozeft der Umwand- 
lung des verbrauchten Blutes in brauchbares Blut. 

Eng damit verkniipft ist die Rhythmisierung des Atmens. Der At- 
mungsprozefi birgt daher die zukiinftige Umgestaltung des mensch- 
lichen Organismus. In dem Augenblick, wo der Mensch hinunter- 
arbeitet in seine niederen Leiber, steigt er auf zu hoheren Planen. 

Fiinftens: Pratyahara, das heifk rechtes Leben. Der Mensch mufi 
fahig werden, rein im Inneren der Seele zu leben; er mull Vorstellun- 
gen in sich haben konnen, die ganz und gar unabhangig sind von der 
aufieren Welt. Das Ideal der Meditation ist: blind und taub werden 
konnen fur seine Umgebung. 

Sechstens: Dharana, Sammlung der Gedanken, vollstandig Herr 
werden innerhalb seiner Vorstellungswelt, so daE der Mensch keine 
Eindriicke hat, als solche, die er will. Kann er dann aus einer Reihe 
von Vorstellungen nur eine herausnehmen und lange, lange darin 
leben, dann nennt man diesen Prozefi, in welchem er ruhend ver- 
bleibt mit dem ganzen Bewufitsein: Dhyana. 

Siebentens: Ist das erreicht, dann mufi man auch noch diese eine 
Vorstellung fallen lassen, und doch bewulk bleiben mit seiner gan- 
zen Seele. Man behalt die Form des Vorstellens bei, ohne einen In- 
halt. Damit hat der Scfmler die hochste Stufe, Samadhi, erreicht, das 
vollige Aufgehen in einen Gedanken. Jetzt kann die geistige Welt in 
ihn einstromen. 

Durch die indische Yogaschulung gelangt man in der okkulten 



Entwickelung zur selben Stufe, wie durch den christlich-gnostischen 
Weg. Noch heute gibt es Menschen, welche den christlich-gnosti- 
schen Weg gehen. In diesern unterscheidet man sieben Stationen. 

Erstens: Die Fuftwaschung. Der Schiiler hat durch eine lange Zeit 
ein ganz bestimmtes Gefuhl auszubilden, und dieses hat in der Seele 
zu leben: klar werden mull ihm das Gesetz, dafi kein Aufstieg des 
einen ohne ein Hinunterstoften des anderen moglich ist. Fur einen 
Eingeweihten gibt es soundso viele Verbrecher. Wenn einer sich 
mehr Wissen und Erkenntnis erringt, ist es darum seine erste Pflicht, 
sich hinunterzuneigen und die anderen nachzuziehen. Wie beim 
Menschen, so ist es in der Natur. Die Pflanze hatte zur Erde zu spre- 
chen: Du leblose Erde, in Demut - das mufi die Grundstimmung des 
Schiilers sein - neige ich mich zu dir, denn dir verdanke ich mein 
Sein. - Christus selbst gibt uns in der Fuftwaschung ein Beispiel 
dafiir, indem er uns das Gefuhl der innersten Demut darin vor 
Augen fiihrt. Bildet der Schiiler dieses Gefuhl in sich aus, dann tre- 
ten zwei Erlebnisse bei ihm auf, ein auEeres Symptom und ein inne- 
res astrales Erlebnis. Das aufiere Symptom ist: der Schiiler hat die 
ganz bestimmte Empfindung, wie wenn Wasser seine Fiifie umspult; 
er nimmt den Zustand einer Fufiwaschung wahr. Innerlich erlebt der 
christliche Schiiler das Bild davon als eine reale Vision. 

Zweitens: Die Geiftelung. An den Menschen treten heran 
Schmerzen und Qualen, die ihn niederdriicken wollen. Er muE sich 
sagen: All das mufit du aufrecht ertragen lernen. Wenn das lange 
genug geiibt ist, treten wieder zwei Symptome auf. Das aufiere: ste- 
chende Schmerzen am ganzen Leibe, wie von einer Geifielung her- 
riihrend. Es ist ein Beweis dafiir, dafi die Ubung bis in den Atherleib 
gewirkt hat. Das innere, astrale Erlebnis ist das Bild der Geifiehmg. 

Drittens: Die Dornenkronung. Der Schiiler muE den Hohn und 
Spott ertragen lernen, mit dem sein Allerheiligstes uberschuttet wird. 
Kopfschmerzen von wochenlanger Dauer sind das aufiere Symptom 
dafiir, innerlich ist es das astrale Bild der eigenen Dornenkronung. 

Viertens: Die Kreuztragung und Kreuzigung. Der eigene Leib 
wird etwas Fremdes. Er wird wie ein Stuck Holz, wie das Kreuz, das 
Christus trug. Das Personliche mufi vollstandig schwinden. Frei 



werden von seinem Leibe, ganz frei muE der Schiiler werden. Inner- 
lich erlebt er das Bild der Kreuzigung, aufierlich erscheinen die Stig- 
mata an den Stellen der Wundmale Christi. Die Seitenwunde er- 
scheint an der rechten Seite der Brust. 

Fiinftens: Der mystische Tod. Ein hones Erlebnis, eine sehr hohe 
Stufe ist dieses, die Erfahrung eine aufierst bedeutungsvolle. Die 
Erkenntnis tritt auf: das Anschauen der Dinge war alles Illusion. 
Furchtbare Finsternis ergielk sich in den Raum, die ganze Welt ver- 
sinkt. Man lernt nur eines kennen: die wahre Gestalt alles Bosen, all 
der Qualen und Leiden dieser Welt. Das ist der Abstieg zur Holle. 
Hat man das erschopfend durchgemacht, so kommt der Moment, 
wo der Vorhang zerreifk. Man sieht nun eine neue Gestalt der Welt, 
sieht die Welt von der anderen Seite. 

Sechstens: Die Grablegung. Alles auf der Welt wird fur den Schii- 
ler so, wie zu seinem eigenen Leibe gehorend. Er wird eins mit der 
Erde, die ganze Erde wird der Leib, den man hat. Man wird in die 
Erde hineingelegt, und die Erde deckt einen zu. 

Siebentens: Auferstehung und Himmelfahrt. Dieser Aufstieg 
kann nicht mehr beschrieben werden mit Worten der menschlichen 
Sprache und in seiner Glorie kaum geahnt werden. 

Nun wollen wir heute nur noch das Schema der dritten Einwei- 
hungsart geben, der christlich-rosenkreuzerischen Schulung, die fur 
den modernen Menschen die gunstigste ist. Dann erst, wenn wir 
auch diese Art erfafit haben, konnen wir begreifen, was bei der Ein- 
weihung im Menschen vorgeht, und was Johannes, besser gesagt der 
Schreiber des Johannes-Evangeliums, beschreibt. Auch der rosen- 
kreuzerische Weg hat sieben Stufen: 
Erstens: Studium. 
Zweitens: Imagination. 
Drittens: Erlernen der okkulten Schrift. 
Viertens: Lebensrhythmus. 

Fiinftens: Entsprechen von Mikrokosmos und Makrokosmos. 
Sechstens: Kontemplation, innere religiose Beschauung in dem 

Makrokosmos. 
Siebentens: Gottseligkeit. 



Das ist der dritte Weg, urn auf den Bergesgipfel hinaufzukommen. 
Ein reales Ereignis, das Sie im Johannes-Evangelium beschrieben fin- 
den, ist das Herabfahren des Geistes als Taube auf Jesus, Damit ist 
zugleich die hohere Geburt gemeint, wo das empfangen wird, was 
man den Menschensohn nennt. Das Johannes-Evangelium 1, 18, 
birgt noch etwas Geheimnisvolles: «Gott hat niemand bisher mit 
Augen geschaut. Der eingeborene Sohn, welcher im Inneren des Wel- 
tenvaters ist, er ist der Fiihrer zu diesem Schauen geworden.» Das ist 
wortlich zu nehmen. Das Johannes-Evangelium enthalt den Nieder- 
schlag astralischer Schrift. Sie wissen, auf dem Astralplan zeigt sich 
alles umgekehrt, darum miissen Sie umgekehrt lesen lernen. 



DIE THEOSOPHIE 
ANHAND DES JOHANNES-EVANGELIUMS 

Siebenter Vortrag, Miinchen, 5. November 1906 

Heute sollen die Einweihungsstufen der sogenannten rosen- 
kreuzerischen, abendlandischen okkulten Schulung uns beschaftigen. 
Alles was da angefiihrt wird, ist durchaus nicht als allgemeine Lebens- 
vorschriften aufzufassen, sondern kann nur die Aufgabe desjenigen 
sein, der sich dieser Schulung ganz freiwillig unterwirft und sich damit 
zunachst heraushebt aus der allgemeinen Menschheit, um spater dann 
das Errungene weitergeben zu konnen. Hat er sich zur Schiilerschaft 
entschlossen, so sollte fur ihn keine Moglichkeit mehr bestehen, an 
dieser Schulung, an der Art ihrer Vorschriften, an dem Gebaren des 
okkulten Lehrers Kritik zu uben. Er muft sich den Erfahrungen des 
Lehrenden anvertrauen. Ist ihm dieses nicht moglich und hegt er 
irgendeine Spur von Mifitrauen oder Unzuf riedenheit gegeniiber sei- 
nem Lehrer, dann ist es besser, das Band zwischen sich und dem Leh- 
rer zu zerschneiden. Denn nur eine auf Vertrauen begriindete, die 
Autoritat des Lehrers anerkennende Zuneigung kann die richtige Be- 
ziehung des Schulers zum Lehrer herstellen, die dem Schiiler gedeih- 
lich sein soil. Es bleibt dem Schiiler j ederzeit der f reie Wille, die okkul- 



te Schulung zu lassen. Will man sich ihr aber unterziehen, so mu(5 man 
sich auch klar dariiber sein, dafi die betreffenden Regeln aus einer fest- 
begriindeten Wahrheit heraus im Sinne der am weitesten fortgeschrit- 
tenen Individualitaten gegeben sind, jener, die wir als die grofien Leh- 
rer der Menschheit anzusehen haben, und dafi man nur dann vor- 
wartskommen kann, wenn man die Regeln befolgt. Klar sein mufi man 
sich auch dariiber, dafi dieser Weg mit seinen Anweisungen schon von 
vielen Hunderten erprobt und mit Erfolg gegangen worden ist. 

Bei den drei Wegen, die wir nun besprochen haben, ist das Ver- 
haltnis des Schiilers zum Lehrer je ein verschiedenes. In der indi- 
schen Yogaschulung ist das Verhaltnis zwischen Schiiler und Guru 
ein sehr strenges: absolute, vollstandige Unterwerfung unter den 
Guru ist unbedingte Voraussetzung. Da beim Beschreiten des indi- 
schen Weges der Schiiler sich in den hoheren Welten noch nicht 
auskennt, ist es notwendig, dafi er von seinem personlichen Guru 
gefiihrt wird. 

Anders ist das Verhaltnis bei der christlichen Schulung. Da ist der 
Lehrer der Fiihrer zu dem grofien Guru, dem Christus Jesus. Ein 
personlicher Zusammenhang, ein personliches Gemutsverhaltnis zu 
dem Christus Jesus ist fur den Schiiler unbedingt notwendig. Kann 
er nicht mit der ganzen Kraft seiner Seele an den Christus Jesus und 
an das, was Er fur die Menschheit getan und dargelebt hat, glauben, 
so kann er den christlichen Weg nicht gehen. 

Bei der rosenkreuzerischen Schulung ist das Verhaltnis das freie- 
ste und leichteste. Der Lehrer ist der treue Freund, der Fiihrer inner- 
halb der engeren Grenzen des okkulten Erlebens seines Schiilers. Er 
bekiimmert sich nicht um dessen tagliches Tun und Lassen, er ver- 
traut ihm und lafit ihm voile Freiheit. Es gibt nirgends einen Zwang 
oder einen Befehl, nur ein Rat wird erteilt. Aber ein freundschaftli- 
ches Vertrauensverhaltnis zwischen Lehrer und Schiiler mufi da 
sein. Ohne dieses verbliebe die Schulung im Bereich des Manasi- 
schen, ohne dieses konnte Budhi uberhaupt nicht eingepflanzt wer- 
den. Die Kraft, die durch das Vertrauensverhaltnis erzeugt wird, ist 
notwendig bei der okkulten Schulung. Ohne sie konnen die im 
Schiiler schlummernden Krafte nicht geweckt werden. 



Da der rosenkreuzerische Weg als erste Stufe das Studium angibt, 
konnte vielleicht gedacht werden, diese Schulung sei nicht fur jeden 
Menschen. Das ist jedoch nicht richtig; sie ist fiir jeden Menschen da, 
auch fiir den allereinfachsten. Denn unter diesem Studium versteht 
man populare Theosophie, alles das, was Sie hier in diesen Vortragen 
und in meinen oder in anderen geisteswissenschaftlichen Schriften 
horen und lesen; das ist schon ein solches Studium. Es ist die elemen- 
tare okkulte Lehre, die dem Menschen gegeben wird. Frei soil er da- 
durch werden von den Vorurteilen des Lebens, von der Suggestion der 
Wissenschaft, die den modernen Menschen vollstandig beherrscht 
und schon viel Unheil angerichtet hat, ihm den unbefangenen Blick 
ins Freie versperrt, den Weg zur Vorurteilslosigkeit, den er find en 
mufi, um ein klares Urteil zu haben. Im Abendlande ist kein freies 
Denken mehr iiblich, sondern da ist alles Suggestion, aufgestelltes 
Dogma durch Macht und Autoritat. Sogar bis in die einfachen Begrif- 
fe hinein haben wir diese suggestive Beeinflussung: die Suggestion 
durch die Gelehrten, die Suggestion durch die Wissenschaft, die Sug- 
gestion, die von dem einzelnen ausgeht. Unser modernes Leben wird 
beherrscht durch die Familie, durch die Beziehung der Geschlechter 
zueinander. Der Theosoph aber soil tiefer eindringen in vorbereiten- 
des, logisches, sinnlichkeitsfreies Denken. Er soli sich in solche Ge- 
dankengange moglichst versenken. Zu diesem Zweck, zur Schulung 
solcher Denkweise wurden die beiden Schriften «Wahrheit und Wis- 
senschaft und «Philosophie der Freiheit» von mir geschrieben, damit 
man sich in solche Gedankengange vertiefe. Es kommt dabei weniger 
darauf an, den betreffenden Inhalt zu verstehen, als in diesen Gedan- 
kengangen zu leben. Ein freies, scharfes, verniinftiges Denken ist not- 
wendig, weil es dem Schiiler eine gewisse Selbstandigkeit verleiht, 
aber dieses Denken ist auch ein sicherer Fiihrer fiir die hoheren Wel- 
ten. Neues, anderes tritt uns in den verschiedenen Welten entgegen; 
was aber in alien Welten das gleiche bleibt, das ist das Denken. Uberall 
gibt es andere Wahrnehmungen, andere Erlebnisse, aber die Logik ist 
in alien Welten gleich. Das andert sich erst auf dem Budhiplan. Es tritt 
jetzt eine merkwiirdige Veranderung im Schiiler auf. Seine Gedanken 
erweitern sich, erfassen andere Weltenkreise. Die Gedanken, die der 



Mensch gewohnlich hier fafit, sind nichts Mentales, beziehen sich nur 
auf den physischen Plan. Sie sind nur die Schattenbilder der mentalen 
Realitat. Jetzt nahert er sich ihrer Wirklichkeit. 

Nachst dem Studium haben wir als zweites die Imagination. Jeder 
muE sie einmal durchmachen. Der Mensch macht sich allmahlich 
frei von der trockenen sinnlichen Anschauung der Dinge. Er ver- 
sucht in ihnen nur den Ausdruck zu sehen fur etwas, was dahinter 
steht und fangt an, die Welt im Goetheschen Sinne nach dem Wort 
zu betrachten: «Alles Vergangliche ist nur ein Gleichnis.» Diese ver- 
tiefte Denkweise mufi der Schuler systematisch durchfiihren. Die 
Dinge miissen ihm zu Gleichnissen, zu Symbolen werden. Wenn wir 
die Rose betrachten, so ist sie uns das Sinnbild fur eine gewisse Form 
der Schonheit, die Herbstzeitlose das Bild einer feinen melancho- 
lischen In-sich-Abgeschlossenheit. 

Und so liegt jedem Ding eine Bedeutung zugrunde. Gleichnisse 
sind die Dinge namlich in Wirklichkeit. Die ganze sinnliche Welt ist 
eine Einbildung, die geistige Welt ist das Reale. Es mufi eine Wech- 
selwirkung zwischen den Menschen und der geistigen Welt bestehen 
und erzielt werden. Wir miissen unsere Gedankenbilder, unser See- 
lenleben fliissig erhalten, nicht starre Formen uns bilden. Schon in 
Lucifer-Gnosis ist darauf hingewiesen worden, dafi sich durch eine 
andauernde, liebevolle Betrachtung die Eigenschaften aus den Din- 
gen herauslosen und dann den Raum durchfluten und durchstro- 
men. So scheint zum Beispiel aus einer Pflanze etwas wie eine Flam- 
menbildung heraufzusteigen; dahinter steht das Geistige. In diesen 
stromenden, flutenden Farben- und Geschmacksempfindungen, die 
hier auf dem physischen Plan kein Korrelat haben, hat der Mensch 
sich nun zurechtzufinden, und dann ist er so weit, dafi die Unter- 
weisung in der okkulten Schrift einsetzen kann. 

Als drittes ist zu lernen das Lesen der okkulten Schrift. Das hilft 
uns, die mannigfachen Erscheinungen richtig aufzureihen wie Per- 
len an einer Schnur. Die okkulte Schrift ist nicht willkiirlich erdacht, 
sondern stellt die Stromungen dar, welche die Welt durchfliefien. Et- 
was, das in der geistigen Wirklichkeit eine grofie Rolle spielt, sind 
zwei ineinandergerollte Spiralen, die einen Wirbel bilden. An der 



Nasenwurzel befindet sich die Anlage zu der zweiblattrigen Lotus- 
blume, die sich in der Zukunft zu einem hoheren Wahrnehmungsor- 
gan entwickeln wird. Diesem atherischen Organ entspricht ebenfalls 
das Zeichen des Wirbels. Es ist dem Zeichen des Krebses ahnlich, in 
dem die Sonne bei Anbruch der atlantischen Rasse stand. Wir haben 
noch im Kalender diese und die anderen Zeichen der Sternbilder. 
Ein sehr wichtiges okkultes Schriftzeichen ist der Merkurstab mit 
der Schlange daran. Es ist die Urform des Konsonanten S. Wer die 
okkulte Schrift kennt, kann die betreffenden Zeichen als Gedanken- 
form hervorrufen; er hat dann in gewissen Fallen Macht liber Ande- 
re. Im Johannes-Evangelium 8, 3-11, wird iiber Christus und die 
Ehebrecherin berichtet: Christus schrieb mit dem Finger Zeichen 
der okkulten Schrift auf die Erde, um die richtigen Gedankenfor- 
men bei der anklagenden Menge zu erzeugen, und sie zu der im 
Augenblick richtigen Tat zu veranlassen. «Wer ohne Schuld ist, der 
werfe den ersten Stein auf sie.» Er iibergibt ihre Schuld dem Karma, 
der ausgleichenden Gerechtigkeit. Christus wollte sagen: jede Tat 
tragt ihren Lohn in sich. «Gehe hin und siindige hinfort nicht mehr.» 
Eine Unterweisung im Sehen dieser okkulten Zeichen erhalt Moses 
in seinem Gesprach mit Gott (2. Mose, 3 und 4). Da lernt Moses die 
okkulte Schrift kennen und wird ausgeriistet mit der Macht, die ihn 

befahigt, seine Aufgabe zu erfiillen. Daft er einen 
,,/<!"'" Stab werfen mufite, der zur Schlange wurde, be- 

"'"'i"r,, deutet, daE er die okkulte Schrift lernte. 

Stellen wir uns einen Wirbel vor und denken 
uns seine beiden Teile in Rot und Blau, halten wir 



diese Vorstellung fest und fiihren sie zum eigenen 
/✓✓//a oder zu einem fremden Herzen, so schauen wir die 

/ f'ZJ / beiden atherischen Stromuneen, welche dem roten 

un( ^ j em |3l auen B mt zugrunde liegen. 

Ein viertes ist der Lebensrhythmus. Auf ihm beruht alles hohere 
Leben. Natur und Kosmos kennen lauter rhythmische Gesetze. Die 
Sternenbahnen, jede Blume, selbst das intime Tierleben kennen ex- 
akten Rhythmus. Konnten Sie sich denken, daft ein Veilchen im 
August bliiht, statt im Marz? In der Natur ist der Rhythmus iiberall 



vorhanden. Aber je naher wir dem Menschen kommen, desto mehr 
verwandelt sich der Rhythmus in ein Chaos. Ein wahres Gliick ist 
noch der wochentliche Stundenplan unserer Schulkinder. Der 
Mensch soil sich einen gewissen Rhythmus selbst bringen, einen 
neuen Kosmos schaffen. Dies geschieht durch taglich sich wieder- 
holende Handlungen, Meditationen zu einer bestimmten Tageszeit, 
auch durch eine Regelung des Atmungsprozesses. 

Das fiinfte ist die Entsprechung von Makrokosmos und Mikro- 
kosmos. Wenn der Mensch in sich etwas findet, was einer Tatsache 
im Makrokosmos entspricht, dann lernt er sich erst wirklich kennen. 
Woher kann der Mensch wissen, wann sich die Sonne von der Erde 
gelost hat? Das kann er erfahren, wenn er sich in das Innere seines 
Auges vertieft. Ein anderer Zeitpunkt ist der, als der Mensch begann, 
Ich zu sich zu sagen. Das geschah in der Atlantis, zur Zeit der Urse- 
miten, dadurch dafi sich ein bestimmter Punkt im physischen Kopf 
mit einem anderen im Atherkopf deckte. Die Erde war noch mit 
dichtem Nebel bedeckt, und gewisse Verhaltnisse draufien und im 
Inneren des Menschen entsprachen sich. Eine wichtige Ubung be- 
steht darin, dafi sich der Schiiler auf eine bestimmte Stelle zwischen 
den Augenbrauen konzentriert und sich dabei einer Vorstellung hin- 
gibt, die ihm von seinem Lehrer gegeben wird. 

Auf einer sechsten Stufe, der Kontemplation, geht der Schiiler aus 
sich heraus und erweitert sein Bewufitsein iiber die ganze Welt. Das 
hohere Selbst ist aufier uns, wir miissen es in alien Wesen suchen, denn 
alles sind wir. Es spricht auch aus dem Jupiter und der Venus. Es gibt 
Theosophen, die das Gottliche nur in sich suchen wollen. In Wahrheit 
ist es aber die niedere Personlichkeit, die aus ihnen spricht. Ein solcher 
ging einmal umher und sagte immer: Ich bin Atman, ich bin Atman. - 
Das war auch das einzige, was er wufke. Das In-sich-Hineinbriiten 
fiihrt zu nichts. Alles sind wir, und wir miissen uns in alle Wesen ver- 
senken. Das Versenken in das eigene Innere ist nur der Umweg dazu. 

Wenn man soweit gekommen ist, dafi man sich in alle Wesen hin- 
einversetzen kann, dann ist man auf der siebenten Stufe angelangt, der 
Gottseligkeit. Das ganze Wesen der Welt bekommt eine geistige Phy- 
siognomie. Alles, was der Mensch um sich herum sieht, wird zum 



Ausdruck von etwas Hoherem. Wie die Tranen nicht nur salzige 
Tropfen von einer bestimmten chemischen Zusammensetzung sind, 
sondern Ausdruck seelischen Erlebens, so ist die Pflanzendecke der 
Erde Ausdruck der Erdenseele, die eine Wirklichkeit ist. Die einen 
Blumen erscheinen uns als freudig blickende Augen, die anderen als 
Tranen des Erdgeistes, die er weint iiber die viele Traurigkeit, die im 
Kosmos herrscht. Es ist wahr, was Goethe den Erdgeist sagen lafit: 

In Lebensfluten, im Tatensturm 

Wall' ich auf und ab, 

Webe hin und her 

Geburt und Grab, 

Ein ewiges Meer, 

Ein wechselnd Weben, 

Ein gliihend Leben: 

So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit 
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid. 

So haben wir das Gerippe der rosenkreuzerischen Schulung 
kennengelernt. 

Welcher Schulung Sie sich unterziehen, ist nicht entscheidend. Sie 
konnen auf alien drei Wegen Ihre Seelenkrafte entwickeln und Er- 
kenntnisse der iibersinnlichen Welt erlangen. Nur ist es natiirlich 
gut, wenn man bei der Wahl des Weges Riicksicht darauf nimmt, auf 
welcher Seite man selbst am Fufie des zu erklimmenden Berges be- 
reits steht. 

Was erreicht nun der Schiiler, wenn ihn die Einweihung auf den 
Gipfel dort oben hingebracht hat? Ein sehr Reales. Erinnern Sie sich 
an die Schilderung der menschlichen Wesenheit. Zur Zeit des Christus 
Jesus hatte die Mehrzahl der Menschen einen Teil des Astralleibes, 
einen Teil des Atherleibes entwickelt. Anders war es bei den Einge- 
weihten. Wenn der Chela die notigen Stufen durchschritten hatte, 
wurde er zur Einweihung zugelassen. Durchgearbeitet mufke er sei- 
nen ganzen Astralleib haben. Nichts war mehr in seinem Astralleib, 
das er nicht beherrschte. Im allgemeinen herrschen die Leidenschaf- 
ten iiber den Menschen, nicht der Mensch iiber die Leidenschaften. 



Der Mensch mufi Herr seiner Begierden und Leidenschaften sein, 
wenn er Schiiler werden will. Dann mufi er an seinem Atherleibe 
arbeiten, er mufi die Eigenschaften seines Temperaments umwandeln 
und es soweit bringen, da£ er bewufk seine Bewegungen, seinen 
Gang, seine Schrif t andern kann. Nicht nur handelt es sich also darum, 
moralisch zu werden, sondern man mufi ein ganz anderer Mensch 
werden. 

Wenn der ganze Astralleib vom Ich durchgearbeitet ist, dann ist 
er zu Manas, zum Geistselbst geworden, ist in dieses umgewandelt. 
Die Umwandlung des Atherleibes heifit Budhi, er ist Lebensgeist 
geworden. - Wenn der Eingeweihte den physischen Leib zur Um- 
wandlung erfafk, dann wirkt er auf den Planeten ein und macht sich 
zum Mittelpunkt kosmischer Krafte; dann entwickelt er in sich 
Atman, den Vater, den Geistesmenschen. 

Erst ist es eine unbewuftte Arbeit, die der Mensch an seinem 
Atherleibe und seinem Astralleibe verrichtet. Diese vollzieht sich im 
allgemeinen Entwickelungsgang der Menschheit. Der Chela beginnt 
diese Arbeit bewulk in die Hand zu nehmen. Es wird bei unablassi- 
gem Uben ein bestimmter Moment erreicht, wo der ganze astrali- 
sche Leib umgewandelt ist. Dann kann sich alles, was im astralischen 
Leibe ist, in den Atherleib hinein abdriicken. Dann erst darf dieses 
geschehen, friiher nicht, denn friiher kamen schlimme Eigenschaften 
hinein. Das Erworbene geht dann mit dem Kausalleib durch alle 
Inkarnationen hindurch. Die Verewigung, Verlebendigung alles des- 
sen, was der Astralleib enthalt, ist ein ungeheuer wichtiger Vorgang. 
Das kann er in keinem Kamaloka abwerf en, das tragt er fur immer in 
sich. Deshalb ist die vorherige Reinigung sehr notwendig. 

Das Abdriicken dessen, was der Astralleib enthalt, in den Ather- 
leib, wurde in der alten Einweihung so vollzogen, dafi der Schiiler in 
eine Krypta gebracht und dort in eine Art Sarg gelegt wurde. Manch- 
mal wurde er auch an eine Art Kreuz gebunden und in einen lethargi- 
schen Zustand versetzt, bei dem der Atherleib zugleich mit dem 
Astralleib aus dem physischen Leib heraustrat. Etwas ahnliches, 
namlich das Heraustreten eines Teiles des Atherleibes, geht beim Ein- 
schlafen eines Gliedes vor sich; man kann dann den betreffenden Teil 



des Atherleibes aus dem Korper heraushangen sehen. Die Einwei- 
hung selbst nahm ein besonders hoher Initiierter vor. Vieles andere 
noch wurde da nach vorgeschriebenen Regeln gemacht. Solch ein 
Schlaf war etwas anderes als ein gewohnlicher Schlaf. Es blieb bloft 
der physische Leib in dem sogenannten Sarg zuriick, und der Ather- 
leib und Astralleib gingen heraus; es war also eine Art Tod. Dies war 
notwendig, dafi man den Atherleib frei bekam, denn nur dann kann 
sich der Astralleib in den Atherleib abdriicken. Dreieinhalb Tage 
dauerte dieser Zustand. Wenn der Novize dann von dem Initiator 
wieder hingelenkt wurde zu dem physischen Leib, so wurde ihm 
noch eine letzte Formel eingepragt, mit der er aufwachte. Das waren 
die Worte: «Eli, Eli, lama sabachthani!», das heifit: «Mein Gott, mein 
Gott, wie hast Du mich verherrlicht!» Zugleich schien ihm ein be- 
stimmter Stern, in der agyptischen Einweihung der Sirius, entgegen. 
Jetzt war er ein neuer Mensch geworden. Man nannte nun den ganz 
vergeistigten Astralleib aus einem ganz bestimmten Grunde mit ei- 
nem ganz besonderen Namen: «Jungfraulich» nannte man diesen 
Astralleib, die «Jungfrau Sophia». Und den Atherleib, der aufnimmt, 
was die Jungfrau Sophia in sich trug, nannte man den «Heiligen 
Geist». Und das, was aus beiden entstand, das war der «Menschen- 
sohn». Der Verkundigung und Geburt des Jesus von Nazareth liegen 
diese Mysterieninhalte zugrunde. 

Dieses innere Erlebnis wurde im Bilde auch so dargestellt, dafi der 
Heilige Geist als die Taube iiber dem Kelch schwebt. Das ist der 
Moment, der imJohannes-Evangelium 1, 32, beschrieben wird: «Und 
Johannes zeugete und sprach: <Ich sah, dafi der Geist herabfuhr wie 
eine Taube vom Himmel und blieb auf Ihm>.» Denken Sie sich das auf 
dem astralen Plan erlebt, so haben Sie ein wirkliches Ereignis. Der- 
jenige, der diese grofien Dinge darleben durfte aufterhalb der Myste- 
rien in der physischen Welt, der durfte als Initiator andere einweihen. 
Johannes-Evangelium 11, 1-45: die Auferweckung des Lazarus ist 
nichts anderes als eine Initiation, an Lazarus vollzogen. 

Wir konnen das Johannes-Evangelium nicht tief genug nehmen. 
So ist auch die Namengebung etwas aufierordentlich Wichtiges. Die 
Namengebung, um die es sich in der Bibel handelt, ist genommen 



von der inneren Wesenheit der Menschen, Ein Beispiel dafiir sind 
die Namen der zwolf Apostel. Sie weisen hin auf die Beziehung 
zwischen ihnen und dem Herrn, dem Christus, der das Haupt ist 
und als Zeichen den Widder oder das Lamm hat. Johannes bedeutet 
der die Budhi Verkiindende. Sie konnen den Menschen in zwolf 
Teile einteilen, der ganze Mensch ist eine Zwolfheit. Der Mensch so, 
wie er jetzt ist, entstand allmahlich. Jedesmal, wenn die Sonne in ein 
neues Sternbild trat, entwickelte sich ein neues Organ im Menschen. 
Als die Sonne im Zeichen des Lowen stand, bildete sich zum Bei- 
spiel das Herz aus. Wenn der Mensch hoher aufsteigt, involviert er 
in sich eine Gruppenseele. Das nun, was die Teile des Menschen 
sind, finden Sie wieder in den Namen der zwolf Apostel, da sind sie 
hineingeheimnifk. Was in einem gewohnlichen Leib die zwolf We- 
sensbestandteile sind, bedeuten die zwolf Apostel im Kollektivleib 
Christi. Der Teil, der das Ich darstellt, in welchem der Egoismus 
herrscht, der dem Christus den Tod bringt, der ist genannt Judas 
Ischariot. Hinzugesetzt wurde bei dieser Namengebung noch, dafi 
er den Beutel hatte, das Geld, das niedere Habsuchtsprinzip. 

Welche Bedeutung diese Namengebung hat, sehen Sie auch noch 
darin, dafi eben derjenige, der in dem grofien Weltenplan der geistige 
Reprasentant der Menschheitsentwickelung ist, den Namen «der 
Menschensohn» erhalt. Sein Vater ist der «Heilige Geist» und seine 
Mutter «die Jungfrau Sophia». Wieder finden Sie das im Johannes- 
Evangelium 19, 25 - 27, in der Szene unter dem Kreuz: «Weib, siehe, 
das ist dein Sohn!» «Siehe, das ist deine Mutter! » Der Schreiber des 
Johannes-Evangeliums, der Jiinger, den Christus selbst eingeweiht 
hat, nahm die Weisheit zu sich und schrieb das Johannes-Evange- 
lium, das die Weisheit des Christentums enthalt. 

Diese Dinge, das diirfen wir nicht vergessen, sind zugleich Tat- 
sachen, aber als solche der Ausdruck tiefer geistiger Zusammen- 
hange. 



DIE THEOSOPHIE 
ANHAND DES JOHANNES-EVANGELIUMS 

Achter Vortrag, Miinchen, 6. November 1906 

In diesen Vortragen haben wir kennengelernt den Aufstieg des Men- 
schen zum Gipfel der Erkenntnis und Weisheit. Gezeigt habe ich 
Ihnen, da$ eine Art von Vorherverkiindigung des Ereignisses von 
Palastina sich oft und oft bei der Einweihung in die Mysterien voll- 
zogen hat. Die Einweihungszeremonien gipfelten in einem dreitagi- 
gen todesahnlichen Schlafe, durch welchen der Einzuweihende, 
wenn er aufwachte, in sich selbst dasjenige gefunden hat, was man 
den hoheren Menschen nennt. Selig - das heifk mit der Seele durch- 
drungen - ist derjenige, der die geistigen Welten schaut. Und nun- 
mehr sollte selig werden, wer da glaubt und nicht schaut. Es sollte 
der Zeitpunkt kommen, wo als geschichtliche Tatsache vor den 
Augen der Menschheit sich abspielte, was friiher innerhalb der 
Mysterien in der Seele des einzelnen Menschen sich vollzogen hatte. 
Um das zu verstehen, wollen wir nun zunachst von den Wirkungen 
der Einweihung sprechen. 

Der Alltagsmensch, der von des Tages Last und Arbeit ermiidet 
in den Schlaf sinkt, befindet sich in einem pflanzenahnlichen Zu- 
stand. Er empfindet nichts, er weifi nichts von sich. Wahrend dieser 
Zeit arbeitet der Astralleib am physischen Leibe, um dessen ver- 
brauchte Krafte wieder auszubessern. Wenn der Mensch noch einen 
Nachklang seiner Nachterlebnisse im Ather- und im physischen 
Leibe hat, so sagen wir: sein Schlaf war von Traumen belebt. Meist 
sind aber beim Durchschnittsmenschen in der Erinnerung diese 
Bilder verschwommen und unverstandlich. 

Anders beim Schiller. Wir unterscheiden das helle Tagesbewufit- 
sein, das Traumbewulksein und den traumlosen Schlaf. Wenn der 
Schiiler die ihm aufgegebenen Ubungen geduldig ausfuhrt, so kommt 
die Zeit, wo in die chaotische Wirrnis der Traume Ordnung hinein- 
kommt. Der Schiiler fangt an, die wirkliche Welt des Schlaf es kennen- 
zulernen. Nicht mehr abgerissene Reminiszenzen bringt er heriiber in 
das Tagesbewufitsein, sondern er erreicht die Kontinuitat des Be- 



wulkseins, das standige Bewufitsein. Es kiindigt sich dies allmahlich 
an. Anfangs hat der Schiiler beim Erwachen ein Gefuhl wie ein 
Schwimmer, der aus dem Wasser auftaucht und sich an Dinge erinnert, 
die nie auf der Erde vorkommen. Aus dem Meer des Astralen tauchen 
immer mehr Einzelheiten auf. Zunachst entwickelt sich dieses Wahr- 
nehmungs- und Erinnerungsvermogen des Schiilers sehr langsam. 
Spater wird er gewahr, wie er das Erlebte hiniibernehmen kann in das 
Tagesbewufksein, in den Wachzustand. Das, was er die ganze Nacht 
hindurch wahrgenommen hat, die Welt, in der er gelebt hat, deren Er- 
eignisse kann er jetzt heriibernehmen in diese physische Welt. Es be- 
ginnt nun fur ihn die Zeit, wo ihm jede Pflanze zum Ausdruck einer 
geistigen Wesenheit der Erde, zum wirklichen Glied eines gro&en Er- 
dengeistes wird. Er ist als Erdenmensch der Bewohner dieser Welt, 
und als Geistesmensch der Bewohner einer geistigen Welt. Es leben 
und weben in seiner Seele geistige Strome, geistige Wesen, die auftre- 
ten und ihm nun bewufit werden. Sein Bewufitsein wachst zusammen 
mit dem der anderen. Er weifi, dafi sein Bewufitsein nur ein Teil des Er- 
denbewufitseins ist. Denken Sie sich diese Erde als ein lebendiges We- 
sen mit einem eigenen Bewufitsein, und nun denken Sie sich das Ein- 
zelbewufksein als Spiegelbild des einen groften Erdenbe wulkseins. Es 
ist eine Illusion, zu glauben, dafi der Mensch ein Bewufitsein hat, das 
nur ihm eigen ist. Auf dem Wege erst ist der Mensch, eins zu werden 
mit der Erde und ihrem Bewufitsein, also ein Erdensohn zu werden; 
der Chela ist es in erhohtem Mafie. Der Reprasentant dieses einen gro- 
fien Erdenbewufitseins ist der Christus Jesus. Als das Fleisch und Blut 
gewordene Wort stellt er dar das verkorperte zukiinftige Ideal des Er- 
den- und Menschheitsbewufttseins, zu dem sich die Menschen einmal 
alle durchringen werden. Der Christus Jesus fuhrt uns in diese Zeit 
hinein, indem er als der Erstgeborene dieses Bewufitsein wirken lafit, 
so dafi die Menschen diesen Zustand rascher erreichen. Besonders si- 
cher kann ja derjenige zu den Gipfeln fiihren, der selbst den Gipfel 
schon erreicht hat und die anderen zu sich heraufholt. Derjenige, der 
am Kreuze hing, trug das Erdenbewulksein in seiner eigenen Brust. 

Das ganze Johannes-Evangelium redet in einer merkwurdig ima- 
ginierenden Sprache. Greifen wir ein Beispiel heraus. Was bedeutet 



das: Der Jiinger, den der Herr lieb hat? - Denken Sie einmal, daft der 
Schreiber des Johannes-Evangeliums von sich selbst sagt «den der 
Herr lieb hat», und «der an der Brust Jesu liegt». Dieser Jiinger ist 
der aufiere Reprasentant des Herzens, des Budhiorgans. Was das 
Herz im menschlichen Leibe ist, das ist inmitten der zwolf Jiinger 
der Johannes. 

Nehmen wir das dreizehnte Kapitel: die Fufiwaschung (13, 1-20). 
Was bedeutet diese Fufiwaschung? Der Mensch ist ein zweifach 
gebundenes Wesen, er ist ein Doppelwesen: mit seinem Haupt der 
Sonne und mit seinen Fiifien der Erde zugewendet. Was mufi noch 
rein werden am Menschen? Der der Erde zugeteilte Teil, der mufi 
noch gereinigt werden vom Reprasentanten der vollendeten 
Menschheit (13, 8-10). Petrus, das heifit der Fels, ist der der Erde 
zugewandte Teil. Soil dieser auch rein werden, so mufi er von Chri- 
stus gewaschen werden. Darum die Worte Christi: «Wird dein 
Erdenteil nicht gewaschen, so hast du keinen Teil an mir.» Auf die 
Erwiderung des Petrus: «Herr, nicht die Fiifie allein, sondern auch 
die Hande und das Haupt», spricht Christus zu ihm: «Wer gewa- 
schen ist, der bedarf nichts denn die Fiifie waschen, sondern ist ganz 
rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.» Christus wufite wohl, wer 
ihm den Tod bringen sollte: Judas Ischariot, der Reprasentant des 
egoistischen Prinzips. 

Und weiter, Vers 18: «Der mein Brot isset, der tritt mich mit 
Fiifien.» Wie kann Jesus, er, der das Erdenbewufitsein hat und als 
seinen Leib die ganze Erde fiihlt, diese Worte sagen? Er kann es. 
Versetzen Sie sich in das Bewufitsein der Erde wie in das eines Men- 
schen. Hatte die Erde ein Bewufitsein, so wiirde sie zu dem Men- 
schen sprechen «Der mein Brot isset, der tritt mich mit Fiifien». 
Christus hat dieses Bewufitsein, Christus als der Reprasentant des 
ganzen Erdenbewufitseins darf das sagen. 

Was wird sich dann erfiillen, wenn einstmals jene Liebe, die er 
dargelebt hat, in die ganze Menschheit iibergreift und die Menschen 
alle Briider geworden sind? Dann wird eines da sein als Vorbild. Die 
Menschen haben die Giiter der Erde untereinander verteilt, aber 
eines, das, was die aufiere Hiille der Erde ist, die Lufthiille, kann 



nicht geteilt werden, und wie dieser «Rock» der Erde nicht geteilt 
werden kann, so werden spater auch die Giiter gemeinsam sein. 
Symbolisch ist das auch ausgedriickt bei der Kreuzigung Christi in 
der Verteilung seiner Kleider unter die Kriegsknechte (Joh.-Ev. 19, 
24). Der Rock des Christus Jesus als Umhullung des Erdenbewufit- 
seins ist ungenaht und aus einem Stuck. Das Oberkleid, das in vier 
Teile geteilt wird, reprasentiert durch diese Teilung die vier Haupt- 
kontinente, der unteilbare Rock, das ist der unteilbare Luftkreis. 
Das Erhabene, das dem Christentum zugrunde liegt, das Moralische 
und das geistig Kosmische, das so grofiartig im Johannes-Evange- 
lium ausgedriickt ist, das ist darin beschlossen, daft in alien Aufie- 
rungen des Christus Jesus darauf hingedeutet wird: so wird man 
leben in der Zukunft, wie der Christus Jesus es dargestellt hat. 

Was der Christus Jesus getan hat, als er den Spruch erfiillt hat: 
«Ich bin das Brot des Lebens» (Joh.-Ev. 6, 48), diese Speisung der 
Funftausend, ist nicht nur ein Ereignis der damaligen Gegenwart, 
sondern eines von tiefer, dauernder Bedeutung. Die Erde ist der 
Leib des Christus Jesus: die wenigen Samenkorner, die Jiinger, sie 
werden vervielfaltigt. Das sind die Dinge, durch welche das Chri- 
stentum so grofi ist, weil Physisches und Moralisches so wunderbar 
ubereinstimmen. Der wunderbarste Monismus ist im Christentum 
wiedergegeben durch die Art, wie Johannes es gibt. 

Auch zwischen Christentum und Karma ist kein Widerspruch zu 
finden. Das Christentum trat in einem Zeitpunkt auf, an dem es der 
am Tode krankenden Menschheit etwas zu bieten hatte, das damals 
Leben brachte und jetzt noch lebt. Es ging dem Christentum eine 
Zeit voran, wo die Lehre von der Reinkarnation allgemeines Men- 
schengut war. Der Mensch sah damals sein Gegenwartsleben nur als 
etwas Voriibergehendes an: der agyptische Sklave, den das harteste 
Geschick traf und tief niederbeugte, sagte sich: Es ist ein Dasein 
unter vielen. Hierin fand er Trost und Kraft und Hoffnung fur Ge- 
genwart und Zukunft. Er sagte sich: Mein Leben ist jetzt dunkel, 
spater wird es hell sein. - Oder: Durch eigene Schuld habe ich mir 
dieses zugezogen, nun will ich es tragen und besser machen. 

Eine hohe geistige Kultur finden wir damals unter verschiedenen 



Volkern bei einer primitiven aufteren Kultur, die sich einfachster 
Werkzeuge bediente. Damals hing der Mensch noch nicht so an der 
Erde. Dazu mufke die Menschheit erst erzogen werden. Die Erobe- 
rung des Materiellen, alles, was wir heute in unserem Umkreis ha- 
ben, ware nicht moglich geworden, wenn der Mensch nicht gelernt 
hatte, die Erde liebzugewinnen. Dazu mufke ihm der Uberblick 
iiber seine wiederholten Erdenleben entzogen werden. Es ist die 
weise christliche Padagogik, daft das eine Leben fur eine Zeitlang in 
den Mittelpunkt gestellt wurde. Das mufke einmal so sein, um die 
Reinkarnationswahrheit dann spater dem Menschen auf hoherer 
Stufe wiederzugeben. Darum spricht in seinen Reden fiir das Volk 
Christus nicht dariiber, aber im intimen Kreise mit seinen Jungern 
spricht er davon, dafi es das Karma gibt. 

In der moralischen Welt hangt alles wie Ursache und Wirkung 
zusammen, und das Richten gehort zu dem, was ausgeiibt wird 
durch das tiefste und reinste Erdenwesen. In okkulten Schriftziigen 
ist alles das, was der Mensch getan hat, eingeschrieben in die Aka- 
sha-Chronik. Hat man das in der Zukunft einst erfafk, so wird man 
nicht mehr weltlich strafen. Der Christus zeigt, wie in Zukunft die 
Gerichtsbarkeit gehandhabt wird, in Kapitel 8, Vers 1-11, des Johan- 
nes -Evangeliums: Es ist die Geschichte von der Ehebrecherin. Was 
Christus da sagt und tut, will zeigen, daft in der Erden-Akasha- 
Chronik all das eingeschrieben ist, was der Mensch getan hat. Das ist 
die unmittelbare Ubergabe der Rechtsprechung an das sich selbst 
erfiillende Karmagesetz. Das lebendige Bewufksein der Akasha- 
Chronik der Erde ist Christus selbst, darum wird ihm vom Vater das 
Gericht iibergeben, und er hat Macht, die Siinden zu vergeben und 
auf sich zu nehmen (Joh.-Ev. 5, 21, 22, 23): «Denn wie der Vater die 
Toten auferweckt und macht sie lebendig, also auch der Sohn macht 
lebendig, welche er will. Denn der Vater richtet niemand, alles 
Gericht hat er dem Sohn gegeben, auf daft sie alle den Sohn ehren, 
wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt den Vater 
nicht, der ihn gesandt hat.» 

In Christus lebt das ganze Erdenkarma der Menschen, er ist das 
lebendig verkorperte Erdenkarma. Darum die Lehre des Christen- 



turns von dem personlichen lebendigen Verhaltnis jedes einzelnen 
Menschen zu Christus, welches zugleich das Bewufksein gibt, dafi 
Christus die Sunden vergibt, daft irgendwo der Ausgleich im Chri- 
stus Jesus zu suchen ist. Die Erlosung ist bei ihm zu suchen, die 
Erdengerechtigkeit stellt er dar. So werden Sie jeden Satz im Johan- 
nes-Evangelium begreifen konnen, wenn Sie es in dieser subtilen 
Weise studieren und sich wieder und wieder darin versenken, um 
defer in das Johannes-Evangelium einzudringen, wenigstens in den 
Teil, den Sie theosophisch begreifen konnen. 

Der Mensch steigt langsam auf zu dem hoheren Bewufitsein. Erst 
unterscheidet er noch: ich habe Schmerz, ich habe Lust. Ist der 
Mensch dariiber hinausgedrungen, so steigt er auf durch die Einwei- 
hung vom physischen Alltagsbewufitsein zum zweiten, zum Astral- 
bewufksein, wo die astrale Welt wie in lebendigen Bildern auftritt. 
Man unterscheidet in der ostlichen Weisheit fiinf solche BewuEt- 
seinsstufen: Erstens das physische Alltagsbewufttsein = Jagrat; zwei- 
tens das Traumbewufksein = Swapna; drittens das Devachan- 
bewufksein = Sushupti; viertens das Turiyabewufksein; funftens das 
Nirvanabewufksein. 

Bei der ersten und zweiten Stufe kann man noch nicht mehr tun, 
als sich erinnern an das im Traum Erlebte; da hat man noch nicht die 
Erkenntnis, die bei der dritten Stufe, dem Devachanbewufksein, ein- 
setzt. Diese Stufe ist erreicht, wenn man auEer der astralen auch die 
rein geistige Welt erlebt. Kann man damit sein Tagesbewufitsein er- 
fiillen und so die Welt geistig durchsetzt sehen, dann hat man Turiya 
erlangt. Nimmt man das Urwesen der Welt wahr, so hat man Nir- 
vana erreicht. 

Wenn Christus sagt: «Ehe denn Vater Abraham ward, bin ich», so 
weist er darauf hin, dafi ein hoheres Bewufitsein in ihm lebt. Als die 
Menge ihn steinigen will, geht er «zum Tempel hinaus» Qoh.-Ev. 8, 
58, 59), das heifk, er erhebt sich zu einem Bewufitsein, das seinen 
Verfolgern nicht zuganglich ist. 

Wer hohersteigt, mufi alle Glieder lautern und das hinauswerfen, 
was ihn hinunterzieht. Christus als Reprasentant des Erdenbewulk- 
seins, das sich lautert und aufsteigt, treibt das Unreine aus: die 



Wechslergesinnung, der Schachergeist, die Geldgier werden aus- 
getrieben sein. Das ist der Sinn der Reinigung des Tempels, die 
zugleich ein Sinnbild fur die Menschheitszukunft ist. Nach der Ver- 
treibung der Wechsler und Handler sagt Jesus: «Brechet diesen Tem- 
pel, und am dritten Tage will ich ihn aufrichten.» «Er aber redete 
von dem Tempel seines Leibes», heifit es weiter (2, 14-21). In diesen 
Worten haben Sie den Hinweis auf die drei kommenden Weltentage, 
von denen wir schon gesprochen haben. Der Christus Jesus spricht 
hier von der Evolution der ganzen Erde. Die alte Ordnung soil ver- 
gehen, und am dritten Weltentage wird ein Leib kommen, der nicht 
mehr das Niedere enthalt. 

Erinnern wir uns zugleich daran, dafi der Chela, wenn er zur 
Meisterschaft vorriickt, dreieinhalb Tage ins Grab gelegt wird. Der 
Tempel des Leibes wird ihm abgebrochen und dann wieder aufge- 
richtet. So geschieht es da fur den einzelnen, und fur die ganze 
Menschheit ist es geschehen durch Christi Tod und Auferstehung. 
Sie miissen spiiren im Johannes -Evangelium das Leuchten der Satze 
nach vielen Seiten hin, denn tief und vielseitig sind diese Satze, die 
das ganze Weltengeheimnis umschliefien. 

In der Einweihung wird die Seele vom Leibe getrennt, aber diese ist 
bewulk in den hoheren Welten. Nikodemus kommt zu Christus «bei 
derNacht», also aufterhalb des Tagesbewufkseins (3, 1-21). Christus 
sagt ihm: «Es sei denn, daft jemand geboren werde aus Wasser» - das 
heilk aus der astralen "Welt, die man wie Fluten erlebt - «und aus 
Geist» - dem Devachan - «so kann er nicht in das Reich Gottes kom- 
men», so erlebt er nicht die geistige Welt. Er spricht hiervon, solange 
das Alltagsbewufitsein nichts zu sagen hat, namlich wahrend der Ein- 
weihung. Jedes Wort im Johannes-Evangelium bedeutet etwas Tiefe- 
res, und es gibt kein Ende in der Erklarung dieses Evangeliums. 

Der Zweck dieser Stunden war, dafi Sie sehen, wie man dieses 
merkwiirdige Buch verstehen mufi. Die Art, wie man es beniitzen 
soli, hat dabei hervortreten sollen. Hoffentlich ist es mir etwas 
gelungen, es Ihnen nahezubringen. 

«Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr konnt es jetzt nicht 
tragen», mufi auch ich hier sagen. Christus Jesus ist aus der Mutter 



Sophia geboren, Johannes, das heifit Lazarus, der Schreiber des 
Johannes-Evangeliums, hat sie zu sich genommen, und wir miissen 
ihre Verkorperung, die der Jungfrau Sophia, studieren, urn dann 
dort die Mittel zu finden, den innerlichen Christus in uns zu bilden. 
Wenn wir die einzelnen Verse meditativ beniitzen, dann werden wir 
die Taten erleben, auf die sie Bezug nehmen, und dann werden wir 
verstehen den unergriindlich tiefen Sinn dieses Evangeliums. Es gibt 
wieder, wie sich das groftte Ereignis der Weltgeschichte, das Ereignis 
von Palastina, in den hochsten geistigen Zustanden, in denen Johan- 
nes es gesehen hat, ausnimmt. 

Das Johannes-Evangelium zu verstehen ist allein moglich durch 
die Geistesforschung und die geisteswissenschaftliche Weltanschau- 
ung. Wir sollen uns immer mehr bewufit werden, wie wir uns zu 
dem Verstandnis des Geistes hinzuarbeiten haben, der auf Erden der 
tiefste ist. Christus stellt uns ein Wesen dar, wie es sonst keines auf 
der Erde gegeben hat. Am Ende der Erdentage ist das «Wort» wie- 
der der letzte Ausdruck fur die geistige Wesenheit des Christus. 
Christus wird sich dann in alien Menschen verkorpern. Im Fleische 
konnte ihm dazu die Moglichkeit, sich zu verkorpern, nur ein hohe- 
res Wesen geben. Niemals konnten Sie die Sonne sehen, wenn Sie 
kein Auge hatten. Wer aber hat das Auge des Menschen gemacht? 
Die Sonne hat es gemacht. Christus ist die Sonne, welche die Men- 
schenseele in sich aufnehmen soli mit Hilfe dessen, wodurch wir den 
Christus schauen. Das Johannes-Evangelium ist dieses Auge. Dieses 
aber konnte nicht sehen ohne den wirklichen Christus Jesus, der 
dieses Auge erst dem Junger geoffnet hat, den der Herr lieb hatte, 
den er selbst erweckt hat, der sein intimer Schiiler war. So riickt im 
Johannes-Evangelium unser Gefiihl hinauf im Denken, Fiihlen und 
Wollen auf den Wegen, die uns die Geist-Erkenntnis eroffnet. 



Anhang 



Erganzungen zum Text 



Erganzendes zum Vortrag vom 3. Juli 1906 
(Seite 154) 

Glauben die Spiritisten, die wirklichen Verstorbenen zu sehen, so 
sind sie zwei moglichen Irrtumern ausgesetzt. Der eine kann der 
sein, daft sie in Wirklichkeit ein Akashabild vor sich haben, der an- 
dere der, daft sich aus dem Atherleib des Mediums ein Schemen bil- 
det bis zu einer luftigen Erscheinung, die manchmal auch der Nicht - 
Hellsehende wahrnehmen kann. Man hat es nicht mit einer echten 
Individualitat, sondern mit einem Schemen zu tun. 

Hier mochte ich eine spiritistische Geschichte einflechten. Ein 
bekannter Spiritist, der immer in Wut geriet, wenn er etwas von Re- 
inkarnation, von Wiederverkorperung horte, versuchte einmal, Frau 
Blavatsky nach ihrem Tode in seinen Zirkel hineinzubannen und 
fragte sie, wie sie jetzt uber Reinkarnation dachte. Frau Blavatsky 
habe geantwortet, von Reinkarnation sei keine Rede, sie hatte die 
Menschen vollstandig irregefiihrt, und nun seien Scharen da, die auf 
diese Wiederverkorperung umsonst warteten; sie bereue, diese Sache 
behauptet zu haben. 

Nun kann dieses Experiment in gewisser Weise ganz gut auf 
Wahrheit beruhen. Wir miissen annehmen, daft das geschah, als Frau 
Blavatsky nicht mehr im Kamaloka war. Ihr Schemen kann durchaus 
in einen spiritistischen Zirkel hineingezogen worden sein. In der Tat 
hatte Frau Blavatsky, als sie die «Entschleierte Isis» schrieb, unge- 
fahr in den Siebzigerjahren, noch an keine Wiederverkorperung und 
an kein Karma geglaubt; sie hielt es damals fur unmoglich. Erst spa- 
ter kam sie zu dieser Anschauung. Ihre in Devachan libergegangene 
Individualitat, ihr Wesenskern, hat diese Anschauung mitgenom- 



men, und an dem Schemen haftete der Irrtum. Die Frau Blavatsky 
von jener Zeit hatte zu Lebzeiten das gleiche geantwortet. Der Spi- 
ritist hatte es nicht mit dem Wesenskern von Frau Blavatsky zu tun, 
sondern mit dem Schemen. 



(Seite 155, oben) 

In dem Moment, wo dieses astralische Gebilde in einen werdenden 
Menschenkeim eintritt, ist es eine Zeitlang nicht voll sichtbar fur 
den Hellseher. Es ist in der Mitte unterbrochen. Denken Sie sich das 
ungefahr so: 




7V" 



Beim gewohnlichen Menschen verdunkelt es sich bis zum 16., 
17., 18. Tage und wird von da an wieder heller. Beim Chela bleibt 
dieses astralische Gebilde in alien Stadien leuchtend. 



(Seite 155, unten) 



Nehmen wir zum Beispiel an, ein Mensch errichtet ein Hospital, mit 
dem Wunsch, Hilfe zu bringen. Ist dies erreicht, lafit er es auf sich 
beruhen und kiimmert sich nicht mehr um diese Tat. Das Gleiche 
tut ein anderer, sagen wir aus Ehrgeiz, um vielleicht einen Orden zu 
erhalten. Die Ausgangspunkte zu diesen Taten sind ganz verschie- 
den, aber die Hilfe, die sie brachten, ist genau dieselbe. 



Erganzendes zum Vortrag vom 5. Juli 1906 
(Seite 157, oben) 

Schopenhauer zum Beispiel war in seiner Philosophic Pessimist. Ein 
solcher sieht alles in Schwarz, alles ist fur ihn schlecht in der Welt 
eingerichtet. Nun hat Schopenhauer eigentumlicherweise viel unter 



Todesangst gestanden. Das ist darauf zuriickzufiihren, dafi er in sei- 
nem vorigen Erdenleben furchterweckende Taten begangen hat. 

(Seite 157, Mitte) 

Es mag vielleicht paradox klingen, aber falsch ist es nicht, wenn wir 
es nur recht verstehen. Wir haben es in einem Fall mit einem geisti- 
gen Wesenskern zu tun, der vor etwa 1200 Jahren auf der Erde war, 
und der sich nun von neuem verkorperte. Dennoch sieht er der Fa- 
milie, in die er hineingeboren wurde, ahnlich. Dies kann uns klar 
werden, wenn wir auf das Wesen des Menschen zuriickgreifen. Wir 
haben also erstens den physischen Leib, zweitens den Atherleib, das 
feine Luftgebilde, drittens den Astralleib, die feine Geistwolke, die 
den menschlichen Leib umgibt, iiber ihn hinausragt und Farben und 
Bewegungen zeigt, und viertens das Ich, das verbunden ist mit dem 
ftinften Wesensglied, dem Kausalleib, welcher, je mehr er sich ent- 
wickelt, leuchtender und leuchtender wird. Wir haben also zunachst 
diese funfgliedrige Menschenwesenheit vor uns. Um zu sehen, wie 
sie gebildet ist, miissen wir einmal ein Wesen betrachten, das erst mit 
seinen Verkorperungen beginnt. 

(Seite 158) 

Wenn ein Chela stirbt, wird er verhaltnismafiig bald wiedergeboren. 
Hat er schon in friiheren Leben viel in seinen Atherleib hineingear- 
beitet, so hat er jetzt die Fahigkeit, sein Gedachtnis frischer zu erhal- 
ten. Er hat aber deshalb noch nicht das Hellsehen oder eine beson- 
dere Weisheit von Geburt an, sondern erst von einem bestimmten 
Zeitpunkt in seinem Leben an, ab dem 16., 17. Jahre, selten friiher. Je 
tiefer er eingeweiht war, desto friiher wird er sich bewulk, dafi er in 
seinen Atherleib hineinarbeiten kann. Kommt dieses Bewufitsein 
noch friiher, also vor der Geschlechtsreife, dann kann er sogar 
dieGeschlechtsreife hinausriicken, so dafi er in diesem unschuldigen 
Jugendzustande bleiben und dadurch sehr viel bedeutsamer in sei- 
nen Atherleib hineinwirken kann, als es spater der Fall ware. 



Erganzendes zum Vortrag vom 9. Juli 1906 
(Seite 173) 

Frage: Inwiefern hat die Schulung Einfluft auf die Ernahrung (Diat)? Oder 
umgekehrt: Hat irgendeine Diat Einflufi auf das Seelenleben? 

Rudolf Steiner: Es hangt tatsachlich etwas davon ab, wie der Mensch 
sich ernahrt. Zum Beispiel: Es gibt eine gewisse Stufe der okkulten 
Entwicklung, auf welcher der Mensch die Lehre von Reinkarnation 
nicht mehr als Theorie ansieht, sondern an sich erkennt. Er sieht dies 
hellseherisch an sich selbst und an anderen Menschen. Kein Mensch 
kann jemals zu dieser Erkenntnis kommen, der noch einen Tropfen 
Alkohol geniefk. Andere Krafte kann der Mensch durch Schulung 
erlangen, aber diese niemals. An diesem Beispiel sehen Sie, wie die 
Nahrung auf Geist und Seele wirken kann. Die hohere Entwicklung 
hangt aufierdem auch mit gewissen anderen Dingen zusammen, die 
der Mensch seinem Leibe zufiihrt. Durch die Schulung selbst kann 
ihm aufgehen, dafi die innere Harmonie durch eine geeignete Nah- 
rung gefordert werden kann. Man kann auch aus irgendwelchen 
moralischen Griinden Vegetarier werden, zum Beispiel, um kein 
Tier zu toten. Auch das ist ein berechtigter Standpunkt. Jedenfalls 
muE ein Gleichmafi zwischen Geist, Seele und Korper angestrebt 
werden. Vor alien Dingen darf die okkulte Schulung nur in voller 
Bewufitheit vor sich gehen. 



Erganzendes zum Vortrag vom 10. Juli 1906 
(Seite 176) 

Die altindische Bezeichnung fur die vierblattrige Lotosblume ist 
Swastika. Bei Menschen mit Phantasie fangt sie an sich zu drehen, 
von rechts nach links. In mehreren ostlichen Landern spielt die 
Swastika als Symbol eine ahnliche zentrale Rolle wie im christlichen 
Abendland das Kreuz. Alles, was ich Ihnen jetzt auseinandergesetzt 
habe, ist keine Abstraktion, sondern entspricht einer Realitat. Der- 
artige Symbole haben eine sehr tiefe Bedeutung. Es hat aber gar 



keinen Wert, wenn in irgendwelchen theosophischen Schriften das 
TAO-Zeichen oder die Schlange oder die Swastika verwendet 
werden. 

Damit habe ich Ihnen ungefahr den Weg und die Bedeutung der 
morgenlandischen, unter strenger Leitung eines Guru stehenden 
Fuhrung gezeigt. Weil das orientalische Bewufksein etwas Traum- 
haftes an sich hat, hat der indische Mensch eine solche Fuhrung 
notig; die feine Konstitution des morgenlandischen Menschen be- 
dingt das. Er mufi das lange Zeit innerlich alles durchmachen, bis er 
sich einmal selber fuhren kann. In der Vedanta-Philosophie sind die 
grofiten Gedanken niedergelegt. Aber der Inder wiirde nicht begin- 
nen konnen mit dem Studium von Philosophen wie zum Beispiel 
Fichte, Schelling, Hegel; er braucht zunachst eine auftere Stiitze, bis 
sein Fiihrer ihm zum Genossen wird. 



HINWEISE 



Zu dieser Ausgabe 

Der vorliegende Band GA 94 der Gesamtausgabe umfafit Aufzeichnungen 
von vier Vorrtragszyken Rudolf Steiners, die im 1906 in Paris, Leipzig, 
Berlin und Miinchen gehalten worden sind. 

KOSMOGONIE 
Paris, 25. Mai bis 14. Juni 1906 

Die russische Theosophin Elena Fjodorovna Pisareva hatte im Jahr 1904 
Rudolf Steiner und Marie von Sivers auf ihr Landgut Podborki, in der Nahe 
von Kaluga, eingeladen. Der fur den Sommer 1905 geplante Besuch mufite 
wegen der unsicheren politischen Zustande in Rufiland zunachst auf 1906 
verschoben und spater ganz abgesagt werden. Stattdessen, so berichtete 
Marie Steiner-von Sivers, baten die russischen Freunde darum, einen Vor- 
tragszyklus in Paris veranstalten zu diirfen, wo es immer eine zahlreiche 
russische Kolonie gegeben hatte. «Rudolf Steiner sagte zu; es war zugleich 
das Jahr, in dem die Theosophen ihren allgemeinen Kongrefi in Paris abhiel- 
ten. Unser Zyklus hatte urspninglich nichts mit dem KongreC zu tun. ...». 

Die Vortrage fiir die russischen Freunde fanden in der Rue Raynouard 5 
statt, wo eine moblierte Wohnung gemietet worden war. Sophie Stinde 
berichtet in einem Brief an Ludwig Kleeberg: «Immer grofier wurde der 
Kreis der Zuhorenden. Mit vierzehn fingen wir in unserer Wohnung an - 
Russen und Deutsche -, und bald waren es iiber sechzig, so sprach es sich 
herum und so begierig war man, den groften Mann, <le prophet, le maitre>, 
zu sehen und zu horen. Dann bekamen wir den Logenraum nach dem 
Kongrefi, und die Zahl der Zuhorer aus alien Landern wuchs auf siebzig und 
dariiber hinaus; mit ihr wuchs die Begeisterung. Es waren lauter hochstehen- 
de intelligente und teils beruhmte Leute wie Edouard Schure und der 
russische Dichter und Philosoph Minski, die zu FiijSen ihres endlich gefun- 
denen Meisters sa$en.» 

Textunterlagen: Edouard Schure verdanken wir die Aufzeichnungen von den 
Vortragen, die erstmals 1928 veroffentlicht wurden mit dem Titel «Esquisse 
d'une cosmogonie psychologique». Im Vorwort schrieb Schure dariiber: 
«Ich hatte bei dem ersten Vortrag Dr. Steiners keine Notizen gemacht, aber 
der Vortrag hatte mich so im Lebendigen getroffen, dafi ich, als ich nach 
Hause kam, das Bedurfnis empfand, ihn schriftlich wiederzugeben - ohne ein 
einziges Glied in der Kette der lichtvollen Gedanken vergessen zu haben. Die 
Verinnerlichung war so vollstandig gewesen, dafi ich damit keinerlei Schwie- 
rigkeit hatte. Aber, durch eine ungewollte und unmittelbare Verwandlung, 



entstand aus dem deutschen Text, der sich in mein Gedachtnis eingegraben 
hatte, der franzosische Wortlaut. Der gleiche Vorgang wiederholte sich bei 
alien achtzehn Vortragen und formte sich zu einem Heft, das ich als einen 
seltenen und kostbaren Schatz aufbewahrte. ... Einige Mitglieder der franzo- 
sischen Gruppe dieser Gesellschaft haben den Wunsch ausgedriickt, sie in 
einem Band erscheinen zu lassen. Ich komme diesem Wunsch umso lieber 
nach, als diese wertvollen Vortrage ein zentrales Moment im Denken Rudolf 
Steiners darstellen, ein spontaner Wurf einer genialen geistigen Schopfung in 
ihrer einmaligen Vollendung.» 

Dem Druck in der Gesamtausgabe liegt die Ubersetzung aus dem Fran- 
zosischen von Hermann Fackler zugrunde, die fiir die 2. Auflage 2001 
durchgesehen und an einigen Stellen korrigiert wurde. 

Neben den Aufzeichnungen Schures gibt es noch Kurznotizen von 
Mathilde Scholl, aus denen an einigen wenigen Stellen Erganzendes auf- 
genommen werden konnte. 



POPULARER OKKULTISMUS 
Leipzig, 28. Juni bis 11. Juli 1906 

Seit November 1905 hatte Rudolf Steiner auf Bitten des damaligen Zweig- 
leiters Gottlieb Rudolf Jahn und seiner spateren Nachfolgerin Elise Wolfram 
in Leipzig mehrere offentliche Vortrage und am 25. April 1906 einen Vortrag 
fur die dortigen Mitglieder gehalten. «Popularer Okkultismus» ist der erste 
dort gehaltene grofiere Vortragszyklus, an welchem etwa 60 Menschen 
teilnahmen, die Halfte davon Leipziger Mitglieder. In einer Vorbemerkung 
zur Erstveroffentlichung der Notizen aus diesem Leipziger Zyklus in «Was 
in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht. Nachrichten fiir deren 
Mitglieder» (vgl. unten) schrieb Marie Steiner: «Es sind nur kurze Notizen 
liber einen schon 1906 in Leipzig unter dem Titel <Popularer Okkultismus> 
gehaltenen Zyklus von zwolf [vierzehn] Vortragen. Doch historisch interes- 
sant fiir diejenigen, die selbst als Vortragende heute zu einer neuen Genera- 
tion sprechen, welche voll Sehnsucht die Vermittlung geistigen Wissens 
verlangt. Daher methodisch-didaktisch als Leitfaden wertvoll.» 

Textunterlagen: Dem Erstdruck im Nachrichtenblatt lag die Nachschrift von 
Alice Kinkel zugrunde, die dann auch fiir die 1. Auflage in der Gesamtaus- 
gabe ubernommen wurde. Eine spater aufgefundene weitere Nachschrift - 
von unbekannter Hand - enthalt eine Anzahl zusatzlicher Ausfiihrungen, die 
in der Kinkel-Nachschrift fehlen. Diese Zusatze sind in der 2. Auflage 2001 
in den Anhang Seiten 303-307 aufgenommen. Durch die zweite Nachschrift 
wurden auch einige kleinere Verbesserungen im Text moglich. Abweichende 
Formulierungen gegeniiber der friiheren Auflage sind also auf diese Nach- 
schrift zuruckzufuhren. 



DAS JOHANNES-EVANGELIUM 
Berlin, 19. Februar bis 5. Marz 1906 

Nachdem Rudolf Steiner mehrere Wochen auf Vortragsreise in verschiede- 
nen deutschen Stadten gewesen war, nahm er am 19. Februar 1906 mit drei 
Vortragen iiber das Johannes-Evangelium die kontinuierliche Arbeit an den 
Montagabenden im Berliner Besant-Zweig wieder auf. 

Textunterlagen: Es liegen Aufzeichnungen vor von Marie Steiner-von Sivers, 
Franz Seiler und Bertha Lehmann (Reebstein). Dem gedruckten Text liegt im 
wesentlichen die Nachschrift Franz Seiler zugrunde, dem Erganzendes aus 
den beiden anderen Mitschriften eingefugt wurde. 

DIE THEOSOPHIE ANHAND DES JOHANNES-EVANGELIUMS 
Munchen, 27. Oktober bis 6. November 1906 

Dieser Vortragszyklus fand in den Raumen des Mtinchner Zweiges I, Adal- 
bertstrasse 55 p., statt. Im Jahresbericht 1906 des Miinchner Zweiges heifit es, 
daft aufier den beiden Logen viele auswartige Mitglieder teilgenommen 
haben. «Es waren allabendlich iiber 70 Zuhorer anwesend, die mit grofker 
Begeisterung Herrn Dr. Steiners Ausfuhrungen iiber das Johannes-Evange- 
lium folgten.» 

Textunterlagen: Es liegen Aufzeichnungen vor von Marie Steiner-von Sivers, 
Ludwig Kleeberg und Alice Kinkel. Fur die 2. Auflage 2001 wurden alle 
diese Aufzeichnungen gepriift und einige Textstellen anhand der jeweils 
ausfiihrlichsten Mitschrift verbessert. 



Der Titel des Bandes wurde vom Herausgeber gewahlt in Anlehnung an die 
franzosische Ausgabe des Pariser Zyklus von Edouard Schure. 

Titel der Vortrage: Alle Vortrage wurden von Rudolf Steiner frei gehalten, 
ohne Ankiindigung eines bestimmten Titels. Die Titel der einzelnen Zyklen 
gehen auf die jeweiligen Erstausgaben zuriick. 

Fur die 2. Auflage 2001 wurden, neben den oben erwahnten Erganzungen 
und Verbesserungen, die Hinweise erganzt und eine Personenregister erstellt. 

Veroffentlichung in Zeitschriften: 

Notizen aus dem Zyklus «Popularer Okkultismus» in «Was in der Anthro- 
posophischen Gesellschaft vorgeht» 1946, 23. Jahrgang, Nrn. 36-47. 



Notizen aus den Vortragen Berlin 19., 26. Februar, 5. Marz 1906 in «Beitrage 
zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Nr. 56. 

Notizen aus dem Zyklus «Die Theosophie anhand des Johannes-Evange- 
liums» unter dem Titel «Theosophie und Johannes-Evangelium» in «Was in 
der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht» 1945, 22. Jg., Nrn. 7-16. 

Hinweise zum Text 

Werke Rudolf Steiners, innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen 
mit Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Ubersicht am Schlufi des Bandes. 



I 

Kosmogonie 

Zu Seite: 

19 Schem - Ham - Phorasch: ttf*T£)&?l D# 

Vgl., den Aufsatz von Hans Ludwig Held «Von Golem und Schem. Eine Studie 
aus der hebraischen Mystik» in der Zeitschrift «Das Reich», 1. Jg., 3. und 4. Buch, 
2. Teil, Seite 515 ff. 

Jod-He-Vau: ni!T* 

21 Wenn du nicht verldssest: Luk. 14, 26; Matth. 10, 37; Mark. 10, 29. 

23 Manes: Nach orientalischen Quellen um 215 in Mardinu (Babylonien) als Sohn 
eines vornehmen Persers geboren. Reisen nach Indien und Turkestan. Unter 
Bahram I. um 273 gekreuzigt. Vgl. die Vortrage Berlin, 11. November 1904, in 
GA 93; Niirnberg, 25. Juni 1908, in GA 104; Miinchen, 31. August 1909, in GA 
113. 

Auch Augustinus ... hatte urspriinglich der Gemeinscbaft der Manichaer ange- 
hort: Vgl. «Geisteswissenschaftliche Erlauterungen zu Goethes Faust, Band I: 
Faust der strebende Mensch», GA 272, Vortrag vom 4. April 1915; «Bausteine zu 
einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha», GA 175, 14. Vortrag. 

24 ist ein Aufsatz von Theodor Arldt erschienen: «Kosmos» 1905, Heft 10: «Das 
Atlantisproblem». 

25 zum neuen Zeicben des Bundes: 1. Mos. 9, 18 f. 

das schbne Wort von Paracelsus: «Dan das wil ich bezeugen mit der natur: der sie 
durchforschen wil, der mufi mit den fufien ire biicher treten. die geschrift wird 
erforschet durch ire buchstaben, die natur aber durch lant zu lant: als oft ein lant 
als oft ein blat. also ist ein codex naturae, also mufi man ire bletter umbkeren.» 
Paracelsus «Paragranum», Gesamtausgabe der medizinischen Werke, herausgege- 
ben von K. Sudhoff, Band 11, Miinchen 1924, Die vierte Defension, S. 145f. 

27 In einem deutscben Journal: Karl Arnold Kortum (1745-1828) veroffentlichte in 
der Zeitung «Reichsanzeiger» vom 8. Oktober 1796 eine Abhandlung iiber den 
Stein der Weisen. 



28 Alphonse de Lamartine, 1790-1869. 

«Der Mensch ist ein gefallener Gott»: Vgl. A. de Lamartine, «La chute d'un 
ange», 2 Bde., 1838. 

29 Paulus hat dieser Wahrheit Ausdruck gegeben: I. Kor. 2, 14-15; I. Kor. 15, 44-45. 

32 «Alles Vergdngliche ist nut ein Gleichnis»: «Faust» II, Vers 12104f. 

33 Ludwig Laistner, 1845-1896: «Das Ratsel der Sphinx. Grundziige einer Mythen- 
geschichte», 2 Bde., Berlin 1889. 

44 himmelhoch jauchzend, zum Tode betriibt: In «Egmont», Dritter Aufzug. 

Eine persische Legende erzdhlt: Siehe Goethe, Noten und Abhandlungen zu bes- 
serem Verstandnis des West-ostlkhen Divans, <Allgemeines>. 

45 Mabel Collins (Mrs. Kenningdale Cook), 1851-1927, bekannte englischen Theo- 
sophin: «Licht auf den Weg», aus dem Englischen iibersetzt von Oskar von 
Hoffmann. Siehe Rudolf Steiners Erlauterungen zu «Licht auf den Weg» in GA 
264. 

Die Genesis sagt: 1. Mos. 2, 7. 
47 diese Worte: «Faust» I, Vers 243-246. 
50 Plato sagte sogar: «Phaidon» 69c. 
52 Die Worte des Christus: Joh. 20, 29. 

Deshalb kann er von sich sagen: Joh. 14, 6. 

55 im Leben Goetbes: Siehe «Goethes Naturwissenschaftliche Schriften», herausge- 
geben und kommentiert von Rudolf Steiner in Kiirschners «Deutsche National- 
Litteratur» (1883/97), 5 Bande, GA la-e, Nachdruck Dornach 1975. Band I 
«Bildung und Umbildung organischer Naturen», S. 277-319. 

Dasselbe Gefiihl batte Goethe: A.a.O., S. 316ff. 

57 Spinoza nennt in seiner «Ethik»: «Die Ethik», iibersetzt von J. Stern, Leipzig o. 
J. (1887). Zweiter Teil. Uber die Natur und den Ursprung des Geistes. Dreizehn- 
ter Lehrsatz: «Das Objekt der Idee, die den menschlichen Geist ausmacht, ist der 
Korper, oder eine gewisse Daseinsform der Ausdehnung, die in Wirklichkeit exi- 
stiert, und nichts anderes.» 

im ersten Teil seines «Faust»: «Faust», Verse 501-509. 

60 eine bemerkenswerte Stelle: «Goethes Naturwissenschaftliche Schriften», a.a.O., 
Band III, S. 77 - 78, «Beitrage zur Optik. Zur Farbenlehre», <Vorwort>. 

61 das teleologische Problem: Teleologie ist die philosophische Weltanschauung, die 
den Begriff des Zweckes zum obersten Prinzip macht. 

62 Gehenna: Tal bei Jerusalem. Siehe 2. Konige 23,10. 

63 der Sinn des Christus-Wortes: Matth. 18,2. 

64 Friedrich Nietzsche, 1844-1900. «Jenseits von Gut und B6se»: 1885/1886. Siehe 
hierzu Rudolf Steiner «Friedrich Nietzsche, ein Kampfer gegen seine Zeit» 
(1895), GA 5. 



68 acht Seligpreisungen: Matth. 5,3-10. 



69 Nach einer Erklarung des Dichters: «Die Geheimnisse. Fragment von Goethe. » 
Morgenblatt fur gebildete Stande. 27. April 1816. 

70 Warum beginnt Dante: «Die Gottliche Kom6die», Erster Teil, Erster Gesang 1. 

76 Lamm Gottes: Joh. 1,29; 1,36; 1. Petr. 1,19; Off. Kap. 5, 6, 8, u. a. 

77 Devas: Gotter der Devachan-Welt. 

Plato spricht vom Symbol des Kreuzes: «Timaios », Kap. VIII p 36 B. Rudolf Stei- 
ner fiihrt diesen Ausspruch haufig an, und zwar in der Formulierung des ihm 
personlich bekannt gewesenen Wiener Philosophen Vincenz Knauer aus dessen 
Werk «Die Hauptprobleme der Philosophic in ihrer Entwicklung und teilweisen 
Losung von Thales bis Robert Hamerling», Wien und Leipzig 1892, Seite 96 (zur 
Bibliothek Rudolf Steiners gehorend und von ihm unterstrichen): «Der Mythus 
berichtet hieriiber im <Timaios>, Gott habe diese Weltseele in Kreuzesform durch 
das Universum gelegt und dariiber den Weltleib ausgespannt.» 

80 Dionysius Areopagita: In der Apostelgeschichte 17,34 als Schtiler des Paulus er- 
wahnt. Unter seinem Namen erschienen Ende des 5. Jahrhunderts in Syrien die 
«Schriften von der himmlischen Hierarchie» und «Von der kirchlichen Hierar- 
chies die im 9. Jahrhundert von Scotus Erigena aus dem Griechischen ins Latei- 
nische iibertragen wurden. Deutsche Ausgabe «Des heiligen Dionysius 
Areopagita angebliche Schriften», iibersetzt von J. G. V. Engelhardt, Sulzbach 
1823. 

Johannes Scotus Erigena, um 810-877. Vgl. Rudolf Steiners «Die Ratsel der 
Philosophic in ihrer Geschichte als Umrifi dargestellt», GA 18. 

tat warn asi: Beriihmte Formel des Veda. 

81 Karl Freiherr von Reicbenbach, 1788-1869, Industrieller und Naturphilosoph. 
Befafite sich mit Untersuchungen iiber das Od, eine von ihm eingefuhrte Bezeich- 
nung fur eine sinnlich nicht wahrnehmbare Kraft, die vom Menschen ausstrahlt 
und auf die besonders veranlagte Personen reagieren. «Der sensitive Mensch und 
sein Verhalten zum Od», 2 Bde. 1854-55. 

81 Erzengel oder Beleber der Metalle: Edouard Schure hat hierzu eine Fufinote ge- 
macht: «En allemand, archange se dit Erzengel; or, Erz signifie mineral.* 

82 Reich der Mutter: «Faust» II, Erster Akt, Finstere Galerie, Verse 6212-6305. 

84 Auf dieser Stufe wird der Schuler der Schwan genannt: Als «Schwan» wird der 
Initiierte des dritten Grades bezeichnet. Vgl. z. B. die Vortrage in Berlin, 4. Ok- 
tober 1905 (GA 93a) sowie Berlin, 25. Marz 1905 und Koln, 3. Dezember 1905 
(GA 92); ferner Berlin, 29. Marz 1906 (GA 54). Moglicherweise liegt hier bei den 
Aufzeichnungen von Schure eine Verwechslung vor. 

85 Chela (Tschela): Sanskrit, Adept oder Geistesschiiler. 

88 in der Genesis: Siehe Hinweis zu S. 45. 

89 George Berkeley, 1685-1753, englischer Bischof und Philosoph. Er leugnete die 
Existenz von «Dingen» aufierhalb unserer Vorstellung. «Sein» bedeutet nach sei- 
ner Lehre wahrgenommen oder erkannt werden. Hauptwerk «Treatise 



concerning the principles of human knowledge*, 1710, deutsch von Uberweg, 3. 
Auflage 1920. Vgl. Rudolf Steiners «Die Ratsel der Philosophic in ihrer Geschich- 
te als Umrifl dargestellt», GA 18. 

92 der dritte Logos: Vgl. die Aufzeichnungen Rudolf Steiners, geschrieben fur 
Edouard Schure in Barr im ElsaS, September 1907, enthalten in Rudolf Steiner/ 
Marie Steiner-von Sivers, Briefwechsel und Dokumente 1901-1925, GA 262, 
sowie in GA 89. 

94 Die Genesis sagt: 1. Mos. 1, 2. 

96 Bewujltseinszustdnde, Lebenszustdnde, Formzustdnde: Vgl. Rudolf Steiner «Vor 
dem Tore der Theosophie», GA 95, 9. Vortrag; «Die Apokalypse des Johannes»; 
GA 104, 10. Vortrag, sowie GA 89. 

102 In der Nachschrift von Mathilde Scholl hat dieser Abschnitt folgenden Wortlaut: 
Die Stickstoffverbindungen, die Zyanverbindungen, sind so zerstorend fur die 
Erde, weil sie nur auf dem Monde das Normale waren. Eines der schwersten Gifte 
ist Zyan, eine Verbindung von Kohlenstoff mit Stickstoff. Diese Verbindung be- 
deutete auf dem Monde ungefahr dasselbe wie auf der Erde die Verbindung des 
Kohlenstoffs mit dem Sauerstoff. 

105 In einer vorhergehenden Stunde: Im elften Vortrag dieses Zyklus.. 

107 die Tage der Woche: Vgl. Rudolf Steiner «Grundelemente der Esoterik», GA 93a, 
26. Vortrag; «Vor dem Tore der Theosophie», GA 95, 9. Vortrag; «Die Theoso- 
phie des Rosenkreuzers», GA 99, 7. Vortrag, sowie GA 89. 

108 Das Erdinnere: Vgl. Vortrag vom 16. April 1906, in «Ursprungsimpulse der 
Geisteswissenschaft», GA 96; Vortrag Berlin am 21, April 1906, in «Das christli- 
che Mysterium», GA 97. 

111 die sieben unaussprechlichen Geheimnisse: Siehe den Vortrag vom 18. Oktober 
1903 (Bericht im «Vahan») und Brief Rudolf Steiners an Giinther Wagner in 
«Uber die astrale Welt und das Devachan», in GA 88. 

112 eine Anspielung darauf: « Faust » I, Vers 2069 f. 

114 in der Genesis: 1. Mos. 2, 5. 

115 Das erkldrt Paulas: Rom. 7, 22; 8, 2; 10, 4; 13, 10; Gal. 3, 13; Phil. 3, 9. 
118 die Wahrbeit macht die Menschen frei: Joh. 8, 32. 

in dem Evangelienwort: Joh. 20, 29. 

II 

Popularer Okkultismus 
136 «Alles Vergdngliche ...»: Siehe Hinweis zu S. 32. 

138 Schopenhauer sagte mit Recht: Motto der «Preisschrift iiber die Grundlage der 
Moral, nicht gekront von der koniglich danischen Societat der Wissenschaften zu 
Kopenhagen, am 30. Januar 1840». 

140 «Die Sonne tont nach alter Weise ...»: «Faust» I, Verse 243 ff. 



140 «Tdnend wird fiir Geistesohren»: «Faust» II, Verse 4667 ff. 
142 Stelle in den Evangelien: Matth. 18, 3. 
144 Gottes Engel: Matth. 22, 30; Mark. 12, 25; Luk. 20, 36. 
161 Dort ist vom Regenbogen die Rede: Mos. 9, 8-17. 

167 Daher sagt Plato: Siehe Hinweis zu S. 77. 

168 Unsere Wurzelrasse: Der aus der theosophischen Literatur stammende Begriff 
«Wurzelrasse» (root-race) wurde von Rudolf Steiner spater durch «Hauptzeital- 
ter der Erdenentwicklung» ersetzt. Diese sieben Hauptzeitalter sind: 

1. die polarische Zeit («Wurzelrasse») 

2. die hyperboraische Zeit 

3. die lemurische Zeit 

4. die atlantische Zeit 

5. die nachatlantische Zeit 

6. Hauptzeitalter (zukiinftiges) 

7. Hauptzeitalter (zukiinftiges) 

Diese sieben «Wurzelrassen» (Hauptzeitalter) gliedern sich in je sieben «Unter- 
rassen» (sub-races), von Rudolf Steiner spater «Kulturepochen» genannt: 

Die nachatlantische Zeit: 

1. Indische Kulturepoche («Unterrasse») 

2. Persische Kulturepoche 

3. Agyptisch-chaldaisch-babylonische Kulturepoche 

4. Griechisch-lateinische Kulturepoche 

5. Germanisch-anglo-amerikanische Kulturepoche 

6. Kulturepoche (zukiinftige) 

7. Kulturepoche (zukiinftige) 

die von Plato erw'dhnte Insel Poseidonis: «Kritias» 113 C/121 C. 
174 es war noch manches davon bffentlich zu lesen: Siehe Hinweis zu S. 27. 

176 Christian Rosenkreutz: Siehe hierzu Rudolf Steiner «Das esoterische Christen- 
tum und die geistige Fiihrung der Menschheit» (1911/12), GA 130. 

\77iiDie cbristliche Einweihung und das Erdinnere: Siehe Hinweis zu S. 108. 

177 Angelus Silesius sagt einmal: Johannis Angeli Silesii Cherubinischer Wanders- 
mann, Glatz 1675. Nach der Ausgabe letzter Hand hg. von Wilhelm Bolsche, Jena 
1905. 1. Buch, Spruch 61. 

im Johannes-Evangelium: Joh. 8, 59. 

178 ein Wort des Evangeliums: Matth. 19, 30; Mark. 10, 31; Luk. 13, 30. 

181 Alfred Percey Sinnett, 1820-1903. «Die esoterische Lehre oder Geheimbuddhis- 
mus», deutsch Leipzig 1884. 



Ill 

Das Johannes-Evangelium 



188 Bruno Wille, 1860-1928, grundete 1900 den Giordano-Bruno-Bund. Vgl. Rudolf 
Steiner «Mein Lebensgang» (1923/25), GA 28, Kap. XXIX, sowie «Beitrage zur 
Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Nr. 79/80 

189 Anekdote von jener Sangerin: Es handelt sich um die mit der Familie Mendels- 
sohn befreundete Therese Devrient geb. Schlesinger (1803-1882). «Jugenderinne- 
rungen», Kap. <Aus der jungen Ehe>. 

190 Das meinte auch Angelas Silesius: Siehe Hinweis zu S. 177. 

194 Subba Row (Rao), 1865-1890. Seine Aufsatze in der Zeitschrift «Theosophie» 
erschienen unter dem Titel «Esoteric Writing», 2. Aufl. Madras 1931. 

196 am letzten Donnerstag: Offentlicher Vortrag in Berlin am 15. Februar 1906 
«Wiederverk6rperung und Karma», in «Die Weltratsel und die Anthroposophie», 
GA 54. 

200 Von Johannes heiftt es: Joh. 13,23. 

202 Elementarwesen, Elementarreiche: Vgl. insbesondere Rudolf Steiner «Das Her- 
einwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen» (13 Vortrage Berlin 1908), 
GA 102, 10. und 12. Vortrag; «Die Apokalypse des Johannes», GA 104, 2., 3. und 
10. Vortrag; «Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen 
Welt* (10 Vortrage Dusseldorf 1909), GA 110, 2. und 3. Vortrag; «Zufall, Not- 
wendigkeit und Vorsehung» (8 Vortrage Dornach 1915), GA 163, 6. Vortrag. 

205 Siehe, das ist deine Mutter: Joh. 19,27. 

206 sagt Angelus Silesius: A. a. O., 4. Buch, Spruch 56. 

208 Mabel Collins, «Licht auf den Weg»: Siehe Hinweis zu S. 45. 

212 Gesprdch mit Nikodemus: Joh. 3, 5. 

214 «Seme Jiinger fragten ihn»: Joh. 9, 2-3. 

216 Jesus selbst sagt: Joh. 14,6. 

219 Das sind die Namen der vier: 

Jam D"* Wasser, M eer 

Nur T)J Feuer (aramaisch) 

Ruach irn Luft, Hauch, Geist 

Jabbaschah TW&IP Erde, Felsen 

220 an eine Moses-Stelle: 2. Mos. 12, 46. 

222 Daher konnen Sie lesen bei Johannes: 1. Brief Joh. 5, 7 (wortlich): «Denn drei 
sind, die da zeugen: der Geist, das Wasser und das Blut.» 

das kann ein anderes Mai geschehen: Siehe den Vortrag vom 14. August 1908, 
in GA 105. 

223 «Ich bin bei euch»: Matth. 28,20. 



IV 

Die Theosophie anhand des Johannes-Evangeliums 

227 Christian Karl Josias Bunsen, 1791-1860, 1857 Freiherr, preulSischer Diplomat 
und Theologe. «Geschichte der Biicher und Herstellung der urkundlichen Bibel- 
texte», Leipzig 1866 S. 77. 

228 «Adam fiel in einen tiefen Schlaf »: 1. Mos. 2, 21. 

233 die Erzahlung Jean Pauls: «Nie vergefi ich die noch keinem Menschen erzahlte 
Erscheinung in mir, wo ich bei der Geburt meines Selbstbewufitseins stand, von 
der ich Ort und Zeit anzugeben weifi. An einem Vormittag stand ich als ein sehr 
junges Kind unter der Haustur und sah links nach der Holzlege, als auf einmal das 
innere Gesicht: ich bin ein Ich, wie ein Blitzstrahl vom Himmel vor mir fuhr und 
seitdem leuchtend stehen blieb. Da hatte mein Ich zum ersten Mai sich selber 
gesehen und auf ewig. Tauschungen des Erinnerns sind hier schwerlich denkbar, 
da kein fremdes Erzahlen sich in eine blofi im verhangenen Allerheiligsten des 
Menschen vorgefallene Begebenheit, deren Neuheit allein so alltaglichen Neben- 
umstanden das Bleiben gegeben, mit Zusatzen mengen konnte.» Jean Pauls Le- 
bensbeschreibung «Aus Jean Pauls Leben». «Jean Pauls samtliche Werke», Berlin 
1862. 

235 sagt Paracelsus: «und das ist ein grofi, das sie bedenken sollen, nichts ist im himel 
noch auf erden das nicht sei im menschen, dan das sind die himlischen kreften die 
sich bewegen werden; dan got der im himel ist der ist im menschen.» Aus 
«paramiri liber quartus de matrice», Ausgabe Sudhoff Band 9, S. 220. 

241 «Ich bin der Weg, die Wabrbeit und das Leben»: Joh. 14, 6. 

242 «Und Gott blies dem Menschen seinen Odem ein»: Siehe Hinweis zu S. 45. 

243 «Du gleichst dem Geist»: «Faust» I, Vers 512. 

251 der Stammvater Tuisto: «Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos 
memoriae et annalium genus est, Tuistonem deum terra editum, ei filium Mann- 
um originem gentis conditoremque.» (In alten Liedern - das ist die einzige Art 
ihrer Uberlieferung und Geschichte - feiern sie [die Germanen] den Gott Tuisto, 
einen Sohn der Erde. Ihm schreiben sie einen Sohn Mannus zu, den Stammvater 
und Begriinder des Volkes.) Cornelius Tacitus, de origine et situ Germanorum, 2. 

252 «Wer nicht verlaftt»: Siehe Hinweis zu S. 21. 
252 «Er muft wachsen»: Joh. 3, 30. 

Die Hochzeit zu Kana: Joh. 2, 1-11. 

255 Aus den offentlichen Vortragen: In Miinchen hatte Rudolf Steiner offentlich am 
29. und 30. Oktober und 1. November 1906 iiber die Themen «Wie begreift man 
Krankheit und Tod?», «Kindererziehung im Lichte der Theosophie» und «Blut 
ist ein ganz besonderer Saft» gesprochen. - Die in Berlin bzw. in Koln iiber die 
gleichen Themen gehaltenen Vortrage sind in GA 55 «Die Erkenntnis des Uber- 
sinnlichen in unserer Zeit und deren Bedeutung fur das heutige Leben» enthalten. 



258 an das Goethe-Wort: «Faust» II, Vers 6275 f. 



259 «Ich und der Vater sind eins»: Joh. 10,30. 

«Blut-Rubikon»: «Den Rubikon iiberschreiten» sagt man von einem folgen- 
schweren Schritt, wie es Casars Ubergang iiber den oberitalienischen Flufi Rubi- 
kon (Rubico) im Jahre 49 v.Chr. war, durch den der Biirgerkrieg ausgelost wurde. 

261 Elias von den Raben versorgt: 1. Konige 17, 4 und 6. 

die Boten Wotans: Hugin (Gedanke) und Munin (Gedachtnis). 

in dem Barbarossa schlummert: Die Sage, wonach der Kaiser nicht gestorben ist, 
sondern im Kyffhauser oder im Untersberg schlummert, bezieht sich eigentlich 
auf den Enkel Barbarossas, Friedrich II., wurde aber vom Volk auf Friedrich I. 
Barbarossa iibertragen. Die Raben fliegen um den Berg, bis das Goldene Zeitalter 
anbricht, in dem Barbarossa wieder das Reich regieren wird. 

Mabel Collins: Siehe Hinweis zu S. 45. 

Lowe am dem Stamme Juda: 1. Mos. 49, 9; 1. Makk. 3, 4. 

263 die Stelle im Johannes-Evangelium: Joh. 1,17. 
263f «Eure Vater haben Manna gegessen»: Joh. 6, 49-51. 

264 dgyptische Finsternis: 2. Mos. 10, 22 

265 nicht nur das Land gemeint: 3. Mos. 18, 3; 4. Mos. 14, 9; Jos. 5, 9; Jes. 19 und 20; 
Klagel. 5, 6 u. a. 

266 Der Gott Jehova spricht zu dem Volke: 2. Mos. 20, 1-3. 
Das Volk machte sich aber doch ein Bild: 2. Mos. 32, 1-35. 

267 Erwiirgung der agyptischen Erstgeburt: 2. Mos. 12, 1-51. 
daher die Worte: Siehe Hinweis zu S. 220. 

267f Als die Kinder Israel murrten: 2. Mos. 16, 1-30. 

268 Manhu: KIHp 

«Und Gott blies ihm ein den lebendigen Odem»: Siehe Hinweis zu S. 45. 

269 «Eure Augen werden aufgetan»: 1. Mos. 3, 5. 

269f «Eure Vater haben Manna gegessen»: Siehe Hinweis zu S. 263f. 

270 «Ich bin das Brot des Lebens»: Joh. 6, 48. 

Als das judische Volk nahe daran war: 2. Mos. 32, 9-10. 

270 Moses nimmt das Opferblut: 2. Mos. 24, 6-8. 
«Wer mein Fleisch isset»: Joh. 6, 56. 

271 Paracelsus sagt: Siehe Hinweis zu S. 25. 

272 Deshalb nannte Paracelsus den Cholerakranken einen Arsenikus: «Daraus ent- 
springt, dafi ihr nicht sollen sagen, das ist Cholera, das ist Melancholia, sondern 



das ist Arsenikus, das ist Aluminosum; also auch der ist Saturni, der ist Martis, 
nicht der ist melancholise, der ist cholerae. Dan ein Teil ist des Himels, ein Teil ist 
der Erden und in einander vermischt wie Feuer und Holz, da jedweders seinen 
Namen verlieren mag; dan es sind zwei Ding in einm.» Aus «Paragranum», Ge- 
samtausgabe der medizinischen Werke, herausgegeben von Sudhoff, Miinchen- 
Berlin 1922-33, Band 8, S. 74. 

Gleichnis vom Weinstock und den Reben: Joh. 17, 1-6. 
Hochzeit zu Kana: Siehe Hinweis zu S. 252. 
273 wo die Kreuzigung Christi geschildert wird: Joh. 19, 25-27. 

275 «Wer nicht verlasset»: Siehe Hinweis zu S. 21. 
Bei Lukas steht: Luk. 1, 35. 

«Ich und der Vater sind eins»: Siehe Hinweis zu S. 259. 

276 Speisung der Fiinftausend: Matth. 14, 15-21; Mark. 6, 35-44; Luk. 9, 12-17; Joh. 
6, 5 -13. 

279 Daher das Wort: Siehe Hinweis zu S. 77. 

282 das Herabfahren des Geistes als Taube: Joh. 1, 32. 

285 Budhiplan: Welt der Vorsehung. 

Mentales: Mentalwelt, Devachan, geistige Welt. 

286 Alles Vergangliche: Siehe Hinweis zu S. 32. 

Schon in « Lucifer-Gnosis» ist darauf hingewiesen worden: In der Zeitschrift 
«Lucifer-Gnosis» erschien ab Oktober 1905 (Nr.29) die Aufsatzfolge «Die Stufen 
der hdheren Erkenntnis». Die angefuhrte Darstellung findet sich in GA 12 im 
Kapitel «Die Imagination*. 

289 «In Lebensfluten, im Tatensturm»: «Faust» I, Verse 501-509. 

290 Kausalleib: Extrakt des Ather- und Astralleibes, den der Mensch von Erdenleben 
zu Erdenleben weitertragt. Vgl. Vortrag Leipzig am 3. Juli 1906, S. 149f. in diesem 
Band; ferner die Fragenbeantwortung zum Vortrag Heidelberg am 3. Februar 
1907, in «Das christliche Mysterium», GA 97. 

291 «Eli, Eli, lama sabacbthani»: Matth. 27, 46; Mark. 15, 34. «Sabachthani» meistens 
iibersetzt mit «verlassen». Ahnlich lautender Ausdruck «Shevachthani» gleich 
«erhoht» oder «verherrlicht». Vgl. «Das Matthaus-Evangelium», GA 123, 12. 
Vortrag. 

296 Speisung der Fiinftausend: Siehe Hinweis zu S. 276. 

299 «Ich babe euch noch viel zu sagen»: Joh. 16, 12. 

300 Helena Petrowna Blavatsky, 1831-1891. 



PERSONENREGISTER 



Angelus Silesius 177, 190, 206 
Arldt, Theodor 24 
Augustinus 23 

Berkeley, George 89 
Blavatsky, H.P. 300 
Bohme, Jakob 111,140 
Buddha 18 
Bunsen, Christian 227 

Collins, Mabel 45*, 208* 

Dante 70, 83, 109, 181, 
Darwin, Charles 25, 29, 77 

Eriugena, Johannes Scotus 80 

Franz von Assist 157 

Galilei, Galileo 170, 

Goethe, Johann Wolfgang von 32, 

44, 47, 55, 57, 60, 69, 82, 112, 136, 

139, 140 

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 189 
Jean Paul 233 

Kopernikus, Nikolaus 122, 170 



Lamartine, Alphonse de 28 

Mendelssohn, Felix 189 
Michelangelo Buonarroti 175 

Nietzsche, Friedrich 64 

Paracelsus 19, 25, 111, 140, 235 
Plato 18, 47, 50, 77, 82, 167 
Ptolemaus 122, 170 
Pythagoras 18, 39, 47, 84, 139 

Raffael 35 

Reichenbach, Karl von 81 
Row, Subba 194 

Schopenhauer, Arthur 138, 156 
Sinnett, A.P. 181 
Spinoza, Baruch 57 
Steiner, Rudolf, Werke: 

- Wahrheit und Wissenschaft (GA 3) 
176 

- Die Philosophic der Freiheit (GA 4) 
176 

- Die Stufen der hoheren Erkenntnis 
(GA 12) 286 

Thales 18 



Laistner, Ludwig 33 



Wille, Bruno 188